Die Sprache der Drachen
"Können Drachen sprechen?- " "Ja, natürlich können Drachen sprechen.-
Egal wen man fragt, die Antwort bleibt immer gleich.
Gut, darüber sind wir uns also schnell einig geworden. Es gibt einen Weg der Kommunikation, wir verstehen sie und sie verstehen uns. Welche Sprache sprechen Drachen jedoch? Wenn wir sie verstehen, dann wohl unsere Muttersprache? Oder Ihre ureigene Sprache? Oder sprechen sie wohl am Ende gar nicht physisch sondern nur auf einer hohen psychischen Ebene, ähnlich der Telepathie? Auch hier scheiden sich letztendlich die Geister an zwei bestehenden Theorien.
Drachen sagen was sie denken…[1]
Wir beginnen mit der allgemein vorherrschenden Meinung, dass Drachen nicht nur mit uns Menschen sprechen, sondern auch in vielen anderen Sprachen und mit vielen Wesen kommunizieren können (zum Beispiel mit Tieren). Dabei erweisen sie sich jedoch dem Menschen gegenüber besonders wortgewandt und scharfsinnig. Dem gemeinen Drachen scheint demzufolge die Fähigkeit zu sprechen angeboren zu sein, wobei seine natürliche Sprache nach Expertenmeinung das Latein ist. Doch auch andere Sprachen- und seien sie noch so fremdartig- sind für den Drachen kein unüberwindbares Problem. Durch seine überdurchschnittliche Intelligenz lernt er die Dialekte seines unmittelbaren Lebensraumes und sogar ihm völlig fremde Sprachen innerhalb kürzester Zeit. Dies ist letztendlich ein Vorgang von größter Notwendigkeit für den Drachen, da sein Überleben in dieser ihm sehr feindlich gesinnten Umgebung momentan von seiner Anpassungsfähigkeit bestimmt ist.
Der gemeine Drachen besitzt eine angenehme, sogar bisweilen als lieblich bezeichnete Bariton-Stimme, deren Zauber sich niemand entziehen kann, der Ihr unvorbereitet begegnet. Kein Wunder also, dass Drachen im Mittelalter häufig in Form von fahrenden Barden angetroffen werden konnten, galten sie doch als Virtuositäten auf den Saiteninstrumenten mit phantastischem Taktgefühl auf der einen Seite und Gespür für Poesie und Wortwahl auf der anderen Seite. Es gelang ihnen hierbei regelmäßig bei Ihrem Publikum wahre Gefühls- und Begeisterungsstürme zu wecken. Früher mochte es erscheinen, als würden Drachen wissen was Ihre Zuhörer fühlen wollten und dementsprechend reagieren. Heutzutage jedoch hat sich eine völlig andere Meinung dieser Vorgänge geprägt. So vermögen es Drachen nach allgemeiner Meinung durch Ihre Poesie, Wortwahl und Intonation ihre Gefühle dem Zuhörer so deutlich zu vermitteln, dass diese sie zuweilen als Ihre eigenen interpretieren. Wurden eben jene Drachenkünstler, aus welchem Grunde auch immer, jedoch demaskiert und Ihre wahre Natur entdeckt, so wurde ihnen diese Stimme oft schnell zum Verhängnis. Es hieß, sie würden mit der honigsüßen Stimme der Sünde sprechen und die Menschen in Versuchung führen. Heute wissen wir, dass dem meistens nicht so ist, doch wer kann es den Menschen damals verübeln vor Angst starr zu werden wenn Ihnen ein Wesen gegenüber steht, das seit Menschengedenken als das personifizierte Böse gilt? Und so sollte man sich auch heute zumindest noch vorsehen wenn man in den Bann dieser wunderschönen sonoren Stimmen zu geraten scheint, denn man vergisst nur allzu leicht, dass man es mit einem Drachen zu tun hat.
Drachen denken was sie sagen…
Um die zweite Theorie, die im starken Kontrast zur ersten steht, näher bringen zu können, müssen wir einen kleinen Umweg in Kauf nehmen. Aus der Biologie ist uns bekannt, dass sich jedes Lebewesen im Laufe der Evolution an seinen Lebensraum perfekt angepasst hat. Sei dies im Falle der Fische deren Fähigkeit durch Kiemen zu atmen, im Falle der Vögel die Fähigkeit zu fliegen und im Falle des Menschen die überdurchschnittliche Intelligenz. Uns ist bis heute kein Wesen bekannt, welches sich auf mehr als eine dieser oder anderer Haupteigenschaften spezialisieren konnte ohne Einbußen zu ertragen. Fische haben Kiemen und können selbstverständlich nicht fliegen, Vögel können fliegen, jedoch nicht durch Kiemen atmen, wenn wir bei eben diesem Beispiel bleiben wollen. Betrachten wir nun jedoch Drachen in Mythen und Märchen, so fällt uns auf, dass diese sich nicht nur in einer Richtung spezialisiert haben. Sie können fliegen, sprechen, speien Feuer, sind magisch versiert, haben übernatürliche Sinne, usw. Diese Liste ließe sich beinahe beliebig erweitern. Aber ist dies dann auch korrekt? Selbst wenn wir den Drachen als uralte und einzigartige Rasse zwei dieser evolutionären Hauptspezialisierungen zusprechen würden, scheint es nicht noch immer unwahrscheinlich ein solch übernatürliches Wesen zu akzeptieren? Nüchtern betrachtet müssen wir uns eingestehen, dass folglich auch ein Drache unseren Naturgesetzen unterworfen sein muss. Betrachten wir die Tatsache, dass für die Fähigkeit zu sprechen ein beachtliches Maß an Intelligenz vorhanden sein muss, Sprache also Intelligenz erfordert und sie gleichermaßen erzeugt. Natürlich sind wir Menschen nicht die einzige Spezies die eine solche Intelligenz entwickelt hat. Aber genau diese Art von Intelligenz kann man den Drachen in solch hohem Maße, im Zuge der zuvor Besprochenen Spezialisierungen, einfach nicht mehr zusprechen. Erst recht unglaubwürdig wird diese Fähigkeit bei der Betrachtung der Fülle an Dialekten und Sprachen, die sogar schon vor tausenden von Jahren existiert haben müssen. In vielen Legenden ist es dies bestätigend eine gut dokumentierte Tatsache, dass schreckliche, in höchsten Maßen als intelligent eingestufte Drachen von einfachen Bauern mehr als einmal überlistet wurden. Hieraus kann man nur leicht zu einem Folgeschluss kommen. Auch der Mensch hat sich im Laufe seiner Evolution weiterentwickelt und seine Intelligenz ist um ein beachtliches Maß höher als sie es vor Jahrtausenden war. Wir leben nicht mehr in Höhlen, um nur ein kleines Beispiel zu nennen. Aber genau wie die Namen der Drachen, unser Wissen über deren Form, deren Können und Bedeutung einer Drachensichtung, so mag auch Ihr Wissen und Ihre Intelligenz eine aus früheren Jahrtausenden überlieferte Tatsache sein. Für einen Höhlenmenschen mag ein Drache ein überaus intelligentes Wesen sein, aber dem heutigen Menschen mag diese Intelligenz allenfalls ein müdes Lächeln entreißen.
Letztendlich sind wir bei der Betrachtung unserer Vorbedingungen an ein mehr oder minder akzeptables wenn nicht gar erstaunliches Ende gelangt. Um zu erklären, wie Drachen es trotz der offensichtlichen geistigen Defizite dennoch bewältigen mit uns zu "kommunizieren-, bedarf es einiger Überlegungen und Zitierung bekannter Quellen.
Aus der bekannten Nibelungensage, in der Siegfried Fafnir erschlug, bewachte Fafnir in Form eines Drachen den so genannten Nibelungenschatz, den er an sich nahm, nachdem er seinen Vater ermordete und sich dessen Helm der Furcht aneignete.
Die Legende der gorgonischen Medusa beschreibt ein Wesen mit Schlangenhaar, dessen Blick jeden in Stein verwandelte, der ihm begegnete.
Die Legende der Sphinx berichtet von einem Ding halb Mensch, halb Adler und Löwe, die im alten Ägypten Menschen auflauerte, um diese, bei falscher Antwort auf ihre Frage, die Felsen hinunterzustürzen.
Auch viele Griechische Legenden erzählen von Drachen, so zum Beispiel Die Geschichten um Jason Medea und Cadmus.
Alle diese und noch viele andere Legenden machen eines deutlich. Drachen sprechen zumeist in Rätseln, ihr Anblick lässt Menschen vor Furcht erstarren und sie scheinen ebensoviel von Ihren Opfern zu wissen wie diese von sich selbst!
Ich denke, dass die gesamte Fähigkeit des Drachen zu sprechen auf einer anderen Fähigkeit beruht, nämlich seinen hypnotischen Fähigkeiten. Aber warum sollte ein Drache solche Fähigkeiten entwickeln? Und spricht dies nicht gerade gegen die Theorie der Spezialisierung? Ich denke nein, da diese Fähigkeit auf des Drachens Hauptspezialisierung, der Flugfähigkeit aufbaut. Drachen sind groß und dadurch am Boden relativ unbeweglich und verwundbar. Um sich aber dennoch verteidigen und jagen zu können benötigte er eine Methode um seine körperlichen Defizite auszugleichen. Jagen ohne zu verfolgen und verteidigen ohne zu kämpfen, das war sein Ziel und seine Devise. Die natürlichen Vorzüge des Drachen waren ihm dabei nur hilfreich. Die Gestalt des Drachen war seit jeher schrecklich anzusehen. Mittels der Verfeinerung der Evolution war es dem Drachen erstmals möglich dies auch als Waffe einzusetzen. Sein Furcht erregender Anblick ließ jede Kreatur die mit seinem Anblick konfrontiert wurde in Panik erstarren, in eine Art Trance fallen. Der Schritt zu einer Möglichkeit der Hypnose ist somit nicht mehr undenkbar fern.
Diese Art der Hypnose ist im Tierreich nicht einmal selten anzutreffen. Schlangen, Tiger und sogar Haie praktizieren eine ähnliche Form der Paralyse an ihrer Beute. Auch wir Menschen können uns selbst in diesen Zustand versetzen, wobei ich nicht die Meditation im eigentlichen Sinne, sondern eher den Augenblick der Bewegungsunfähigkeit in gefährlichen Situationen meine. Wer schon jemals einer Schlange gegenüber stand, die sich kampfbereit aufstellt, der kann dieses Gefühl eventuell nachempfinden. Der menschliche Geist beginnt zu rasen, unsere uralten Instinkte sagen uns, dass jede Bewegung unsere letzte sein könnte. Das Herz beginnt wie wild zu schlagen und in unserem Inneren hören wir Stimmen oder sehen Bilder die uns unser Geist vorgaukelt. Unser Geist sucht die Antwort auf eine Frage die ihm wort- und formlos gestellt wurde. Eine Frage, die aus dem Chaos der Situation in ihm aufsteigt. Eine Drachenfrage! Was tue ich? Ist das das Ende? Nein, das ist es nicht! Denn die Maske des Terrors die ein Drache trägt, soll nur von seiner eigenen Schwäche ablenken. Ein Drache hat nicht nur eine verwundbare Stelle wie allgemein angenommen wird. Nicht diese gilt es zu finden, sondern nur seine unverwundbare Stelle zu vermeiden. Doch selbst wer dies stets im Hinterkopf behält kann und darf sich nicht in Sicherheit wiegen. Schon zu viele sind der Kraft der Augen des Drachen anheim gefallen, denn auch hier sagt ein Blick mehr als tausend Worte.
- [1]Diese These stammt aus dem weltweit bekannten und berühmten "Buch der Drachen- von Ciruelo Cabral und Montse Sant, welche ich mit freundlicher Genehmigung von Ciruelo Cabral verwende.↩