Christopher Paolini – Eldest
Die Schlacht von Tronjheim ist geschlagen, die Urgal sind besiegt, der Schatten Durza wurde vernichtet. Und dennoch ist der Sieg für Eragon bittersüß, denn aufgrund unglücklicher Umstände muss ein neuer Anführer für die Varden gewählt werden. Ehe er es sich versieht, werden der von Durzas Verwundung geplagte Eragon und seine Drachin Saphira in die Ränkespiele am Hofe Tronjheims mit einbezogen, und schon bald muss er sich entscheiden, wem er seine Treue schwört, bevor er in das Reich der Elfen reist, um dort sein Training als Reiter zu beginnen. Eine Zeit, die einiges an Überraschungen, Emotionen und Erkenntnissen für ihn bereithalten wird, im Guten wie im Schlechten.
Währenddessen erscheinen Soldaten des wahnsinnigen Königs Galbatorix in Carvahall, die Eragons Cousin Roran mitnehmen wollen. Das Dorf leistet Widerstand – und muss dafür einen hohen Preis bezahlen.
Obwohl die Fortsetzung zu Christopher Paolinis spektakulärem Romandebüt "Eragon" von vor zwei Jahren im Rahmen des aktuellen Rummels um "Harry Potter und der Halbblutprinz" untergehen wird, wird sie von der rasch entstandenen Fangemeinde sicherlich trotzdem sehnsüchtig erwartet.
Ich persönlich kann nicht sagen, was zu dem enormen Erfolg des ersten Bandes "Eragon" von Paolinis "Inheritance"-Trilogie geführt hat, ob es die Drachin Saphira war, die ganz auf Jugendliche zugeschnittene Fantasy, die Hauptfigur, mit der man sich leicht identifizieren konnte oder der offene Hype darum, dass Paolini damit begonnen (!) hatte, das Buch im Alter von 15 Jahren zu schreiben.
Letzteres Argument zieht eh nicht mehr, Paolini ist mittlerweile 21, und jeder, der dieses Alter erreicht hat, weiß, was für eine enorme Entwicklung man in diesem Zeitraum durchmacht. Das merkt man "Eldest", so der Titel der von mir gelesenen englischen Ausgabe, auch durchaus an, denn die Fortsetzung ist von wesentlich professionellerer Hand geschrieben als der Erstling.
Am deutlichsten wird das im Aufbau der Geschichte.
Paolini teilt seinen Roman in drei große, aber nicht weiter gekennzeichnete Abschnitte ein, in denen er mittlerweile sogar mehrere Handlungsstränge unterbringt, anstatt ziellos voran zu preschen.
"Eldest" wirkt dadurch wesentlich fokussierter – ein klares Zeichen dafür, dass er in seinem schriftstellerischen Handwerk dazugelernt hat.
Leider hat er in diesem Buch enorme
Startschwierigkeiten. "Eldest" will einfach nicht aus dem Knick kommen, die ersten 200 der englischen 670 Seiten drehen sich gar nur um Politik, Bündnisse und Treueschwüre – absolut keine spannende Ausgangssituation, wirft Paolini doch auch gleich einige wichtige Charaktere aus dem Vorgänger aus dem Rennen. Dass die Spannung in diesem Abschnitt gar abseits der Hauptstory liegt, nämlich bei der Belagerung von Carvahall, spricht ebenfalls gegen den Spannungsbogen von "Eldest", schließlich dreht sich der Roman hauptsächlich um Eragon. Sobald dieser jedoch im Reich der Elfen angelangt ist und seine Ausbildung, begleitet von einigen handfesten Überraschungen, beginnt, liest sich seine Geschichte wesentlich flüssiger. Das liegt vor allem an Eragon selbst, der von Paolini eine umfangreiche und ernst zu nehmende Weiterentwicklung erfährt. Zum einen wird der Übermensch-Status, den er gegen Ende des letzten Romans zu erreichen drohte, durch seine ihn plagende Verletzung wesentlich abgeschwächt. Auf der anderen Seite droht er, genau diesen Status im Laufe seiner Ausbildung wieder zu erreichen. Dafür macht es jedoch Spaß, ihn bei seinem rapiden Reifeprozess und auch bei den ersten Kapiteln seines Liebeslebens zu beobachten, verhält er sich doch stets nachvollziehbar, gewissenhaft und dennoch trotzig – ein echter Harry Potter also… 😉 Fans der Drachin Saphira werden dagegen vielleicht ein wenig enttäuscht sein. Drachen sind nun mal, was sie sind, da kann Paolini auch nichts wirklich Neues mit ins Spiel bringen. Das einzig Interessante sie betreffend wäre da auch bei ihr der von ihr geäußerte Wunsch nach einem Partner…
Dafür wird Eragons Cousin Roran als wichtige neue Figur eingeführt und ebenfalls einer gewaltigen, aber immer auch glaubwürdigen und irgendwie coolen Veränderung durchzogen.
Man merkt, bei den Charakteren hat sich Paolini wirklich Mühe gegeben und man kann auch getrost sagen, dass er da auf ganzer Linie Erfolg hat. Die Geschichte ist da eine andere Sache.
Nach dem lahmen Anfang mag sich "Eldest" zwar interessant weiterlesen, aber vor allem der Hauptgeschichte fehlt es einerseits an einem wirklichen Spannungsaufbau, andererseits an einem Antagonisten, der auch Präsenz zeigt, bleibt doch Galbatorix auch weiterhin nur ein Name mit einer Geschichte dahinter. Der Klimax, der den dritten Teil des Romans markiert und einfach so 130 Seiten vor Schluss ausgelöst wird, kommt einem dann nach einem Finale um des Finales Willen vor – wie gesagt, einen Aufbau zu diesem Klimas hin gibt es de facto nicht.
Stattdessen bringt Paolini in diesen – durchaus spannenden – letzten 100 Seiten noch einige Überraschungen und Twists, die man teilweise schon den gesamten Roman über erwartet, teilweise erahnt hat und die einen teilweise durchaus überraschen. Das plötzliche Auftauchen eines Antagonisten nimmt man Paolini aber nicht unbedingt ab – hier macht sich dann bemerkbar, dass der den gesamten Roman über gefehlt hat. Die Geschehnisse hinterlassen einen also irgendwie unbefriedigt, was aber durchaus auch am offenen Ende liegen mag, schließlich hat man letztendlich durchaus Lust auf Mehr.
Im letzten Buch, "Eragon", hatte ich noch kritisiert, dass Paolini zu viele Elemente aus J.R.R. Tolkiens "Der Herr der Ringe" übernimmt und dass das gesamte Buch zu sehr an jene Fantasybibel erinnert. In "Eldest" erfährt dies leider keinen Abbruch.
Obwohl Paolini, oder einer seiner Berater, Ahnung von Linguistik zu haben scheint, wirken seine erfundenen Sprachen auf mich nicht wirklich authentisch – mal davon abgesehen, dass man häufig Sätze hinten im Glossar nachschlagen muss, was den Lesefluss ein wenig stört. Sein Zwergisch und sein Elfisch könnte ich, würde ich jetzt einige Sätze losgelöst vom Roman lesen, wahrscheinlich nicht unterscheiden können.
Dadurch haben die Sprachen keine Identität und können den Völkern dadurch keinen Identitätsbonus geben.
Überhaupt sind die Elfen mal wieder das "schöne Volk", sind die Zwerge mal wieder Bergarbeiter und die Menschen mal wieder diejenigen, die alles raushauen müssen.
Die Ra’zac sind offensichtliche Nazgûl-, die Urgal offensichtliche Ork-Substitute, Galbatorix zu sehr der gestaltlose, übermächtige Bösewicht. Dann kommen noch die eingestreuten Lieder und Gedichte hinzu und so vieles mehr, bei dem ich mir wünsche, Paolini hätte eigene Ideen gefunden. Beabsichtigte Tolkien-Zitate machen diesen Eindruck leider auch nicht besser.
Des Weiteren nehme ich ihm auch seine Welt nur halbherzig ab. Zu schnell wird Alagaësia von oben nach unten durchquert. Dieses Gefühl von geographischer Größe, was beim "Herrn der Ringe" auftrat, geht hierbei verloren.
Es ist gemein und hart, Paolinis Erstlingswerk mit Tolkiens Meisterwerk zu vergleichen, aber sein eigener Inhalt drängt es leider auf.
Fairerweise muss man aber hinzufügen, dass Paolini trotzdem immer wieder eigene Ideen hat und seine Welt von Mittelerde abheben kann. Die Magie in Alagaësia beschreibt Paolini in einem festen Regelsystem, bei dem ich nur hoffe, dass er sich damit nicht übernommen hat. Außerdem findet er immer und immer wieder Bilder, die zwar simpel, aber dennoch von ungeheurer Ausdruckskraft sind. Später wird er sogar dermaßen visuell, dass man die Verfilmung dazu bereits vor Augen hat. Vielleicht wurden jene Szenen sogar absichtlich im Hinblick darauf stilisiert?
Sein eigentlicher Schreibstil letztendlich ist tatsächlich fast als meisterhaft zu bezeichnen.
Paolini hat ein außergewöhnliches Talent dafür, bunte, lebhafte Beschreibungen zu finden und die Gedankengänge seiner Charaktere glaubwürdig und gefühlvoll darzustellen. Dabei offenbart er ein beeindruckendes Vokabular, was ihm ab und an aber durchgeht. Wörter wie "ambidextrous" oder "quadriceps muscle" wirken in einer Fantasywelt fehl am Platz, noch mehr angesichts der Tatsache, dass ein Bauernjunge wie Eragon sie kennt.
Das war eine Menge Schelte für einen Roman, der es vielleicht gar nicht mal verdient hat. Für seine Erfahrung hat Paolini einen exzellenten Roman geschrieben, der den Vergleich mit anderen professionellen Werken der Fantasyliteratur nicht zu scheuen brauch. Angesichts der sympathischen Hauptfigur, dem prima funktionierenden Ganzen und einem guten Finale ist man dann auch gerne dazu bereit, ihm seine Schnitzer am Anfang und seine generelle Unselbstständigkeit zu verzeihen.
Vielen Dank an Doc für die Rezension
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