Mark Norrel – Auf der Spur der Drachen

In China galten Fossilien lange Zeit als Drachenknochen, daher sind der reiche Schatz an drachenbezogenen Mythen und die üppigen Fossilvorkommen in einigen chinesischen Provinzen offensichtlich eng miteinander verknüpft. Es sind jedoch nicht nur ihre Häufigkeit und gute Zugänglichkeit, die den chinesischen Fossilien eine so einzigartige Rolle ermöglichen. Chinas Paläofauna war geprägt von Tieren, deren Existenz man noch vor wenigen Jahren für unmöglich gehalten hätte: gefiederten Dinosauriern. Während heute allgemein anerkannt wird, dass die Vögel von einer Gruppe Dinosaurier abstammen, fällt es schwer, sich Echsen mit Federkleid vorzustellen. Die Fossilien aus China sprechen jedoch exakt diese Sprache. Diese Tiere wurden so rasch und vollständig fossilisiert, dass sich auch weiche und eigentlich vergängliche Strukturen wie eben Federn erhalten konnten.

Der Autor des vorliegenden Buchs, Mark Norell, und sein Freund, der Fotograf Mick Ellison, stellen dem Leser ihre Reisen nach China und ihre wissenschaftliche Arbeit dort vor. Der Leser lernt nicht nur viele Details aus dem Stammbaum und dem ökologischen Umfeld von Dinosauriern, Vögeln und Säugetieren kennen, sondern auch manches über die Geschichte paläontologischer Arbeit in China und die Zusammenarbeit zwischen chinesischen und amerikanischen Forschern auf diesem Gebiet. Zudem beschreibt der Autor seine Eindrücke von der chinesischen Kultur, insbesondere der Esskultur, die so vielseitig und für Angehörige außerasiatischer Kulturen sehr gewöhnungsbedürftig ist. Manch witzige Episode wird hierzu wie auch zu den Auswirkungen gewisser Heilmittel der traditionellen chinesischen Medizin nacherzählt. Zu den Themen des Buchs gehört jedoch außerdem nicht zuletzt der erbitterte Streit zwischen rivalisierenden Forschergruppen, von denen eine mit unlogischen, widersprüchlichen Argumenten hantiert, die sich jedoch lange Zeit in der Öffentlichkeit zu profilieren wusste…

Man kann sich kaum einen unterhaltsameren und vergnüglicheren Ausflug in wissenschaftliche Gefilde vorstellen als dieses Buch. Das an sich schon ausgesprochen faszinierende Thema wird durch die humorvoll vorgetragenen Ausflüge in die chinesische Kultur und Arbeitsweise, durch Informationen über den regen Fossilienschwarzmarkt und viele andere Exkurse gewürzt, sodass es im Grunde eben nicht nur ein Buch über einen Ausschnitt aus der paläontologischen Forschung, sondern auch eines über soziokulturelle Aspekte des Lebens in der aufstrebenden Wirtschaftsmacht China ist.

Ebenso farbenfroh wie die Erzählungen über das Leben und die Forschungsarbeiten in China einschließlich einiger Nebenwirkungen auf die westlichen Reisenden sind die zahlreichen Fotos von Mick Ellison, der es nicht nur versteht, Fossilien so abzufotografieren, dass alle wesentlichen Details, wie zum Beispiel Federn einschließlich ihrer feinen inneren Struktur, erkennbar bleiben, sondern zudem bezaubernde Porträts von den unterschiedlichsten Personen anzufertigen und auch Stillleben und Landschaften aller Art sehr ansprechend zu präsentieren vermag.

Wer ein reines Sachbuch über Paläontologie erwartet, wird also unter Umständen enttäuscht sein. Doch gerade die charmante Mischung aus gut beobachtetem Lokalkolorit eines lange Zeit hartnäckig von überseeischen Mächten abgeschotteten exotischen Landes, das zugleich, abgeschirmt vom Westen, wegweisende paläontologische Ausgrabungen und Grundlagenforschung betrieb, und der Erläuterung und Interpretation von Funden und deren wissenschaftlicher Auswertung macht die Faszination dieses Buchs aus, zumal manche alltägliche chinesische Essenszutat wie Frösche oder Schildkröten weit in die Vergangenheit verweist und unter den Fossilien der Provinz Liaoning mit manchem Verwandten aufwarten kann, dessen Knochen sich in Gesellschaft von gefiederten Dinosauriern befinden.

Dieses Buch über spannende und bedeutsame Entdeckungen ist somit selbst eine Entdeckung. Es eignet sich aufgrund seines unkomplizierten, ansprechenden Stils und seiner Allgemeinverständlichkeit nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Jugendliche, die sich für Paläontologie und vielleicht ebenso für Länder- und Völkerkunde interessieren.

Diese Rezension wird mit freundlicher Erlaubnis von Media-Mania.de verwendet

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