Ganz normal (Der Doktor)
Ganz normal
1. Tag
Küche, FRAU sitzt am Tisch und liest Zeitung, MEYER kommt gähnend herein
MEYER: Guten Morgen, Schatz!
FRAU: Na, hast du gut geschlafen?
MEYER: Ja, ich habe ein wenig seltsam geträumt, aber ansonsten war die Nacht in Ordnung. Nur zu blöd, dass heute wieder Montag ist.
FRAU: Aber das war doch ein schöner Tag gestern mit den Schulzes, nicht wahr?
MEYER: Ja, das stimmt. Aber deren Junge hat mich ziemlich genervt. Keine Erziehung, der Bengel!
FRAU: Soll ich dir ein wenig Kaffee eingießen?
MEYER: Oh ja, bitte! Ich hoffe, er ist nicht zu stark!
FRAU: Ich weiß doch, wie du ihn magst. Aber es stimmt, die heutige Jugend weiß sich wirklich nicht mehr zu benehmen.
MEYER: Keinen Respekt, sage ich!
FRAU: Hier steht es wieder in der Zeitung: -Jugendliche demolieren Telefonzelle-
MEYER: Ich denke, die Polizei sollte da härter durchgreifen. So kann das ja nicht weitergehen!
FRAU: Wahrscheinlich liegt das Problem eher bei den Eltern. Da fängt das doch alles an. (seufzt) Zum Glück ist unsere Kleine ganz anders… Was möchtest du heute auf deinen Toast haben, Schatz?
MEYER: Käse und Marmelade bitte – du verwöhnst mich ja selbst am Montagmorgen, Liebes!
FRAU: Für meinen Liebsten tu ich doch alles! (sie küssen sich)
Aber sag mal, hattest du diese Hörner gestern eigentlich auch schon auf dem Kopf?
MEYER: Nicht, dass ich wüsste. Seltsam, nicht wahr? Müssen wohl über Nacht gewachsen sein…
FRAU: Ja, aber das geht sicherlich wieder vorbei. Oh, schau mal! Hier steht, dass Andreas Fritzschner und Luise Gerbholz sich getrennt haben – dabei waren die beiden doch so ein gutes Paar!
MEYER: Mhm. Gibst du mal bitte die Butter rüber, Schatz?
FRAU: Hier, bitte… Ach, was soll jetzt nur aus dem armen Kind von den beiden werden? Ich finde es immer so schrecklich, wenn die Kinder unter der Trennung der Eltern leiden müssen, du nicht auch, Liebling?
MEYER: If effe gerade, Fatf!
FRAU: Oh, Verzeihung… Ich muss aber sagen, mit diesen Hörnern siehst du wirklich schick aus. Bist du dir sicher, dass du sie nicht noch ein paar Tage behalten willst?
MEYER: Ich weiß ja nicht mal mehr, wie ich sie bekommen habe!
FRAU: Oh… Da soll ja jetzt auch so eine schreckliche Grippe in Südostasien umgehen… grauenhaft, sage ich dir, grauenhaft!
MEYER: Aha…
FRAU (seufzend): Ach ja… wann kommst du heute Abend wieder nach Hause?
MEYER: Das hängt davon ab, wie lange sie mich heute wieder knechten werden… (schaut auf die Uhr) aber in Sachen Arbeit, ich fahre wohl besser gleich los, ansonsten komme ich wieder zu spät. Ich möchte nicht gleich wieder mit einer Rüge beim Chef in die Woche starten.
FRAU: Ist gut Schatz. Dann viel Erfolg auf der Arbeit! Tschüssi!
MEYER: Mach dir einen schönen Tag! Bis dann!
MEYER: Guten Morgen, Chef. Hören sie: Mein Zuspätkommen tut mir sehr leid, aber da war ein Stau auf der Stadtautobahn und…
CHEF: Ja ja, heute ein Stau, letztens ein Unfall, was kommt wohl morgen, frage ich mich? Meyer, mit dieser Arbeitsmoral können sie ganz schnell einpacken gehen, wenn das so weitergeht!
MEYER: Ja, Chef…
CHEF: Glauben sie mir, wenn das noch öfter vorkommt, dann kenne ich keine Gnade!
MEYER: Ja, Chef…
CHEF: Und was sind das da für komische… Hörner auf ihrem Kopf? Ist das ein neuer Modetrend oder so?
MEYER: Nein, die sind mir wohl über Nacht gewachsen.
CHEF: So so, über Nacht gewachsen. Meinetwegen können sie so aussehen, wie sie wollen, solange sie pünktlich kommen und ihre Arbeit machen. Haben wir uns verstanden?
MEYER: Ja, Chef…
CHEF: Gut, dann fangen sie endlich an!
MEYER: Ja, Chef…
CHEF: Diese Hörner sehen übrigens gar nicht mal so schlecht aus, Meyer. Lässt sie ein wenig aggressiver erscheinen. Wenn sie nur nicht so ein Weichei wären, nicht wahr? (lacht schallend)
MEYER: Haha, sehr lustig, Chef…
MEYER: Na ja, typischer Montag halt… Bin heute Morgen wieder in einen Stau geraten und wurde vom Chef deswegen böse angeschnauzt. Immerhin fand er meine Hörner ganz nett… Pah, hat mich als Weichei bezeichnet, dieses Arschloch!
FRAU: Na, ich habe dir doch gesagt, dass dir diese Hörner ganz gut stehen.
MEYER: Hast du dich denn noch gar nicht gefragt, wo die eigentlich herkommen?
FRAU: Warum denn? Solange es gut aussieht, ist es doch egal, wo das herkommt, nicht wahr?
MEYER: Na ja, vielleicht hast du Recht…
KIND (laut rufend): Papa, Papa!
MEYER: Hey, mein Engel! (nimmt sie auf den Arm)
Na, was habt ihr heute so in der Schule gemacht?
KIND: Wir haben heute das Einmaleins mit der Sieben gelernt.
MEYER: Na dann kannst du ja schon bald richtig rechnen!
KIND (misstrauisch): Was ist denn das da auf deinem Kopf?
MEYER: Das sind Hörner, meine Kleine.
KIND: Ich finde die doof, mach die ab!
MEYER: Das kann ich nicht.
FRAU (tadelnd): Und wie sprichst du außerdem mit deinem Vater? Der kann ja schließlich mit seinem Kopf machen, was er will!
MEYER: Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich nicht weiß, wo die herkommen.
FRAU: Du musst dich nicht dafür schämen, ich finde die schick!
KIND: Ich find‘ die doof!
FRAU (seufzend): Solltest du jetzt nicht ins Bett gehen?
MEYER: Das stimmt, Sternchen, es ist schon spät!
KIND: Och menno, ich wollte noch aufbleiben! Du bist doch gerade erst nach Hause gekommen, Papa.
FRAU: Keine Widerrede, ab ins Bett! Ich lese dir noch eine Geschichte vor, wenn du willst.
KIND (schmollend): Na gut… Nacht, Papa!
MEYER: Gute Nacht, Schatz!
2. Tag
Küche
MEYER: Guten Morgen, Schatz!
FRAU: Gut geschlafen?
MEYER: Ging so – bis auf diesen seltsamen Traum…
FRAU: Kaffee?
MEYER: Ja, gerne! Gibst du mir mal bitte die Butter?
FRAU: Bitteschön!
MEYER: Dankesehr!
FRAU (in Zeitung lesend): Meine Güte, schon wieder eine Flutkatastrophe in China. Die Leute da tun mir wirklich leid!
MEYER: Warum, gibt doch so viele von denen…
FRAU (aufblickend): Du bist doch sonst nie so zynisch!
MEYER: Weiß nicht… es kam so über mich…
FRAU: Und wie hältst du eigentlich dein Messer? Du solltest wirklich mal deine Fingernägel schneiden… das sind ja schon fast richtige Klauen!
MEYER: Also ich würde sagen, das sind Klauen!
FRAU: Deinen Toast schmieren kannst du damit jedenfalls nicht.
MEYER: Ich habe eh keine Lust mehr auf diesen Aufstrich… haben wir noch Wurst oder Schinken?
FRAU (verwundert): Du isst doch sonst nie etwas anderes als Aufstrich oder Käse zum Frühstück.
MEYER: Ja, aber heute habe ich mal Lust auf etwas Herzhaftes auf meinem Toast!
FRAU: Bist du vielleicht krank oder so?
MEYER: Nein, mir geht es wunderbar!
FRAU: Du musst ja nicht gleich so aggressiv sein!
MEYER (aggressiv): Ich bin nicht aggressiv! Ich will lediglich mal was Neues ausprobieren!
FRAU: Ach, mach doch was du willst.
MEYER: Ich habe mir Mühe gegeben, Chef!
CHEF: Dann geben sie sich künftig noch mehr Mühe! Wofür bezahle ich sie schließlich? Wahrscheinlich sollte ich froh darüber sein, dass sie überhaupt vor 8 Uhr hier erschienen sind.
MEYER: Ich habe immer eine recht beschwerliche Anfahrt, Chef.
CHEF: Ach, kommen sie mir nicht mit diesem Scheiß! Wenn ihre Anfahrt so beschwerlich ist, dann fahren sie halt früher los!
MEYER: Aber ich stehe schon um Sechs auf!
CHEF: Das interessiert mich nicht! Wenn sie weiterhin hier arbeiten möchten, dann erwarte ich absolute Pünktlichkeit von ihnen! Und schneiden sie sich mal die Fingernägel! Meine Güte, gestern Hörner, heute Klauen – was stellen sie wohl als nächstes mit ihrem Körper an?
MEYER: Ich stelle mit meinem Körper nichts an, Chef. Das… passiert mir einfach!
CHEF (spottend): So so, es passiert ihnen einfach. Wenn sie versuchen wollen, aggressiver auszusehen, dann sollten sie in allererster Linie nicht so ein Weichei sein!
MEYER (entschlossen): Chef, ich…
CHEF (schnappend): Was?
MEYER (demütig): Nichts, Chef…
MEYER: Entschuldigung, Liebes, aber es überkam mich einfach… ich weiß auch nicht, was los war…
KIND: Das ist nur wegen diesen doofen Krallen!
MEYER: Aber Mäuschen, ich kann doch nichts dafür!
FRAU: Ganz ruhig, Papa hat es sicherlich nicht so gemeint.
KIND (schluchzend): Aber das war mein Lieblingskuscheltier!
MEYER: Ich kaufe dir ein neues, in Ordnung?
KIND (schniefend): Wirklich?
MEYER: Aber natürlich. Noch ein viel schöneres als das, was du bisher hattest.
KIND: Na gut…
FRAU: Das mit dem Kuscheltier hätte nun aber wirklich nicht sein müssen.
MEYER: Probier du doch mal, mit diesen Klauen irgendwas einigermaßen behutsam anzufassen!
FRAU: Dann schneide sie dir halt ab, kann doch nicht so schwer sein!
MEYER: Diese Dinger sind mit mir verwachsen!
FRAU: Och, jetzt sei doch nicht so zimperlich!
MEYER: Ich bin nicht zimperlich!
FRAU: Bist du wohl!
KIND: Müsst ihr immer streiten?
FRAU: Ach, geh doch ins Bett!
3. Tag
Küche
MEYER: Guten Morgen, Schatzzz!
FRAU: Gut geschlafen?
MEYER: Sssehr gut, danke.
FRAU: Du, das wegen gestern tut mir leid. Unser Streit und so…
MEYER: Dasss issst kein Problem.
FRAU: Behalte die Krallen ruhig, ich finde sie gar nicht so schlimm.
MEYER: Allesss klar!
FRAU: Nimm nur bitte diesen Schwanz vom Tisch!
MEYER: Issst gut, meinetwegen.
FRAU: Und warum sprichst du so komisch?
MEYER: Liegt wohl an den Zzzähnen.
FRAU: Ach so… sind recht spitz, stimmt. Spricht sich sicherlich schwer da durch.
MEYER: Ganzzz genau.
FRAU: Was möchtest du auf deinen Toast?
MEYER: Ich möchte keinen Toassst. Gib mir lieber nur die Wurssst und den Sssinken! Hassst du vielleicht noch ein wenig rohesss Fleisss?
FRAU: Also mich wundert gar nichts mehr…
MEYER: Verzzzeihung, Chef!
CHEF: Sie Vollidiot, wollen sie mich etwa umbringen?
MEYER: Sssoll nicht wieder passsieren.
CHEF: Und hören sie auf, so dämlich zu sprechen, das lässt sie ja noch bescheuerter wirken, als sie ohnehin schon sind!
MEYER (zischt): Ich warne sssie! Reizzzen sie mich nicht!
CHEF (kampfeslustig): Oder was? Häh? Was passiert dann, Meyer?
MEYER (schweigt)
CHEF: Pah! Sie sind immer noch der feige Mistkerl, den ich damals eingestellt habe, da ändert auch ihr komisches Aussehen nichts dran. Aber machen sie sich nichts draus! Wer mir droht, wird eh hochkant rausgeschmissen. Wer nicht arbeitet ebenfalls, also was stehen sie noch hier rum, häh?
MEYER (zischt)
FRAU: Was denn, Liebling?
MEYER: Ich ssspüre eine fortsssreitende Entwicklung in mir. Mein Bewussstsssein verändert sssich. Bald ssson werde ich eine neue Form angenommen haben.
FRAU: Das freut mich für dich, Liebling! Man lernt ja im Leben nie aus, sage ich immer.
MEYER: Ich fürchte, du verssstehssst nicht…
FRAU: Keine Sorge, ich verstehe dich durchaus. Wer sollte dich auch besser verstehen als deine Frau?
MEYER: Nun…
FRAU: Siehst du! Aber übertreibe es bitte nicht, unsere Kleine wagt sich ja kaum mehr in deine Nähe!
MEYER: Anssseinend versssteht sssie…
FRAU: Ich bitte dich, Liebling, sie ist doch nur ein Kind. Woher soll sie denn von der komplexen Welt der Erwachsenen wissen?
MEYER: Gute Frage…
FRAU: Ich habe übrigens die blutigen Nackensteaks besorgt, die du haben wolltest. Wie soll ich sie dir zubereiten?
MEYER: Gar nicht, ich essse sssie lieber roh! Nichtsss kann den Gesssmack frisss gessslagener, blutiger Beute ersssetzzzen.
FRAU: Hast du denn keine Angst vor Krankheiten?
MEYER: Nein.
FRAU: Nun, solange sich deine ‚Bewusstseinsänderungen‘ nur in deinen kulinarischen Vorzügen äußern, bin ich ja beruhigt.
4. Tag
Küche
MEYER (knurrt)
FRAU: Gut geschlafen?
MEYER (schnaubt)
FRAU: Na dann ist ja schön, ich nämlich nicht. Deine ollen Flügel lagen mir die ganze Nacht über im Weg. Könntest du wohl bitte ein bisschen besser auf sie aufpassen?
MEYER (grummelt)
FRAU: Ich habe schließlich auch ein Anrecht auf Schlaf. Möchtest du etwas Spezielles zum Frühstück?
MEYER (bellt)
FRAU: Was hast du gesagt?
MEYER (bellt)
FRAU: Ach, du kannst dir dein Frühstück ja auch selber nehmen, bist ja schließlich nicht umsonst erwachsen!
MEYER (zischt)
FRAU: Ach komm, war doch nur ein kleiner Scherz. Hast du dir gestern einen Sonnenbrand geholt? Deine Haut ist so rot.
MEYER (knurrt)
FRAU: Ich kenne da eine exzellente Sonnencreme, die könntest du…
MEYER (brüllt)
FRAU: Schon gut! Schon gut! Musst ja nicht gleich wieder so aggressiv werden…
MEYER (schnaubt)
CHEF: Ach, sie haben jetzt Flügel, wie? Sie haben es jetzt anscheinend nicht mehr nötig, wie jeder normale Mensch mit dem Auto zur Arbeit zu fahren oder zumindest die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen?
MEYER (knurrt)
CHEF: Oh nein, wir müssen ja so ausgefallene Mätzchen wie den Luftweg verwenden, weil wir ja etwas besseres sind als all die anderen, nicht wahr?
MEYER (knurrt lauter)
CHEF: Wissen sie was, Meyer? Ich kann sie nicht leiden. Sie sind gefeuert!
MEYER (bellt)
CHEF: Ha! Ganz genau! In meiner gesamten Zeit hier habe ich noch nie einen unpünktlicheres…
MEYER (faucht)
CHEF: …unzuverlässigeres, fauleres,…
MEYER (faucht lauter)
CHEF: …schmierigeres, arschkriecherischeres…
MEYER (faucht noch lauter)
CHEF: …und vor allem feigeres Weichei als sie erlebt!
MEYER (brüllt laut auf)
CHEF: Ha! Und jetzt, wo sie draußen sind, zeigen sie mal wirklich ein bisschen Aggressivität… Meyer?
MEYER (rülpst)
FRAU: Meine Güte, da hat ja jemand all deine Sachen mit roter Farbe besprüht – wie ist denn das passiert?
MEYER (bellt)
FRAU: Das muss umgehend in die Wäsche! Oh schau, selbst das Gesicht hast du dir beschmiert, das solltest du dir sofort abwaschen!
KIND (kommt die Treppe herunter)
FRAU: Schau mal, Herzchen, Papi ist heute schon früher zuhause!
MEYER (gurrt KIND zu)
KIND (kreischt): Das ist nicht mehr mein Papi, das ist ein Monster!
MEYER (fiept)
KIND: Nein, fass mich nicht an, du bist nicht mehr mein Papi! (rennt heulend wieder die Treppe hinauf)
FRAU: Ich weiß wirklich nicht, was in letzter Zeit mit ihr los ist, irgendwie benimmt sie sich seltsam…
MEYER (schnaubt)
FRAU: Du könntest auch mal mit ihr reden, schließlich ist sie auch dein Kind!
MEYER (knurrt)
FRAU: Mal ehrlich, den ganzen Tag über bist du weg arbeiten und ich sitze hier alleine mit der Kleinen – du bist nie für sie da, kein Wunder, dass sie sich dir gegenüber so komisch verhält.
MEYER (zischt)
FRAU: Nein, du brauchst es gar nicht zu leugnen, du solltest mit ihr auch mal wieder was unternehmen. Sie kennt ihren Vater ja kaum noch… ich denke außerdem nicht, dass es gut für dich ist, wenn du dir diese rote Farbe einfach ableckst! Ich packe die Sachen lieber wirklich gleich in die Wäsche…
5. Tag
Küche, morgens
MEYER: Guten Morgen, Weibchen.
FRAU: Gut geschlafen?
MEYER: So gut wie noch nie.
FRAU: Na das ist schön. Willst du dich nicht setzen?
MEYER: Ich brauche jetzt keine Stühle und sonstige minderwertige menschliche Einrichtungsgegenstände mehr.
FRAU: Wie du meinst… Seit wann kannst du eigentlich Bauchreden?
MEYER: Ich kommuniziere mit dir auf einer telepathischen Ebene, die eurem schlecht entwickelten menschlichen Gehirn für immer unverständlich bleiben wird, Weibchen. Meine Metamorphose hat sich fast vollzogen. Ich bin nun beinahe ein vollkommen neues Wesen, dass seine lächerliche menschliche Hülle abgestreift hat. Ich bin frei von jeglicher Verantwortung, frei von jeglicher Form von Gewissen, frei von unbedeutenden menschlichen Gefühlen. Ich habe eine höhere Form des Daseins erreicht.
FRAU: Das freut mich für dich, Schatz. Was willst du zum Frühstück?
MEYER: Ich werde mir nachher selbst etwas jagen.
FRAU: Aber die Supermärkte machen doch erst in ein paar Stunden auf!?
MEYER: Supermärkte sind eine weitere niedere menschliche Erfindung, derer ich nicht mehr bedarf.
FRAU: Ach so. (schlägt die Zeitung auf und liest) Meine Güte, ist das nicht dein Chef?
MEYER: Sieht so aus.
FRAU: Hier steht, dass er gestern im Laufe des Tages einfach verschwunden ist und am Abend dann tot und völlig verstümmelt in einer Seitengasse aufgefunden wurde.
MEYER: Köstlich.
FRAU: Wer macht denn nur so was, das ist ja grauenvoll!
MEYER: Ich war es.
FRAU: Was ist aus dieser Welt nur geworden?
MEYER: Seit gestern ein besserer Ort.
FRAU: Ich hoffe, sie finden den Mörder bald.
MEYER: Du verstehst anscheinend nicht, was hier vor sich geht, Weib. Du verschließt deine Augen vor dem Offensichtlichen, um dein kleines, unbedeutendes Leben einfach weiterführen zu können. Du leugnest die Veränderung, die rings um dich vor sich geht. Deine Ignoranz ist nur allzu menschlich.
FRAU: Also in diesem Ton musst du mir erst gar nicht kommen. Wann hast du dich schließlich das letzte Mal wirklich um mich gekümmert oder um deine Tochter? Manchmal habe ich das Gefühl, dass du mich gar nicht mehr richtig liebst!
MEYER: Liebe. Du meinst dieses Gefühl, das über reines sexuelles Verlangen hinausgeht. Dieses Gefühl, welches wir beide vor vielen Jahren anscheinend füreinander gehegt haben. Das brauche ich jetzt nicht mehr.
FRAU: Oh, und anscheinend bist du auch noch stolz darauf. Wenn dem so ist, kannst du unser Haus ja auch gleich verlassen!
MEYER: Nein. Als Heimstatt gefällt mir diese Behausung eigentlich noch recht gut. Ich rate jedenfalls dir und deinem Jungtier mir nicht mehr so sehr in die Quere zu kommen.
FRAU: Na dann hau doch ab! Ich kannte mal einen Herrn Meyer, der hat mich noch geliebt!
MEYER: Der existiert jetzt nicht mehr.
POLIZIST: Einen schönen guten Tag. Sie sind…
MEYER: Ja, der bin ich, wenn auch dieser Name nicht mehr notwendig ist.
POLIZIST: Nun, ich bin vom Morddezernat und möchte ihnen einige Fragen betreffs des Mordes an ihrem Arbeitgeber stellen. Darf ich hereinkommen?
MEYER: Ich bitte sie darum.
POLIZIST: Oh, vielen Dank. Schicke Hörner übrigens! (er setzt sich auf das Sofa, MEYER legt sich ihm gegenüber hin) Also, fangen wir an. Herr Meyer, wo waren sie gestern um 16:34 Uhr?
MEYER: In einer dunklen Seitengasse.
POLIZIST: Hätten sie zu diesem Zeitpunkt nicht auf der Arbeit sein sollen?
MEYER: Gestern noch, ja.
POLIZIST: Aber sie waren nicht auf ihrem Arbeitsplatz im Büro, wo sie ihren Chef zuletzt sahen?
MEYER: Nein, das sagte ich bereits.
POLIZIST: Und was haben sie in jener dunklen Seitengasse gemacht?
MEYER: Ich habe einen mir äußerst unangenehmen Menschen zerfleischt. Wahrscheinlich eine Reaktion auf meine frühere Existenzform.
POLIZIST: Hat sie irgendjemand dabei beobachtet, sodass sie ihre Aussage verifizieren können?
MEYER: Nur dieser eine Mensch.
POLIZIST: Lassen sie mich das bitte wiederholen: Sie waren zum Tatzeitpunkt nicht an ihrem Arbeitsplatz, sondern in einer, wie sie es beschreiben, ‚dunklen Gasse‘ und haben dort eine ihnen bekannte Person umgebracht, ohne dass sie jemand dabei gesehen hat, der das jetzt bezeugen könnte?
MEYER: Ja.
POLIZIST: Es tut mir leid, aber solange sie ihre Aussage nicht bezeugen können, stehen sie unter dringendem Verdacht, ihren Chef ermordet zu haben! Ich möchte sie bitten, mich auf das Dezernat zu begleiten, auf dass wir ihnen weitere Fragen stellen können!
MEYER: Ich fürchte, diesem Wunsch kann ich nicht nachkommen.
POLIZIST: Es tut mir leid, aber wenn sie nicht gewillt sind, meiner Aufforderung Folge zu leisten, muss ich sie leider verhaften und abführen.
MEYER: Das will ich sehen.
FRAU: Guten Abend, Schatz!
MEYER: Du klingst nicht mehr sehr wütend, Weibchen.
FRAU: Nein… du, ich habe noch mal nachgedacht. Es tut mir sehr leid, was ich heute Morgen zu dir gesagt habe. Natürlich möchte ich nicht, dass du das Haus verlässt.
MEYER: Das hatte ich auch niemals vor.
FRAU: Wenigstens einer hier ist dem anderen treu…
MEYER: Glaub‘, was du willst. Wahrscheinlich wünschst du dir nur, dass ich nicht abhaue, weil du dieses Haus alleine nicht abbezahlen kannst.
FRAU: Manchmal wünsche ich mir nur ein wenig mehr Zärtlichkeit von dir!
MEYER: Wünsch dir, was du willst.
FRAU: Oh Schatz, wirklich? Weißt du, tatsächlich habe ich neulich beim Juwelier dieses wunderschöne Collier gesehen… sag mal, wer sitzt denn da auf unserem Sofa?
MEYER: Ein Polizist.
FRAU: Und was wollte der hier?
MEYER: Mich über den Mord an meinen Chef ausfragen.
FRAU: Konntest du ihm helfen?
MEYER: In gewisser Weise.
FRAU (flüsternd): Sag mal, hat der all den Rotwein über dem Sofa und dem Teppich verschüttet?
MEYER: In gewisser Weise.
FRAU: Ich hole wohl besser den Teppichreiniger von oben.
Sie geht nach oben und kommt kurze Zeit später freudestrahlend mit etwas Glänzendem in der Hand zurück
FRAU: Oh, Schatz, das ist ja… wundervoll! Woher wusstest du von dem Collier? Das ist genau das, das ich mir schon immer gewünscht habe! (sie fällt ihm um den Hals)
MEYER: Das gehört zu meinen Schätzen. Es ist nicht für dich bestimmt.
FRAU: Aber was willst du denn damit anfangen?
MEYER: Mich an seiner Schönheit und seiner Einzigartigkeit erfreuen.
FRAU: Mir steht es aber viel besser!
MEYER: Wenn ich es dir gebe, wirst du dann ruhig sein.
FRAU: Oh, Liebling, du bist der beste Ehemann auf der Welt!
6. Tag
Küche
MEYER (gähnt)
FRAU: War die Nacht für dich nicht ungemütlich?
MEYER: Warum.
FRAU: Nun, immerhin hast du nicht in unserem Bett sondern auf diesen ganzen Kostbarkeiten geschlafen. Ich frage mich immer noch, wo du das Geld her hast, um dir all den Schmuck kaufen zu können…
MEYER: Ich brauche kein Geld.
FRAU: Ach, mit diesen Kreditkarten werde ich mich nie anfreunden können…
MEYER (seufzt)
FRAU: Wann ist dieser Polizist eigentlich gestern nach Hause gegangen?
MEYER: Gar nicht, der sitzt noch immer auf dem Sofa.
FRAU: Dem scheint es hier aber zu gefallen. Vielleicht wurde er ja zu Hause von seiner Frau rausgeworfen? Oh, die Welt ist so voll von schlecht geführten Ehen…
MEYER: Wie wahr…
FRAU (öffnet die Zeitung und liest): Na sieh mal einer an, so ein Zufall! Der Juwelier aus dem du die ganzen Sachen hast wurde gestern noch überfallen. Fast alles hat der Täter mitgenommen, und das am helllichten Tage. Unglaublich! Zum Glück hast du all die Sachen vorher gekauft, sonst wären sie jetzt weg.
MEYER: Und wenn ich dir den Hals umdrehe, hältst du das für eine Massage…
FRAU: Was?
MEYER: Lies nur weiter in deiner Zeitung.
2. POLIZIST: Hallo, Kleine! Kannst du mir sagen, wo dein Vater ist?
KIND: Mein Vater ist ein Monster!
MEYER: Wer ist denn da.
2. POLIZIST: Ich komme vom Dezernat für…
MEYER: Kommen sie herein.
KIND: Nein, kommen sie nicht! Er hat schon dem den anderen Männern ganz doll wehgetan. Er wird ihnen auch wehtun! Schnell, gehen sie weg!
2. POLIZIST: Aber mal ganz ruhig, Kleine, das ist doch nur dein Vater! Und außerdem bin ich ein Polizist, ich kann schon ganz gut auf mich selbst aufpassen.
MEYER: Ich bin mir sicher, dass sie das können.
KIND: Nein, bitte, er wird sie umbringen, so wie die anderen.
MEYER: Jetzt ist genug. Geh auf dein Zimmer, oder ich werde dich bestrafen müssen.
KIND (rennt angsterfüllt nach oben)
2. POLIZIST: Eine süße Kleine haben sie da!
MEYER: Ja, nicht wahr.
2. POLIZIST: Aber wie dem auch sei, ich bin hier wegen des Überfalls auf den Juwelier gestern Nachmittag. Sie wurden zum Tatzeitpunkt in der Nähe des Geschäfts beobachtet. Haben sie vielleicht irgendwas gesehen?
MEYER: Ja, und zwar viele schöne Juwelen und Schmuckstücke.
2. POLIZIST: Darf ich daraus schließen, dass sie zum Tatzeitpunkt im Laden waren?
MEYER: Das dürfen sie.
2. POLIZIST: War außer ihnen sonst noch jemand im Geschäft?
MEYER: Nur der Juwelier.
2. POLIZIST: Verdammt, dieser Fall gibt einem Rätsel auf. Genauso wie mein verschwundener Kollege von gestern. Haben sie ihn zufällig gesehen, er hatte wohl in dieser Gegend etwas zu erledigen.
MEYER: Er ist noch hier.
2. POLIZIST: Wirklich? Können sie mich zu ihm bringen?
MEYER: Kommen sie mit.
2. POLIZIST: Tatsächlich, da sitzt er ganz friedlich. Er bewegt sich ja gar nicht!
MEYER: Es liegt vielleicht daran, dass ihm sein Herz rausgerissen wurde.
2. POLIZIST: Jetzt, wo sie’s sagen… Du meine Güte, sie haben den Juwelier ausgeraubt, nicht wahr?
MEYER: Immerhin waren sie besser als der andere.
2. POLIZIST: Wieso ‚waren‘?
MEYER: Ich zeige es ihnen.
FRAU: Hm?
KIND: Ich habe Angst! Papa tut so vielen Menschen weh.
FRAU: Mhm.
KIND: Was ist, wenn er als nächstes dir oder mir wehtut?
FRAU: Hm.
KIND: Ich will, dass Papa damit aufhört!
FRAU: Mhm.
KIND: Ich will meinen alten Papa zurück!
FRAU: Kannst du später noch mal wiederkommen? Mama ist gerade beschäftigt!
KIND (geht weinend aus dem Zimmer)
7. Tag
Küche
MEYER: Erwarte kein Interesse für diese niederen Aktivitäten.
FRAU: Also bist du damit einverstanden?
MEYER: Ja. Obwohl ich nicht weiß, warum ich mich überhaupt noch mit dir abgebe. Eigentlich solltest du mir überhaupt nichts bedeuten. Warum nur kann ich es nicht über mich bringen, dir irgendwas anzutun.
FRAU: Na weil du mich liebst!
MEYER: Liebe, was ist das schon. Vielleicht habe ich dich ja früher mal geliebt.
FRAU: Wie kann denn ein Mann seine Liebe einer Frau besser beibringen als über diese wundervollen Geschenke, die du mir gemacht hast?
MEYER: Sag mir: Empfindest du Liebe für mich. Hast du sie jemals empfunden. Oder liebst du nur die Materialien, mit denen ich dich versorgt habe.
FRAU: Aber natürlich liebe ich dich, Schatz! Auch mit all diesen Hörnern und Stacheln und Zähnen. Einen so umwerfenden Mann kann man doch nur lieben.
MEYER: Und was ist mit unserer Tochter.
FRAU: Die liebe ich natürlich auch.
MEYER: Ich meine, liebt unsere Tochter auch mich.
FRAU: Aber natürlich… Nun, sie benimmt sich momentan etwas komisch, aber das wird schon wieder.
MEYER: Vielleicht sollte ich dir mitteilen, dass sie weggelaufen ist.
FRAU: Ach, sie ist sicherlich nur zu Freunden spielen gegangen.
MEYER: Um fünf Uhr morgens. Vielleicht hätte sie mich nicht dabei sehen sollen, wie ich die beiden Polizisten… entsorgt habe.
FRAU: Ach, mach dir keine Vorwürfe, sie wird sich schon wieder anfinden.
MEYER: Und wenn schon. Jetzt macht es nichts mehr aus. Ich empfinde keine Liebe mehr und habe schon lange keine mehr empfangen. Nun kann ich auch genauso gut so bleiben. Wer weiß, ob eine Umkehr möglich gewesen wäre.
FRAU: Vielleicht sollten wir einfach mal wieder miteinander schlafen?
MEYER: Was für ein abartiger Gedanke.
1. FREUNDIN: Sag an!
2. FREUNDIN: Ehrlich?
FRAU: Wenn ich es euch doch sage! Und täglich kommt er mit neuen Schätzen nach Hause, oh es ist so wunderbar!
2. FREUNDIN: Weißt du, wie viele Frauen dich um so einen Ehemann beneiden?
1. FREUNDIN: Mich eingeschlossen!
FRAU: Nun, seine Macken hat er ja auch. Dieser neue Schwanz den er hat, über den bin ich zum Beispiel schon ein paar mal gestolpert, und seine Flügel hat er auch nicht ganz unter Kontrolle, aber ansonsten ist alles in Ordnung.
2. FREUNDIN: Wo ist eigentlich eure Tochter? Sie ist doch so ein liebes Mädchen.
FRAU: Laut meinem Mann ist sie heute Morgen weggegangen, wahrscheinlich spielen. Sicherlich kommt sie heute Abend wieder nach Hause.
3. POLIZIST (von draußen, die Stimme durch ein Megaphon verzerrt): Okay, Meyer, wir wissen, dass sie da drinnen sind. Kommen sie mit erhobenen Händen raus!
1. FREUNDIN: Was ist denn da los?
FRAU: Sieht nach Besuchern aus.
MEYER (auf dem Weg zur Tür): Ich kümmere mich darum. Liebling.
FRAU: Ist gut, Schatz! Ach, ist er nicht hinreißend?
2. FREUNDIN: Ja, er hat eine ungemein kraftvolle Ausstrahlung.
1. FREUNDIN: Besonders über diesen Trick mit dem Bauchreden bin ich fasziniert!
Von draußen ertönen Schüsse und Schreie, übertönt durch ein lautes Gebrüll
FRAU: Ich bin froh, dass wir es so gut haben, und dass sich mein Mann sein Geld nicht mit Betteln oder Verbrechen verdienen muss. Auf der anderen Seite wäre mir das Leben an der Seite eines Prominenten auch nichts, mit diesem ganzen Pressezirkus käme ich wahrscheinlich nicht zurecht.
1. FREUNDIN: Wie wahr!
2. FREUNDIN: Wie wahr!
FRAU: Das ist sicherlich das beste für eine gute Beziehung: ein ganz normaler Mann.
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