Naomi Novik – Victory of Eagles Rezension
Es sind harte Zeiten für Laurence und Temeraire. Die beiden sind voneinander getrennt – Temeraire auf den walisischen Brutstätten eingepfercht, Laurence auf einem britischen Schiff gefangen gehalten, seine Exekution erwartend. Napoleon nutzt derweil seine Chance und greift die britischen Inseln frontal an. Bald schon hat er einen Brückenkopf auf englischem Boden geschlagen und marschiert in Richtung London.
Den Briten bleibt nichts Anderes übrig: Sie brauchen Temeraire, um den Franzosen bei seinem unerbittlichen Vormarsch aufzuhalten. So wird Laurence, als Verräter beschimpft und verachtet, geschickt, um Temeraire zu holen. Dieser ist jedoch der Überzeugung, dass Laurence mit dem Schiff, auf dem er gehalten wurde, untergegangen ist und zieht nun rachdurstig und einer äußerst merkwürdigen Schar im Gefolge alleine durch England, um die Konfrontation mit Napoleons Streitkräften zu suchen.
Doch selbst wenn Kapitän und Drache sich wieder vereinen – können in diesem Krieg überhaupt noch für eine Nation kämpfen, die sie als Hochverräter verachtet?
Kaum zu glauben. Da spekuliert man nach dem heftigen Cliffhanger des letzten Buchs, "Drachenglanz", wie die Geschichte denn nun im nächsten Band weitergehen könnte und meint, so ziemlich alle Möglichkeiten abgedeckt zu haben, wie sich Temeraire und Laurence vorerst aus der Affäre ziehen können – und dann kommt Naomi Novik mit einer völlig neuen, frischen Idee, die die Geschichte dann doch in eine andere Richtung laufen lässt, als man vermutet hätte. Eine Sache war absehbar und wurde im hinteren Teil der englischen Ausgabe des letzten Buchs sogar groß angekündigt: Napoleon fällt in England ein! Soweit der Grund, warum die Briten Laurence nicht sofort exekutieren, schließlich möchte es man sich mit dem mächtigen Temeraire nicht völlig verderben. Aber wie dieser auf einmal seine Ketten sprengt und sich zu einer Art Kommandeur seines ganz eigenen Regiments innerhalb der britischen Armee hocharbeitet – das kommt völlig unerwartet und zeigt, dass Naomi Novik noch lange nicht am Ende ist mit neuen Ideen für ihre Serie.
Es beginnt bereits mit dem Beschreiben der Brutstätten als einem neuen Mikrokosmos innerhalb des Temeraire-Universums – hier finden sich einige sehr spezielle Drachen, die ihre eigene kleine, wenn auch ungerechte Gesellschaft geformt haben, die der intelligente Temeraire erstmal kräftig aufmischt. Dann tut Novik gut daran, ihren Roman nach zahlreichen Ausflügen auf andere Kontinente mal wieder vollständig im umkämpften Großbritannien spielen zu lassen. Die Beschreibung des Kriegs auf der Insel ist äußerst sauber geworden, mit großer Wertlegung auf nachvollziehbare Kriegsstrategien und so grundlegende Probleme wie Nachschublinien, die besonders bei der Versorgung vieler riesiger Drachen eine wesentliche Rolle spielen. Und auf der anderen Seite gibt es doch immer wieder neue Ideen und Einfälle, die Sinn machen und sich nahtlos in das Gesamtbild dieses Paralleluniversums einfügen. Neue Figuren, darunter die brillante kleine Drachin Perscitias und der unerbittliche Feldmarshall Wellesley – Historikern sicherlich nicht unbekannt -, stellen ebenfalls eine Bereicherung für das Ensemble dar.
Fans werden sich mit "Victory of Eagles" aber trotzdem teilweise sehr schwer tun, denn dieser Teil ist der mit Abstand düsterste, anspruchsvollste und schwierigste der Reihe. Natürlich ist es einerseits schön zu sehen, wie Temeraire seinen persönlichen Zielen immer näher kommt und wird das Geschehen immer durch ein wenig trockenen Witz aufgelockert. Aber der heimliche Fokus der Geschichte liegt auf der Figur William Laurence, die eine dermaßene Tragik erhält, dass man sich schwer tut, nicht selbst dabei depressiv zu werden. Laurence gerät zusehends zum seelischen Wrack, sieht sich mit der stillen Verachtung seiner Kollegen und Freunde konfrontiert sowie der persönlichen Verantwortung, dieses Leid auf Großbritannien herabbeschworen zu haben. Und nach und nach muss man miterleben, wie sich der alte Haudegen sogar von seinem geliebten Drachen immer mehr distanziert, bis ihm schließlich nichts mehr zu niedrig ist, um dem Land zu vergelten, welches er verraten hat. Das Schlimmste daran ist, dass man genau weiß, dass es für diesen Verdammten keinerlei Trost geben kann und Novik bleibt in diesem harten Kurs bewundernswerterweise konsequent – für Autoren, die ihre Figuren lieben, kann das auch nicht einfach sein.
Und auch wenn das Buch auf einer winzigen Note der Hoffnung endet, so kann man nicht anders, als es mit einem Gefühl tiefer Melancholie angesichts der Figur von Laurence und seiner Beziehung zu Temeraire beiseite zu legen. Anders als der Vorgänger endet es auch nicht mit einem Cliffhanger, sondern mit einem stillen, traurigen Ausklang. Bis dahin gab es jedoch freilich massig Schlachten und Kämpfe, all die Abenteuer, die man von der Serie gewohnt ist sowie ein geradezu apokalyptisches Finale. Nach dem tollen ersten Akt gibt es zwar einen leichten Hänger im Mittelteil, den vor allem eine größtenteils unnötige Rettungsaktion ausmacht, die nur die Entwicklung von Laurence ein wenig beeinflusst, die Geschichte selbst jedoch nicht. Aber insgesamt reiht sich dieses sehr unterhaltsame Buch makellos in die qualitativ ohnehin hochwertige Serie Noviks ein. Ob der ernste, schwere Ton des Buchs jedoch allen Fans der bisher eher leichten Temeraire-Serie gefallen wird, sei dahingestellt.
Vielen Dank an Doc für die Rezension!