Drachen in der Literatur
Andre Zeiten, andre Drachen (Christian Morgenstern)
Immer nicht an Mond und Sterne
mag ich meine Blicke hängen –:
Ach man kann mit Mond und Sternen,
Wolken, Felsen, Wäldern, Bächen
allzuleichtlich kokettieren,
hat man solch ein schelmisch Weibchen
stets um sich wie Phanta Sia.
Darum senk ich heut bescheiden
meine Augen in die Tiefe.
Hier und da ein Hüttenlichtlein;
auch ein Feuer, dran sich Hirten
nächtliche Kartoffeln braten –
wenig sonst im dunklen Grunde.
Doch! da drunten seh ich eine
goldgeschuppte Schlange kriechen …
Hochromantisches Erspähnis!
Kommst du wieder, trautes Gestern,
da die Drachen mit den Kühen
friedlich auf den Almen grasten,
wenn sie nicht grad Flammen speien
oder Ritter fressen mußten –
da der Lindwurm in den Engpaß
seinen Boa-Hals hinabhing
und mit grünem Augenaufschlag
Dame, Knapp und Maultier schmauste –
kommst du wieder, trautes Gestern?
Eitle Frage! Dieses Schuppen-
Ungetüm da drunten ist ein
ganz modernes Fabelwesen,
unersättlich zwar, wie jene
alten Schlangen, doch auch wieder
jenem braven Walfisch ähnlich,
der dem Jonas nur auf Tage
seinen Bauch zur Herberg anbot.
Feuerwurm, ich grüße froh dich
von den Stufen meines Schlosses!
Denn ob mancher dich auch schmähe,
als den Störer stiller Lande,
und die gelben Humpeldrachen,
die noch bliesen, noch nicht pfiffen,
wiederwünschte, – ich bekenne,
daß ich stolz bin, dich zu schauen.
Höher schlägt mir oft das Herze,
seh ich dich auf schmalen Pfaden
deine Wucht in leichter Grazie
mit dem Flug der Vögel messen
und mit Triumphatorpose
hallend durch die Nächte tragen.
Sinnbild bist du mir und Gleichnis
Geistessiegs ob Stoffesträgheit!
Gleichnis bist du neuer Zeit mir,
die, jahrtausendalter Kräfte
Erbin, Sammlerin, sie spielend
zwingt und formt, beherrscht und leitet!
Andre Zeiten, andre Drachen,
andre Drachen, andre Märchen,
andre Märchen, andre Mütter,
andre Mütter, andre Jugend,
andre Jugend, andre Männer –:
Stark und stolz, gesund und fröhlich,
leichten, kampfgeübten Geistes,
Überwinder aller Schwerheit,
Sieger, Tänzer, Spötter, Götter!
Aufenthalt im Wasserreich (Ciruelo Cabral)
Durch Weingärten und Olivenhaine im Süden Frankreichs, vorbei an den bernsteinfarbenen Schlössern der Herren der Provence und an den rotgedeckten Häusern ihrer Untertanen entlang, floss die Rhone. Der stetige Strom ihres Wassers verriet nicht, dass sie Drachen beherbergte. Einer jedoch hauste in ihren Tiefen: Nahe der Stadt Beaucaire, wo die Rhone in Biegungen dem Meer zustrebte, war die Lagerstatt des Drac verborgen, eines riesigen, uralten Wesens; er verstand sich auf Zauberei, die er für seine eigenen blutigen Zwecke einsetzte.
Der Drac besaß eine Vorliebe für Menschenfleisch und machte sich ein Vergnügen daraus, Sterbliche zu jagen. Von Zeit zu Zeit verließ er den Fluss und begab sich zum Marktplatz von Beaucaire, wo er, für die geschäftigen Stadtbewohner unsichtbar, im Schatten der Platanen herumstrich, ein wachsamer Schatten zwischen Körben voller Fische und Bergen von Obst. Mit kalten, blassen Augen beobachtete der Drache die Hausfrauen, die mit den Händlern schwatzten; mit gekrümmten Klauen schnappte er sich dann geschwind ein unbeaufsichtigtes Kind.
Zum Zeitvertreib lockte der Drac manchmal auch Menschen in seinen Fluss. Einmal tat er dies zu einem seltsamen Zweck, und das geschah so:
An einem Sommernachmittag, als die Sonne unbarmherzig auf Stadt und Felder niederbrannte, ging eine junge Frau aus der Stadt zum Fluss, um die Kleider ihres Kindes zu waschen. Wie sie so ihrer Arbeit nachging, blickte die Frau über das glitzernde Wasser – und dann machte sie große Augen. Auf dem Wasser, nicht weit vom Ufer, schwamm ein goldener Becher. In dem prachtvollen Gefäß schimmerte eine Perle.
Ohne zu überlegen nahm sie den Köder an. Sie streckte die Hand nach dem hübschen Zierat aus, der Becher aber glitt außer Reichweite und glitzerte verführerisch im Sonnenlicht. Die Frau versuchte ihn abermals zu greifen; sie beugte sich über den Uferrand und verlor dabei das Gleichgewicht. Als sie fiel, griff eine Klaue nach ihr; wie eine Fessel schloss sie sich fest um die Taille der jungen Frau. Sie stöhnte und zappelte, aber gegen den Griff war sie machtlos. Sie fühlte, wie sie nach unten gezogen wurde. Während ihre Röcke sich mit Wasser vollsogen, warf sie einen letzten, verzweifelten Blick zum Ufer – sie sah, wie kleine Kleidungsstücke auf dem Gras am Fluss trockneten und das Kind, ganz allein, dasaß und wimmerte. Dann schlugen die Wasser der Rhone über ihrem Kopf zusammen.
Unerbittlich wurde sie in die kalten Tiefen des Flusses hinabgezogen, bis sie nichts wahrnahm als nasse Schwärze, durchbrochen von winzigen Lichtern, strahlend und glitzernd wie die Sterne am nächtlichen Himmel. Sie wurde ohnmächtig.
Als sie die Augen wieder aufschlug, befand sie sich in einer kristallenen Höhle. Vor den durchsichtigen Wänden wogten Wasserpflanzen, als wehe ein Landwind darüber hin. Fische schnellten vorbei. Neben ihr lag der goldene Becher, der sie verlockt hatte, und die Perle, die darin war. Und dann sah sie, wer sie gefangen genommen hatte. Riesenhaft und schimmernd hockte der Drache reglos neben dem Becher und betrachtete sie. Von seinem grünen, starren Blick gebannt, stand die Frau auf, und während sie dies tat, verblasste die Erinnerung an ihr Leben: Ihr kleiner Sohn, ihr Mann, ihr Haus im sonnigen Beaucaire, die Felder und Olivenhaine und die Stadt, das alles wurde zu winzigen Bildern, zu Miniaturen, an die sie sich undeutlich erinnerte, wie an Träume. Nur die Worte des Drachen ertönten in ihrem Kopf. Der Drac sprach mit einer Stimme, die wie ein Gong wiederhallte, und die Sterbliche gehorchte. Der Drache hatte der Frau aufgelauert, weil sie jung und gesund war – und weil sie ihren Sohn stillte. Der Drache brauchte Menschenmilch, um sein eigenes Gezücht, ein schwaches Drachenjunges, zu nähren. So wurde die junge Frau, in einem Zaubergespinst gefangen, die Sklavin des Drac und die Amme eines Drachen. Die Tage vergingen friedlich, und für die menschliche Gefangene in dem trüben Zwielicht der kristallenen Höhle unter dem Fluss war ein Tag wie der andere. Eingelullt von der Bewegung des Wassers draußen und vom Bann des Drachen, lebte sie wie in Trance. Sie säugte das Gezücht des Drac und hegte es, als sei es ihr eigener Sohn. Sie schlief, wann es der Drache gebot, und aß, was er ihr gab. Sie beobachtete die Bewegungen des Wassers durch die durchscheinenden Wände der Höhle, und mit der Zeit wurden ihr die Lebewesen der Rhone – der grün-gold gestreifte Hecht, der schlängelnde Aal, die flinke Forelle – vertraut wie einst die Bewohner von Beaucaire. Mit jedem Tag wurde ihr die Wasserwelt, die sie umgab,verständlicher und bekannter, als seien die Steine und Wasserpflanzen die Felder und Wälder ihrer vergessenen Heimat.
Ihre Sehkraft erhielt sie vom Zauber des Drachen, aber das wusste sie nicht. Jeden Abend rieb sie, wie ihr befohlen war, die Augen des Drachenjungen mit einer Salbe ein, die der Drac ihr gab. Die Salbe verlieh dem Kleinen den durchdringenden Drachenblick, und immer wenn die Frau sich ein Auge rieb, blieb etwas von der Salbe dort hängen, sodass sie ein wenig von der Zauberkraft des Geschöpfes empfing.
Sieben Jahre vergingen. Das Junge wurde groß und stark, und es kam der Tag, an dem der Drac keine Verwendung mehr für seine Gefangene hatte. Er tötete sie nicht, was er durchaus hätte tun können; aber sie hatte seinen Nachkommen genährt, und deshalb ließ er sie frei. Er belegte sie mit einem Bann des Vergessens und versenkte sie in Schlaf, bevor er sie durch den Fluss ans Tageslicht trug.
Die Frau wachte am Ufer in der Nähe ihres Hauses auf. Ein wenig verwirrt sah sie sich um, denn sie erinnerte sich an einen heißen, sonnigen Tag, als sie ihre Wäsche gewaschen und mit ihrem Kind gelacht hatte, das im Gras spielte. Jetzt aber war die Sonne untergegangen, und eines nach dem anderen flammten die Lichter der Stadt auf. Weder die Wäsche auf dem Rasen noch ihr Kind waren irgendwo zu sehen. Sie eilte über die Felder und durch die Straßen der Stadt.
Die Tür ihres Hauses stand offen, um die Abendkühle hereinzulassen, und die Frau ging hinein. Zwei Gesichter wandten sich ihr zu – das eines bärtigen Mannes und eines Knaben, der ihrem Mann glich, als dieser jung gewesen war. Einen Moment starrten sie sich gegenseitig an. Dann sprang der Mann mit einem gellenden Schrei auf. Während der Knabe mit geweiteten Augen zusah, umarmte der Mann die Frau. Er war ihr Ehemann, der sie ertrunken geglaubt und getreu sieben Jahre betrauert hatte. Er überschüttete sie mit Fragen, aber sie konnte keine Antwort geben, denn sie besaß keine Erinnerung an die Welt des Drachen. Der Knabe war ihr Sohn, aber er sprach nicht mit der bleichen, zerlumpten Fremden, ihre Schweigsamkeit schreckte ihn. Aber die Liebe des Vaters zu seiner Frau war so stark und seine Freude über ihre Wiederkehr so groß, dass der Knabe die Fremde allmählich als Mutter annahm. Und in den Wochen ihrer rätselhaften Wiederkehr gewöhnten sich auch die Nachbarn an sie. Ihre siebenjährige Abwesenheit blieb ihnen ein Geheimnis, und ihre Reden schreckten sie zuweilen. Sie träumte von Drachen, erzählte sie oft. Doch ihre Nachbarn waren liebenswürdige Menschen und ließen die Frau gewähren. Sie nahm ihr früheres geordnetes, friedliches Leben wieder auf, kochte und sorgte für den Mann und den Knaben und arbeitete mit den Leuten auf den Feldern. So hätte sie fortleben können, wäre nicht der Drachenblick gewesen. Eines Tages ging sie wie gewohnt auf den Markt, und dort, zwischen den Gemüseverkäufern und Fischhändlern, sah sie den Drac. Schuppig und schimmernd ragte er über den Stadtleuten auf. Sein Haupt reichte fast bis zu den Dachfirsten hinauf, und seine Augen schillerten grün, aber die geschäftigen Händler und ihre Kunden gingen nichtsahnend ihren Geschäften nach. Nur die Frau sah ihn. Als sie aufschrie, blickte er sie scharf an. "Siehst du mich, Sterbliche?", fragte eine Stimme in ihrem Kopf.
"Ich sehe dich, Drache", sagte sie laut, und in diesem Augenblick fielen ihr die ganzen verlorenen sieben Jahre wieder ein. Sie stand regungslos, als die Drachenklaue sich senkte und ihr das linke Auge zuhielt.
"Siehst du mich jetzt?", sagte die Drachenstimme. Sie sah ihn noch. Die Klaue wanderte zu ihrem rechten Auge,und wo der Drache gestanden hatte, sah sie nur den Marktplatz und ihre Mitmenschen. Folgsam sagte sie dem Drachen, dass sie ihn nicht mehr sehe. Sogleich durchfuhr ein blendender Schmerz ihren Kopf. Die Klaue hatte das Auge entfernt, das den Drachenblick besaß.
Halbblind lebte die Frau noch viele Jahre, und wieder und wieder erzählte sie ihre Drachengeschichte. Die Leute hielten sie für verrückt und schlugen ihre traurigen Warnungen in den Wind. So verschwanden Jahr für Jahr Kinder vom Marktplatz von Beaucaire und niemand wußte warum.
Sybaris von Cirfis (Ciruelo Cabral)
Nach der Legende kam an den Hängen des Berges Cirfis, nahe der Stadt Delphi, ein ungeheurer Wasserdrache namens Sybaris zu Leben. Sie versetzte die Menschen in Angst und Schrecken, denn jeden Monat verlangte sie einen unschuldigen, schönen, heranwachsenden Knaben, der noch nicht den Nektar der Liebe gekostet haben durfte und verspeiste ihn. Es war die Aufgabe der Priester des Apollo, jeden Monat herauszufinden, welchen Jüngling diesmal das Los treffen würde, dem Drachen geopfert zu werden. So geschah es, daß eines Monats die Wahl auf den schönsten Jüngling der gesamten Region fiel, auf den jungen Alcyoneus. Es fand eine Prozession statt. Der Jüngling wurde mit Rosen gekrönt, was seine Erscheinung noch eindrucksvoller machte, er wirkte wie ein junger Apoll. Jammern und klagen begleitete den Zug zum Opferplatz, so daß die Prozession auch Eurybatus auffiel, einem mutigen jungen Kämpfer, der zufällig des Weges kam. Als er den schönen Alcyneus in seinen weißen Gewändern erblickte, verliebte sich der Soldat sofort in den jungen Mann. Er schloss sich der Prozession an und fragte:“ Wo habt Ihr diesen Jüngling gefunden und wo bringt Ihr ihn hin?“
„Sein Schicksal ist tragisch und seine Zukunft der Tod“, antworteten sie, „er ist das Opfer, das vom Schicksal dazu auserwählt wurde, dem Drachen Sybaris vorgeworfen zu werden.“ Als er daß hörte wurde Eurybatus bleich vor Schrecken. Einem Impuls seines Herzens folgend, bat er darum, Alcyneus befreien und ihn an seiner Stelle zu opfern, da sein Leben bedeutungslos werden würde, wenn der Jüngling sterben müßte. „Opfert mich, ich habe schon viele Jahre gelebt. Dieser Jüngling aber hat das Leben noch nicht einmal geschmeckt. Er soll sich an der Sonne erfreuen und an der Liebe , die er verdient, denn so eine wunderbare Kreatur soll der Liebling Eros und Aphrodites sein, nicht der des finsteren Hades.“
Die Priester wollten diesem Angebot aber nicht entsprechen. Sie fürchteten den Zorn des Drachen, da der Krieger nicht mehr so rein und unbefleckt wie Alcyneus war, sie erlaubten Eurybatus jedoch an der Prozession teilzunehmen. Als sie den Ort erreichten, an dem das Opfer an Sybaris übergeben werden sollte, zogen sich alle vorsichtig zurück. Alcyneus, der in seinem Herzen ebenfalls eine tiefe Liebe für den tapferen Recken empfand, hieß Eurybatus ebenfalls Schutz zu suchen. Doch der Krieger war nicht bereit, den Menschen zu verlassen, der bereits zum Inhalt seines Lebens geworden war. Der ungeheuerliche weibliche Drachen kam aus seiner Höhle und dachte, sie würde nun einen verschreckten, hilflosen Jüngling an der Opferstelle vorfinden. Doch sie traf auf Eurybatus, der- von der Liebe inspiriert, die er in den Augen des Jünglings hatte funkeln sehen- einen Überraschungsangriff gegen die Bestie unternahm und das Ungeheuer tötete. Von einem Drachen war nie wieder etwas zu hören, eine Quelle entsprang an jenem denkwürdigen Ort. Viele Jahre später gründete Eurybatus eine Stadt in Italien, die er Sybaris nannte, als Erinnerung an seine Heldentat.
Die siebenköpfige Schlange (Sigrid Früh)
Die siebenköpfige Schlange
Es war einmal und zu einer gewissen Zeit ein König. Der versammelte einst seine Flotte mit der ganzen Mannschaft um sich und trat eine weite Reise an. Er fuhr Tag und Nacht immer vorwärts, bis er an einen Ort kam, der dicht mit Bäumen bewachsen war, und an jedem Baume lag ein Löwe. Als er sich mit seinen Leuten ausschiffte, da stürzten sich mit einemmal die Löwen auf sie und wollten sie verschlingen. Nach langem Kampfe gelang es ihnen endlich, die wilden Tiere zu erlegen, aber auch von ihnen waren die meisten getötet worden. Die Übriggebliebenen zogen nun durch den Wald hindurch und fanden auf der anderen Seite einen wunderschönen Garten, darin standen alle Gewächse, die es in der Welt gibt. Es waren auch drei Quellen hier, und die eine von ihnen rieselte Silber, die andere Gold und die dritte Perlen. Da nahmen sie ihre Reisesäcke und füllten sie mit diesen köstlichen Dingen. Es war auch ein großer See in der Mitte des Gartens. Als sie auf diesen zugingen, fing er an zu reden und sagte zu ihnen: „Was macht ihr hier, Kinder, und wen sucht ihr? Verlangt ihr nach unserem König?“
Sie aber erschraken sehr und antworteten nichts.
Da sprach der See abermals zu ihnen: „Ich sehe, daß ihr euch fürchtet, aber ihr seid auch zu eurem Unheil hier hereingekommen. Unser König, der sieben Köpfe hat, schläft jetzt. In wenigen Minuten wird er aufwachen und hierher kommen, sein Bad zu nehmen. Wehe dem, der hier im Garten von ihm angetroffen wird! Es ist unmöglich, ihm zu entrinnen. Macht’s indessen, um euch zu retten, also: legt alle eure Kleider ab und breitet sie. auf den Weg aus von dem Schlosse an bis hierher. Der König wird dann weich gehen, was er sehr liebt, und so wird er euch nicht fressen. Er wird euch nur eine Strafe auferlegen und dann euch ziehen lassen.“
So taten sie denn und warteten den Ausgang ab. Um Mittag dröhnte die Erde und barst an vielen Stellen, es erschienen Löwen, Tiger und andere wilde Tiere und umringten das Schloß, und tausend und aber tausend Tiere kamen aus seinem Inneren heraus mit ihrem König, der siebenköpfigen Schlange. Dieser schritt über die Kleider hinweg, kam zum Sec und fragte ihn, wer die weichen Sachen auf den Weg gebreitet habe. Der See antwortete, das hätten Leute getan, die gekommen wären, ihm ihre Ehrerbietung zu bezeigen. Alsbald befahl der König, daß die Leute vor ihn kommen sollten. Sie nahten sich ihm auf den Knien und erzählten ihm mit wenigen Worten ihre Geschichte.
Er aber sprach zu ihnen mit gewaltiger furchtbarer Stimme: „Weil ihr hier hereingekommen seid, lege ich euch zur Strafe die Verpflichtung auf, mir jedes Jahr aus eurem Volke zwölf Mädchen und zwölf Jünglinge zum Fraße zu bringen. Und wenn ihr das nicht tut, werde ich euer ganzes Volk vertilgen.“
Hierauf teilte er ihnen eines seiner Tiere zu, um ihnen den Weg aus dem Garten zu zeigen, und verabschiedete sie. So zogen sie von dannen. In ihr Land zurückgekehrt, erzählten sie das Geschehene. Und schon rückte die Zeit heran, da sie die Mädchen und Jünglinge dem König der Tiere bringen mußten. Es erging also der Befehl im Lande, daß zwölf Mädchen und ebensoviel Jünglinge sich opfern sollten, um das Vaterland zu retten. Sogleich eilten Jünglinge und Jungfrauen in großer Zahl herbei, viel mehr als nötig waren. Man baute ein neues Schiff und versah es mit schwarzen Segeln. Auf dem schifften sie die für den König der Tiere bestimmten Jünglinge und Mädchen ein und fuhren nach seinem Lande ab. Dort angekommen, gingen sie wieder auf den See zu, aber weder die Löwen regten sich diesmal, noch rieselten die Quellen, und auch der See redete nicht. Sie warteten also, und es dauerte nicht lange, da dröhnte die Erde noch gewaltiger als das erste Mal, das Ungeheuer kam ohne Begleitung heran, schaute den Fraß und verschlang ihn mit einem Male. Die Überbringer kehrten darauf in ihre Heimat zurück, und so geschah es noch viele Jahre hindurch.
Verlassen wir jetzt das Ungeheuer und nehmen wir den König des unglücklichen Landes dran! Der wurde alt, und auch die Königin alterte, und Kinder hatten sie nicht. Eines Tages nun saß die Königin am Fenster und weinte, weil sie kinderlos war und sah, daß der Thron in fremde Hände übergehen werde.
Da auf einmal erschien vor ihr ein altes Mütterchen, das hatte einen Apfel in der Hand und fragte: „Was ist dir, meine Königin, daß du weinst und dich härmst?“ „Ach, liebe Alte“, erwiderte jene, „es betrübt mich sehr, daß ich keine Kinder habe.“
„Ei“, sprach die Alte, „darüber härmst du dich? Hör mich an. Ich bin eine Nonne aus dem Kloster Gnothi, und meine selige Mutter hat mir als Erbschaft den Apfel hier hinterlassen: Wer den ißt, der bekommt ein Kind.“ Die Königin gab der Alten viele Taler und kaufte dafür den Apfel. Dann schälte sie ihn, aß ihn und warf die Schalen zum Fenster hinaus. Eine Stute aber, die im Hofe umherlief, fraß die Schalen. Die Königin ward darauf schwanger, und zur selben Zeit ward auch die Stute trächtig. Als die Zeit kam, gebar die Königin ein Knäblein, die Stute aber warf ein männliches Füllen. Der Knabe und das Füllen wuchsen zusammen auf und wurden groß und liebten einander wie Brüder. Da starb der König, sein Weib folgte
ihm nach, und so blieb der Sohn allein, der damals neunzehn Jahre zählte.
Eine Tages nun, da er sich mit seinem Pferde abgab, sprach dieses zu ihm: „Wisse, daß ich dich lieb habe und daß ich dein Wohl und das deines Landes will. So höre mich. Wenn du fortfährst, jedes Jahr zwölf Mädchen und zwölf Jünglinge dem König der Tiere auszuliefern, so wird dein Volk in wenigen Jahren zugrunde gegangen sein. Auf, setz dich auf meinen Rücken, ich werde dich zu einer Frau bringen, die dir angibt, wie du das Ungeheuer töten kannst.“ Da bestieg der Jüngling sein Roß, das trug ihn weit fort zu einem Berg, in dem eine Höhle war, sie dehnte sich unter der Erde aus gleich einer großen Ebene. Darin saß eine Alte und spann. Es war das ein Nonnenkloster, und die Alte war die Äbtissin. Und weil sie in einem fort spann, davon hatte das Kloster den Namen Gnothi (Spinnheim) erhalten. An den Wänden der Höhle befanden sich ringsum steinerne, aus dem Fels ausgehauene Betten, auf denen schliefen die Nonnen. In der Mitte aber brannte ein Licht. Das mußten die Nonnen abwechselnd hüten, damit es nie verlösche, und wenn eine von ihnen es ausgehen ließ, so wurde sie von den übrigen getötet. Sobald nun der Königssohn der spinnenden Alten gewahr wurde, fiel er ihr zu Füßen und bat sie, ihm doch zu sagen, wie er das Ungeheuer töten könne. Sie aber hob den Jüngling auf, umarmte ihn und sprach „Wisse, mein Sohn, daß ich es gewesen bin, die die Nonne zu deiner Mutter sandte und so bewirkte, daß du geboren wurdest, und mit dir auch das Roß, auf daß du mit seiner Hilfe die Welt von dem Ungeheuer befreien könntest. Laß dir also jetzt sagen, was du zu tun hast. Belade dein Roß mit Baumwolle, und schlage mit ihm den und den Weg eine“ – hierbei bezeichnete sie ihm einen heimlichen Weg, der nach dem Palast der Schlange führte und auf dem man den reißenden Tieren verborgen blieb -, „du wirst den König schlafend antreffen auf einem Bett, an dem ringsum Glocken angebracht sind; und über ihm in der Mitte seines Lagers wirst du ein Schwert hängen sehen. Nur mit diesem Schwerte ist es möglich, die Schlange zu erlegen, denn seine Klinge, wenn sie auch bricht, ersetzt sich immer wieder bei jedem neuen Kopfe, der dein Ungeheuer wächst, also, daß du damit alle sieben Häupter ihn abschlagen kannst. Um das nun aber dem Könige zu entwenden, mußt du’s also machen. Schleiche dich ganz leise hinauf in sein Schlafgemach, und verstopfe alle Glocken, die sein Lager umgeben, mit Baumwolle, hierauf nimm ganz sacht das Schwert herab und versetze damit dem Ungeheuer rasch einen Schlag auf seinen Schweif. Da wird es erwachen und, sobald es dich erblickt, sofort dich angreifen. Du aber hau ihm nun den einen Kopf ab, und warte dann, bis der zweite hervorwächst. Dann schlag ihm auch den ab, und so fahre fort, bis du alle sieben Köpfe abgeschlagen.“
Hierauf gab die Alte dem Königssohne ihren Segen. Der machte sich nun auf den Weg, gelangte in dem Schlosse des Ungeheuers an und war so glücklich, es zu erlegen. Als die Tiere des Gartens den Tod ihres Königs erfuhren, da eilten sie alle nach dem Schlosse, aber der Jüngling saß schon längst wieder auf seinem Pferd und war bereits weit von ihrem Reiche entfernt. Sie verfolgten ihn zwar hitzig, konnten ihn aber nicht mehr einholen. Er gelangte glücklich heim, und so hatte er sein Land von großer Gefahr befreit.
[Märchen aus Griechenland]
Die Drachenjungfrau in der Gerloswand
Viele Jahre ist es her, da lebte im Pinzgau eine stolze Jungfrau, eines Grafen Kind, die von der Natur mit allen Vorzügen des Geistes und des Leibes bedacht war. Sie fühlte sich daher auch über alle Menschen erhaben, war anmaßend und hochmütig, und sie verachtete sogar ihre eigene Mutter, die sich über die Kälte und Lieblosigkeit ihrer Tochter zu Tode grämte.
Nun aber brach die Strafe des Himmels für dieses unkindliche Verhalten über die Jungfrau herein. Schwer und lang war die Buße, die ihrem Hochmut auferlegt wurde. Eine mächtige Bergfrau verwandelte sie in ein Wesen, halb Drache, halb Weib, und bannte sie in eine Felsenhöhle im Inneren der Gerloswand. In großer Einsamkeit, dem Licht der Sonne entrückt, hat sie nun Zeit zu bereuen, was sie verschuldet, und darf nur alle hundert Jahre einmal aus der Tiefe emporsteigen, um auf den zu warten, der sie erlösen soll Erlösung kann sie aber nur finden, wenn ein beherzter Jäger ihr den Kuß der Liebe weiht.
Einmal ist sie schon aus ihrer Höhle hervorgekommen. Glockengeläute im Tal verkündete ihr Erscheinen, aber niemand getraute sich in ihre Nähe. Endlich faßte ein mutiger Jägersbursche den Entschluß, das Erlösungswerk zu wagen. Tapfer schritt er auf die Felswand zu, wo die furchtbare Schreckensgestalt ihm schon von weitem entgegenrief: „Zittere nicht, du Lieber! Erscheine ich dir auch jetzt noch schrecklich und grauenhaft, so wird dein Entsetzen weichen und Freude und Glück dich erfüllen, wenn deine Lippen meinen Mund berührt haben. Weichst du aber von mir zurück, so sind wieder hundert Jahre Elend und Einsamkeit mein Schicksal.“
Mutig versprach ihr der Jäger, vor nichts zurückzuweichen. Als er sie aber in der Nähe in ihrer ganzen fürchteinflößenden Häßlichkeit sah, wich er entsetzt zurück. Wohl versuchte er ein zweites und drittes Mal näher zu treten, aber als der eisige Hauch ihres Mundes sein Gesicht umgab, taumelte er schwindelnd zurück und lag im nächsten Moment zerschmettert unten am Rand der Felswand.
Mit einem Jammerschrei wandte sich die Drachenjungfrau dem Felsen zu und muß nun wieder in ihrer finsteren Höhle, in Grauen versunken, hundert Jahre warten, bis sich vielleicht dann ein tapferer junger Mann findet, der sie ihrem Gefängnis entreißt und wieder in einen Menschen verwandelt.
Dragons of the mount
Dragons of the Mount
They lair in lofty mountain peaks,
in windy tones of ancient tounges the speak.
Though on quests they travel far afield,
rarely do they exercise the power they wield.
The keepers of the windy heights,
on full moon nights they soar in flights.
To land and sup on the dew of morn,
and return to misty mountains from whence they were born.
These ancient protectors harken to the wind,
to go forth and all of nature defend.
So intimately with the strands of life they entwine,
that never from their watchpost shall they resign.
Always searching always going,
always seeking always flowing.
Never stopping save to smell a rose,
for only chance determines where the dragon goes.
Monster
Monster
Moving back and forth, the moon throws shadows
Across the noisy room. People scream as glasses clink.
Inky blackness sweeps over the crowd, and as
Their mouths keep moving, the noise stops. Their features
Are twisted; their gaping mouths and eyes gnarled
Figures in my mind. Suddenly I realize it is not them who
Have changed, it’s me. Looking in the mirror there is not
The person I have come to know as myself. Someone
Better? The image of a young girl stretched over a
Hideously ugly, ominous creature. As soon as the
Thoughts have escaped my mind, the flesh on the mirrored
Image melts away, revealing a terrible creature with
Blackened skin and red bulging eyes. I realize with horror
That this is me, and as I try to scream nothing escapes
My mouth but a venemous rasp full of hate and anguish.
Those in the room I had seen as distorted now look at me –
I am the monster. I try to stop them, but as I do flames
Shoot out my mouth, scorching those who are brave enough
To get close to try and help me. But how can they if I can’t
Change myself from this monster?
Where have all the dragons gone
Where have all the dragons gone
Where have all the dragons gone,
what is this place to which they were drawn.
Gone are they from the cloudy skies,
no longer do they soar over seas sunrise.
Forests once magically alive left empty,
the magic left unknown to all humanity.
Not even a glimpse was ever caught,
and soon the dragons will be forgot.
Our memories of them must we cherrish,
or else they shall forever perish.
In all the secret places in all the world,
into these were the dragons hurled.
If only they were not lost forever,
to someday be found now or ever.
Perhaps this day soon will come,
then again we’ll hear the dragon’s hum.
When finally to this realm again are they drawn,
we shall learn where have all the dragons gone.
Drachentränen 2 (Karin Roth)
Der Drachin Herz in Stein verschlossen
Viele Tränen hat das Wesen im Stein vergossen
Ein See entstand aus all diesem Leid,
ihre Gedanken aber lebten
und wanderten durch die Zeit.
Aus Schmerz dieser Zauber einst entstand
Ihre Seele auf diese Art
aus der Welt verschwand
Die Welt sah viele Tage kommen und gehen,
in der Drachin Herz
war immer noch ein Hoffen und Flehn.
Dann doch irgendwann, in stiller Nacht
wurde ein Wesen der Legenden zu diesem See gebracht.
Ein Drache wie sie, mit Sehnsucht im Herzen
ließ sich nieder um zu vergessen
seine eigenen Schmerzen
Seine Seele auch gelitten
Er wollte seine Qualen lindern,
nahm ein Bad in den Tränen
um sein Leid zu mindern.
Er tauchte ein, in den Quell des Drachens aus Stein,
war sich dabei gewiß
auch er möchte nicht mehr alleine sein.
Seine Sehnen, sein Hoffen, sein starkes Herz
drang durch der Drachin steinernen Schmerz
Durch Gefühle geweckt der Stein um sie verschwand
Der Drache er bot ihr,
ein sehr starkes Band.
Zwei Seelen sich gefunden durch Raum und auch Zeit
Dadurch wurden ihre Herzen
endlich geheilt.
Nun fliegen sie frei und glücklich durch
die Nacht
und wissen genau
das ein Stern über sie wacht
Das Prettschett (Der Doktor)
Das Prettschett
Oder: Die durchaus erträgliche Leichtigkeit des Seins
Oder: Jäger des verlorenen Prettschetts
Oder: Drachen sind auch nur Menschen
Oder: Das drachige Dekadent
Oder…okay okay, ich fang ja schon an.
Es ist allgemein bekannt, dass Drachen einen schrecklichen Mundgeruch haben.
Doch…woher ist es bekannt?
Die allermeisten Menschen, die den Mundgeruch der Drachen aus nächster Nähe erleben konnten, durften danach sogar sein Innenleben betrachten – vorausgesetzt, sie hatten eine Lampe dabei. Außerdem beschränkte sich diese Betrachtung nur auf einen geringen Teil des Verdauungstraktes.
Der Rest der Menschheit konnte ja nicht wissen, ob Drachen beispielsweise explizite Zahnpflege betrieben – denen kann man ja schließlich alles zutrauen…
Also, warum konnten die Menschen so sicher sein?
Diejenigen, die eine Begegnung der draconischen Art überlebt hatten, reichten kaum aus, um diese Information über den gesamten Globus zu verbreiten – und außerdem, wer spricht schon über den Mundgeruch eines Drachen?
Fakt ist, das Wissen um diese Information war fest in den Köpfen der Menschen verankert.
Fakt ist, Drachen haben einen schrecklichen Mundgeruch.
Und das wirft die nächste Frage auf: Was war zuerst da? Der Mundgeruch oder das Wissen darum?
Und das wirft die Frage auf: Formt die Realität das Wissen oder formt das Wissen die Realität?
Smahug kümmerte sich nicht um solche pseudo-philosophischen Fragen.
Er wartete.
Sein golden geschuppter Körper räkelte sich auf dem hoch gelegenen Plateau des Versammlungsplatzes und glitzerte dabei im Licht der ersten Sonnenstrahlen.
Unvorsichtige hätten ihn für einen gigantischen Schatzhaufen halten können – sie hätten sehr bald herausgefunden, dass die allerwenigsten Schatzhaufen große, grüne Augen haben…
Und einen riesigen Kopf…
Und zwei große Flügel…
Und scharfe Zähne und Klauen…
Und schrecklichen Mundgeruch…
Er wartete auf die anderen.
Sie kamen im Laufe des Vormittags:
Adorelon, der Silberne.
Neidhöcker, der Bronzene – wenn er nicht gerade mal wieder mit Droca verwechselt wurde.
Droca, der Kupferne…oder doch der Bronzene?
Vasdendas, der Messingfarbene.
Morkulebus, der Schwarze, der aus den finsteren Sümpfen des schwarzen Todes kam, die noch nie von einem Menschen lebendig wieder verlassen wurden.
Er wurde von allen immer nur Morki genannt.
Glaureng, der Grüne.
Tjamat, der Blaue.
Schneeweißchen, die Weiße – ja, sie war der einzige weibliche Drache im Rat. Und ja, sie hatte wirklich so einen dämlichen Namen.
Und Kalessan, der Rote.
Kalessan war einem sofort sympathisch, wenn man ihn das erste Mal traf. Denn man wollte unter keinen Umständen zulassen, dass er unsympathisch wurde. Leider reichte bloßes Menschsein schon aus, um ihn sehr unsympathisch werden zu lassen…
"Es ist ungemein praktisch, ein Drache zu sein!", hatte er einmal gesagt, "Du musst dich gar nicht mehr um die Nahrungsbeschaffung kümmern, nein, die Nahrung kommt zu dir…und meistens bringt sie noch tolle Dinge zum Sammeln und Tauschen mit…"
Deswegen war es ihm auch ein besonderes Greuel, seinen geliebten Hort verlassen zu müssen – und darum war er auch der einzige, der nicht im Laufe dieses Vormittags, sondern des nächsten erschien. Den anderen machte das nicht viel aus, sie waren sein Verhalten schon gewohnt – und wenigstens konnten sie derweil die neuesten Nachrichten, Geschichten und praktische Tips zur effektiven Sklavenhaltung austauschen.
Kalessan landete auf seiner Plattform, während die anderen ebenfalls ihre Plätze einnahmen – Smahug dabei, wie es die Tradition verlangte, in der Mitte des Felsplateaus.
Eigentlich waren es mehrere Plattformen: Eine große in der Mitte und zehn weitere, die kreisförmig um sie herum angeordnet waren. Die Drachen hatten keine Ahnung, wer dieses Bergplateau mitten im Gebirge erschaffen hatte. Aber weil sich Unwissenheit seitens der Mächtigen in der Öffentlichkeit niemals gut macht, wurde schnell eine schöne Geschichte erfunden. Nun hieß es offiziell, dass der allererste Rat der Drachen diesen Platz mittels mächtiger Magie aus dem höchsten Berg des Landes heraus gebrochen hatte, um dort in Zukunft seine Versammlungen abzuhalten, die fortan die Geschicke der Welt lenken sollten.
Solche Geschichten machen sich immer gut…
Jeder Drache saß nun auf seiner Plattform. Und sie saßen auch nur, weil nicht genug Platz war, um sich hinzulegen.
Der Rat der Drachen tagte einmal mehr. Und sein Vorsitzender, Smahug, erhob nun die Stimme:
"Schön, dass du es auch für nötig befindest, hier aufzutauchen, Kalessan!"
"Sei froh, dass ich überhaupt gekommen bin! Ich habe nämlich keine große Lust, wieder so einer sinnlosen Sitzung wie letztes Mal beizuwohnen!", erwiderte der rote Drache, was alle anderen zu Gekicher veranlasste – alle, außer Smahug.
"Nein, diesmal ist das Anliegen, weswegen ich euch zusammen gerufen habe, ein äußerst wichtiges!", antwortete dieser.
"Das hast du letztes Mal auch gesagt, als dein Lieblingsschmuckstück verschwunden war, wir deine gesamte Höhle danach abgesucht haben und es schließlich in deinem Ar…"
"Ja ja ja, das war sehr lustig damals, nicht wahr? Ha. Ha. Ha.", unterbrach ihn Smahug schleunigst, "Nein, diesmal ist es wirklich wichtig! Ich denke mal, ihr wisst alle, wo die Menschenstadt "Neudorf" liegt?"
Die meisten Drachen nickten.
"Gut, wir werden der Stadt heute einen kleinen Besuch abstatten. Und, um es gleich hinzuzufügen, wir werden die Stadt nicht zerstören oder sonst irgendwie beschädigen!", sagte Smahug mit einem Seitenblick auf Kalessan.
Ein teils erstauntes, teils erfreutes, teils enttäuschtes Murmeln ertönte aus den Reihen der restlichen Drachen.
Glaureng fragte: "Das wird doch nicht wieder so eine Wohltätigkeitsveranstaltung für Menschen, oder? Das wäre ja noch schlimmer als die Aktion vom letzten Mal!"
Wieder brach Gelächter aus.
Smahug unterbrach die Menge mit einem lauten Brüllen:
"Nein, das wird weder eine Zerstörungsorgie, noch eine Wohltätigkeitsfahrt. Und ich wäre sehr erfreut, wenn ihr mich nicht alle immer wieder an das kleine Missgeschick unserer letzten Zusammenkunft erinnern würdet, danke! Nein, wir werden uns tarnen und mit einem gewissen Menschen in dieser Stadt mal ein paar Worte wechseln. Droca hier…", er deutete mit einem Kopfnicken auf den Kupferdrachen.
"Ich bin Droca!", sagte der Drache, der auf der Plattform nebenan saß, "Das da ist Neidhöcker."
"Warum sitzt ihr eigentlich nebeneinander?", fragte Tjamat, "Man kann euch ja wirklich kaum auseinander halten!"
"Ihr könnt das seit den 450 Jahren die wir schon nebeneinander sitzen nicht – aber ihr habt euch nie darüber beschwert!", erwiderte Neidhöcker.
"Dann tue ich es halt jetzt!"
"Hättest du das nicht früher machen können? Ich habe mich schon so sehr an den Platz hier gewöhnt! Außerdem bist du ja nur neidisch, weil meine Plattform ein bisschen größer…"
"WENN ICH WOHL WIEder auf unser eigentliches Thema zurückkommen könnte?", rief Smahug dazwischen, worauf der Streit zwischen den beiden fürs erste verstummte.
"Also, Droca hat mir berichtet, dass ein Magier namens Saurudalf die Regentschaft über Neudorf übernommen hat. Dieser Magier verkündete, dass er sämtliche Drachen im Umkreis von Neudorf vernichten wolle – etwas, was wir natürlich nicht zulassen können!"
"Ich wusste, dass ich nicht hätte kommen dürfen!", stöhnte Kalessan, "Wozu brauchst du da uns alle? Warum kann Droca ihm nicht alleine einen kleinen Besuch abstatten und ihm den Kopf abbeißen? Hast du etwa Angst, er könnte dir weh tun, Droca?"
"Es wäre sehr nett, wenn du mich ausreden lassen würdest, Kalessan! Dieser Saurudalf hat nämlich laut Drocas Bericht irgendeine Maschine oder ein Artefakt geschaffen – extra zur Vernichtung von Drachen! Ich bin der Meinung, wir sollten uns dieses Artefakt im Rahmen einer kleinen Weiterbildung alle einmal ansehen – und diesem Saurudalf nebenbei noch eine kleine Lektion erteilen."
Als Smahug Kalessans interessierte Seitenblicke vernahm, fügte er hinzu: "Und wir werden ihn nur töten, wenn es sich wirklich absolut nicht vermeiden lässt!"
Irgendetwas in Kalessans Blick sagte ihm jedoch, dass Kalessan schon dafür sorgen würde, dass es sich nicht vermeiden lassen würde…
Die Reise verlief relativ schnell, gegen Nachmittag erreichten die zehn Drachen die Umgebung um Neudorf.
Aufgrund des Namens könnte man vielleicht vermuten, dass es sich nur um eine kleine Ansammlung von Hütten handelte, die mitten im Freien herumstanden und auch nur deswegen als "Dorf" bezeichnet wurden, weil der Abstand zwischen zweien von ihnen weniger als einen Kilometer betrug…
Nein, in Wahrheit handelte es sich um eine der größten Städte des Reiches, mit einer Einwohnerzahl von ungefähr 40.000 Wesen.
Bei der Namenswahl der Stadt war man halt anscheinend ein wenig…uninspiriert gewesen.
Droca, der der Stadt am nächsten wohnte, führte die Drachen zu einem nahe gelegenen Wald, in dem eine Lichtung lag, die groß genug war, um zumindest einem von ihnen Platz zu geben.
Da Glaureng als einziger mehr einem riesigen gefüllten Schleimbeutel als einer geflügelten Echse glich, musste er mit Hilfe von Magie fliegen, was ihn über längere Strecken nicht gerade wenig Kraft kostete. Darum landete er als Erster auf der Lichtung und verschnaufte ein wenig. Das prägte der Lichtung zwar schon Glaurengs charakteristischen Gestank auf und ließ bereits nach kurzer Zeit die ersten Blumen absterben, die restlichen Mitglieder waren diesen sehr speziellen Duft aber glücklicherweise bereits gewohnt. Während ihr Kollege sich noch ausruhte, kreisten die anderen Drachen weit über den Wolken, die über der Lichtung hingen und entzogen sich so eventuellen neugierigen Blicken. Dabei setzte sich eine der unterbrochenen Unterhaltungen vom Vormittag auf mentalem Wege fort.
Tjamat wandte sich – natürlich erst, nachdem er nachgefragt hatte – an Neidhöcker, den Bronzedrachen: "Sag mal, warum gibt es überhaupt eine Unterteilung zwischen Kupfer- und Bronzedrachen? Ich meine, Droca und du, ihr ähnelt euch beide wie ein Ei dem anderen! Ich wette, wenn man einen Schlüpfling von dir und ihm vertauscht, würde keiner von euch etwas merken."
"Pass mal auf, mein lieber, blauer Freund: Ich würde auch aus Tausenden von Kupferdrachenschlüpflingen einen Bronzedrachen herausfinden. Es gibt nämlich gravierende Unterschiede zwischen unseren beiden Rassen!"
"Als da wären…?"
"Nun…zum Beispiel leben Kupferdrachen in ländlichen Gegenden wie dieser hier, während wir Bronzedrachen schöne, felsige Küstenregionen bevorzugen."
"Und daran könntest du die Kleinen unterscheiden, aha… Weißt du was? Ich glaube, diese Einteilung ist nur vorgenommen worden, weil die zehn Plätze die sie da oben auf dem Versammlungsplatz vorgefunden hatten alle gefüllt werden mussten…"
"Da hätte man euch Blaue auch weglassen können und uns dafür dreimal unterteilen können!"
Bevor Tjamat zu einer scharfen Gegenantwort ansetzen konnte, übermittelte ihnen Smahug folgendes: "Glaureng ist fertig da unten. Du bist dran, Tjamat!"
"Wir sprechen uns noch, Höcki!", sagte Tjamat mit einem Knurren und drehte dann ab, um spiralförmig abzusteigen.
So ging es dann immer weiter. Wenn einer der Drachen fertig war, übermittelte er den oben fliegenden Kollegen eine entsprechende Botschaft und der nächste war dran. Smahug war der letzte, der absteigen sollte. Er schraubte sich tiefer und tiefer, bis er die Wolkendecke durchbrach und die Lichtung sichten konnte. Mit angelegten Flügeln legte er einen schnellen Sturzflug nach unten hin und breitete sie kurz vor dem Aufprall wieder aus, was seinen Flug rapide abbremste.
Jedem normalen Wesen von diesem Gewicht und dieser Geschwindigkeit hätte es die Flügel kurzerhand ausgerissen und den Flug kein bisschen gebremst, aber, wie Kalessan bereits sagte, es ist wirklich ungemein praktisch, Drache zu sein – man muss sich um keinerlei physikalische Gesetze mehr kümmern. Wozu gibt es denn Magie?
Smahug drehte der Physik eine lange Nase und landete sanft wie eine Feder auf der großen Lichtung, die für seine stattliche Größe von 50 Metern schon fast wieder zu klein war. Er faltete seine Schwingen zusammen und begann, sich zu konzentrieren und damit die Verwandlung einzuleiten. Wären jetzt Menschen dabei gewesen, hätte Smahug wahrscheinlich eine optisch beeindruckende Schau mit viel Blitz und Rauch vorgelegt – Menschen brauchten so etwas. Da dem aber nicht so war, verschwand der Drache einfach und statt dessen stand an seiner Stelle ein älterer Mann mit weißen Vollbart, langen, ebenfalls weißen Haaren und einer goldfarbenen Robe. Das Assoziationsvermögen eines jeden Menschen würde bei seinem Anblick sofort "Magier" schreien…
Er sah zum Rand der Lichtung. Neun andere Menschen bewegten sich auf ihn zu. Und jeder von ihnen trug eine Robe von einer anderen Farbe.
Alles in allem sah es aus, als wären die Farben aus dem Malkasten eines Grundschülers herausgesprungen und hätten menschliche Gestalt angenommen. Farben hätten sich jedoch wahrscheinlich unauffälliger gekleidet als die Drachen es taten…
Smahug ließ seinen Blick nochmals über die Gruppe schweifen. Vor ihm standen sieben menschliche Männer und zwei Frauen. Es war also alles in Ordnung, alle waren anwesend. Er wollte gerade den Arm in Richtung Neudorf heben und einen Standardspruch á la "Na dann, lasst uns diesem Magier mal zeigen, wer hier der Boss ist!" loslassen, stockte aber. Sieben Männer und zwei Frauen?
Smahug sah sie sich nochmals an. Die eine Frau trug ein weißes Gewand – das musste Schneeweißchen sein… Die andere war blau bekleidet.
"Tjamat, ich denke, ich kann sagen, dass ich mich mit Menschen ganz gut auskenne…und du hast dich versehentlich in eine menschliche Frau verwandelt!"
Tjamats sehr männliche Stimme antwortete ihm: "Wieso ‚versehentlich‘? Sehe ich etwa nicht gut aus?"
Die anderen neun starrten sie…ihn nur an.
"Was ist? Ist irgendwas nicht in Ordnung?", fragte der verwirrte Tjamat.
"Du verwandelst dich in eine menschliche Frau und behältst deine männliche Drachenstimme bei?", fragte Adorelon ungläubig.
"Was dagegen? Wir gehen doch nur da rein, regeln unsere Angelegenheit mit diesem Saurudalf und gehen dann wieder raus oder? Ich werde schon nicht mit jedem zweiten Menschen in dieser Stadt reden…und selbst wenn, was soll uns schon groß passieren?"
Smahug schüttelte den Kopf und seufzte: "Ja, gut, du hast Recht. Es wird nicht lange dauern. Rein und wieder raus, nichts besonderes, ein Kinderspiel für uns, ja… Also, verschwenden wir nicht weiter unsere Zeit mit dieser Angelegenheit sondern ziehen endlich los – hat noch jemand von euch Fragen?"
Er schaute fragend in die Runde – die anderen schauten fragend zurück.
Smahug hob den Arm in Richtung Neudorf und sprach: "Na dann, lasst uns diesem Magier mal zeigen, wer hier der Boss ist!"
Eine derartige Gruppe hätte beim Passieren des großen Stadttores eigentlich auffallen müssen. Doch die Bewohner und damit auch die Torwächter der Stadt waren solcherlei Gefolge schon gewohnt – wenn eine der größten Magierakademien des Reiches mitten in der Stadt steht, ist man so einiges gewohnt…
Die Häuserwände türmten sich rechts und links hoch auf. Zwischen ihnen lag ein gewaltiger Strom aus Menschen, Handelskarren und anderen sich bewegenden Dingen, unter ihnen die zehn Drachen des Rates, die wie ein großer Regenbogenfisch durch das Gedränge schwammen.
Die breite Straße – wahrscheinlich hieß sie auch "Breite Straße" – führte direkt auf den großen Marktplatz der Stadt, der sehr bekannt für…seine Größe war.
Von hier aus zweigten etliche Dutzend große und kleine Straßen in sämtliche Himmelsrichtungen ab, jedoch keine davon so auffällig breit und dicht befahren wie der Weg, auf dem sie in die Stadt gekommen waren.
"So, und wo geht es nun zum…", wollte sich Smahug an Droca wenden, stockte aber einmal mehr. Die zwei Menschen in rotbraunem Gewand, die vor ihm standen, waren für einen Drachen kaum zu unterscheiden. Denn was ist zwischen zwei Menschen schon groß anders? Manchmal ist das Fell auf dem Kopf länger, mal kürzer, mal in der einen Farbe, mal in einer anderen – sehr viel mehr Unterschiede, von weiteren auffälligen Merkmalen wie Größe oder Statur mal abgesehen, konnten Drachen an Menschen nicht ausmachen…oder hatten keine Lust dazu.
Einer von den beiden antwortete auf die abgebrochene Frage: "Folgt mir einfach, ich kenne den Weg zum…", wurde aber seinerseits unterbrochen. Und zwar von einer Menschenfrau, die gerade vorbei lief, dann aber stehen blieb, um den Drachen näher zu betrachten:
"Verzeiht…seid ihr nicht Droca, der Schauspieler?"
"Ähm, nun ja…", antwortete dieser und begann, recht nervös nach rechts und links zu blicken.
"Oh, ich habe das Stück gesehen. Es war großartig! Ihr habt mit solcher Hingabe gespielt, mit solcher Emotion, mit solchem Talent! Eure Verkörperung des Newob hatte so viel Tiefe, so viel Kraft, so viel Liebe…", ergoss sich der Redeschwall der Frau über den Drachen, in dessen Blick jetzt eine Spur von Panik lag, während ihn seine Kollegen nur mit offenen Mündern anstarrten.
Irgendwie gelang es Droca, sich selbst zu überwinden und ein paar Worte hervorzustammeln: "Gute Frau, ich weiß nicht, wovon…"
Die Frau schien ihn nicht zu hören. Sie brach ihren Redeschwall zwar ab, aber nur um einer Gruppe anderer Frauen in der Nähe zuzuwinken und laut zu schreien: "Trixi, Daisy, Peggy, kommt her, seht mal, wen ich gefunden habe! Es ist Droca! Der Droca!"
Die drei angesprochenen Frauen sahen auf, kreischten laut und rannten auf den Drachen zu. Anscheinend waren diese vier aber nicht die einzigen, die den Drachen zu kennen schienen, denn nun erschollen weitere laute Rufe und immer mehr Menschen kamen heran, um ein Auge auf den Drachen werfen zu können. Es entstand ein riesiges Gedränge um die Drachengruppe, mit Droca in ihrem Mittelpunkt. Die Leute schrien Dinge wie "Nur ein Stück von seinem Gewand!", "Eine Locke seiner prächtigen Haare!" oder "Oh bitte, lasst mir auch was von ihm übrig!" und die Menschen begannen an ihm zu ziehen und zu zerren.
Auf einmal blitzte ein helles rotes Licht auf, welches den Marktplatz für den Bruchteil einer Sekunde im Licht der nachmittäglichen Sonne noch einmal extra erhellte.
Stille.
Eine große Masse an Menschenaugen starrte sie ausdruckslos an.
Smahug steckte den kleinen Stock mit dem rötlich glühenden Punkt am Ende wieder in eine Tasche seiner Robe.
"Was glotzt ihr alle so? Haut endlich ab! Hier gibt es nichts zu sehen! Los, geht weiter euren Geschäften nach!", rief er laut.
Gemurmel und Bewegung entstand wieder und die Menschen kehrten zu ihren vorherigen Aktivitäten zurück.
"Was…was war das?", fragte Droca.
"Eine kleine Spielerei, hab ich mal vom Elfenkönig Emballasilvarandarlessadar dem MCXXIX. bekommen. Es stimuliert die Nervensynapsen des menschlichen Großhirns und löscht so ihr Kurz…"
Smahug bemerkte die Verständnislosigkeit in Drocas Augen.
"Ach, vergiss es! Sag du mir lieber, was das hier gerade war! Wie hat sie dich nochmal bezeichnet? Als Schaumspüler?"
"Schauspieler. Ähm, wisst ihr, die Menschen haben hier eine Tradition namens ‚Theater‘. Ich habe da mal mitgemacht. Eine Gruppe von Menschen, die Schauspieler, tun so, als wären sie jemand anders und erzählen so auf der Theaterbühne eine Geschichte. Und viele andere Menschen schauen dabei zu."
"Und was hat das Ganze für einen Sinn?", fragte Morkulebus.
"Nun, es ist ein…direkteres und anschaulicheres Mittel, um Geschichten glaubwürdig erzählen zu können, würde ich sagen."
"Und was für eine Geschichte habt ihr da erzählt?", fragte Adorelon.
"Oh, ich kann euch sagen, dass war eine ganz fantastische Geschichte! Es ging um einen Drachentöter, der sich mit dem letzten Drachen zusammenschließt, um einen bösen König zu bekämpfen."
"Und du hast dich vor all den Menschen in deiner wahren Gestalt gezeigt?", fragte Vasdendas.
"Neinneinnein, ich habe den Drachentöter gespielt. Der Drache war ein großes Gerüst auf Rädern – sah zwar nicht unbedingt wie ein Drache aus, aber die Phantasie musste sich den Rest einfach nur dazu denken, dann wirkte es gar nicht mal so schlecht. Ich sage euch, die Menschen waren hin und weg von dem Stück!"
"Das ist ja sehr erfreulich für dich, lieber Droca! Schön, dass du den Ruf unserer Rasse so in den Dreck ziehst. Schön, dass du so bekannt bist und so viel Aufmerksamkeit auf dich ziehst. Schön, dass du unsere gesamte Aktion hier gefährdest!", rief Smahug.
"Ach komm schon, reg dich ab – was soll uns hier bitteschön passieren?"
Bevor Smahug zu einer Gegenantwort ansetzen konnte, schob sich Kalessan dazwischen: "Uns kann hier gar nichts passieren. Aber unser Anführer hier hat Angst, dass arme, unschuldige Menschen zu Schaden kommen könnten, wenn etwas schiefgeht – ist es nicht so, oh großer, weiser Anführer?"
Smahug starrte ihn nur wütend an.
Dann antwortete er endlich: "Das Thema haben wir schon so oft durchgekaut, Kalessan! Diesen Disput verschieben wir auf später, ja? Ich möchte erstmal die Angelegenheit in dieser Stadt bereinigen, ja? Also, Droca, wo lang geht es denn jetzt zu diesem…Rathaus?"
"Folgt mir einfach!"
Nachdem sich durch einige weitere größere Straßen durchgearbeitet hatten, kamen sie auf einen kleineren Platz. Nur ein einzelner, kleiner und noch dazu ziemlich dreckiger Springbrunnen zierte die Fläche. Neben den üblichen Häusern und Geschäften war der Rand des Platzes noch von einem großen, prächtig verzierten Fachwerkhaus gesäumt, welches seine Nachbarn von der Ästhetik her in den Schatten tiefster und vollkommenster Hässlichkeit stellte.
"Sieht so aus, als wären wir am Ziel. Warum müssen die Mächtigen unter den Menschen ihre Potenz eigentlich immer in solchen Prunkbauten ausdrücken? Wenn sie das Geld schon ausgeben müssen, können sie das auch für nützlichere Zwecke machen…", sagte Smahug.
"Ähm, das ist die örtliche Taverne und nicht das Rathaus…", erwiderte Droca.
"Die örtliche…was?", antwortete Smahug ungläubig, "Warum hat eine Taverne bitteschön eine so teure Aufmachung? Ist das etwa die einzige Taverne in der Stadt? Dann könnte ich es ja verstehen…"
"Neinnein, der ‚Rumstehende Esel‘ ist bei weitem nicht das einzige Gasthaus hier. Nur Wirt Brennessel ist der einzige, der es irgendwie geschafft hat, eine Versicherung für Einrichtungsschäden zu ergattern…"
"Eine was?"
Droca suchte nach Worten und wedelte dabei suchend mit den Armen in der Luft: "Ähm…das ist, wenn…wenn…wenn du…nein…ähm, pass auf, das funktioniert so: Wenn jemand dein…ähm…dein Eigentum beschädigt und du…und du so eine Versicherung…ähm…äh…ach, vergiss es!"
"Also, wo ist jetzt das verdammte Rathaus?", fragte der langsam ungeduldig werdende Kalessan.
"Da drüben!"
"Das Haus sieht aber aus wie alle anderen!", sagte Vasdendas enttäuscht.
"Die Stadt hat halt nicht viel Geld – selbst du dürftest mehr in deinem Hort haben, als die hier in ihrer Stadtkasse, Vas.", entgegnete der Kupferdrachen.
"Da scheint es ja wirklich schlimm um die Stadt zu stehen. Was haben die denn gemacht, um sich so groß zu verschulden?", fragte Neidhöcker.
"Ich bin nicht verschuldet!", sagte Vasdendas.
"Keine Ahnung! Gestern war die Kasse noch voll und nichts deutet auf eine finanzielle Katastrophe hin und am nächsten Tag liegt in der Schatzkammer nur noch ein Schuldschein mit einem riesigen Betrag drauf – beeindruckend, wie menschliche Politiker das so hinbekommen…", erklärte Droca.
"Ich bin nicht verschuldet!", sagte Vasdendas.
Kalessan schnaubte verächtlich: "Typisch Menschen, die können weder mit sich selbst, noch mit Geld richtig umgehen – und sowas favorisierst du, Sma…"
Kalessan stockte.
Smahug stand mit geschlossenen Augen da. Er atmete ruhig ein und aus. Ein Zeichen, dass die anderen Drachen sofort zu deuten wussten. Als er die Augen wieder aufmachte, sah Smahug, wie sie in voller Bereitschaft an der Tür des Rathauses standen und ihn halb ängstlich, halb erwartungsvoll betrachteten. Er ging auf sie zu und sagte kühl: "Gut. Keine Unterhaltungen mehr. Keine Plaudereien. Keine Diskussionen. Kein Blödsinn. Wir gehen jetzt da rein. Ich werde reden. Niemand sonst. Verstanden?"
Neun Köpfe bewegten sich simultan auf und ab, erleichert darüber, den Wutausbruch abgewendet zu haben.
Smahug öffnete die Tür.
"Ah, Hallo! Mister Saurudalf hat euch bereits erwartet. Bitte setzt euch doch kurz, ich sage ihm dann gleich Bescheid, ja?", ertönte eine näselnde Frauenstimme, welche Smahug den Schwung seines Auftretens nahm und ihn verblüfft im Raum stehen ließ.
Das Zimmer war klein und stickig. Die Wände waren grau gestrichen und die Einrichtung bestand aus einer von Holzwürmern durchlöcherten Tür gegenüber des Eingangs, einem von Holzwürmern durchlöcherten Tisch auf dem zahlreiche Papierstapel und ein Tintenfass standen und einem von Leinenwürmern durchlöcherten Bild an der Wand dahinter, welches einen Ritter zeigte, der gerade einen kleinen Drachen mit einer Lanze aufspießte.
Hinter dem Tisch saß ein Skelett. Nein, bei näherem Hinsehen handelte es sich tatsächlich um eine lebendige, wenn auch schon recht alte Frau. Sie hatte nur einen Hüftumfang, der ein jedes der gängigen Topmodels wie eine Tonne auf Beinen aussehen lassen würde.
Smahug fing sich langsam wieder: "Was…habt ihr gerade gesagt?"
"Ich sagte, ihr sollt euch kurz setzen, während ich Saurudalf…"
"NIEMAND…sagt MIR…was ICH zu tun habe!", schrie Smahug sie mit vor Zorn weit geöffneten Augen, die fast aus dem Kopf quollen, an. Dann schritt er auf die Tür zu und öffnete sie mit einem entschlossenen Tritt, was zur Folge hatte, dass sie laut krachte und mehrere Meter weit in den nächsten Raum hinein flog.
Smahug blieb abermals stehen, während die anderen Drachen aufrückten und ihm den Rücken sicherten – zumindest würden sie ihre Aktion so bezeichnen.
Vor ihnen tat sich eine Halle auf. Sie war nicht sehr groß – Kalessan, der mit über zwei Metern der Größte von ihnen war, musste nur den Arm ausstrecken, um die Decke zu berühren – aber das machte sie in ihrer mehrere Dutzend Meter messenden Länge wieder wett. Ein breiter, roter Teppich erstreckte sich über die gesamte Halle. Rechts und links neben ihm standen zwei ebenso lange und diesmal seltsamerweise nicht von Holzwürmern durchlöcherte Tische. Der Teppich endete an einem roten Sessel – und auf diesem Sessel saß ein junger Mann. Er hatte die Beine übereinander geschlagen und las in einem großen Buch, welches auf seinem Schoß lag. Er war ebenfalls mit einer Robe bekleidet, wäre in einer Menschenmenge aber wohl kaum so aufgefallen wie der Rat.
Er sah auf: "Cassandra, habe ich nicht gesagt, dass ich nicht gestört werden…möchte…aahh, ich verstehe, ihr seid es!"
"Ja, wir sind es – und wer zur Hölle seid ihr?", entgegnete der bereits sehr aufgebrachte Smahug.
"Erlaubt mir, mich vorzustellen…", setzte der Mann an.
"Ich habe es euch befohlen, nicht erlaubt!", schrie Smahug ihn an.
Damit hatte er ihn ein wenig aus dem Konzept gebracht, denn der Mensch schaute jetzt nervös hin und her und leckte sich mit der Zunge über die Lippen. Bevor er jedoch weiterreden konnte, ertönte wieder die Stimme der alten Frau neben ihnen: "Es tut mir leid, Mister Saurudalf, aber diese Herren haben sich einfach vorgedrängelt, bevor ich etwas unternehmen konnte!"
"Ähm, schon gut Cassandra, bitte…nehmen sie sich den Rest des Tages frei, ich denke, ich brauche sie heute nicht mehr!"
"Aber die Akten müssen noch…"
"Bitte gehen sie jetzt!", sagte Saurudalf mit leicht erhobener Stimme.
"Ja, Mister!", ertönte die leise Antwort. Danach war die Frau verschwunden und die Tür wurde zugeschlagen.
"Ihr seid also Saurudalf? Gut, dann seid ihr auch der, den wir suchen…aber anscheinend wurden wir auch schon erwartet?", meldete sich jetzt Smahug wieder zu Wort.
"Oh, äh…ihr gehört doch zu der Abenteurergruppe, die die Handelskarawane aus Kleinstadt begleitet hat oder?", kam die Antwort.
"Nein, sind wir nicht. Wir kommen wegen einer anderen Angelegenheit. Wir haben gehört, ihr habt eine Abneigung gegen Drachen?"
"Oh, diese schrecklichen, hässlichen, stinkenden, brutalen, fliegenden Monster? Ich hätte da einen Auftrag für eure Gruppe, der sich mit diesen höllischen Kreaturen befasst. Ihr müsst nur meine neuste Kreation mitnehmen, die Drachen suchen und könnt ihnen dann im Handumdrehen den Garaus machen. Das ist garantiert völlig ungefährlich und macht eine Menge Spaß! Außerdem springt noch ein wenig was dabei für euch heraus…"
Bevor einer der Drachen aufbrausen konnte, hob Smahug schnell beschwichtigend die Hand und antwortete: "Ähm…das hört sich…sehr gut an. Zeigt uns doch mal eure ‚Kreation‘. Würdet ihr das für uns tun?"
"Oh, aber natürlich – seht her!", sagte Saurudalf und streckte die Hand nach einem kleinen Tisch aus, der neben seinem Sessel stand. Auf ihm stand irgend etwas, aber es war von einem dicken blauen Samttuch bedeckt, sodass man nur einen vagen Schemen von dem Objekt ausmachen konnte. Saurudalf packte die Samtdecke und zog sie weg. Was zum Vorschein kam, war eher unspektakulär: Das Objekt sah aus, wie eine stinknormale und nicht einmal besonders große Kristallkugel, die vielleicht für einen Jahrmarktswahrsager gerade mal gut genug gewesen wäre.
Saurudalf schaute seine Schöpfung stolz an und sprach: "Ich nenne es…" – er machte eine dramatische Pause – "…das Prettschett!"
"Das Prettschett!", echoten einige der Drachen.
Smahug drehte sich um und starrte sie kurz an – dann wendete er sich wieder Saurudalf zu.
"Und das da soll eure großartige Drachenvernichtungsmaschine sein? Alleine die Erscheinung dieses Objekts ist nicht sehr eindrucksvoll – musstet ihr diesem armen Ding auch noch so einen bescheuerten Namen geben?", sagte er mit unterdrücktem Lachen.
"Sagt mir ja nichts gegen den Namen! Ich habe es nach meinem armen, verstorbenen Terrier benannt, der vor einem Jahr ermordet wurde…verschlungen…von einem Drachen!", antwortete Saurudalf mit einer Stimme, die von Trauer und Hass nur so strotzte.
Jetzt meldete sich Kalessan zu Wort: "Ihr habt dieses Ding nach eurem verstorbenen Terrier Prettschett benannt? Was ist denn das für ein bescheuerter Name für einen Terrier? Der Terrier Prettschett…pah, ich glaub’s nicht!"
"Der Name ist nicht bescheuert. Außerdem hieß er Prett-Schett und nicht Prettschett!", erwiderte Saurudalf trotzig.
"Und wo ist da bitteschön der Unterschied?"
"In der Schreibweise!"
Kalessan schloss die Augen und war jetzt seinerseits dran, ruhig ein- und auszuatmen. Dann sagte er resigniert: "Gut…in Ordnung…das wird mir hier langsam zu bunt, mein lieber Anführer. Wir verschwenden hier nur unsere Zeit – und das sage ich dir als Drache, der sich nun wirklich nicht über einen Mangel an selbiger beklagen kann!"
"Nein Kalessan, wir werden jetzt versuchen, alles über dieses…dieses Prettschett dort herauszubekommen. Und ich werde erst gehen, wenn das Ding da zerstört ist!", entgegnete ihm Smahug.
Kalessan sah auf.
"Oh? Na, wenn’s weiter nichts ist…", sagte er und richtete einen Finger auf die Kugel. Ein roter Feuerblitz schoss auf das Objekt zu – und verschwand darin.
Eine Sekunde später begann sie innerlich in einem unheimlichen, blauen Licht zu glühen.
Saurudalf schaute seine Schöpfung kurz an, richtete sich dann wieder an die Drachen und sagte: "Das Prettschett ist nicht direkt eine Drachenvernichtungsmaschine, wie ihr es so schön zu sagen pflegtet, meine lieben Echsen. Es ist mehr…ein Gefäß, ein Behältnis für einen ganz besonderen Inhalt. Ihr möchtet mehr über seine Funktionsweise erfahren, werter Smahug? Es wird durch Drachenmagie aktiviert. Und es absorbiert genau diese Form der Magie aus einem weiten Umkreis, der euch zehn hier ganz sicher mit einschließt. Jetzt, in diesem Moment, in dieser Sekunde, wird euch gerade der Grundstein eurer Macht genommen: Eure Magie! Und was sind Drachen ohne Magie, die dazu noch in unbewaffneten Menschenkörpern stecken? Wehrlos…absolut wehrlos! Insofern hattet ihr mit eurer Betitelung als Drachenvernichtungsmaschine schon in gewisser Weise Recht…"
Während er sprach, gewann das blaue Licht im Innern der Kristallkugel an Intensität und strahlte bald fast so hell wie eine künstliche Sonne.
Kalessan starrte das Ding nur ungläubig an und lachte dann auf: "Und den Mist sollen wir euch glauben, Menschling? So etwas Dreistes habe ich wirklich noch nie gesehen! Du vielleicht Smahug? Smahug?"
Smahug stand wie erstarrt neben ihm. Er war kalkweiß im Gesicht.
"Ich…fühle mich…so leer…", stöhnte er.
Als Kalessan sich umdrehte, sah er in den meisten Gesichtern der anderen Drachen den gleichen, bleichen Ausdruck.
Als Magier war er bei weitem nicht so gut wie einige der anderen aus dem Rat – aber es reichte immer noch aus, um den ein oder anderen nervenden Menschen auch mal aus der Entfernung zu beseitigen…oder anscheinend, um ein Prettschett zu aktivieren…
Doch auch er spürte es – beziehungsweise, er spürte es nicht mehr. Es war, als ob ein Körperteil fehlen würde – mit dem Unterschied, dass noch alles an ihm dran war.
Saurudalf streichelte über die hell strahlende Kugel neben ihm und begann wieder zu reden: "Es war mir wirklich eine Freude, mit den zehn ehemals mächtigsten Wesen dieser Welt sprechen zu können, doch ich denke, ich werde diese Audienz jetzt beenden. WACHEN!"
Rechts und links neben dem Sessel wurden zwei nahezu unsichtbare Steintüren aufgestoßen und an die 20 Soldaten der neuen Ausbildungsreihe "Schergen des Bösen, TYP 4: ‚Kanonenfutter für Helden’" kamen mit gezogenen Schwertern in den Saal gestürmt, drängten die Drachen gegen einen der Tische und umzingelten sie im Halbkreis.
"Noch einen letzten Wunsch?", fragte Saurudalf. Die Tradition verlangt es halt so.
Kalessan dachte nach…die Situation stand schlecht.
Ziemlich übel sogar.
Aber da stimmte doch etwas nicht…
Er…konnte Saurudalfs stinkenden Schweiß riechen – aus dieser Entfernung.
Sein Geruchsinn war also immer noch so ausgeprägt wie vorher.
Ebenso sein Gehör.
Und wenn seine Sinne noch immer die eines Drachen waren, dann musste doch auch…
"Ja, lasst mich noch kurz etwas ausprobieren…", antwortete er und drehte sich suchend um. Hinter ihm auf dem Tisch stand ein eiserner Kerzenleuchter. Er nahm ihn und drehte ihn prüfend hin und her.
Dann begann er ihn zu verbiegen, als wäre es ein Stück billiger, dünner Draht. Nach ein paar Sekunden hatte er aus dem Leuchter einen formvollendeten Doppelknoten mit Schleifchen geformt – angesichts der geringen Größe des Leuchters eine beachtliche Leistung.
Dann drehte er sich in einer blitzschnellen, flüssigen Bewegung zu der nächsten Wache hin und schmetterte ihm das Teil gegen den Helm. Es ertönte ein Ton, der in dieser Lautstärke sonst nur um 12 Uhr mittags von großen Kirchtürmen erklingt. Kalessan sah noch einmal zufrieden auf seine improvisierte Waffe.
"Hm, na wenigstens das funktioniert noch…", sagte er und schaute auf, "Na dann, kampflos werde ich nicht…"
Vor ihm hingen 19 Schwerter und Schilde in der Luft, die sich gerade fragten, was sie eigentlich dort oben hielt.
Sie fielen auf den Boden.
Man hörte noch schnelle Schritte.
Eine der Steintüren am anderen Ende des Saales wurde zugeschlagen.
Anscheinend war die Eigenschaft "Künstliche Intelligenz" der neuen Soldaten noch ausbaubar…
Saurudalf starrte Kalessan wütend an.
Kalessan sagte zu ihm: "Pass auf, ich werde jetzt etwas machen, was ich seit 1000 Jahren schon nicht mehr getan habe – ich werde es mal auf dem diplomatischen Weg versuchen! Also: Gib du uns jetzt dieses Ding da und vielleicht werde ich es nicht ganz so schmerzhaft machen!"
"IHR droht MIR? In eurer Situation? Meine Wachen mögen vielleicht nicht ganz effektiv gewesen sein, aber ich weiß immer noch genau, was mit Abschaum wie euch zu tun ist! Friss das, Drachengewürm!"
Er streckte seinen Arm aus und eine mächtige magische Entladung baute sich zwischen dem Magier und Kalessan auf. Blitze umzuckten ihn und die anderen Drachen. Nach ein paar Sekunden stoppte das magische Gewitter – und alles sah so aus, wie vorher. Saurudalf starrte zuerst ungläubig an die Stelle, wo jetzt eigentlich zehn Aschehäufchen liegen sollte, schaute danach wieder auf seine Hand und wieder zurück zu den Drachen. Die am Boden liegende Wache war jetzt nur noch ein Aschehäufchen. Mit dem Spruch stimmte also anscheinend alles…
"Was…wie…warum?"
"Diese Immunität ist uns ebenfalls angeboren, lieber Saurudalf – studiert eure Gegner ein wenig besser, dann kommt ihr das nächste Mal vielleicht mit dem Leben davon! Wenn ihr unsere Magie schon als Machtquelle benutzen wollt, wovon ich jetzt einfach mal ausgehe, dann solltet ihr auch erstmal ihre Grundzüge und Mechanismen verstehen – ansonsten ist dieses Prettschett da für euch nur ein hübscher kleiner Briefbeschwerer!"
Kalessan war über sich selbst erstaunt, dass er noch so viel über draconische Magie wusste – es war ja nie sein Ding gewesen…
Saurudalf reckte sein Kinn vor: "Ach, ihr sagt eure Macht wäre nutzlos für mich!? Das werden wir ja sehen! Ich habe viel Zeit und ihr seid immer noch absolut wehrlos! Vielleicht ist dieses Schicksal sogar noch besser für euch zehn – auf ewig dazu verdammt, ein Mensch zu sein! Ich wünsche euch viel Spaß mit eurer neuen Existenz, AHAHAHAHAHAHAHA…"
Er holte eine kleine Kugel aus seinem Ärmel und warf sie auf den Boden. Es gab einen kleinen Lichtblitz, purpurner Rauch stieg auf, der sich langsam verzog.
Als die Sicht wieder klar wurde, waren Saurudalf und das Prettschett verschwunden.
"Oh nein! Kalessan, warum hast du ihn nicht aufgehalten?", schrie Smahug auf einmal.
"Ach reg dich ab, Smahug! Den finden wir schon, den riecht man doch zehn Meilen gegen den Wind! Außerdem, warum meldest du dich erst jetzt und hast vorher nur blöd herum gestanden?"
"Hast du eigentlich eine Ahnung, was das eben gerade für ein Schock für mich war? Hast du eine Ahnung, wie es ist, das mächtigste Wesen auf dem Kontinent zu sein und seine gesamte Macht zu verlieren? HAST DU EIGENTLICH AUCH NUR DIE SPUR EINER AHNUNG?"
"Nein, habe ich nicht. Aber ich habe jetzt eine Ahnung, wie es ist, im Körper eines Menschen auf unbestimmte Zeit eingesperrt zu sein! Wir sollten jetzt erst einmal alle einen kühlen Kopf bewahren – besonders du, oh großer Anführer! Dann suchen wir diesen Typen, holen uns unsere Magie zurück und schon ist wieder alles in Ordnung, dann kannst du wieder mit deinem Lieblingsspielzeug spielen!"
Beim letzten Satz starrte Smahug Kalessan mit einem Blick an, der beinahe den berühmten Medusa-Effekt gehabt und ihn zu Stein verwandelt hätte.
"Er hat Recht, Smahug, wir sollten uns jetzt auf die Suche machen und diesen Magier suchen gehen!", meldete sich jetzt einer der anderen zu Wort.
"Ihr habt ja Recht. Du, Kalessan, und du, Droca…"
"Neidhöcker!"
"…Neidhöcker…wir müssen jetzt alle einen kühlen Kopf bewahren…aber…aber was ist, wenn er schon längst aus der Stadt heraus ist und in einen Tempel in einem dunklen Sumpf, der dann auf einmal zusammen mit dem Prettschett für immer versinkt, SODASS WIR ES NIE WIEDER FINDEN, OH NEIN!" – die letzten Worte schrie er wieder.
"Solch ein Tempel kann gar nicht existieren, hier in der Umgebung gibt es nämlich keinen Sumpf! Dazu müsste er viel zu weit reisen.", sprach Morkulebus.
"Das stimmt aber nicht ganz, ein wenig weiter im Norden ist ein…", wollte Droca ihm erwidern, wurde jedoch von Neidhöcker unterbrochen, der ihn anstieß und ihm ins Ohr flüsterte: "Jetzt mach es bitte nicht noch schlimmer, ja?"
"Ähhhm…nunja, was ich sagen wollte: Sein Hauptquartier muss hier irgendwo in der Stadt sein! Einen Moment…ich glaube sogar, er hat in der örtlichen Magierakademie einen Posten als Lehrkraft gehabt, vielleicht könnte man…sich da mal erkundigen!?", sagte Droca.
Smahug erging sich noch immer in Trauer.
"Seht ihn euch an, unseren großen Anführer! Da ist er kurz davor, zu weinen. Hat dir deine Mama nicht gesagt, das Drachen nicht weinen? Jetzt komm endlich hoch und spiele deine Rolle als Anführer oder wir werden jemand anderes für diese Rolle auswählen!", sagte Glaureng.
Smahug sah auf und die anderen Drachen fragend an. Diese nickten nur.
Dann sprach er: "Na schön, ihr habt ja Recht… Ähm, du sagtest er hätte eine Stelle an der hiesigen Magierakademie? Nun gut…Morki, Kalessan, ihr beide geht zu dieser Akademie und versucht, alles über diesen Saurudalf herauszufinden! Wir anderen nehmen uns ein paar Zimmer in dieser Taverne hier nebenan!"
"Du lässt Kalessan auf die Menschen hier los?", fragte Morkulebus.
"Dich auch, ja. Ihr werdet wahrscheinlich mit einigen Menschen etwas…direkter reden müssen, um an die Informationen zu kommen, die wir brauchen – und zum Direkt-Reden seid ihr beiden einfach mal die Besten!"
"Und warum können wir anderen nicht mit?" erkundigte sich eine Männerstimme in einem Frauenkörper.
"Unter anderem wegen dir, außerdem…", setzte Smahug an, wurde aber sogleich wieder von Tjamat unterbrochen: "Das ist Diskriminierung! Nur weil ich wie eine Frau aussehe, möchte ich nicht wie eine behandelt werden! Ich verlange sofortige Gleichberechtigung für…"
Smahug hob seine Stimme: "Außerdem wissen wir nicht, wer in dieser Stadt von uns weiß. Und wenn da auf der Akademie lauter Schergen des Saurudalf herumlaufen, wäre es vielleicht ein bisschen ungünstig, wenn wir alle gemeinsam dort erscheinen, nicht wahr? Ich muss mich jetzt außerdem noch erstmal ein wenig ausruhen…"
Tjamat murmelte noch was von "Frauenfeind" und gab dann Ruhe.
Der goldene Drache war nun wieder voll in Fahrt: "Na los, los, los! Woraus wartet ihr noch?", gestikulierte er wild in Kalessans und Morkulebus‘ Richtung, "Wir haben nicht viel Zeit! Jedes Jahr zählt!"
Drachen denken halt in ein klein wenig anderen zeitlichen Relationen als Menschen es tun…
Ein paar Minuten später schwammen Kalessan und Morkulebus erneut durch die Straßen Neudorfs.
"Du bist dir auch sicher, dass das hier der richtige Weg ist, Morki?
"Weißt du was? Ich finde meinen Weg nach Hause immer! Nachts. Durch einen überall gleich aussehenden Sumpf. Blind. Da wird es ja wohl nicht sehr schwer sein, in einer Menschenstadt direkt auf das höchste Gebäude, welches sich ein paar hundert Meter vor uns befindet, zuzuhalten!"
"Wollte ja nur auf Nummer sicher gehen…"
Sie schoben sich durch die vielen Menschenmassen in Richtung Magierakademie. Die Magier konnten sich nur ein relativ kleines Grundstück kaufen, deswegen ragte das Gebäude mehr in die Höhe als die Breite. Zumindest am unteren Ende. Weiter oben, wo rechts und links keine Häuser mehr im Weg standen, wurde die Akademie zu einer komplizierten Konstruktion, die an die hundert Meter breit war und in diesem Stil weiter in die Höhe ragte, wo sie dann wieder ein wenig dünner wurde – doch den Rest konnte man aufgrund der vielen Wolken am Himmel nicht mehr erkennen.
Der Betrieb auf dem Platz vor dem Eingangstor war, wie überall sonst in der Stadt, sehr heftig – mit dem Unterschied, dass sich hier mehr Leute mit langen Bärten und spitzen Hüten tummelten als anderswo. Die Magier zeigten sich dabei leider genauso originell in ihrer Farbwahl wie die Drachen.
"Na toll, die anderen hätten doch mitkommen können – die hier sehen alle ja genauso aus wie wir!", sagte Morkulebus enttäuscht.
"Ich denke mal, das vorhin war nur eine Ausrede von Smahug mit dem ‚Wir fallen ja so schräckelich auf!‘. Wir sind verdammt nochmal normaler als diese verdammten Menschen! Aber hey – was soll’s? Jetzt können wir den ganzen Spaß für uns alleine haben!"
Kalessan grinste.
Morkulebus zuckte nur mit den Schultern und ging mit Kalessan zusammen in das Gebäude hinein.
In der Eingangshalle…nun, von Eingangshalle konnte man nicht sprechen. Aufgrund des eher kleinen quadratischen Grundrisses des Gebäudes musste man eher von einer Eingangskammer reden. Der Großteil der Kammer war mit Treppe verbaut, die gleich rechts neben der Eingangstür anfing und sich eng an der Wand um den gesamten Raum herum nach oben schlängelte. Wenn man den Kopf in den Nacken legte, sah man nichts als Treppe, die sich immer weiter nach oben schlängelte, um schließlich weit oben in der Decke zu verschwinden. Und andauernd gingen Männer mit Hüten und Bärten die Treppen rauf und runter.
Ein Meter vor dem Eingangsportal stand ein kleiner Steintisch, hinter dem ein jüngerer männlicher Mensch mit komischen roten Punkten im Gesicht und einem seltsamen Drahtgestell mit zwei Gläsern auf der Nase saß.
Kalessan sah Morkulebus kurz an, ging dann auf den Tisch zu und schlug mit der geballten Faust auf die Fläche, sodass ein lautes Knirschen erklang und sich viele feine Risse bildeten. Der Mensch schaute immer wieder ungläubig starrend zwischen Kalessan und dem Tisch hin und her. Er begann zu zittern.
Kalessan sagte im drohenden Tonfall: "So, Kleiner, du wirst uns jetzt sagen, wo dieser Saurudalf ist oder ich denke mir für dich eine ganz besonders schöne Todesart aus!"
"Wawawawawawawawawawawawawawawawa…", stammelte der Mensch.
"Ähm, Kalessan? Ich glaube, hier ist das ‚direkte Reden‘ noch nicht nötig!"
"Hm? Oh, schade… Also gut, Menschlein, verrate uns…ähm…bitte…sofort, wo dieser Saurudalf…ähm…arbeitet!"
"Sasasasasasa…"
Kalessan zog eine Augenbraue hoch – in seiner draconischen Gestalt machte diese Geste Menschen meistens extrem nervös. So nervös, dass sie versuchten, sich für ihre bloße Existenz zu entschuldigen oder gleich anfingen, um Gnade zu flehen. Meistens kamen sie nur bis: "Oh, bitte, bitte, tötet mich niAAAHH!"
Doch auch so hatte seine Geste eine entsprechende Wirkung: "SaurudalfhatseinBüroim3.StockdieTrepperaufunddanngleichdiezweiteTürvonlinks!", antwortete der Mensch nun im Zeitraffer.
Kalessan lächelte dem Menschen zu und zusammen mit Morkulebus ging er die Treppe hinauf.
Nachdem die beiden ein paar Minuten lang nur Stufen gestiegen waren, fragte Morkulebus: "Du, ich habe gehört, du hast letztens diesen einen roten Heißspund beinahe zerfleischt! Was hat der dir denn getan? Er war doch sicherlich nicht so blöd und hat versucht, in dein Revier einzudringen?"
"Nein, er wollte sich an meine Neffin ranmachen!"
"Du hast eine Neffin?"
"Ja, du nicht?", entgegnete Kalessan.
"Ich bin schon seit 1000 Jahren ohne Bruder oder Schwester, komm mir jetzt bitte nicht damit! Was hat denn der Kleine genau gemacht?"
"Er hat ihr die Krallen massiert!"
"Bitte…was? Er hat ihr nur die Krallen massiert und du schlachtest ihn fast ab?", fragte Morkulebus ungläubig, "Sie ist schließlich nur deine Neffin!"
"Nur meine Neffin!", spie Kalessan aus, "Verwandtschaft ist Verwandtschaft! Außerdem liegt nicht viel zwischen einer Krallenmassage und einem sexuellem Anbaggerungsversuch!"
"Moment! Moment mal, stop! Ich weiß ja nicht, inwiefern meine und deine Krallenmassagentechnik auseinandergehen, aber eine Krallenmassage und ein sexueller Anbaggerungsversuch sind in meinen Augen alles andere als ein und dasselbe!"
"Hast du schonmal jemandem eine Krallenmassage gegeben?", fragte Kalessan.
"Willst du mich verarschen? Natürlich hab ich schonmal jemandem eine Krallenmassage gegeben, ich bin der verdammte Krallenmassagenmeister! Ich habe die perfekte Technik für jede Krallensorte!"
"Würdest du auch…einem männlichen Drachen eine Krallenmassage geben?"
Morkulebus blieb stehen und sah ihn an.
Dann sagte er: "Leck mich!"
"Ach komm schon!"
"Ich sagte Leck mich!"
"Pfft…in welchem Stock sind wir eigentlich?"
Nach einer weiteren Minute Treppensteigen erreichten sie die Decke. In ihr war ein großes Loch. Die Treppe führte durch dieses Loch auf einen nach rechts und links langführenden Korridor. Auf der Wand gegenüber war eine große Eins gemalt. Daneben begann eine weitere Treppe.
Kalessan und Morkulebus sahen sich an, seufzten und machten sich auf den Weg.
Zum Glück lagen die nächsten Stockwerke direkt übereinander – wenige Sekunden später standen sie also vor der Tür von Saurudalf Büro. Sie war klein, unscheinbar und aus Holz. Rechts neben der Tür hing eine kleine Plakette an der Wand. Darauf stand geschrieben: "Saurudalf Roklem, Doktor der Thaumaturgie"
"Hier arbeitet der Mistkerl also!", sagte Kalessan, "Na dann, lass uns anfangen!"
"Einen Moment noch, wie spät ist es denn?"
"Was?"
"Oh, vergiss es!"
Sie traten gleichzeitig auf die Tür ein, was einmal mehr zur Folge hatte, dass diese mehrere Meter weit in den Raum gesprengt wurde und gegen die hintere Wand des Zimmers geschleudert wurde, wo sie in mehrere Stücke zerbarst.
Als die beiden Drachen den Raum betraten, sahen sie einen großen, schweren Holztisch, der im linken Teil des Zimmers stand. Wie es bei diesen Einrichtungsgegenständen üblich war, lagen große Stapel von Papier darauf, sowie ein Tintenfass und eine Feder, sowie zwei Kerzenständer aus massivem Eisen.
Nach ein paar Sekunden erhob sich ängstlich ein eher seltsames Exemplar der Spezies Mensch hinter dem Tisch.
Sein Gesicht bestand mehr aus braunem Bart als aus Gesicht und seine gleichfarbigen Haare fielen bis auf die Schultern. Mit einer Mischung aus Erstaunen, Furcht, Ärger und Verwirrung sah er die beiden Drachen an, die den Raum jetzt betraten und auf ihn zu gingen.
Morkulebus begann, sich die vielen Bilder und Zeichnungen an den Wänden anzuschauen, während Kalessan direkt zum Tisch ging und sich mit den Händen darauf abstützte.
"Hallo, wir möchten mit Saurudalf reden! Aber lass mich raten: Er ist gerade nicht zu sprechen?"
Der Mensch sah ihn weiterhin verwirrt an.
"Dacht ich’s mir doch!"
Kalessans Blick fiel auf einen kleinen Teller, der auf dem Tisch lag. Auf dem Teller wiederum lagen zwei Hälften dieser Dinger, die von den Menschen immer "Brötchen" genannt wurden, aufeinander. Zwischen ihnen steckte eine dicke Scheibe Fleisch und noch ein paar weitere, undefinierbare Dinge.
"Oh, was zu essen! Ich darf doch?", sagte er. Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm er das seltsame Brötchen und biss einmal herzhaft hinein.
"Hm, das ist gut…wirklich gut – wie nennt ihr Menschen das?", fragte Kalessan mit vollem Mund.
Der Mensch starrte ihn nur weiter fassungslos an, brachte aber irgendwie "…ein…ein Börger…" als Antwort hervor.
"Oh, ein Bürger? Aus dieser Stadt?"
"…ich…denke schon…"
"Jetzt seid ihr Menschen also auch unter die Kannibalen gegangen… Morki, hast du schonmal einen Bürger aus Neudorf gefressen?"
"Nein!"
"Ihr schmeckt verdammt gut, hat euch das schonmal jemand gesagt?", wandte sich Kalessan wieder an den Menschen.
Dieser schien wieder langsam zu Bewusstsein zu kommen: "Hört mal, was wollt ihr von mir?"
Kalessan biss nochmals in den Börger.
"Wir möchten wissen, wo sich Saurudalf momentan aufhält. Und du tätest besser daran, es uns jetzt gleich zu sagen…", sagte er dann mit einem freundlichen Lächeln – das brachte die Leute immer aus dem Konzept.
"Ich bin nur sein Sekretär! Woher soll ich wissen, wo er sich gerade befindet? Wisst ihr, Herr Saurudalf ist ein vielbeschäftigter Mann und…"
"Ich habe mich vielleicht nicht ganz klar ausgedrückt…vielleicht hilft dir das hier auf die Sprünge?"
Er nahm einen der eisernen Kerzenhalter und brach ihn in der Mitte durch.
Die Augen des Menschen weiteten sich wieder.
"Da…dada…dadadas war massives Eisen, sowas kann man nicht einfach verbiegen…geschweige denn zerbrechen! Was zur Hölle seid ihr eigentlich?"
"Wenn ich dir jetzt erzählen würde, wir beide wären Drachen, die in Menschenkörpern stecken und nicht mehr hinaus kommen, würdest du mir dann glauben, Menschlein?", lächelte ihn Kalessan an.
"Nun, wir leben in einer Welt der Magie, hier ist alles möglich und…ihr seid wirklich Drachen?"
"Können sich Tausende von Toten irren?", entgegnete Kalessan lächelnd.
Morkulebus gesellte sich wieder neben Kalessan.
"Du, irgendwas sagt mir, dass wir hier nichts Neues herausbekommen. Lass uns gehen!"
Auf einmal wurde eine Tür in der Wand hinter ihnen aufgestoßen. Heraus kam ein Mensch, der es in der Größe schon fast mit Kalessans Menschengestalt aufnehmen konnte. Er hatte einen kurzen Stab in der Hand, den er mit beiden Händen festhielt. Der Mann schrie: "VERRECKT, IHR DRACONISCHEN MISTKELRE, VERRECKT!"
Dann begann er, unter lautem Getöse mehrere Energieladungen aus dem Stab auf Kalessan und Morkulebus abzufeuern. Irgendwann machte der Stab nur noch *puffpuff*.
Der Mann rannte los, aus der Tür hinaus auf den Korridor und war verschwunden.
Die beiden Drachen starrten sich zunächst selbst und dann einander mehrere Sekunden lang an.
"Wer zur Hölle war das?", fragte Kalessan.
"Das war Ivel, einer von Saurudalfs engeren Mitarbeitern.", antwortete der bärtige Mensch hinter dem Tisch.
Kalessan und Morkulebus sahen sich nochmals an. Dann rannten auch sie los, dem Mann hinterher.
"Hey, so wartet doch, oh mächtige Drachen!", hörten sie den Menschen noch rufen, als sie auf die Treppe stürmten und dem Flüchtenden hinterher hetzten.
Sie rannten, rammten und stießen sich durch regelrechte Horden von Magiern die Treppe nach unten. Ivel konnte nicht weit von ihnen entfernt sein, da die einzelnen Magier, die sie beiseite stießen noch immer einen sehr frisch empörten Gesichtsausdruck trugen.
Nach einigen Minuten kamen sie unten an, rannten durch das geöffnete Portal hindurch auf den Platz davor – und sahen sich Ivel gegenüber, der zwei Armbrüste auf sie richtete.
"So lässt es sich doch gleich viel besser zielen! Absolut freies Schussfeld, keine Möglichkeit mehr für euch, euch zu verstecken und keiner hier kümmert sich um unseren kleinen Disput! So macht mir die Sache Spaß!"
Und wirklich, die Leute ringsum gingen alle weiter ihren Tätigkeiten nach, als würde nichts besonderes geschehen. Entweder gehörte eine Aktion wie diese hier zur Tagesordnung oder die Ignoranz der Menschen ging weiter, als die Drachen gedacht hatten…
Ivel sprach weiter: "Nun gut, Schlangenbrut – oh, das reimt sich ja, hihihi – wo ist denn der Rest von euch? Saurudalf sprach von zehn Drachen in Menschenkostümen, nicht von zwei!"
Kalessan verdrehte entnervt die Augen und sah dabei plötzlich, wie weit über ihm im Licht der untergehenden Sonne etwas kurz aufblitzte.
Morkulebus antwortete Ivel: "Bist du wirklich so dumm und denkst, wir würden dir verraten, wo die anderen sind?"
"Ich töte euch so oder so, da könnt ihr es mir genauso gut auch verraten!"
"Moment…das macht doch überhaupt keinen Sinn!", entgegnete Morkulebus.
Kalessan fragte sich gerade, ob er sich in dem kurzen Aufblitzen getäuscht hatte, als es noch einmal geschah. Er sagte: "Sie befinden sich momentan in der Taverne ‚Rumstehender Esel‘ und haben sich dort Zimmer gemietet."
Morkulebus flüsterte ihm entrüstet zu: "Kalessan, was soll das? Willst du die anderen auch noch gefährden!?"
"Gefährden? Denkst du, diese kleinen Splitter da können einen Drachen verletzen?"
"Bitte vergiss nicht, dass wir momentan vielmehr Menschen sind als Drachen!"
Das Aufblitzen wiederholte sich. Es war schon deutlich näher gekommen und wiederholte sich jetzt immer wieder in regelmäßigen, kurzen Abständen.
Ivel hatte das ständige Nach-Oben-Sehen Kalessans bemerkt. Er sprach: "Ich…kenne diesen Trick… Doch andererseits…andererseits könnte da oben ja auch wirklich etwas sein… Ich werde es mir besser ansehen. Doch damit ihr mich nicht einfach so überwältigen könnt, werde ich dazu einen Schritt zurücktreten."
Er machte einen Schritt rückwärts und legte den Kopf leicht in den Nacken.
Kalessan lächelte.
Das folgende Geräusch konnte er dank seines exzellenten Gehörs nun in seiner "klanglichen Reinheit", wie er es nennen würde, voll genießen:
Wupwupwupwupwupwupflatschpling
Ivel kippte zur Seite. Blut strömte aus einer kleinen Wunde in seiner Stirn und in seinem Nacken. Unter ihm lag ein kleines, rot gefärbtes Geldstück. Kalessan hob es auf, schnippte es in die Luft und fing es spielerisch wieder auf – Drachen lassen nunmal keine einzige Möglichkeit aus, ihren Hort zu erweitern.
Eine Stimme aus der Menge kam: "Hat wohl wieder jemand das Münzwerfverbot auf der Spitze des Turms missachtet…"
Eine junge Frau, die das Geschehen beobachtet hatte, rief mit fassungsloser Stimme: "Diese…diese Münze hat gerade einen Menschen umgebracht…und ihr hebt sie noch auf? Das bringt doch Unglück! Sie ist ja noch ganz vom Blut dieses armen Mannes besudelt!"
Kalessan sah die Münze an, die ihre rote Farbe tatsächlich nur vom Blut Ivels zu haben schien – und stecke sie sich in den Mund. Er lutschte ein paar Sekunden darauf herum und spuckte sie wieder aus. Hervor kam ein Goldtaler – die Studenten hier hatten für ihre Streiche anscheinend ein recht großes Budget…
Kalessan sagte: "Jetzt ist sie sauber!"
Die Frau fiel in Ohnmacht.
Während sich die ersten Menschen daran machten, den toten Körper nach Wertsachen zu durchsuchen, machten Kalessan und Morkulebus sich wieder auf den Weg zurück zur Taverne. Plötzlich ertönte hinter ihnen eine Stimme: "So wartet doch, edle Drachen, ich möchte euch begleiten!"
Es war der bärtige Mann von oben.
Kalessan rollte mit den Augen und drehte sich um: "Jetzt hör mal…ähm…"
"Oh, verzeiht, edle Drachen, ich vergaß, mich vorzustellen.", er neigte sein Haupt, "Mein Name ist Karlmax."
"Nun gut…Karlmax…ich schlage dir vor, du haust jetzt besser ab, ansonsten erleidest du garantiert dasselbe Schicksal wie dein Kollege da hinten – nur wird es diesmal kein Zufall sein und durch echte Handarbeit geschehen."
Kalessan hielt ihm die Münze vor sein Gesicht.
"Er war nicht mein Kollege – ich konnte ihn eh nicht leiden!"
"Schön für dich – und jetzt: Verpiss dich!"
"Ähm, wa…was? Wie? Äh…wie soll ich mich verpissen, oh edler Drache?"
"Ach, vergiss es…hau einfach ab, ja?"
"Einen Moment! Ihr wollt doch meinen Meister Saurudalf finden, nicht wahr? Ich…kann euch vielleicht doch sagen, wo er sich aufhält!"
Eine halbe Stunde später standen sie vor der Taverne.
"Oh, ich kann es noch immer nicht glauben, ich werde gleich die mächtigsten Geschöpfe dieser Welt treffen!", rief Karlmax freudig aus.
"Die hast du schon getroffen, Menschlein. Gleich siehst du nur den Rest von ihnen.", erwiderte Kalessan.
"Setzt du dich jetzt also schon auf eine Stufe mit Smahug?", fragte Morkulebus.
"Nein – ich stelle mich über ihn. Ohne seine Magie ist er schließlich nur ein desillusioniertes Häufchen Elend, du hast ihn doch gesehen. Er hat sich die ganze Zeit immer an seine Magie geklammert, seine gesamte Macht, sein Eigen, sein Schatzzz. Smahug benutzte die Magie, um sich sein gesamtes Leben zu vereinfachen. Ich würde mal gerne wissen, ob er ohne seine Magie überhaupt noch Jagen gehen und überleben könnte. Und dann sein ständiger Kontakt zu den Menschen!", schnaubte Kalessan verächtlich, "Er hat es schon immer gebraucht, seinen ach so reichen Wissensfundus diesen Wichten mitzuteilen und so seine ach so ‚überlegene‘ Intelligenz zum Ausdruck zu bringen. Ich sage dir, der ständige Kontakt zu den Menschen hat ihn verweichlicht, ihn von dem abgewandt, was ein Drache eigentlich sein sollte…hörst du mir eigentlich zu, Morki?"
"Nein."
"Dann lass uns rein gehen!"
Als die beiden Drachen sich in dem Raum umsahen, konnten sie nur Adorelon entdecken, der am Tresen auf sie wartete – von den anderen war keine Spur zu sehen. Der Schankraum war anscheinend noch ziemlich leer, er würde sich jedoch aufgrund der fortgeschrittenen Tageszeit wahrscheinlich schon bald mit Besuchern füllen.
"Wo sind die anderen?", fragte Kalessan.
"Nachdem sie ein paar Minuten lang mit sich alleine waren, haben sie allesamt einen extremen Stimmungseinbruch bekommen und hocken nun auf ihren Zimmern herum. Smahug ist da noch am schlimmsten – mit dem kann man kaum mehr reden! Ich sehe die Sache nicht so wild, dass wird schon alles werden…", antwortete Adorelon.
"Entschuldigt!", meldete sich Karlmax zu Wort, "Seid ihr auch ein Drache?"
Adorelon sah ihn schief an.
"Wo habt ihr denn den aufgetrieben? Im Gefängnis? Bei dem Bart hat der doch sicher 50 Jahre gesessen!"
"Bart?", erkundigte sich Morkulebus.
"Das haarige Ding da im Gesicht."
"Oh! Nein, der arbeitet für Saurudalf und sagte er könne uns zu dessen Versteck führen. Ich hoffe für dich, dass das auch stimmt, Kleiner! Wie dem auch sei, würdest du bitte so freundlich sein und die anderen holen, damit wir weitermachen können, Adorelon?", sagte Kalessan.
"Nein, ich denke wir sollten diese Nacht noch hier verbringen – die Dunkelheit bricht gerade herein, da wären wir auf der Straße zu auffällig. Außerdem sind mir die anderen noch nicht bereit dazu, wir sollten sie eine Nacht lang ausruhen lassen, dann geht es ihnen bestimmt besser.", erwiderte Adorelon.
"Weißt du was? Es ist mir egal, was du denkst – ich möchte aus diesem Körper heraus!"
"Smahug ist nicht in der Verfassung dazu, Befehle zu erteilen, deswegen muss jemand anders diesen Posten übernehmen."
Kalessan starrte ihn hasserfüllt an.
"Und du bist natürlich geradezu prädestiniert dafür, nicht wahr? Was nimmst du dir eigentlich das Recht heraus, hier den großen Anführer spielen zu dürfen?"
"Ich bin nach Smahug immerhin der Älteste vor dir, Kalessan!"
"Oh ja, um gigantische 134 Jahre Unterschied, oh Ältester und damit natürlich auch Weisester unserer Rasse!", giftete ihn Kalessan an.
"So verlangt es die Tradition – wenn es dir nicht passt, kannst du nachher gerne bei Smahug Beschwerde einreichen!"
Kalessan starre ihn weiterhin wütend an, drehte sich nach einigen Sekunden um und wollte die Treppe hochstürmen, prallte dabei jedoch mit Karlmax zusammen, der immer noch hinter ihm stand.
"Verzeiht, oh Drache, aber ich hätte da noch einige Fragen an euch…", sagte dieser, wurde aber gleich von Kalessan unterbrochen: "Und du, Kleiner, du hörst mir jetzt mal genau zu! Ich kann Menschen generell schon nicht ausstehen. Menschen, die mich nerven, sind noch viel schlimmer dran – weißt du, was ich mit allen Menschen, die mich jemals nervten, gemacht habe?"
"Ähm…nein?"
"Die meisten habe ich bei lebendigem Leibe verschlungen, den Rest auf andere Art und Weise getötet. Doch ich kann dir versichern: Es war immer qualvoll und langsam. Was ich dir damit sagen will, ist folgendes: Wenn du mir noch einmal, nur noch ein einziges Mal auf die Nerven gehst, wird dein Schicksal nicht sehr anders aussehen. Und es ist mir egal, was andere ach so autoritäre Drachen sagen – verstanden?"
Ohne ein weiteres Wort stürmte Kalessan die Treppe hoch und auf das für ihn gemietete Zimmer.
Karlmax sah ihm nur verwirrt nach. Dann sagte er: "Er kann Menschen nicht besonders gut leiden oder?"
Adorelon antwortete ihm: "Stimmt, um nicht zu sagen: Er verachtet euch alle aus tiefstem Herzen. Und er ist in dieser Beziehung sehr konsequent."
"Aber warum?"
"Warum? Nun, vielleicht weil ihr euch wie eine Seuche über die gesamte Welt ausbreitet, die Wälder abholzt, mit Dingen rumspielt, die ihr nicht versteht, nichts anderes zu tun habt, als Kriege zu führen und liebend gerne Drachen tötet!?"
"Oh…"
"Vielleicht kann er euch aber auch deswegen nicht leiden, weil es nicht besonders günstig ist, wenn man die Angewohnheit hat, sich andauernd mit seinem Hauptnahrungsmittel anzufreunden!?"
"Oh…"
"Hm, vielleicht aber auch deswegen, weil Menschen einst seine gesamte Familie und fast auch ihn selbst umbrachten?"
"Oh…bitte, was?"
"Da war er schon im heranwachsenden Alter und hatte seine große Liebe gefunden…ich weiß jetzt nicht mehr, wie sie hieß. Auf jeden Fall kamen die Drachentöter in die Höhle, als Kalessan gerade weg war und seine Angebetete schlief. Die Menschen brachten sie um und zerstörten danach die Eier. Kalessan fand sie gerade, als sie sich an seinem Hort gütlich taten. Er ist vollkommen ausgerastet. Hat sie alle an Bäume gefesselt und dann jeden Einzelnen vor den Augen der anderen fünf Tage lang gefoltert…so erzählt man sich. Damals nannte man ihn auch noch Stormblazer – frag mich bitte nicht, warum!"
"Oh…das tut mir leid für ihn!"
"Sag es ihm doch, er interpretiert das wahrscheinlich nur als ’nerven‘ und macht seine Drohung wahr…wie gesagt, er ist sehr konsequent."
Zwei Stunden später hielt sich nahezu die halbe Stadt im Schankraum des "Rumstehenden Esels" auf. Die anderen Drachen waren nun auch alle aus ihren Zimmern gekrochen, mischten sich unter die Menschen und versuchten, sich die Zeit zu vertreiben.
Karlmax saß zusammen mit dem immer noch traurig dreinblickenden Smahug am Tresen und trank ein alkoholhaltiges Getränk nach dem anderen, wobei er dem Drachen einige seiner äußerst interessanten Theorien erläuterte:
"Also, passu auf! Da isch die Bu…die Bur…die Burschwasie oder so, dassin die Leute, die die ganze Knede ham. Un dann isch da dasch Pro…dasch Prole…Proledingschbumsch un…undie ham alle keine Knede. Verstehschtu? Und irjenwann, wenn die Pro…die Prole…diese armen Schweinsens die Schnause voll ham, dann kommendie so an un machen die jesamde Burschwodingsch feddisch…verschtehst?"
Er hatte in Smahug einen geduldigen, jedoch teilnahmslosen Zuhörer…
In zwei verschiedenen Ecken des Schankraumes saßen Adorelon und Kalessan, jeder zusammen mit je einer menschlichen Frau. Während Adorelon seine Schwäche für menschliche Frauen zeigte und eher offen mit seinem Mädchen plauderte und auch ein wenig flirtete, sagte Kalessan zu seiner Frau nur Dinge wie "Oh wie gerne würde ich jetzt mit dir in eine dunkle Gasse gehen und dich vernaschen!", worauf diese nur dämlich kichern konnte, unwissend darüber, dass ihr Gegenüber das Gesagte vollkommen wörtlich meinte.
Neidhöcker saß an einem Tisch, an dem gerade ein Wettkampf im Armdrücken lief und wo er durch seine außergewöhnlichen Kräfte schon bald als Champion des Abends galt und die Wetten für ihn mit einer Gewinnspanne von 1:1.0001 liefen.
Droca sah sich schon bald von einer großen Horde Menschen umzingelt, die alle wollten, dass er ihnen seinen Namen auf ihre mitgebrachten Papierfetzen, Bilder, Taschen oder Körper schrieb.
Ganz anderen Problemen gegenüber sahen sich die "Frauen" des Rates. Während Tjamat zwar immer wieder von menschlichen Männern aufgrund ihrer Schönheit angesprochen wurde, war nach dem ersten Wortwechsel sofort Schluss mit dem Flirten – die meisten Männer liefen würgend und mit der Hand vorm Mund hinaus.
Schneeweißchen wurde jedoch penetranterweise von einem Menschen traktiert, der andauernd versuchte, mit ihr ein Gespräch anzufangen. Nun sei erwähnt, dass Schneeweißchen zwar die menschliche Sprache beherrschte, sie aber nie anwendete. In den kalten Nordlanden, aus denen sie kam, war es fast nie nötig, Menschlich zu sprechen. Die Menschen die sie dort traf, waren entweder tiefgefroren oder wollten sie töten – beides keine gute Grundlage, um eine gepflegte Konversation zu betreiben… Mal ganz davon abgesehen, dass Schneeweißchen viel zu stolz war, diese "niedere" Sprache zu sprechen.
Irgendwann setzte sich dieser Mensch jedenfalls neben sie und begann, sie damit zuzusülzen, wie "bezaubernd" sie doch sei, wie "atemberaubend" ihre Schönheit und wie "grazil" ihre Gesichtszüge, dass er noch nie so eine "elfengleiche, perfekte" Frau gesehen habe und wie gerne er sie doch kennen lernen würde. Ihr Schweigen interpretierte er als angeborene Stummheit und ihre Geduld als offenes Interesse für ihn. Nach einiger Zeit riss jedoch selbst Schneeweißchens draconischer Geduldsfaden. Sie nahm Hans und schleuderte ihn ohne große Anstrengung durch die halbe Taverne an die gegenüberliegende Wand. Seine Reaktion darauf war nur: "Eine wunderschöne Frau, die auch noch stark wie ein Bär ist…genau mein Fall!"
Keine solchen Probleme hatte Glaureng. Sein Gestank manifestierte sich bereits als grünliche Wolke, die über seinem Tisch schwebte und jeden, der nicht selbstmordgefährdet war, auf großem Abstand hielt.
Bleiben noch Morkulebus und Vasdendas. Die beiden befanden sich gerade in einer Konversation. Morkulebus sagte: "Ich kenne dich jetzt schon seit 1348 Jahren und verstehe immer noch nicht, warum du dir als Drache eine pazifistisch-vegetarische Grundhaltung zugelegt hast. Ich könnte mich keine zwei Tage nur von Pflanzen und Wurzeln ernähren!"
"Weißt du was? Ich verstehe euch alle nicht, wie ihr all diese Geschöpfe der Natur so sinnlos und brutal abschlachten könnt, um dann ihre Eingeweide raus zu reißen und diese dann noch zu essen! Das ist doch widerlich, abartig!"
"Ich find’s eher…lecker! Komm schon, du hast es doch noch nie ausprobiert!"
"Werde ich auch nie. Stell dir nur mal vor: Du bist ein Mensch, der sagen wir 30 Jahre lang glücklich und zufrieden vor sich hin lebt, was für ihn ja schon eine recht lange Zeit ist. Eines Tages geht er dann vielleicht nichts Böses wollend in den Wald, um Blümchen zu pflücken oder sich an Mutter Natur zu erfreuen und auf einmal kommt dann so ein daher geflogener schwarzer Drache an und beendet sein Leben mit einem Handstreich. Wie würdest du es finden, wenn dir jetzt jemand einfach so dein Lebenslicht ausblasen würde und du nichts dagegen tun könntest?"
"So ist der Lauf der Dinge! Doch lassen wir das, hier kommen wir eh zu keinem Ergebnis…was mich viel mehr interessiert, ist, wie du bis zum heutigen Tag überleben konntest, ohne irgendeinem Lebewesen Schaden zuzufügen. Die Drachentöter werden dich kaum verschont haben, nur weil alle wissen, wie friedlich und unbeschwert du vor dich hin lebst…"
"Ich habe mich magisch schon sehr früh selbst ausbilden lassen. Ich habe es sogar geschafft, meine Höhle so zu tarnen, dass nur ein Minimum an Drachentötern sie je gefunden hat und eindringen konnte!"
"Und was hast du mit denen gemacht?", fragte Morkulebus.
"Nun, zuerst habe ich sie immer freundlich zum Essen eingeladen…"
"Hat es denn geklappt?"
"Nun…nein, sie haben meine Einladung immer missverstanden."
"Und was hast du stattdessen gemacht?"
"Dann bin ich immer schnell geflohen und habe mir eine neue Höhle gesucht…", antwortete Vasdendas mit gesenktem Haupt.
Morkulebus schüttelte nur noch den Kopf.
Diese Diskussion und die anderen Aktivitäten der Drachen zogen sich jedenfalls noch den gesamten Abend hin, bis der Rat nach und nach beschloss, zu Bett zu gehen.
Als Kalessan am nächsten Morgen aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt. Er lag auf seinem Rücken und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seinen flachen und mit weicher, fleischfarbener Haut bedeckten Bauch, auf dem die Bettdecke unordentlich ausgebreitet war. Seine wenigen, im Vergleich zu seinem eigentlichen Körper kläglich dünnen Beine und Arme flimmerten ihm hilflos vor den Augen.
Kalessan schrie.
Er war jedoch ein wenig enttäuscht, als sich seiner Kehle nur lächerliche 60 Dezibel entrangen.
Wenige Sekunden später kamen die anderen Ratsmitglieder in den Raum hinein gestürmt, Smahug an der Spitze.
Er rief: "Was? Was ist los? Was ist passiert?"
Die anderen schauten nur hinter Smahugs Rücken hervor und Kalessan neugierig an.
"Ich..ähm…ach nichts, ich dachte beim Aufwachen, ich hätte alles nur geträumt – aber wie du siehst, hat sich relativ wenig verändert… Wenigstens scheinst du wieder bei Verstand zu sein!"
Smahug runzelte: "War ich das etwa irgendwann nicht?"
"Vor wenigen Stunden das letzte Mal."
"Oh…daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern…", antwortete er mit auf einmal seltsam verträumter Stimme.
"Sag mal, Smahug, geht es dir irgendwie…nicht gut? Hat dich der Schock vielleicht doch schwerer getroffen?"
Wieder mit verträumter Stimme und abwesendem Blick, antwortete er: "Welcher Schock?"
"Deine Magie – deine verlorene Magie. Du hast gestern den ganzen Abend über den Verlust deiner ach so kostbaren draconischen Magie getrauert!"
Smahug schien irgendwie müde. Mit entsprechender Stimme antwortete er: "Magie…? Draconisch…? Was meinst du mit ‚draconisch‘?"
Kalessan runzelte die Stirn.
Dann fragte er: "Welcher Spezies gehörst du an, Smahug?"
"Ich…ich weiß nicht. Ich meine zu wissen, ein Mensch zu sein…doch…doch war da nicht noch was anderes?"
"Na toll, jetzt ist er völlig durchgeknallt!", spie Kalessan aus, "Na, was sagst du dazu, Adorelon, oh der du unser neuer Anführer bist?"
Dieser sah jedoch keine Spur besser aus als Smahug. Mit gleicher, abwesender Stimme antwortete er: "Ja, Mama!"
Als Kalessan sich die anderen Drachen betrachtete, sah er überall den langsam völlig verträumt werdenden Gesichtsausdruck – von der Neugierde, die vor ein paar Sekunden noch in die Gesichter seiner Kollegen geschrieben stand, war nun nichts mehr zu erkennen. Jetzt hatten sie eine Mimik, die man eigentlich nur bekommt, wenn man sehr viel verbotenes Zeug geraucht hat.
"SEID IHR DENN JETZT ALLE WAHNSINNIG GEWORDEN?", schrie Kalessan, sprang aus dem Bett, nahm Smahug und presste ihn gegen die Wand.
"Was bist du?"
"Ich…bin ein Mensch, genau wie d…"
Kalessan schüttelte ihn.
"Falsche Antwort!"
Da kam ihm eine Idee. Er zog ein Goldstück aus Smahugs Robe.
"Erinnerst du dich an das hier? Du hattest mal Tonnen davon, so viel, dass du darin baden konntest! Du hättest diese ganze verdammte Stadt kaufen können und wärest noch immer der Reichste von uns gewesen!"
Dazu bewegte er das Goldstück vor Smahugs Nase hin und her. Dessen Blick klärte sich langsam auf. Schließlich sagte Smahug "Ich…erinnere…mich…" und lächelte ihn an. Dann wurde er sich seiner Situation schlagartig wieder bewusst. Er vergrub seine Hände im Gesicht und heulte: "Und ich kann nie mehr zurück zu meinem schönen Schatz! Und…UND ZU MEINER MAGIE!"
"Oh nein…jetzt fang bitte nicht wieder damit an!", sagte Kalessan – ohne Erfolg.
Die anderen Drachen standen nur im Raum herum und starrten sie verständnislos-verträumt an.
"Was glotzt ihr alle so? Jetzt bringt dieses Weichei hier raus und lasst mich alleine…ich muss nachdenken!"
Wenigstens konnten sie noch seine Befehle ausführen – und taten es sogar. Doch was brachte es, wenn man eine Horde von Idioten als Untertanen hatte? Als die Drachen aus dem Raum verschwunden waren, erschien Karlmax in der Tür.
Kalessan sagte finster: "Was zur Hölle ist hier eigentlich los?"
Der Magier antwortete: "Nun, es fing an, kurz nachdem ihr auf euer Zimmer gegangen seid. Die anderen blieben noch ein bisschen unten, doch als ich mich mit ihnen unterhielt, wurden sie immer abwesender. Sie vergessen, wer sie sind…oder besse – was sie sind. Und es wird immer schlimmer."
"Aber warum? Einige von ihnen sind früher schon tagelang in ihrer menschlichen Form gewesen…Adorelon sogar ein paar Jahre, als er die Beziehung zu dieser Bauerntochter hatte…"
"Nun, ich habe mir in der Nacht Gedanken darüber gemacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass das physische Erscheinungsbild in dem sie sich momentan befinden, sich ihres Geistes bemächtigt und…ach verdammt, ich hatte doch so einen Merksatz dafür. Ah, genau, passt auf, ich habe ihn: ‚Das Schwein bestimmt das Bewusstsein…‘ Moment…nein…nein, das war es nicht…"
Er sah auf.
Kalessans Blick, mit dem dieser zurück starrte, sagte: "Du wirst das jetzt noch einmal so wiederholen, dass ich es auch verstehe, ansonsten passiert etwas sehr, sehr schlimmes!"
"Nun, ähm…ihr müsst verstehen: Eure Magie ist eure Essenz. Die Magie ist das, was euch als Drachen kennzeichnet, wenn ihr euch in euren menschlichen Körpern befindet. Jetzt, wo euch eure Magie fehlt, unterscheidet ihr euch nicht von anderen Menschen. Deswegen beginnt ihr, welche zu werden…", er stockte und begann nachzugrübeln, "Hm…oder war es ‚Das Bein bestimmt das Bewusstsein‘?"
"Wenn die anderen langsam zu Menschen werden – was ist dann mit mir? Ich weiß, dass ich ein Drache war…bin."
"Ich bin mir nicht sicher, aber ich denke es liegt daran, dass ihr meine Spezies noch nie…so gut leiden konntet. Deswegen weigert sich euer Verstand hartnäckig, den Glauben anzunehmen, ihr wäret der von euch selbst erwählte größte Feind…(hmmm, ‚Die Pein…‘?)…ähm…aber ich bin auch fest davon überzeugt, dass ihr euch der Verwandlung nicht sehr viel länger entziehen könnt…(‚Der Leim…‘?)"
"Und wieviel Zeit habe ich noch?"
"Ich weiß es nicht. Vielleicht noch ein paar Stunden…(‚Der Hain…‘?)"
"Oh verdammt! Also gut, du weißt wo Saurudalfs Versteck ist. Wie schnell kannst du uns dort hinführen?"
Karlmax‘ antwortete abwesend: "Jaja…(‚Herr Klein…‘?)"
Kalessan nahm ihn an der Kehle und hob ihn auf eine Höhe mit seinen Augen.
"Hör mal zu: Du wirst jetzt aufhören über diesen dämlichen Merksatz nachzudenken. Du wirst mich und meine Kollegen jetzt zu Saurudalfs Versteck führen. Du hast eine Stunde Zeit. Ansonsten wird die letzte Handlung meiner draconischen Existenz noch einmal meine Lieblingsbeschäftigung sein – das Ausblasen von menschlichen Lebenslichtern auf extrem brutale und unangenehme Art und Weise."
Karlmax wand sich in Kalessans stählernem Griff und röchelte.
Kalessan ließ ihn fallen, beugte sich über ihn und fragte fröhlich: "Na, kann’s losgehen?"
Karlmax führte den Rat zum Eingang der Kanalisation von Neudorf.
Es hatte sich als nötige Maßnahme erwiesen, die neun abwesenden Drachen mit dem Menschen zusammen zu ketten, weil sie ansonsten von alleine keinen Schritt mehr getan hätten – ihr Bewusstsein schaltete doch schneller ab, als erwartet…
"Meine Freunde hier werden aufpassen, dass du mir nicht einfach wegrennst!", hatte Kalessan zu Karlmax gesagt.
Der gesamte Rat bildete also jetzt eine kleine Kolonne aus vor sich hin träumenden Menschen in farbigen Gewändern, die von einem grimmigen Hünen in roter Robe begleitet und von einem kleinen, bärtigen Mann geführt wurde.
"Woher weißt du eigentlich von Saurudalfs geheimen Versteck? So geheim scheint es ja nicht zu sein, wenn du davon weißt…"
Karlmax ignorierte den sarkastischen Unterton Kalessans: "Ich habe einmal heimlich in Saurudalfs Aufzeichnungen gestöbert. Da bin ich auf eine Wegbeschreibung zu seinem Versteck in der Kanalisation gestoßen."
"Das ist ja schön für dich!", antwortete Kalessan, "Mit jedem Satz, den du sagst, verschwendest du weitere wertvolle Zeit deines kurzen Lebens. Wenn ich dir also einen gut gemeinten Vorschlag machen darf: Geh weiter!"
"Ich gehe doch weiter!"
"Willst du mich nerven?"
Karlmax hob die Hände in einer abwehrenden Geste und wollte gerade die Kanalisation betreten, als er mit einem jungen Mann zusammen prallte, der diese gerade verließ. Der Mann schaute die seltsame Gruppe verwirrt an und sagte: "Also Sally hat schon zugemacht. An eurer Stelle würde ich es heute Abend noch einmal versuchen. Oder wollt ihr woanders hin? Achso, zum Sklavenhändler?"
Karlmax antwortete: "Ähm, nein, wir wollen nicht zu Sally – und auch nicht zum Sklavenhändler, wir haben…ähm, woanders einen Termin."
Der Mann zuckte nur mit den Schultern und ging weiter seines Weges.
Kalessan fragte Karlmax auf ihrem Weg in die Kanalisation: "Wer ist Sally? Und was zur Hölle hat sie in der Kanalisation zu suchen?"
"Nun…Sally ist Inhaberin eines…Geschäftes…"
"Ein Geschäft in der Kanalisation? Was verkauft sie denn da unten? Scheiße?"
"Nein, sie verkauft…gewisse Dienstleistungen…"
Kalessan zog nur die Augenbraue hoch.
"Man kann zu ihr gehen…und gegen ein gewisses Entgelt kann man mit einer Frau…zusammen sein…"
"Und das geht nur in der Kanalisation?"
"Naja, Sallys Aktivitäten werden nicht von allen als…völlig legal betrachtet…"
Zu Karlmax‘ Erleichterung hakte Kalessan nicht weiter nach, sondern schüttelte nur den Kopf.
Auf ihrem Weg durch die Kanalisation bemerkte der Drache, dass überall an den Wänden Fackeln hingen. Wozu sollte jemand in einer Kanalisation Fackeln aufhängen lassen? Und warum kamen ihnen immer wieder Menschen auf dem Weg in die Kanalisation entgegen?
Karlmax sagte: "So, jetzt kommen wir in den Haupttunnel!"
Sie bogen um eine Ecke – und fanden sich auf einer Art Straße wieder. Erneut hingen hier überall Fackeln an den Wänden. Mehrere Menschen liefen auf den breiten Randsteinen neben dem stinkendem Hauptstrom der Kanalisation entlang und bogen ab und zu in finstere Seitengassen ein. Als Kalessan einen Blick in einen der Seitentunnel warf, sah er am Ende eine Tür, über der ein hölzernes Schild hing, auf dem ein großes Messer abgebildet war. In einem anderen Tunnel war eine Tür mit einem Schild, auf dem ein brennendes Pentagramm aufgemalt war. Wieder in einem anderen Tunnel hing ein Schild auf dem eine vermummte Gestalt zu sehen war.
Nachdem sie diesen Tunnel passiert hatten, kam ihnen genau eine solche Person entgegen. Als Kalessan sie passierte, rempelte diese ihn kurz an, entschuldigte sich und ging hastig weiter. Kalessan befühlte seine Taschen und war eher weniger überrascht, als er sie leer vorfand.
Er drehte sich um und sah die vermummte Gestalt noch schnell in den dazu passenden Seitentunnel einbiegen. Kalessan rannte dem Menschen in den Tunnel hinterher und kam vor der Holztür mit dem "Vermummter Mann"-Schild zu stehen.
Er klopfte an, worauf sich der obligatorische Schlitz, durch den zwei finstere Augenpaare starrten, öffnete.
"Ja?", hieß es barsch.
"Einer von euren kleinen, dreckigen Dieben hat mich eben beraubt. Er wird eine Menge Leben retten, wenn er mir jetzt gibt, was mir zusteht."
Die finsteren Augen wurden noch finsterer. Dann ging der Schlitz zu. Von innen hörte man die Stimme des Pförtners rufen: "Jimmy, hast du eben einen zwei Meter großen Typen, mit ’ner komischen roten Robe ausgeraubt?…Du hast da mal wieder was vergessen!"
Der Schlitz öffnete sich wieder: "Es tut uns leid, er ist noch jung und relativ unerfahren. Hier, bitte!"
Eine Karte wurde durch den Schlitz gesteckt. Kalessan nahm sie entgegen. Der Schlitz ging zu. Auf der Karte stand: "Ihr wurdet von Jimmy dem Fuß ausgeraubt, offizielles Mitglied der Diebesgilde, Neudorf, HbmG. Wir danken für eure Kooperation und wünschen euch noch einen angenehmen weiteren Aufenthalt in der Neudorfer Kanalisation!"
Kalessan zerknüllte die Karte wütend mit einer Hand.
"So, das reicht…jetzt gibt es Tote!"
Er ballte seine Hand zur Faust und schlug mit aller Kraft gegen die Holztür. Der erwartete Effekt explodierenden Holzes blieb jedoch aus. Stattdessen explodierte der Schmerz in seiner Hand.
Kalessan wimmerte.
Hinter der Tür ertönte die Stimme des Pförtners: "Wir haben jetzt geschlossen, kommt morgen wieder!"
Kalessan betrachtete ungläubig seine schmerzende Hand – es hatte also begonnen.
Er rannte los.
Am anderen Ende des Tunnels stand Karlmax mit den träumenden Drachen.
"Was…was ist denn los mit euch?"
"Halt die Klappe und führe mich zu Saurudalfs Versteck. Keine Umwege, kein Verlaufen, keine ‚Abkürzungen‘, verstanden?".
Karlmax sah ihn an – direkt in seine Augen. Und was er entdeckte, gefiel ihm überhaupt nicht – er sah Panik.
Obwohl Karlmax nicht der Schnellste war und die neun Drachen hinter ihm die Fortbewegung enorm erschwerten, schafften sie es binnen weniger Minuten durch einige Seitenkanäle in einen kleinen Tunnel, der an einer Gargoyle-Statue endete.
"Und jetzt? Ich tippe auf das alte ‚Schalter finden und drücken‘-Spiel.", sagte Kalessan ungeduldig, aber mit einer gehörigen Portion Galgenhumor.
"Nicht ganz…laut Saurudalfs Aufzeichnungen müsste uns jetzt ein Rätsel gestellt werden. Leider weiß ich nicht genau, wie es lautet."
"Ein Rätsel? Warum wird nicht nach irgendeinem Passwort oder so gefragt? Das wäre doch viel sicherer!"
"Nunja, Saurudalf ist recht vergesslich, besonders was Passwörter betrifft. Aber er ist gut im Rätseln. Deswegen hat er diesen Gargoyle verzaubert, ein Rätsel aufzugeben. So hat er zumindest eine Eselsbrücke für sein Passwort…"
Kalessan zog eine Augenbraue hoch, zuckte dann aber nur mit den Schultern und ging auf die Statue zu. Die Augen des Gargoyles begannen auf klassische Art und Weise rot zu glühen. Dann sprach er:
"Halt, wer hier vorbei möchte, muss erst das schwierigste Rätsel lösen, welches da je erfunden worden ist, ansonsten…"
"Ansonsten was?", fragte Kalessan herausfordernd.
"Ansonsten wird er ein schreckliches Schicksal erleiden!"
"Das da wäre…"
"Er muss eine Stunde warten, bis er noch einen Versuch bekommt!"
"Bitte…was? Keine tödlichen Strafen? Keine alles zu Asche verbrennenden Feuerbälle? Keine rasiermesserscharfen, plötzlich aus der Wand schießenden Klingen? Keine sich langsam zusammen bewegenden Wände, die ihre Opfer langsam und qualvoll zerquetschen?"
"Nein! Mein Meister würde sich doch nicht absichtlich in Gefahr bringen. Außerdem wäre es doch ziemlich lästig, die Sauerei hinterher hier immer aufräumen zu müssen, nicht wahr?", antwortete der Gargoyle fröhlich.
"Oh…wie langweilig!", entgegnete Kalessan offensichtlich enttäuscht, "Nun gut, dann stell dein ach so schweres Rätsel!"
"Nun gut. Aber seid vorbereitet auf das schwierigste und gewiefteste Rätsel aller Zeiten, eine Kopfnuss, die nur die Allerwenigsten der Allerwenigsten knacken konnten, eine Aufgabe, die nur die Schlauesten der Schlauesten der…"
Der Gargoyle bemerkte nun Kalessans patentierten Todesblick, welcher anscheinend auch bei ihm hervorragend funktionierte…
"Ähm, ja…Verzeihung. Hier nun das Rätsel: Am Morgen geht es auf vier Bei…"
"Der Mensch!", sagte Kalessan.
"Hey, das ist gemein. Ihr kanntet das Rätsel schon!"
"Oh, ich bitte dich – das ist das älteste, dümmste und vor allem populärste Rätsel der Geschichte."
"Aber bis jetzt hat es noch keiner gelöst!"
"Nun…wie viele waren vor uns denn schon hier außer deinem Meister?"
Der Gargoyle sah sie nachdenklich an, zuckte dann mit steinernen Schultern und schob sich mitsamt der Wand, in der er befestigt war, beiseite und gab den Weg frei.
Karlmax sagte: "Ich kannte das Rätsel noch nicht!"
"Du bist ja auch kein Drache. Weiter!"
Kalessan, Karlmax und die neun halbnarkotisierten Drachen gingen durch die Tür hindurch. Dahinter befand sich ein Raum, der eher spärlich ausgestattet war: Je zwei Holzbänke standen an den beiden Seitenwänden und in der Mitte des Raumes war ein Tisch, auf dem einige Schriftrollen lagen.
Karlmax sagte: "Das hier muss der Empfangsraum sein!"
"Wozu braucht ein machtgieriger Magier in seinem geheimen Labor unter der Erde einen Empfangsraum?"
"Hoher Besuch, Freunde, Sponsoren…"
Kalessan nahm sich eine der Schriftrollen. Sie war mit dem Schriftzug "Mord ist Sport, Ausgabe 4/01" betitelt.
Die Tür hinter ihnen ging wieder zu. Aus der gleichen Richtung ertönte eine Stimme: "Guten Tag!"
Die beiden drehten sich ruckartig um. Hinter ihnen stand ein ihnen sehr bekannter Mann, der einmal mehr zwei Armbrüste auf sie richtete.
"Ivel!?", riefen sie gleichzeitig (Kalessan und Karlmax, nicht die Armbrüste).
"Nein, ich bin Esöb, der Zwillingsbruder von Ivel, den ihr so hinterhältig ermordet habt. Dafür werdet ihr mir bezahlen!"
"Wir haben gar kein Geld dabei, das wurde uns gestohlen!", antwortete Karlmax schnell, "Außerdem haben wir ihn nicht umgebracht!"
"Du hörst besser auf, mich für dumm zu verkaufen!"
"Er hat Recht, wir haben ihn nicht umgebracht. Nicht direkt zumindest.", warf Kalessan ein.
"Wenn ihr es nicht wart, wer dann?"
"Ich könnte euch jetzt die Wahrheit erzählen und sagen, dass Ivel von einer Münze getötet wurde, die mehrere hundert Meter weit fiel, eine irrsinnige Geschwindigkeit entwickelte und seinen Kopf durchbohrte. Würdet ihr mir glauben?"
"Das geschah vor der Magierakademie?"
"Ja."
"Oh diese verdammten Studenten! Eines Tages verpasse ich denen für ihre dummen Streiche eine Tracht Prügel, die sich gewaschen hat! Wie dem auch sei, ich danke euch für eure Hilfe. Jetzt muss ich euch aber leider bitten, mit mir mitzukommen – wir haben euch bereits erwartet."
Er deutete höflich auf die Tür am anderen Ende des Raumes.
Angesichts der Armbrüste blieb den beiden wohl keine Wahl. Sie setzten sich in Bewegung, öffneten die Tür und liefen den dahinter liegenden Gang hinunter. Esöb ging direkt hinter ihnen, stieß aber immer wieder mit dem geistlosen Smahug zusammen, der noch hinter Karlmax hing – und das brachte ihn langsam aus der Fassung: "Müssen diese neun Zombies denn unbedingt hinter dir herlaufen? Öffne die Tür!"
Karlmax tat wie ihm geheißen und öffnete die Tür neben ihm. Dahinter lag ein leerer, kleiner Raum.
"Binde sie ab und führe sie da hinein!"
Nachdem Karlmax auch das ausgeführt hatte, erkundigte sich Esöb: "Und sie können sich nicht aus freiem Willen weiterbewegen?"
"Anscheinend nicht, nein."
"Gut. Weiter!"
Einmal mehr markierte eine dieser langweiligen Holztüren das Ende des Ganges.
"Da durch!"
Hinter dieser letzten Tür wartete eine echte Überraschung auf Kalessan und Karlmax: Es handelte sich hierbei nicht um einen weiteren, kleinen, leeren Raum, sondern um eine Halle von relativ beachtlichen Ausmaßen. Überall standen Tische herum, auf denen, wie es sich für ein ordentliches Magierlabor gehört, verschiedenste Gerätschaften und vor allem Dutzende Reagenzgläser standen, die mit allerlei Flüssigkeiten gefüllt waren, deren Farbspektrum es einmal mehr schon fast mit dem der Drachen aufnehmen konnte.
An einem der Tische und neben einem großen Eisenkäfig stand mit dem Rücken zu ihnen Saurudalf. Vor ihm war das Prettschett positioniert. Saurudalf fluchte: "Verdammt!"
Kalessan antwortete: "Ihr wisst nicht, wie man es bedient, hm? Lasst mich raten: Es liegt an diesen komplizierten ausländischen Anleitungen, die kein Normalsterblicher verstehen kann, nicht wahr? Achso, ihr habt es ja selbst gebaut…ich vergaß…"
Saurudalf drehte sich um.
"IHR! Ich…äh…ich habe euch schon erwartet! Besonders…MEIN SEKRETÄR? Was zur Hölle willst du hier, Karlmax? Und wo ist der Rest von dem Drachengesocks?"
"Die habt ihr mit euren Mätzchen in den Wahnsinn getrieben, sodass sie jetzt glauben, sie wären Menschen. So etwas finde ich sehr unschön von euch… Ich dachte, ihr wolltet aus dieser Stadt einen lebenswerten Ort machen!", antwortete Karlmax – seine Naivität war doch wirklich zu niedlich.
"Die anderen habe ich in eine unserer Zellen gesperrt – wie er sagt, sie waren völlig geistlos…", sagte Esöb.
"Hm…interessant! Sagt mir, um noch einmal auf den Beginn unseres Gespräches zurück zu kommen, Drache, was meintet ihr damit, dass ich nicht wüsste, wie man das Prettschett bedient?"
"Wir haben euch doch gesagt, dass sich unsere Magie von der euren unterscheidet. Das Ding da hat keinerlei Nutzen für euch, solange ihr die Funktionsweise unserer Magie nicht versteht."
Saurudalf kniff die Augen zusammen und schenkte Kalessan den bösen Blick, was diesen natürlich wenig beeindruckte.
"Nun, ich lerne schnell. Ihr seid nicht zufällig bereit, es mir zu erzählen?"
Kalessan lächelte den Magier an.
"Nun gut, dann werde ich mich woanders erkundigen gehen."
"Da bin ich ja mal gespannt, wie ihr das anstellen wollt. Wenn nicht gerade Smahug wieder ein loses Mundwerk gehabt hat, dürfte dieses Geheimnis kaum in einer eurer billigen Schriften niedergeschrieben sein. Und bei dieser Angelegenheit bin ich mir ziemlich sicher, dass sogar er die Klappe halten kann." antwortete Kalessan.
Saurudalf lächelte den Drachen an.
"Er hat geredet, nicht wahr?", sagte Kalessan
"Ganz in der Nähe von Neudorf gibt es einen alten Tempel mit einer großen Bibliothek. Und rein zufällig gibt es meines Wissens nach in dieser Bibliothek auch ein Buch über "Die Geheimnisse der Drachenmagie" – verfasst mit Hilfe von Smahug, dem Weisen…"
Kalessan spitzte die Lippen und ging dann mit seinem Gesicht in eine wütend-enttäuschte Grimasse über. Er sah ungefähr so aus, als hätte ihm jemand eine Stunde lang ohne Unterbrechung ins Gesicht geschlagen.
"Ähm, Meister?", fragte Esöb.
"Ja?"
"Meint ihr den Tempel, der im Dunklen Sumpf im Norden liegt?"
"Ja!"
"Ich halte es für gefährlich, dort hinzureisen. Der Tempel ist im letzten Monat wieder einige Meter gesunken, habe ich gehört. Viele der örtlichen Mönche haben ihn schon verlassen, weil er jetzt jederzeit untergehen könnte…"
"Ach, Quatsch! So lange wird er ja wohl noch halten. Ich brauche höchstens zwei Tage bis dahin. Und für meine Studien benötige ich auch nicht viel Zeit. Doch bevor ich abreise, habe ich noch etwas zu erledigen…", sagte Saurudalf mit einem bösen Blick auf Kalessan und Karlmax.
An seinen Sekretär gewandt sagte er dann: "Zunächst einmal: Du bist gefeuert! Und dann habe ich mir für euch beide schon ein wundervolles Schicksal ausgedacht. Ich werde an euch beiden meine neueste und bösartigste Errungenschaft einweihen und euch in einen großen Bottich stecken, der bis zum Rand gefüllt ist mit kochender, brodelnder, alles auflösender…", er machte eine dramatische Pause, "ASCORBINSÄURE!"
"Ähm…Meister?"
"Ja, was ist?"
"Ähm, das mit dem Kochen und Brodeln und dem Alles-auflösen stimmt nicht so ganz…"
"Bitte…was?"
"Nun…es handelt sich nicht um eine aggressive Flüssigkeit, wie ihr vielleicht annehmt, sondern eher um…um…um…ein Pulver…"
"Ein Pulver…"
"Ein Pulver."
"Ich hatte dir doch aufgetragen, Säure für meine Folterkammer zu beschaffen!"
"Ja – und ihr hattet mir auch aufgetragen, möglichst die billigste Säure zu besorgen, die ich finden könnte. Und das war nunmal Ascorbinsäure."
"Kann man das Pulver vielleicht in Wasser lösen und so eine kochende, brodelnde und alles auflösende Säure schaffen?"
"Nein, das habe ich schon versucht."
Saurudalf schloss die Augen, presste die Zeigefinger an die Stirn, massierte sich die Schläfen und atmete ruhig ein und aus. Dann sagte er: "Nun gut…vielleicht ist es ja besser so.", er wandte sich an Kalessan, "Jetzt kann ich euch noch damit quälen, wie ich eure eigene Magie benutze, um euch langsam zu Tode zu foltern… Esöb, du wirst diese beiden hier in den Eisenkäfig sperren und sie so lange bewachen, bis ich wieder da bin – verstanden?"
"Ja, Herr."
"Diese Aufgabe ist auch wirklich nicht zu schwer für dich?"
"Nein, Herr."
"Du wirst dich auf diesen Stuhl setzen und diese beiden nicht aus den Augen lassen?"
"Ja, Herr. Nein, Herr."
"Gut."
Saurudalf drehte sich ohne ein weiteres Wort um und stürmte aus der Halle hinaus.
"Es war irgendwas mit ‚…ein‘ hinten dran…", sagte sich Karlmax.
Er saß nun schon seit ungefähr zwei Stunden zusammen mit Kalessan in dem Eisenkäfig und nutzte die Zeit, um sich über das Problem Gedanken zu machen, welches ihn schon seit einiger Zeit beschäftigte.
Kalessan saß ebenfalls in Gedanken versunken neben ihm.
"Wisst ihr vielleicht noch ein Wort mit ‚…ein‘ hinten dran?", wandte Karlmax sich an den verwandelten Drachen. Dieser saß jedoch nur da und starrte ins Leere.
"Ähm…Kalessan?", fragte Karlmax und streckte die Hand aus. Er zögerte kurz, in dem Bewusstsein, dass sein Vorhaben einem Selbstmord gleichkommen könnte – dann rüttelte er den Drachen an der Schulter. Nichts geschah.
"Kalessan? Hallo! Aufwachen! Oh, verdammt…"
Das war ein schlechtes Zeichen. Kalessan war unübersehbar geistig abwesend.
Karlmax suchte nun nach der Lösung von einem ganz anderen Problem. Er tastete seine Taschen nach Geld ab, doch seine Unterbezahlung machte sich in gefundenem finanziellem Nichts recht deutlich bemerkbar.
Er fragte den in der Nähe auf einem Stuhl sitzenden Esöb, der gerade in einer Schriftrolle las, die mit "Das Sally-Magazin" betitelt war: "Ähm habt ihr vielleicht kurz eine Münze oder ein Goldstück für mich? Ihr bekommt es auch gleich wieder."
Esöb sah kurz auf: "Ich soll dich wohl noch dafür bezahlen, dass du da drinnen sitzt? Vergiss es!"
Dann wandte er sich wieder seiner Schriftrolle zu. Auf einmal wurden seine Augen groß. Er drehte die Schriftrolle um 90 Grad. Seine Augen wurden noch größer. Esöb schaute wieder auf Karlmax und machte den Mund hastig auf und zu: "Ent…ent…oh…oooh….entschuldige mich, ich habe…oohhoohh…kurz was zu erledigen!"
Dann stand er schnell auf, rannte mit der Schriftrolle vor den Augen zunächst gegen eine geschlossene Tür, öffnete sie dann, ging hindurch und schloss sie wieder. Dann waren nur laute Oh..oohh…ohhohhhhoooohhhhs aus dem Raum dahinter zu hören.
Karlmax dachte weiter nach, wie er Kalessan aus seiner Lethargie reißen könnte. Da kam ihm eine weitere Idee.
Er ging zu Kalessan und öffnete dessen Mund und legte ein paar seiner Finger hinein.
"Na, schmeckt euch das?"
Keine Reaktion.
Zur Standardausstattung eines Bürgers, der in einer Stadt wie Neudorf wohnt, gehört immer ein Messer. Das ist so selbstverständlich, dass es nicht einmal von den örtlichen Bösewichten und Schurken bei Durchsuchungen abgenommen wird. Es gibt sogar ein Gesetz, das alle Bürger von Neudorf verpflichtet, immer ein Messer dabei zu haben. Wenn man jemandem sein persönliches Messer entwendet, droht dem Dieb darauf die Todesstrafe. Das reduzierte die Gerichtsverfahren wegen vorsätzlichem Mord ganz erheblich, da nun jeder Mörder auf "Verteidigung aus Notwehr" plädieren konnte.
Jedenfalls holte Karlmax sein ganz persönliches Messer aus dem Ärmel, zögerte kurz, biss dann die Zähne zusammen und schnitt sich in den Arm.
Dann ließ er das Blut in Kalessans geöffneten Mund laufen.
Zunächst gab es wieder keine Reaktion. Dann schloss sich Kalessans Mund plötzlich um die Wunde und begann zu saugen.
"AUA!", rief Karlmax, zog den Arm schnell weg und legte sich dann erschrocken die Hand auf den Mund, in der Annahme, Esöb könnte etwas gehört haben.
Kalessan starrte ihn zunächst an, als ob er ein saftiges Stück Fleisch wäre. Dann schaute er ihn völlig verwirrt an und schließlich betrachtete er ihn so, wie er ansonsten immer nur…Karlmax anstarrte. Sein Blick fiel auf dessen Schnittwunde.
Er runzelte die Stirn und schien erneut ins Leere zu starren. Als Karlmax schon dachte, seine schmerzhafte Aktion hätte doch keinen Erfolg gehabt, sagte Kalessan:
"Warum tust du das? Du hast mich vorher noch nie getroffen. Du weißt nicht mal mehr, ob ich die Wahrheit sage und wirklich ein Drache bin… Außerdem war ich nicht gerade nett zu dir – und dennoch machst du das alles hier mit, um mir zu helfen. Warum?"
Karlmax zuckte mit den Schultern: "Nun, sogar Saurudalf sagt, dass ihr ein Drache seid – warum sollte er sonst so etwas behaupten? Vielleicht helfe ich euch aber auch nur deswegen, weil ich schon immer einem Drachen begegnen wollte – weil ich schon immer mal auf einem Drachen reiten und die Welt von oben sehen wollte…ich bin wahrscheinlich nur wieder zu naiv…"
"Allerdings! Schon Pläne, wie wir hier herauskommen?"
"Nun…nein! Ich dachte vielleicht, dass ihr…"
"Kalessan! Karlmax!", rief eine Stimme von der Tür her, durch die sie den Raum betreten hatten. In ihr stand Smahug.
"Was macht ihr denn da drinnen?"
Kalessan antwortete: "Smahug! Geht es dir wieder besser?"
Der Drache kam näher an den Käfig heran: "Ging es mir denn je schlecht? Daran kann ich mich schon gar nicht mehr erinnern…"
Kalessan seufzte: "Nicht schon wieder…Smahug, sag mir: Was bist du?"
"Wie…was bin ich?"
"Welcher Spezies gehörst du an?"
"Ich bin natürlich ein Mensch! Was ist denn das für eine seltsame Frage?", antwortete Smahug fröhlich.
Kalessan senkte resigniert den Kopf und seufzte erneut – diesmal war sich Smahug anscheinend sicher. Dann schreckte er auf: "Karlmax, wo ist dieser Esöb hin?"
"Oh, der ist wahrscheinlich gerade auf der Toilette und schaut sich schmutzige Schriftrollen an…", antwortete dieser.
"Warum muss er dazu auf die Toilette? Warum geht er nicht in die Eingangshalle und nimmt eine der sauberen Schriftrollen?"
"Vergesst es! Smahug, könntet ihr bitte das Schlüsselbund dort nehmen und die Tür dort drüben abschließen? Das würde uns ein paar Probleme ersparen…", Karlmax zeigte auf die Schlüssel und die Tür.
"Was ist denn hinter…"
"Halt den Mund und tu es einfach! Wir wissen nicht, wann er wieder zurück kommt!", sagte Kalessan.
Smahug hob abwehrend die Hände: "Nein! Nicht in diesem Tonfall! Ich möchte zuerst das Zauberwörtchen hören!"
"Abrakadabra!"
"Du weißt, welches Wort ich meine!"
"Er hat es doch eben gerade gesagt!", stöhnte Kalessan und deutete auf Karlmax.
"Ich möchte es aber von dir hören!"
Kalessan seufzte: "Würdest du BITTE zu diesem Tisch dort gehen, BITTE das Schlüsselbund welches dort liegt aufnehmen, dich BITTE zu dieser Tür dort drüben bewegen und sie dann BITTE abschließen, WEIL UNSER VERDAMMTES LEBEN DAVON ABHÄNGT!"
"Aber natürlich, mein Freund!", antwortete Smahug fröhlich und setzte sich in Bewegung.
"Oh…das ist so erniedrigend!", stöhnte Kalessan.
Smahug probierte einige der Schlüssel aus und fand schließlich den richtigen. Kurz nachdem er ihn umgedreht hatte, wurde die Klinke von der anderen Seite heruntergedrückt.
Smahug rief: "Hahaahaaa, wir haben dich eingeschlossen, du Bösewicht!"
Esöb antwortete: "Och Mist…dann geh ich halt noch mal auf die Toilette…"
Kalessan und Karlmax befanden sich wieder auf dem Weg zur Oberfläche.
Hinter ihnen liefen die neun nun mehr als aufgeweckten Mitglieder des Rates. Sie benahmen sich wie Kinder, die gerade durch das größte Spielwarengeschäft der Welt liefen – und dabei war es nur eine stinkende Kanalisation…
"Was war eigentlich der Grund für ihren langen Aussetzer vorhin?", erkundigte sich Kalessan.
"Ich vermute, dass sie sich in einem inneren Konflikt befanden, in dem ihre alten Erinnerungen und ihr neues, menschliches Ich gegeneinander ankämpften. Eine Vergangenheit als Drache und eine Zukunft als Mensch lässt sich nunmal nicht unter einen Hut bringen. Nun, das Ergebnis dieses Konfliktes liegt hier gut sichtbar vor uns. Sie scheinen nun hyperaktiv zu sein und all die neuen Eindrücke in sich aufzunehmen, als müssten sie ihr verlorenes Gedächtnis mit Erinnerungen aller Art füllen…"
"Aber du bist dir sicher, dass sie ihre Erinnerungen von vor der Verwandlung alle wieder zurück erhalten?", fragte Kalessan.
"Ich bin mir in gar nichts sicher – ich bin mir nicht einmal mehr sicher, ob man sie überhaupt zurückverwandeln kann!", kam Karlmax‘ Antwort.
"Du wirst ja richtig aggressiv, Kleiner – so gefällst du mir!", erwiderte Kalessan mit einem Grinsen.
"Und warum geht es euch auf einmal wieder so gut? Ihr hört euch nicht so an, als wäret ihr noch vor einigen Minuten kurz davor gewesen, eure Existenz aufzugeben…", fragte Karlmax.
"Du hast Blutgruppe 0 negativ?"
"Woher…"
"Meine Lieblingsblutgruppe – lass es mich so sagen: Dafür lohnt es sich wirklich, weiter als Drache zu existieren!", antwortete Kalessan weiterhin grinsend. Dann wurde er schlagartig ernst, blieb stehen und sah Karlmax lange und seltsamerweise völlig ohne Aggressivität im Blick in die Augen.
"Danke!", sagte er dann – und ging weiter.
Karlmax sah ihm nach.
An der Oberfläche angekommen machten sie sich auf die Suche nach dem erstbesten Stall, der Pferde verleihen konnte. Auf dem Weg zu "Rudy’s Rappen" in der Stinkegasse, dem einzigen Pferdestall der auch richtige Pferde anbot, kamen sie einmal mehr an dem großen Platz vor der Magierakademie vorbei. Auf dem Platz stand eine derartig große Menschenmasse, dass es unmöglich war, den Platz zu überqueren, wenn man nicht gerade ein Bulldozer war.
Die Menge bestand nahezu ausschließlich aus menschlichen Männern im jungen bis mittleren Alter, die alle in voller Rüstung und bewaffnet waren. Sie standen halbkreisförmig um den Eingang der Magierakademie. Alle schauten einen kleinen Holzpodest vor dem Eingang an, auf dem ein Redner stand – es war Saurudalf.
Mit lauter Stimme verkündete er etwas: "…und deswegen benötige ich mindestens ein Viertel von euch, damit wir uns zusammen einen Weg durch die Armee schlagen können. Diejenigen unter euch, die diese Aktion überleben, werden reich belohnt werden!"
Karlmax fragte einen in der Nähe stehenden Soldaten: "Was ist denn los? Was für eine Armee meint er?"
"Neudorf wird von der Armee des Schräckelichen Haramasch belagert. Seine Truppen haben bereits die gesamte Stadt umzingelt und man kann nun weder in sie hinein noch aus ihr heraus…deswegen möchte der Bürgermeister jetzt losziehen, um Hilfe zu holen. Doch dazu braucht er halt ein paar Männer, um sich eine Schneise zu schlagen."
"Aber wie kann so eine Armee unbemerkt bleiben? Warum wurden wir nicht vorgewarnt?"
"Keine Ahnung…wahrscheinlich haben all die Händler, Kundschafter und Reisenden nur wieder vergessen, uns davon zu erzählen – das hatten wir schon einmal.", der Soldat zuckte mit den Schultern.
"Wie groß ist denn Haramaschs Armee?"
"So an die 1.000 Mann…"
"Hm, das geht ja noch.", erwiderte Karlmax erleichtert.
"Ja, wenn man die restlichen 99.000 Amazonenkämpferinnen seiner Armee nicht mitzählt – die sind alle anscheinend völlig begeistert von Haramasch…"
Karlmax klappte die Kinnlade herunter.
Kalessan sagte: "Diese Armee ist kein Problem für uns, sobald wir unsere Magie wieder haben. Komm mit!"
Er packte Karlmax am Ärmel und zog ihn mit sich durch die Menge – die anderen Drachen folgten brav. Wenigstens gab es diesmal wirklich was zum Glotzen…
Nach einigen Minuten voller Schubsen und Drängeln gelangte Kalessan mit seinem Anhang dem Holzpodest schon sehr nahe. Leider fielen die Drachen mit ihren farbigen Roben in der Menge so stark auf, wie ein Pottwal im häuslichen Wohnzimmer. Ihre Ankunft blieb bei Saurudalf also nicht unbemerkt.
"Ihr da! Bringt mir diese komischen Vögel in ihren bunten Roben hier her und haltet sie hier fest!"
Wenige Sekunden später sahen sich die Drachen mit Saurudalf konfrontiert und von einer Horde feindlicher Soldaten umzingelt.
"Ich weiß nicht, wie ihr euch befreien konntet…aber ich werde euren Tod nicht weiter hinauszögern! Soldaten! Bringt sie um! Hier und jetzt, vor meinen Augen!", rief Saurudalf.
"Aber Herr, warum sollen wir sie umbringen? Sie haben euch doch gar nichts getan!", erwiderte einer der Soldaten. Die anderen nickten zustimmend.
"Doch, haben sie – was wagt ihr eigentlich, meine Autorität in Frage zu stellen!?"
"Wir möchten ja nur wissen, was sie euch getan haben."
"Siiieee…sind bei mir eingebrochen und…und haben versucht mich zu bestehlen.", Saurudalf war sichtlich stolz darauf, dass er seinem Publikum zumindest eine Halbwahrheit präsentiert hatte.
"Wir wollten uns aber nur das zurückholen, was uns gehört!", schrie Kalessan den Magier an.
Einer der Soldaten sah den Drachen an und wieder zu Saurudalf zurück: "Stimmt das, was er sagt?"
Saurudalf lief rot an: "DAS IST DOCH WOHL VÖLLIG EGAL, JETZT BRINGT DIESE MISTKERLE ENDLICH UM!"
"Oh nein, so kommen wir erst gar nicht ins Gespräch.", antwortete der Soldat und wandte sich wieder an Kalessan, "Was hat euch Saurudalf denn abgenommen?"
"Wenn ich dir erzählen würde, dass ich und meine neun farbigen Kollegen hier Drachen sind, deren Magie von Saurudalf gestohlen wurde, wodurch sie jetzt in diesen Menschenkörpern feststecken – würdest du mir dann glauben?"
Der Soldat schrak zurück: "Das ist ja ein unglaubliches Vergehen! Werter Bürgermeister, bevor wir euch in eurem Vorhaben unterstützen können, muss ich euch eindringlich darum bitten, diesen Herren hier ihre Magie zurück zu geben!"
Saurudalf sah so aus, als würde er gleichzeitig kurz vor dem größten Heulkrampf und dem schwersten Wutausbruch in der Geschichte der Menschheit stehen.
So ist es äußerst bewundernswert, dass er es schaffte, sich zusammenzureißen. Jedenfalls schrie er nicht groß herum und brachte alles um, was ihm im Wege stand.
Vielmehr hob er beide Hände. Sie begannen zu leuchten.
"Vielleicht kann ich euch Drachen mit Magie nicht verletzten – aber eurem Freund und dem Großteil der anderen Menschen hier würden ein paar ordentliche Stromschläge sicherlich…schlecht tun. Deswegen tut ihr alle gut daran, mich jetzt durch zu lassen – und wehe euch, ihr versucht, mich anzugreifen oder ihr verfolgt mich…ihr möchtet nicht wissen, was dann passiert!", sagte er.
Kalessan schnaubte verächtlich. Sollte er jetzt der Beschützer dieser Menschen sein? Das wurde wirklich immer und immer besser… Er tröstete sich jedoch damit, dass seine eigene magische Immunität nun wahrscheinlich auch verschwunden sein würde und trat beiseite.
Eine kleine Gasse bildete sich in der Menge. Saurudalf bewegte sich zügig durch die Masse, die Hände leuchtend im Anschlag gehalten. Am Rande des Platzes angekommen, rannte er los.
"VERDAMMT!", schrie Kalessan und stampfte mit dem Fuß auf.
Karlmax versuchte, ihn zu beruhigen: "Ruhig Blut, Kalessan! Er kann ohne Hilfe nicht aus der Stadt raus, er ist uns hier ausgeliefert."
"Du vergisst den netten Herrn Haramasch und seine Feministentruppe, Kleiner. Allzu viel Zeit haben wir in dieser Hinsicht sicherlich nicht mehr."
Die Menge auf dem Platz begann sich langsam aufzulösen – die Soldaten waren anscheinend auf dem Weg, um die Stadtmauern zu bemannen und der aufkommenden Belagerung zu trotzen.
Karlmax sagte: "Das mit dem Krieg lasst mal meine Sorge sein!"
Er stieg auf den Podest und richtete sich lauthals an die Menge: "Ähm…Hallo? Könnte mir mal bitte jemand zuhören?"
Jemand in der Menge schien ihn tatsächlich bemerkt zu haben: "Hey Leute, schaut mal, da steht noch jemand auf dem Podest!"
Zustimmende Rufe ertönten aus anderen Teilen der Masse: "Ja, stimmt!", "Der hat sicher was zu sagen!", "Komm, sprich zu uns!", "Ja, genau, sprich zu uns!"
Der Platz füllte sich wieder genauso schnell mit Soldaten, wie er sich geleert hatte – anscheinend war jede Möglichkeit, die unangenehme Arbeit auf der Mauer noch ein wenig hinauszuzögern, äußerst willkommen.
"Ähm…hört mich an, oh Soldaten von Neudorf!", rief Karlmax in übertriebener Betonung.
Ein Blick in die Menge verriet ihm, dass diese Art der Rede nicht sehr gut ankam. Also machte er normal weiter: "Passt auf, ich weiß, wie ihr die Invasion auf unsere Stadt verhindern könnt!"
"Hört hört!", kam die Antwort aus dem Publikum.
"Diese letzten 24 Stunden hat mir eines klar gemacht: Die physische Projektion des eigenen Ich ist rückkoppelnd auf die Gedanken des betroffenen Individuums!"
Stille.
Kurze Ansätze eines halbherzigen "Hört…" waren zu vernehmen.
"Ähm…was ich sagen möchte, ist: Das, was man glaubt zu sein, das ist man auch. Das, was man weiß, das kann auch nicht falsch sein. Wenn wir jetzt einfach annehmen…nein, wenn wir wissen, dass diese Armee gar nicht da draußen steht – dann wird sie auch nicht mehr da sein, wenn wir nachsehen. Jetzt wissen wir noch, dass Haramasch mit seinen Horden da draußen wartet. Wenn wir jetzt anfangen zu wissen, dass alles seinen gewohnten Gang geht, dann kann doch gar keine Barbarenhorde existieren. Denn wir wissen, dass sie nicht existiert!", Karlmax‘ Versuch den Soldaten seine Gedankengänge zu erklären war ähnlich hilflos wie der eines Hochschullehrers, der Quantenphysik in einer Vorschulklasse unterrichten soll.
Dennoch sprangen die Soldaten auf seinen Vortrag an – wenn auch nicht so, wie sich Karlmax das vorgestellt hatte: "Hey, der Typ da scheint intelligent zu sein, das stimmt sicher, was der sagt!", "Ja, genau!", "Hey, ich weiß gar nichts von eine Barbarenhorde, die vor unserer Stadt campt und uns zu überrennen droht!", "Was für eine Barbarenhorde?"
Die Menge begann sich auf unter fröhlichem Gelächter aufzulösen.
Kalessan stellte sich neben Karlmax. Aus der absoluten Leere seines Gesichtsausdruck konnte man nur ansatzweise das herauslesen, was er über das eben Gesehene dachte.
Er sagte zu Karlmax: "Eine Frage…eine einzige Frage, dich mich Zeit meines Lebens beschäftigt hat: Ihr existiert erst seit wenigen Jahrtausenden. Ihr vermehrt euch schneller als die Karnickel. Ihr nehmt mit euren Städten und Burgen drei Viertel der gesamten Landmasse des Planeten ein. Ihr seid die erfolgreichste Spezies, die diese Welt je hervorgebracht hat…
Warum?"
Karlmax sah ihn an und lächelte – es war, als ob die Rollen getauscht wurden – und sagte: "Wir wissen halt sehr viel…"
Und dann stand Esöb vor ihnen. Er hatte eine riesige Armbrust in der Hand. Wie man unschwer erkennen konnte, war sie jedoch ein wenig modifiziert: Die Waffe war mit lauter Zahnrädern versehen und hatte statt einem Abzug eine große Kurbel, sowie ein langes, ledernes Band, welches an der Seite des Geschützes herunter hing und in dem viele weitere großkalibrige Armbrustbolzen steckten.
Er trieb die Drachen auf dem Podest zusammen und begann, böse zu grinsen.
"So…ich denke mal, ich habe jetzt die Erlaubnis von Saurudalf bekommen, euch mit meinem kleinen Baby hier umzulegen. Noch ein paar obligatorische letzte Worte?"
Kalessan bemerkte ein vertrautes altes Aufblitzen über sich und sah nach oben. Dann rief er: "Ja: ALLE IN DIE AKADEMIE!"
Esöb sah ebenfalls nach oben – diesmal war das Blitzen nicht einfach, sondern gleich dutzendfach. Und während sich die Drachen in die Akademie zurückzogen, fluchte er seine eigenen letzten Worte: "Oh, diese verdammten Studenten!"
Und dann war da wieder dieses wundervolle Geräusch:
Wupwupwupwupwupwupflatschpling
wupwupflatschpling
wupflatschpflatschplingpling
wupwupwupflatschpling
Es sah aus wie eine realistische Version des Märchens vom Sterntaler.
Die Drachen beobachteten das Schauspiel teils angewidert, teils belustigt.
Kalessan sagte: "Diese Studenten gefallen mir…sie haben genau das richtige Timing!"
Zur gleichen Zeit, außerhalb der Stadt:
Die gigantischen Horden des schräckelichen Barbaren Haramasch bereiteten sich auf ihren Sturm auf Neudorf vor.
Junge Männer machten sich bereit, für ihren Führer in den gegnerischen Pfeilhagel zu laufen und schoben den riesigen Rammbock in Richtung des großen Holztores der Stadt. Hinter ihnen folgten die ersten Wellen von Kriegerinnen und Bogenschützinnen.
Über Steine und Äste rollte der gigantische Baumstamm, auf welchem vorne ein Eisenkopf in Form eines riesigen Geschlechtsteiles aufgesteckt war – das Zeichen des Schräckelichen Haramasch. Es hatte schon seine Gründe, warum ihm die Frauen wortwörtlich in Scharen hinterher liefen.
Die Männer hatten das Stadttor erreicht. Auf Kommando holten sie mit dem schweren Baumstamm aus und ließen ihn gegen das Tor krachen. Die Erschütterung und der Lärm mussten durch die gesamte Stadt zu hören sein.
Ein weiteres Mal schmetterte der eiserne Wille Haramaschs gegen die schutzlosen Tore Neudorfs. Da rief einer der Männer, die das Gerät bedienten: "STOP! STOP! Ist euch eigentlich nichts aufgefallen?"
"Hey, an dem Rammbock da vorne steckt ja ein…"
"Nein, das meine ich nicht, Idiot! Wir müssten doch jetzt eigentlich von siedendem Öl übergossen und von Pfeilen überschüttet werden, oder?"
Zustimmende Rufe ertönten von den anderen Männern. Der Redner ging ein paar Schritte zurück, hob die Hände trichterförmig vor den Mund und rief lauthals: "HAAALLOOO! IHR DA! GEHT ES LANGSAM MAL LOS HIER?"
Keine Antwort.
"IST ÜBERHAUPT JEMAND ZU HAUSE?"
Keine Antwort.
Der Mann stapfte wieder zurück zu seinen Kollegen.
"Na toll, keiner da. Da gibt es endlich mal eine Sache, für die man ordentlich sterben kann und dann…"
"Ja, genau! Ich hatte mich schon so gefreut, heldenhaft für die Eroberung dieser Stadt draufzugehen."
"Und meine Familie braucht das Geld von meiner Lebensversicherung!"
"Von deiner was?"
"Ähm…das ist, wenn…wenn…wenn du…nein…ähm, pass auf, das funktioniert so: Wenn du…ähm…stirbst und du…und du so eine Versicherung…ähm…äh…ach, vergiss es!"
"Was ist hier eigentlich los, ihr maskulinen Faulpelze?", brüllte eine heran marschierende Kommandantin.
"Die Neudorfer wollen nicht kämpfen!"
"Was?"
"Die reagieren einfach nicht auf unsere Attacken!"
"Ist doch wunderbar, da bleibt ihr noch ein bisschen länger am Leben."
"So macht es aber keinen Spaß!", sagte einer der Soldaten enttäuscht.
"Hm…da hast du auch wieder Recht.", stimmte die Kommandantin zu.
"Und was machen wir jetzt?"
"Tja, ich würde sagen, diese Party ist gelaufen…kommt, wir suchen uns eine andere Stadt – ich sage noch schnell Haramasch Bescheid!"
"In Ordnung!", "Bis nachher!", "Tschau!", "Ssih Juh!", "Wir sehn uns!", "Bai bai!"
Es war eine fröhliche Soldatentruppe.
Kalessan schaute vorsichtig über die Mauer.
"Ich glaube es einfach nicht – die ziehen tatsächlich ab! Woher zur Hölle wusstest du, dass das passieren würde?"
Karlmax zuckte mit den Schultern: "Einen Versuch war es doch wert, meint ihr nicht auch?"
Jemand zupfte ihn am Gewand: "Ähm…Entschuldigung?
"Was ist…Neidhöcker?"
"Mooooment! Woher willst du wissen, dass das da Neidhöcker ist und nicht Droca?", unterbrach ihn Kalessan.
"Aber ich bin Neidhöcker!"
Karlmax schaute Kalessan verwirrt an: "Das ist doch eindeutig. Er hat eine viel größere Nase als Droca, außerdem ist seine Stirn leicht gewölbt und er hat ein gut sichtbares Grübchen im Kinn. Mal ganz davon abgesehen, dass seine Haare blond und Drocas Haare eher dunkelblond sind… Das Einzige, was die beiden verbindet, ist die Farbe ihres Gewandes. Obwohl…Neidhöckers Robe ist eher bronze- und Drocas kupferfarben…"
"Ist dir gerade klar geworden, dass du das erste Wesen bist, das die beiden mit 100%iger Genauigkeit voneinander unterscheiden konnte?"
"Ähm…hallo?", sagte Neidhöcker, "Darf ich auch noch was sagen?"
"Jaja, nur zu…", antwortete Kalessan.
"Wir suchen doch nach diesem Saurudalf…wie wollen wir ihn jetzt finden?"
"Ich denke, wir sollten uns auf den Weg zu ‚Rudys Rappen‘ machen und versuchen, Saurudalf dort abzufangen."
Wenige Minuten später kamen sie an besagtem Ort an.
Es handelte sich…um einen Stall.
Ein ganz normaler Stall.
Er war im fackwerklichen Stil erbaut und hatte eine große, klassische Holztür als Eingang.
Keine architektonischen Verrücktheiten.
Keine durchgedrehten Menschen, die vor dem Stall herumliefen, noch durchgedrehtere Sachen machten und gar unaussprechliche Dinge taten.
Ein ganz normaler Stall.
Kalessan mochte den Stall.
An der Tür hing ein Schild:
Rudys Rappen
Inhaber: Rudy Maphrodit
Kalessan, Karlmax und der Rest betraten das Gebäude.
Es roch nach Pferd. Und auch ein wenig nach Eseln, Schweinen und zu groß geratenen Hunden. Sie alle standen in ihren Boxen rechts und links neben dem Hauptgang, welcher an einer Art Theke endete.
Dahinter stand ein muskulöser, ungewaschener und unrasierter Mann.
Der Stall war schon fast zu klassisch.
Karlmax sagte: "Hallo…ich nehme an, ihr seid Rudy?"
"Nennt mich Maphrodit!", kam die barsche Antwort.
"In Ordnung, Herr Maphrodit. Wir wollten nur fragen, ob hier vor kurzem ein junger, recht unauffällig gekleideter Mann vorbei gekommen ist."
"Geht’s vielleicht ’n bisschen präziser, Freundchen? Junge Männer, die unauffällig gekleidet sind, kommen hier nicht gerade selten vorbei."
"Ähm…wisst ihr zufällig, wie der Bürgermeister aussieht?"
"War vor ’ner Viertelstunde hier, der gute alte Saurudalf. Wollte mein schnellstes Pferd hab’n. Hab ihm hundert Goldstücke dafür abgeknöpft. Dabei sind se doch alle gleich schnell!", Herr Maphrodit lachte.
"Dann gebt uns euer zweitschnellstes Pferd!"
"Das kostet euch 90 Goldstücke!"
"20 Goldstücke!", warf Kalessan ein und setzte sofort seinen Lieblingsblick auf.
Herr Maphrodit zeigte sich allerdings als äußerst widerstandsfähig…
"Lass nich mit mir fälschen!"
Das verwirrte selbst Kalessan. Doch zum Glück kam ihm Tjamat zu Hilfe.
"Ooohhh, schaut mal, das süße Hündchen da!", sagte sie…er zu einem riesigen, bellenden Dobermann, der angestrengt an seiner Kette riss und versuchte, ihm die Kehle rauszureißen.
Der Fakt, dass da gerade eine Frau mit der tiefsten Bassstimme sprach, die Herr Maphrodit je gehört hatte, ließ dessen Unterkiefer runterklappen und brach seine psychische Widerstandskraft gegenüber Kalessans "Tu was ich die befehle!"-Blick. Diese taktische Schwäche wurde sofort ausgenutzt.
"10 Goldstücke!"
Herr Maphrodit nickte wortlos und murmelte: "Box 4…"
Kalessan sagte zu Smahug: "Du regelst das mit der Bezahlung. Zur Not bleibst du einfach so lange hier, bis ich wieder zurückkomme, ja?"
"In Ordnung, mein Freund!", antwortete dieser fröhlich.
Kalessan verzog säuerlich das Gesicht, drehte sich dann um und ging zur besagten Box. Karlmax folgte ihm.
"Was ist?", fragte Kalessan.
"Darf ich nicht mitkommen?"
"Zu zweit sind wir viel zu langsam – ich reite alleine."
"Aber ihr kennt nicht die geheime Abkürzung durch den Wald, so wie ich…", antwortete Kalessan mit einem Grinsen.
"Sag mal, woher kennst du eigentlich immer die beste Abkürzung, den exakten Weg zum Ziel und die richtige Erklärung für alles?"
"Wenn man nicht der Stärkste oder Schnellste ist oder enorme magische Fähigkeiten, sowie einen eisernen Willen oder wirtschaftliches Geschick hat, dann hat man in dieser Stadt keine Chance zu überleben. Also schafft man sich so viel Wissen an wie möglich, um den Großen und Starken nützlich zu sein."
Kalessan seufzte: "Wenn doch nur alle Menschen eine solche Einstellung hätten… Steig auf!"
Ihm gefiel diese Abkürzung nicht. Äste peitschten gegen sein Gesicht und Zweige rissen seine Kleidung auf. Warum musste er eigentlich reiten? Ach ja, weil Karlmax nicht reiten konnte – selbst er als Drache konnte das! Ein Transportmittel, das man fressen konnte, hielt er für eine praktische Erfindung.
Nach einer Ewigkeit, wie es Kalessan schien, kamen sie aus dieser Hölle von einem Wald heraus und auf offenes Gelände.
"Wohin jetzt?", rief Kalessan.
Doch sein Reitpartner antwortete nicht.
Der Drache drehte sich um, blieb jedoch bei der Hälfte der Drehung stecken. Genau parallel zu ihnen, vielleicht 50 Meter entfernt, ritt Saurudalf und starrte sie genauso dämlich an wie sie ihn. Dennoch reagierte er früher und gab seinem Pferd die Sporen.
Die Verfolgungsjagd ging nun über das offene Feld.
Saurudalf hatte sein Pferd anscheinend bereits ziemlich verausgabt, denn obwohl Kalessan und Karlmax zu zweit auf einem Ross saßen, gelang es ihnen, immer weiter und weiter aufzuholen.
Sie kamen näher und näher, bis auf eine Entfernung von 5 Metern, da schlug Saurudalf einen Haken und vergrößerte den Abstand wieder.
So ging das Spiel eine Zeit lang weiter. Immer wieder holten Kalessan und Karlmax auf. Ab und zu kamen sie sogar so nah heran, dass Karlmax nach Saurudalf greifen konnte. Doch dieser schlug immer wieder plötzliche Haken, was einmal sogar zur Folge hatte, dass Karlmax fast aus dem Sattel fiel.
Schließlich kamen Verfolger und Verfolgter an einen Fluss, der über eine Furt durchquert werden konnte. Saurudalf ritt vor und drehte am anderen Ufer um. Er hob etwas in die Luft – es war das Prettschett.
Er rief: "Wenn ihr ihn haben wollt – dann kommt und verlangt nach ihm!"
Karlmax rief zurück: "Heißt es nicht das Prettschett?"
Kalessan sagte zu ihm: "Können wir solche Debatten jetzt wohl mal bitte außen vor lassen?"
Dann ritt er los, durch die Furt. Auf halbem Wege hob Saurudalf auf einmal den anderen Arm und begann, einen seltsamen Singsang aufzusagen. Gleich darauf war ein lautes Rauschen zu vernehmen.
Kalessan ritt weiter, doch das Rauschen wurde schnell immer lauter und lauter. Mit letzter Kraft schob sich sein Pferd aus dem Fluss hinaus. Der Drache stürzte sich sogleich auf seinen Widersacher.
Die beiden Pferde gingen zu Boden.
Nach ein paar Sekunden legte sich der Staub.
Kalessan hatte Saurudalf am Boden festgenagelt. Dieser schaute ihn völlig verwirrt an: "Das…das ist aber nicht richtig! Ihr solltet voller Erstaunen in dem Fluss warten und dann hilflos von der gigantischen Flutwelle weggespült werden…"
Kalessan drehte sich um. Das Rauschen, das er gehört hatte, war nur der Wind gewesen. Doch da war auch eine Flutwelle. Sie war knapp einen Meter hoch.
"Ich bin beeindruckt…", sagte er. Dann holte er aus und schlug Saurudalf mit der Faust ins Gesicht, sodass dieser sofort bewusstlos wurde.
"Ähm…hallo? Könnt ihr mir mal helfen?", fragte Karlmax, der bäuchlings unter dem Pferd begraben lag.
Kalessan hörte nicht auf ihn. Er nahm das immer noch blau leuchtende Prettschett in die Hand und betrachtete es kurz.
Karlmax sah, wie er es zu Boden schmetterte und wie es zerplatzte. Das blaue Leuchten, das vorher immer so intensiv gewesen war ging in die Luft über und wurde sofort von Kalessans Körper aufgesogen. Die Bedienung des Prettschetts war doch einfacher, als er gedacht hatte…
Wie ein gigantischer Wirbelsturm rotierte die blau gefärbte Luft um den Drachen, ohne jedoch einen Ton hervorzubringen. Es war, als betrachtete man einen spektakulären Effektfilm, den man vorher auf "Stumm" geschaltet hat. Schon bald war nichts mehr von dem blauen Licht in der Luft um Kalessan vorhanden.
Und dann verschwand die Sonne.
Nein, sie verschwand nicht – sie war einfach weg.
An ihrer statt erhob sich eine riesige gelbe Mauer vor Karlmax‘ Augen. Es war Kalessans Unterbauch.
Der Drache hatte seine Flügel weit ausgebreitet und das Sonnenlicht schien durch die relativ dünnen Membranen.
Seine Arme hielt er so, als ob er die Welt umarmen wolle.
Die Augen waren geschlossen.
Es war die Pose, die Menschen einnahmen, wenn sie nach einem sehr langen und sehr unfreiwilligem Aufenthalt unter der Erde endlich mal wieder an die Erdoberfläche kamen und die Sonne sehen konnten.
Dann ertönte die Stimme des Drachen. Wie eine mächtige Orkanböe drückten die erzeugten Schallwellen Karlmax zu Boden.
"JAAAAA – DAS IST MACHT!"
Kalessan schlug die Augen wieder auf. Sein Blick fiel auf Karlmax. Mit einer Handbewegung schleuderte er das erschöpfte Pferd von seinem Körper herunter.
Der kleine Mensch rappelte sich auf und betrachtete den Drachen mit offenem Mund von oben bis unten.
"Ihr…ihr seid wunderschön…", hauchte er.
"Schön für dich, Wurm!", antwortete das gigantische Wesen in leiserem Tonfall, was allerdings auch schon ausreichte, Karlmax wieder zu Boden zu schmettern.
Der Drache machte nicht einmal eine Bewegung mit der Klaue, als er den Menschen in die Luft hob, welcher sich nun, von unsichtbaren Händen getragen, in einer Höhe mit Kalessans gigantischem Gesicht befand.
Das Gesicht grinste – Karlmax lächelte zurück.
"Du denkst also wirklich, ich hätte mich geändert…", sagte der Drache, diesmal in einem Tonfall, der in Karlmax‘ Ohren keine bleibenden Schäden hinterließ.
Das Lächeln auf dessen Gesicht erstarb sofort und wich einem verwirrten Blick.
"Was…was meint ihr damit?"
"Oh, komm schon – ich hatte dich für intelligenter gehalten. Denkst du wirklich, du kannst einen 3000 Jahre währenden Persönlichkeitszug von mir einfach umpolen? Ich dachte eigentlich immer, deine Naivität wäre nur oberflächlich. Jetzt hat sie dich in den Tod getrieben…"
"Ihr…ihr wollt mich jetzt umbringen? Einfach so umbringen? Ich habe euch das Leben gerettet! Ich habe euch eure Existenz bewahrt! Ohne mich wäret ihr gar nicht in der Gestalt, in der ihr euch momentan befindet!"
Kalessan lachte: "Oh, aber Selbstbewusstsein hast du dazu gewonnen – bravo! Weißt du…ich bin dir sehr dankbar, dass du mir mein Leben gerettet hast. Ich bin dir aber noch dankbarer für die erste richtige Mahlzeit seit langem, die du mir abgeben wirst. Und natürlich für dieses wunderbare Geschenk…diese unbändige Kraft, die nun durch meinen Körper fließt…"
"Ihr werdet den anderen Drachen ihre Magie doch zurückgeben…oder?"
"Ha, deine Naivität kennt wirklich keine Grenzen! Schau dir diese Trottel doch an! Einer ist unfähiger als der andere, kaum sind sie von dieser Kraft getrennt. Sie vergraben sich in sich selbst und akzeptieren ihr Schicksal – sie kämpfen nicht für ihre Existenz. Ich bin der Einzige, der würdig ist für diese Macht!"
"Aber…aber…", stammelte Karlmax, "Aber es ist nicht richtig! Es kann nicht einer alleine die gesamte Verantwortung übernehmen. Es kann nicht nur eine Meinung vertreten sein, eine Herrschaft oder ein überautoritäres Wesen."
"Deine kleinen Theorien können mir absolut egal sein, Wurm. Du warst zwar ein ganz schlaues Kerlchen, aber es kann mir egal sein, was die Welt über mich denkt. Was wollen sie denn alle gegen mich unternehmen? Endlich habe ich die Freiheit, zu tun und lassen, was ich will, unabhängig von den Entscheidungen irgendeines Rates und ohne die Möglichkeit, dass mir jemand in meine Angelegenheiten pfuscht!"
"Nun gut, dann fresst mich! Doch ich prophezeie euch eins: Wenn ihr nicht im Sinne eurer Untergebenen handelt, wovon ich stark ausgehe, dann werden sie sich eines Tages gegen euch aufheben – allesamt! Alle intelligenten Völker und Wesen dieses Planeten werden sich gegen euch auflehnen. Und dann habt ihr nur zwei Möglichkeiten: Entweder, sie finden einen Weg, euch umzubringen. Oder ihr schafft es, sie alle zu vernichten. Doch sagt mir: Lohnt es sich, alleine auf der Welt zu sein? Was nützt es, über die gesamte Welt zu herrschen, wenn es nichts mehr gibt, worüber man herrschen könnte? Eines Tages werdet ihr das einsamste Wesen auf diesem Planeten sein und dann werdet ihr wünschen, mich nicht gefressen und den Rat gerettet zu haben. Ich weiß, dass auch ihr von anderen Wesen abhängig seid. Ihr habt doch immer jemanden gebraucht, mit dem ihr euch auseinandersetzen konntet. Ich weiß, dass ihr die Konversationen und Streitigkeiten mit euren Kollegen im Grunde immer gemocht habt. Ohne sie wird es euch schnell langweilig werden."
Kalessan schnaubte: "Und woher willst du das wissen, Würmchen?"
"Ich weiß es einfach. So etwas habe ich im Gefühl! Und jetzt: Bringt es hinter euch!"
Karlmax Stimme zitterte kein bisschen – das tat schon sein Körper. Und sein Blick sah eisern in die gelb glühenden Abgründe seines Gegenübers, so wie es vor ihm noch niemand getan hatte.
Kalessan war beeindruckt.
"Ich bin beeindruckt!", sagte er, "Du versuchst nicht weiter, mich irgendwie umzustimmen. Du flehst nicht um dein Leben. Du bettelst nicht um Gnade oder um einen schnellen Tod, weil du weißt, dass es keinen Sinn hat. Ich bin nicht dumm, musst du wissen…und ich weiß, dass alles, was du gerade gesagt hast, vollkommen richtig ist."
"Also…was werdet ihr jetzt tun?", fragte Karlmax.
Kalessan lächelte.
"Sagt, werter Herr, was ist das da für ein Ding, was ihr in den Händen haltet?", fragte Tjamat den Herrn Maphrodit höflich.
"Dassis ’ne Armbrust, du Ausjeburt der Hölle! Noch ein Wort von dir und ich drück‘ ab!", antwortete dieser nicht ganz so höflich.
"Und was passiert dann?", erkundigte sich Smahug, der sich genähert hatte, um das interessante Gerät zu betrachten.
Herr Maphrodit wich sofort zurück an seine Theke.
"Und ihr andern bleibt mir auch fern, oder ’s setzt für euch auch was, ihr Diebe!"
"Was ist ein Dieb?", fragte einer der restlichen Drachen mit kindlicher Neugier.
"Seid’s ihr vollkommen bescheuert oder was? Ihr wisst jenau, dass ihr mir noch Geld schuldet…150 Goldstücke!"
"Geld?"
"Schon mal g’sehn?", fragte Herr Maphrodit sarkastisch, als er eine golden glänzende Münze aus der Tasche zog.
Die Drachen schraken sofort auf, wichen vor dem kleinen Geldstück zurück und betrachteten es furchtvoll.
"Nehmt dieses schreckliche Mordinstrument sofort weg von uns! Wollt ihr uns etwa Schaden zufügen?", rief Smahug ängstlich aus.
"Wat?"
"Wir haben vorhin gesehen, wie ein Mensch damit umgebracht wurde – bitte…tut uns nichts!"
Das löste bei Herrn Maphrodit einen Geistesblitz aus, wie er nur äußerst gerissenen und geldgierigen Geschäftsleuten kommen kann. Zur Probe hielt die Münze noch ein wenig weiter von sich, was sofort zur Folge hatte, dass die Drachen noch ein wenig weiter zurückwichen. Er legte die Armbrust auf seine Theke und bewegte sich langsam auf die Gruppe der neun verschüchterten Drachen zu, die Münze stetig von sich gerichtet.
"Ihr werdet mir jetzt all euer Ge…alle eure Waffen geben, ansonsten werde…ich meine hier benutzen!", rief er aus.
"Oh, bitte…wir sind unbewaffnet!"
"Wat, ihr habt kein Geld dabei?"
"Wir…wir sind friedliebende Leute, wir tragen keine Waffen bei uns!", stammelte Smahug.
"Nicht ma‘ mehr euer Messer?"
"Was auch immer das ist – nein!"
Und wie es der Zufall so will erspähte Herr Maphrodit just in diesem Moment durch die immer noch geöffnete Eingangspforte seines Stalles zwei Männer der Stadtwache vor seinem Laden. Schnell bewegte er sich auf die beiden zu und rief: "Hey, Wachen! Ich hab‘ hier neun Frevler, die ohne Messer herumlaufen und mir noch Geld schulden. Nehmt se sofort fest!"
Die beiden Männer reagierten nicht.
Sie schauten nach oben.
Genauso die vielen Menschen rechts und links neben ihnen.
"Hallo? Könnt’s ihr noch hören?"
Vielleicht lag es ja an der Münze in Herrn Maphrodits Hand…auf jeden Fall stürmte die kleine Menschenmasse, die sich vor seinem Laden angesammelt hatte, auf einmal laut schreiend auseinander.
Die Tiere im Stall begannen zu scheuen und zu schreien.
Die Erde erzitterte und ein lautes Krachen war von draußen zu hören.
"Wat zur…", setzte Herr Maphrodit an. Der Rest seines Satzes ging jedoch in einem ohrenbetäubenden Knirschen und Bersten unter.
Bretter und Holzsplitter fielen auf ihn, seine Tiere und seine neun Kunden herunter. Alle Anwesenden in dem Gebäude warfen sich zu Boden, bis der Holzregen aufgehört hatte.
Herr Maphrodit sah nach oben.
Das Dach des Hauses war nicht mehr vorhanden. Stattdessen türmte sich der Schatten eines gigantischen Drachen über das Gebäude, der sich anscheinend direkt in das Haus nebenan gesetzt hatte und den Inhalt des von ihm aufgebrochenen Stalls fies grinsend betrachtete.
"Da seid ihr ja alle, schön zusammengepfercht auf einen Haufen – wie praktisch!", donnerte seine Stimme über die Stadt und zerstörte noch ein wenig mehr von Herrn Maphrodits Stall.
Und während dieser noch überlegte, ob er von dem Drachen einen Schadenersatz fordern solle, wurde der Kunde, der eine goldene Robe trug, wie von Geisterhand in die Luft erhoben.
Herr Maphrodit beobachtete sprachlos, wie der Mensch immer weiter anstieg, auf den gigantischen Kopf und das riesige Maul des Drachen zu.
Saurudalf erwachte.
Er war anscheinend nicht tot.
Das war ja zumindest schonmal etwas…
Er richtete sich auf.
Anscheinend lag er immer noch neben der Furt, die über den Fluss führte.
Mein Prettschett!, dachte er panisch und betastete hektisch seinen gesamten Körper, sah sich um – und fand ein paar Meter neben ihm die übrig gebliebenen Scherben seiner Kreation.
Er kniete sich hin, nahm einige der Scherben mit beiden Händen auf und ließ sie durch seine Finger auf den Boden rieseln.
"Mein schönes, schönes Prettschett…wie konnte das nur passieren? Was habe ich falsch gemacht? Warum ich? Warum muss immer mir so etwas passieren? WARUM ICH?", schrie er letztendlich laut aus.
"Psst, nicht so laut! Ihr wollt doch nicht wilde Tiere anlocken oder?", ertönte eine Stimme.
"Oh, richtig…Verzeihung! Moment mal…", Saurudalf drehte sich um, "DU?"
"Warum duzt mich eigentlich jeder in dieser dämlichen Geschichte, während alle anderen geihrzt werden?", antwortete sein Sekretär.
"Bitte…was?"
"Ach, vergesst es!"
"Wo ist dieser unsägliche Drache hin? Ich möchte meine Magie wiederhaben!", rief Saurudalf wütend aus.
"Keine Ahnung, er hat mich einfach hier gelassen und ist weggeflogen. Ich bin nur noch hier, um euch einem Gericht zu verantworten, das eine angemessene Strafe über eure Taten verhängen wird."
"Ich habe keine Zeit für solche Spielchen!", knurrte Saurudalf entnervt und machte eine Handbewegung durch die Luft, die zur Folge hatte, dass Karlmax‘ Beine wortwörtlich unter seinem Körper weggefegt wurden.
Er gab einen kurzen Schmerzenslaut von sich und fragte Saurudalf dann erstaunt am Boden liegend: "Hey, wie habt ihr das gemacht?"
"Die Macht ist mit mir…ich bin Magier, du Vollidiot!"
Er machte weitere Handbewegungen. Karlmax drehte sich schnell, ein wenig über dem Boden schwebend, immer im Kreis.
"Du sagst mir jetzt, wo dieser Drache hin ist, ansonsten mache ich hiermit solange weiter, bis das gesamte Blut deines Körpers im Kopf und in den Füßen ist!"
Karlmax‘ Antwort war: "Hui! Juchuu! Das macht Spaß!"
Saurudalf zog ihn mit einer Handbewegung an sich heran und starrte ihn mit wütenden Blicken an.
"Du hältst das Ganze wohl für besonders komisch, nicht wahr? Nun, ich nicht. Also, wo ist der Drache?"
"Ich weiß es nicht!"
"Nun gut…dann brauche ich dich nicht mehr…"
Saurudalf schleuderte seinen Sekretär mit einer starken magischen Handbewegung mehrere Meter weit von sich weg und gegen einen Baum, wo dieser an einem spitzen Ast hängen blieb.
Der Magier lächelte, drehte sich um – und hörte wieder auf zu lächeln. Die Erde bebte kurz, als der gigantische rote Drache rund zehn Meter vor ihm aufsetzte.
Sie erbebte erneut. Direkt hinter ihm hatte sich ein weiterer Drache, diesmal mit goldenen Schuppen niedergelassen.
Dann bebte die Erde wieder.
Und wieder.
Und wieder.
Und immer wieder, als die anderen acht Drachen des Rates sich kreisförmig um ihn postierten und eine riesige, undurchdringliche Mauer aus schuppigen Leibern bildeten.
Der goldene Drache begann zu sprechen: "Seid ihr Saurudalf Roklem, Bürgermeister der Menschenstadt Neudorf und lehrender Magier an der dortigen Magierakademie?"
Aufgrund der für ihn eher ungewohnten Lautstärke wälzte sich der Mensch auf dem Boden hin und her, hielt sich die Ohren zu und schrie in einem hilflosen Versuch, gegen die geballte Dezibelkraft anzukommen, laut "AAAAAAAAAAAHHHH!".
"Was hat er gesagt?", fragte Smahug.
"Ich glaube, er sagte ‚Jaaaaaaaaaaaaa!’", antwortete Vasdendas.
"Müssen denn diese Formalitäten sein? Können wir ihn nicht einfach endlich umbringen?", seufzte Kalessan.
Smahug sagte: "Du hast ja Recht…also, Freunde – auf mein Zeichen! Eins, Zwei…"
Während Smahug diesen Satz sagte, rappelte sich Saurudalf wieder auf.
Ah, so ist es besser!, dachte er sich.
Blut strömte aus seinen Ohren.
Doch warum macht dieser Drache sein Maul auf und zu, ohne etwas zu sagen?
So sehr Saurudalf Rätsel mochte, dieses sollte ihm für den Rest seines Lebens zu schaffen machen und ungelöst bleiben. Unnötig zu sagen, dass dieser Rest nicht mehr sehr groß war.
Denn plötzlich öffneten alle zehn Drachen ihre Mäuler und hauchten ihn an. Ein tödlicher Regenbogen aus Drachenodems ging auf ihn nieder.
Fortan hätte man den Magier Saurudalf in ein Buch der Rekorde eintragen können, hätte es etwas derartiges schon gegeben. Er war der erste Mensch der Welt, der auf sechs verschiedene Weisen gleichzeitig starb.
Er wurde durch die Odems der Drachen gleichzeitig verbrannt, eingefroren, von Säure zerfressen, von einer Giftwolke erstickt, von einem Blitz gebrutzelt und in einer Wolke aus Wasserdampf gekocht.
Das hatte natürlich zur Folge, dass von ihm und einem großen Stück Land rings um ihn herum relativ wenig übrig blieb.
Smahug ergriff erneut das Wort: "So, gute Arbeit Freunde, das wäre erl…Vas? Vasdendas? Geht es dir gut?"
Der messingfarbene Drache saß bebend vor dem verkohlten Stück Land, das einmal Saurudalf gewesen war.
"Ich…ich habe gerade ein lebendes Wesen umgebracht…"
"Tut mir ja sehr leid, dass du so gegen deine Prinzipien ver…"
Vasdendas unterbrach ihn gleich wieder: "Es war…befriedigend…es…es hat mir etwas gegeben, diesen…diesen MISTKERL zu pulverisieren. Na? Gefällt dir das, du…du blöder Mensch du? Na? Willst du mehr davon?"
Und erneut spie er seinen korrosiven Atem auf das ohnehin schon gequälte Stück Land.
"Na? Jetzt bist du nicht mehr so stark, ohne dein Prettschett, hm?"
Er nahm die verbrannte Erde in seine Klauen, warf sie in die Luft und lachte dazu irre.
Während einige der anderen Drachen des Rates versuchten, ihn zu beruhigen, fiel Kalessan etwas ein: "Wo ist denn eigentlich Karlmax?"
"Der hängt da hinten an diesem kleinen Baum.", antwortete Smahug.
"Smahug?"
"Ja?"
"Du hast Recht, er hängt da an dem Baum. An einem spitzen Ast hängt er.", sagte Kalessan.
"Ja, und?"
"Der Ast ist durch seinen Brustkorb getrieben worden."
"Oh…ist er tot?"
Das Paradies war schön.
Karlmax hatte zwar nie an ein Leben nach dem Tod geglaubt, doch hier war es. Eine wundervolle, paradiesische Landschaft mit immergrünen Bäumen, wundervoll duftenden Blumen in den schönsten Farben, großartigem Wetter und idyllischen Seen.
Doch das war noch nicht alles. Als er das Paradies durchstreifte, noch immer in den Sachen, die er bei seinem Tod getragen hatte, traf er auf all die Personen, die ihm in seinem Leben wichtig gewesen waren.
Seine verstorbenen Eltern, seine Geschwister, seine gesamte Familie war dar. Und es bedurfte keiner Worte mehr, um zu kommunizieren – es herrschte einfach ein tiefes, wortloses Verständnis. Lächelnd und lachend zeigten ihm seine Verwandten die schönsten Ecken des Paradieses, führten ihn durch die idyllische Landschaft und durch heimelige Dörfer, in denen die Menschen in ewigem Glück leben konnten.
Und die ganz Zeit dachte dich Karlmax nur eines: Warum bin ich eigentlich nicht schon früher gestorben?
Irgendwann versammelten sich all seine Verwandten rings um ihn herum und lächelten ihn an. Doch etwas Trauriges schwang in diesem Lächeln mit.
Was…was ist?, wollte Karlmax fragen, doch auf einmal gab der Boden unter ihm nach und er fiel. Er konnte noch von unten die Gesichter seiner Liebsten sehen, wie sie ihm nachsahen.
Dann verschwammen ihre Köpfe.
Stattdessen starrten ihn zehn riesige Drachen an.
Und sie alle hatten schrecklichen Mundgeruch.
Außerdem lag er auf einem verkohlten Stück Land. Neben ihm standen ein paar verbrannte, verkrüppelte Bäume.
"Er kommt zu sich!", sagte einer von den Drachen.
"Was…wo…wo sind meine Eltern? Meine Verwandten? Die schöne Landschaft? Bin ich in der Hölle?", stammelte Karlmax.
"Du bist wieder in der Welt der Lebenden.", antwortete der Drache mit dem goldenen Kopf, "Du hast unser Leben gerettet, also retteten wir deines – ist doch ein faires Geschäft, nicht wahr?"
"Ja…", sagte der Mensch resigniert.
"Und so dankt er es uns. Hallo! Wir haben uns alle gerade angestrengt, um dich aus dem Reich der Toten zu holen!", sprach der grüne Drache…Glaureng war sein Name gewesen, richtig.
"Denen geht es irgendwie immer so mies, wenn man sie wieder zum Leben erweckt. Bis jetzt haben sich nur die wenigsten gefreut. Die waren aber genauso wenig dankbar…", erwiderte Adorelon, der Silberne.
So langsam kamen die Erinnerungen Karlmax‘ wieder zurück. Er wandte sich an Kalessan: "So seid ihr meinem Rat also gefolgt!?"
"Andernfalls wärest du bereits seit einigen Stunden verdaut."
"Und…" – Karlmax warf einen Blick auf die anderen Drachen – "Und die anderen hier haben wieder alle ihr Gedächtnis zurück? Sie sind wieder genauso wie vorher?"
"Ich denke schon.", antwortete Kalessan, "Sie haben jetzt nur erstmal keine große Lust, wieder in die Nähe von menschlichen Städten zu kommen…kann ich ihnen nicht verdenken."
"Und jetzt? Was passiert jetzt?"
"Wir werden jetzt alle nach Hause fliegen. Ich erkläre diese Sitzung als beendet! Wir sehen uns in ein paar Jahrzehnten zur Jahrhundertsabrechnung wieder, ja?", sagte Smahug.
Die meisten der Drachen riefen eine Zustimmung, verabschiedeten sich voneinander und schwangen sich in die Lüfte.
"Und das war’s? Mehr nicht? Keine große Abschlussfeier? Sie haben mir nicht einmal mehr gedankt!", rief Karlmax enttäuscht.
"Sie haben ihre Schuld an dich bezahlt. Du bist schließlich auch nur ein Mensch von vielen. In ein paar Jahren bist du eh tot.", erwiderte Kalessan, der noch dageblieben war, "Aber du kannst gerne mit zu mir kommen, dann zeige ich dir mal meine Höhle, wenn es dich froh macht."
Ein glückliches Aufblitzen in Karlmax‘ Augen verriet ihm, dass dies der Fall war. Kalessan senkte seinen Kopf.
"Also gut – steig auf!"
Karlmax ließ nicht lange auf sich warten.
"Nun gut, oh großer Anführer…man sieht sich!", sagte Kalessan zu Smahug.
"Kalessan, ich wollte dir noch sagen, ähm…danke! Du hast die richtige Entscheidung getroffen!", antwortete dieser.
"Dieses Urteil überlasse lieber mir, Smahug!"
Er stieß sich vom Boden ab und flog weg.
Smahug sah ihm nach und dachte sich: Irgendetwas bin ich auch ihm schuldig…vielleicht sollte ich demnächst damit aufhören, so offen über unsere Rasse zu plaudern…
Und während ihrem Flug nach Hause dachten auch die anderen über sich und die zurückliegenden Ereignisse nach.
Droca dachte darüber nach, ob er bei dem aufkommenden Theaterstück "Kerker und Drachen" eine Rolle übernehmen sollte.
Neidhöcker dachte: Ich habe jetzt mal wieder richtig Lust, an einer saftigen Wurzel zu knabbern!
Adorelon dachte: Der zeitliche Ablauf der letzten paar Seiten ist irgendwie vollkommen unlogisch, wenn man mal darüber nachdenkt…
Vasdendas dachte: Ich muss jetzt irgend etwas töten…jetzt sofort!
Glaureng dachte: War ich wirklich so böse, dass man mich so hässlich erschaffen musste? Das ist gemein!
Tjamat dachte ernsthaft darüber nach, demnächst bei sich zu Hause ein Ei auszubrüten.
Morkulebus dachte ernsthaft darüber nach, professioneller Krallenmasseur zu werden.
Schneeweißchen dachte: HED DSUEB SAHEZA KEIW JASHD AKEJES MEUNASJ KAOSLEJB!
Karlmax erfreute sich an der absoluten Freiheit des Fliegens, genoss den Wind, der durch seinen Bart rauschte und dachte: Vielleicht ist das Leben ja doch nicht so schlimm!?
Und Kalessan? Der dachte nur: Oh, hab ich einen Hunger! Irgendwo muss doch hier etwas zum Essen sein! Ein Dorf, eine kleine Stadt…irgendwas!
Tja…das Sein verdirbt das Bewusstsein.
Der Doktor, http://www.die-subkultur.net
Der verlorene Traum (Karin Roth)
Er saß alleine in seiner dunklen, kalten und feuchten Höhle.. verzweifelt versuchte er sich zu erinnern wer er war, doch seine Erinnerung war wie ein schwarzes tiefes Loch in dem kein Lichtlein sich regen wollte.
Wenn er sich im Teich vor der Höhle betrachtete, so sah er nur eine dunkle und verkrüppelte Gestalt.. schwarze Haut spannte sich um deformierte Knochen, sein Gesicht.. ja kann man es Gesicht nennen.. war übersät von Pusteln und verschoben in sich selbst, sein hässlicher Körper kann sich kaum aufrecht halten und seine Hände… ja seine Hände.. waren Klumpen die am Ende seiner Arme fast nutzlos hingen.
Er war ein Gargoyle.. verstümmelte Flügel hingen nutzlos an seinem Rücken und er wusste nicht wer er ist oder wer er war.
Stunden über Stunden saß er da und grübele über sein Leben während um ihn herum das Leben des Waldes seinen Lauf nahm.
Er wusste er war nicht immer so ein Wesen gewesen.. wusste das er einmal etwas anderes war,wusste das einst die Magie sein Leben beherrscht hatte, doch nur wage Erinnerungsfetzen drangen noch in seine Gedanken.
So lebt er er sein tristes Leben fernab von jedweder Behausung.. lebte das Leben eines einsamen Eremitens und trauerte um Dinge die er nicht mehr wusste.
Er sah Jahreszeiten kommen und gehen.. sah wie der Wald um ihn herum wuchs und gedeihte aber er scherte sich nicht um die Belange seiner Welt in der er Lebte.
Eines Tages.. es ward ein schrecklicher Sturm über die Berge hereingebrochen sah er am Rande des Teiches etwas liegen..
Hell glänzend.. filigran und zart.. ein Wesen .. wie er aus den Legenden.. er hatte eine Waldelfe gefunden die durch den Sturm verletzt lag.
Vorsichtig näherte er sich der Elfe.. er hatte furcht vor ihr, denn er wusste um die Blicke anderer Wesen wenn sie ihn erblickten.
Doch als er sah wie hilflos und verletzt sie war, nahm er sie auf und trug sie in seine Höhle.
Das erstemal seit vielen Monden hatte er Kontakt mit einem anderen Wesen. Langsam ließ er sie auf sein Lager sinken und versucht ungeschickt ihre Wunden zu verarzten.
Dann setzte er sich neben sie.. nahm seine Flöte.. das einzige was ihm Freude bereitete und spielte eine sanfte Weise die ihren Schlaf begleiten sollte.
Lange Zeit beobachtete er ihren unruhigen Schlaf.. kühlte mit dem klaren Wasser von Teich ihr erhitzes Gesicht und erfreute sich trotz seiner Furcht an ihrer lieblichen Gestalt.
Irgendwann übermannte ihn jedoch der Schlaf und er glitt hinüber in die Welt der Nacht.
Viele Stunden später wurde er durch eine sanfte Berührung geweckt.
Er schrak hoch und erblickte die Elfe die aufrecht im Bette saß.
Ängstlich zog er sich vor ihr zurück und verbarg sein Gesicht im Schatten der Höhle.
Wer bist du hörte er sie da mit lieblicher Stimme sprechen.. ich wollte dir danken das du mich vor dem Sturm gerettet hast und mit dein Heim als Zuflucht gabst.
Ich bin niemand antwortete er.. niemand
So trete doch heraus aus dem Dunkel sprach die Elfe wieder, ich möchte demjenigen Dank sagen der mich vor dem sicheren Tod gerettet hat.
Zögerlich trat der Gargoyle einen Schritt aus dem dunkel der Höhle.. bereit die Flucht zu ergreifen, falls er wieder den Schrecken und die Angst in den Augen seines Gegenübers erkennen konnte.
Doch.. was war das?
Sie lächelte.. lächelte IHN an..
Ohne Furcht
Ohne Schrecken
Ohne Abscheu in den klaren Augen.
Ich bin Syl sprach sie.. eine Waldelfe und durch dein Handeln hast du mich bewahrt in das Schattenreich einzukehren.
Du hast einen Wunsch frei, denn mein Leben lag in deinen Händen und es ist Sitte bei meinem Volke das ich dir nun einen Wunsch gewähren muss.
Aber ich habe keine Wünsche sprach er.. das einzige was ich möchte kannst du mir nicht geben..
Was ist es, das ich dir nicht geben kann hub die Elfe wieder an.
Meine Erinnerung.. meine Vergangenheit.. Mein damaliges Leben sprach er traurig.
Da stand die Elfe auf, ging auf den Gargoyle zu und nahm sanft sein Gesicht in ihre kleinen Hände.
Höre zu so meinte sie und lass mich dir eine kleine Geschichte erzählen.
Einst lebte hier im Wald ein Wesen… umhüllt von Magie und Zauberei…
Ein Wesen so schön wie die Morgendämmerung,
doch hart im Herzen und verschlossen für alle die Hilfe bei ihm suchten.
Als nun einst eine von meinem Volke Hilfe bei ihm zu suchen glaubte.. schickte er sie in den Sturm hinaus und verweigerte ihr jedwede Zusage.
Schwer verletzt fand sie jedoch den Weg in ihr zu Hause und wurde zornig auf das Wesen.. so ging sie zu dem Herrscher des Waldes und bat ihn unter Tränen das Wesen mit einem Fluch zu belegen.
Der Fluch besagte das es dahinvegetieren sollte… als hässliches und verabscheuungswürdiges Geschöpf.. bis.. ja bis es jemanden freiwillig seine Hilfe anbot und selbstlos handeln würde.
Wenn dies geschehen sollte, würde sich das Wesen wieder an sein früheres Leben erinnern und durch einen von den Elfen geschickten Traum zu seinem alten Selbst zurückfinden.
Weißt du von wem ich spreche fragte die Elfe den Gargoyle?
Vollkommen überrascht hatte er der Geschichte der Elfe zugehört und ihn überkam nun eine große Demut und er schämte sich sehr als er in ihr offenes Gesicht blickte.
Du sprichst von mir nicht wahr? Ich war dieser Narr der nur sein eigenes Wohl im Sinne hatte und niemals andere gedachte.
Ja sprach sie.. du warst es, doch durch deine Tat von heute Nacht hast deinen verloren geglaubten Traum wiedererlangt.
Heute Nacht werde ich die Zauber rufen um dich von deinem Fluch zu erlösen, denn du hast dein innerstes überwunden und Mitleid empfunden für ein anderes Lebewesen.
Mit diesem Worte in seinen Gedanken schlief der Gargolye ein und begann zu träumen.
Er träumte von weiten Wäldern.. er träumte vom fliegen und er träumte von der Morgensonne die er so lange gemieden hatte.
Er träumte auch von Magie.. von Zauberwesen und von einer majestätischen Gestalt die über den Lüften zu schweben schien.
Plötzlich vernahm er ein Brennen in seinen Adern.. ein Spannen in seiner Haut und einen unglaublichen Schmerz in seinen Knochen
Und er erwachte.
Was ihn empfing war ein unsagbarer Schmerz und ein gleißendes Licht das ihn umgab..
Lange dauerte es und er dachte er müsse nun seine Reise zu den Sternen antreten und sein Leben würde nun ein Ende finden.
Doch der Schmerz ließ nach und als er die Augen öffnete sah er die Elfe lächeln vor sich stehen.
Was hast du mit mir gemacht sprach er… warum dieser Schmerz und diese Qual?
So schau in den Teich sprach die Waldelfe und erblicke dein altes Gesicht
Und sage mir was du darin erkennen kannst.
Er schritt langsam aus der Höhle, trat an den Teich und blickte hinein.
Was er dort erkennen konnte, ließ ihn wiederum vor Schreck aber auch Freude erstarren.
Er sah…
Sich selbst…
Majestätisch und groß
Schillernd in Smaragd und Rubintönen
Augen die wie Bernsteine funkelten
Flügel die sich Meterhoch über seinen Schädel erhoben
Klauen so rein und hart wie Diamant
Schuppen die ,die Farben der Morgendämmerung trugen
Ein Drache
Er war ein Drache
Mit seinem Anblick im Teich kehrte auch seine Erinnerung zurück an seine verwerflichen Taten und er schämte sich sehr.
So höre zarte Elfe begann er nun mit mächtiger Stimme zu der Elfe zu sprechen,
ich gebe dir hier nun ein Versprechen
Niemals wieder soll ein Wesen meiner Art Hilfe verweigern
Niemals wieder wird ein Wesen meiner Art das Mitleid vergessen
Niemals wieder wird ein Wesen meiner Art vergessen was mir geschah
Niemals wieder das schwöre ich dir in Namen aller Drachen auf Erden.
Mitleid und Hilfsbereitschaft sollen nicht in Vergessenheit geraten und ich werde die Kunde verbreiten und mein Bestes dazu tun
Denn wo das Mitleid stirbt, da stirbt auch die Welt
Wo die Hilfe stirbt da stirbt auch das Gewissen
Wo das Verstehen stirbt
Da stirbt auch diese Welt.
Mit diesen Worten erhob sich der Drache und flog hinweg über die Berge um auszuziehen und sein Versprechen einzuhalten.
Zurück blieb die Elfe mit einem wissenden Lächeln und zufrieden kehrte sie zu ihrem Volke zurück.
Wusste sie doch nun, das alle folgenden Generationen diesem Wort folge leisten würden und die Drachen nun endlich ihrer Bestimmung zukommen würden.
Als Helfer.. Schützer und Bewacher dieser unserer Welt.
Wo Drachen leben…
sei es in der Phantasie der Menschen oder in den Zauberreichen
wird immer das Verständnis und die Hilfsbereitschaft regieren
So fliegen auch heute noch viele Drachen durch unsere Geister und durch unsere Welt,
denn wahrhafte Güte existiert in vielen von uns
© Aquamarin 2002
Der Drache mit den sieben Köpfen
Es war einmal, wie noch nie — wenn es nicht gewesen wäre, würde man es nicht erzählen, — in einem Reich ein ungeheuerer Drache. Der hatte sieben Köpfe, lebte in einer Grube und nährte sich nur von Menschenfleisch. Wenn er zum Fressen auszog, floh alle Welt, sperrte sich in die Häuser ein und hielt sich verborgen, bis er seinen Hunger an irgend einem Wanderer gestillt hatte, den sein Schicksal in den Tod getrieben hatte. Alle Menschen der Gegend zitterten vor der Bosheit und Grausamkeit des Drachens. Tag und Nacht beteten sie. Mit Gebeten und allem, was es gibt, versuchten sie es zu erreichen, daß Gott die arme Menschheit von diesem unersättlichen Untier befreie, aber vergeblich. Alle möglichen Zauberer wurden herbeigeholt, aber sie trugen mit ihren Künsten nur Schande davon.
Endlich, als der Kaiser sah, daß alles vergeblich war, beschloß er, dem Helden, der das Reich von diesem Schrecken befreien würde, seine Tochter zur Frau und das halbe Kaiserreich dazu zu geben und gab diesen Beschluß der ganzen Welt bekannt.
Schau, nachdem diese Nachricht in das Land gegangen war, beschlossen mehrere tapfere Männer, miteinander sich auf die Lauer zu legen und besprachen sich darüber, wie sie das Land von einem so schrecklichen Drachen befreien könnten. Sie einigten sich untereinander und beschlossen, ein Feuer am Rande der Stadt zu machen, die dem Ort, an dem der Drache hauste, am nächsten gelegen war, und wo sich auch der Sitz des Kaisers befand. Sie wollten dort der Reihe nach Wache halten, immer je einer, während die anderen schlafen sollten. Und damit nicht etwa der, der Wache halten sollte, einschliefe und vielleicht der Drache käme und sie alle fräße, taten sie ein Gelöbnis, daß derjenige, der das Feuer ausgehen lasse, getötet werde, zur Strafe dafür, daß er geschlafen habe, während er hätte wachen müssen.
Mit diesen Helden verbrüderte sich auch ein Jüngling aus rumänischem Stamme, der von dem Versprechen des Kaisers gehört hatte und gekommen war, auch sein Glück zu versuchen. Sie brachen alle auf, wählten einen Platz in der Nähe der Drachengrube und begannen Wache zu halten.
Sie lauerten einen Tag, zwei Tage, mehrere Tage, und es geschah nichts. Aber eines Tages, nach Sonnenuntergang, als unser kühner Jüngling an der Reihe war zu wachen, brach der Drache aus seiner Grube auf und näherte sich den Männern, die neben dem Feuer schliefen. Unserem Helden, der wachte, wurde das Herz wie ein Floh *1), aber er ermannte sich rasch, und siehe, er warf sich mit dem nackten Säbel in der Hand auf den Drachen und kämpfte mit ihm, bis er ihn sicher hatte und: hrrstl, schlug er ihm einen Kopf ab, hrrst!, schlug er ihm noch einen ab, und so, einen nach dem anderen, schlug er ihm sechs Köpfe ab. Der Drache krümmte sich vor Schmerz, schlug mit dem Schweif, daß man schaudern konnte vor Entsetzen. Unser Tapferer aber kämpfte auf Leben und Tod, während seine Genossen tief schliefen.
Als er sah,daß sie nicht erwachten, nahm er alle Kraft zusammen, warf sich noch einmal auf den furchtbaren Drachen und schlug ihm auch das Haupt, das ihm noch geblieben war, ab. Da floß schwarzes Blut aus dem unreinen Tier, siedete schrecklich auf und floß und floß, bis es das ganze Feuer ausgelöscht hatte.
Was sollte unser Held nun tun, damit seine Genossen das Feuer nicht ausgelöscht fänden, wenn sie erwachten? Denn es war ja ihre Abmachung, den zu töten, der das Feuer ausgehen lassen würde. Er machte sich also zuerst daran und schnitt die Zungen aus den Köpfen des Drachen, steckte sie zu sich, dann stieg er, so schnell er konnte, auf einen hohen Baum und blickte nach allen Richtungen, um zu sehen, ob er irgendwo Licht entdeckte. Er wollte dann dorthin gehen und ein wenig Feuer verlangen, um ihr ausgelöschtes Wachfeuer wieder anzuzünden.
Er suchte hier und dort und sah nirgends Licht. Noch einmal blickte er mit großer Aufmerksamkeit nach allen Seiten, und da entdeckte er in einer unglaublichen Entfernung einen Funken, der kaum noch leuchtete. Da kroch er von dem Baum herunter und brach dorthin auf.
Er ging und ging, bis er in einen Wald gelangte, in dem er die Abendröte antraf, die er aufhielt, damit die Nacht später aufhöre. Er ging dann weiter und weiter und fand die Mitternacht und mußte sie binden, damit sie die Abendröte nicht einhole. Was sollte er tun, wie sollte er es anstellen, um zum Ziel zu gelangen? Er bat sie, ihm zu helfen, einen Baum auf den Rücken zu nehmen, den er, wie er sagte, von der Wurzel abgeschnitten habe. Er forderte sie auf, sich mit dem Rücken gegen den Baum zu stellen, um zu stoßen, während er ihn von der anderen Seite mit den Händen herausziehen wolle, damit er ihm dann auf den Rücken falle und er ihn zu seinem Arbeitsplatz bringen könne.
Die Mitternacht stellte sich aus Mitleid auf seine Bitte hin, mit dem Rücken gegen den Baum, den er ihr gezeigt hatte, und während sie sich bemühte, band er sie an den Baum fest und ging weiter, denn er hatte keine Zeit zu verlieren.
Er hatte nicht mehr weit zu gehen, da traf er auf die Morgenröte. Aber die Morgenröte nahm sich nicht viel Zeit, mit ihm zu sprechen; sie sagte, daß sie der Mitternacht nachgehen müsse, die sie verjagt habe. Er tat, was er tun konnte, und brachte auch sie gut unter, wie die beiden anderen, aber erst nach größerem Kopfzerbrechen. Dann ging er weiter und gelangte endlich zu einer großen Höhle, in der er das Feuer gesehen hatte.
Hier traf ihn neues Ungemach. In dieser Höhle lebten Riesen, die nur ein Auge mitten in der Stirne hatten. Er verlangte von ihnen Feuer, aber sie legten, statt ihm Feuer zu geben, Hand an ihn und banden ihn. Drauf stellten sie einen Kessel mit Wasser auf das Feuer und bereiteten sich vor, ihn darin zu kochen und dann aufzufressen.
Aber gerade, als sie ihn in den Kessel werfen wollten, hörte man Lärm nicht weit von der Höhle. Alle liefen hinaus und ließen nur einen Alten zurück, der das Essen fertig machen sollte. Als sich unser Held allein mit dem alten Riesen sah, sann er auf Rache. Der Riese band ihn los, um ihn in den Kessel zu werfen. Unser Held aber nahm ein Holzscheit und stieß es geradezu in das Auge des Alten, blendete ihn, und ohne ihm Zeit zu lassen, auch nur noch: krk! zu sagen, brachte er ihn zu Fall und stieß ihn in den Kessel.
Er nahm das Feuer, dessentwegen er gekommen war, brach glücklich auf und kam mit heiler Haut davon.
Als er zu der Morgenröte gelangt war, gab er ihr freien Weg. Dann machte er sich auf die Beine und lief, bis er zur Mitternacht gekommen war, band auch sie frei und ging dann auch zur Abendröte, die er wegschickte, ihre Aufgabe zu erfüllen.
Als er bei seinen Genossen anlangte, schliefen die alle noch. Noch immer hatte das Licht des Tages nicht begonnen, sich zu zeigen, so lang war diese Nacht, da unser Held ihren Lauf aufgehalten hatte. So hatte er genügend Zeit gehabt, nach dem Feuer herumzulaufen, das er brauchte.
Er hatte noch nicht angefangen, das Feuer gut anzuzünden, als seine Genossen aufzuwachen begannen. Da sagten sie: "Diese Nacht war aber lang, Vetter!" — "Lang ja, Vetterchen", antwortete unser Held und blies aus voller Brust, um das Feuer anzufachen. Sie standen auf, streckten und reckten sich. Aber wie erzitterten sie, als sie das riesige Ungeheuer tot neben, sich sahen und dazu den riesigen Blutsee. Sie rissen die Augen auf und mit großem Staunen bemerkten sie, daß die Häupter des Drachen fehlten. Unser Held aber erzählte nichts von dem, was er erlebt hatte, aus Furcht, es könnte bei ihnen Neid entstehen, und sie gingen alle zusammen in die Stadt.
Als sie in der Stadt angelangt waren, sahen sie, wie sich die ganze Welt, groß und klein, über die Tötung des Drachen freute, Gott lobte, daß die lange Nacht vorüber gegangen sei, sei, daß man noch einmal den Tag erleben könne und wie man den Retter bis in den Himmel hob.
Unser Held, der freilich auch das Fehlen der Drachenköpfe bemerkt hatte, zerbrach sich nicht viel den Kopf, denn er wußte sich reinen Herzens, und ging zum Kaiserhof, um zu sehen, was mit den Häuptern ohne Zungen geschehen würde, denn er hatte gleich bemerkt, daß hier irgendeine Teufelei im Spiele sei.
Siehe, da war der Koch des Kaisers, ein schwarzer, dicklippiger Zigeuner, aus Neugierde, um zu sehen, was es dort Neues gäbe, zu den Männern, die Wache standen, hinausgegangen, und als er sie schlafend fand und dabei das schreckliche Ungeheuer ohne Atem, stürzte er sich mit dem Hackbeil auf dieses und schnitt ihm die Köpfe völlig ab. Dann ging er mit den Köpfen zum Kaiser, zeigte sie ihm und rühmte sich, er habe die Heldentat vollbracht. Als der Kaiser sah, daß der Koch die Siegesbeute vorwies, hielt er eine große Tafel, um ihn mit seiner Tochter zu verloben, und nahm sich vor, eine große Hochzeit zu veranstalten, zu der er alle Kaiser einladen wollte.
Der Zigeuner zeigte aller Welt seine Kleider, die er voll Blut beschmiert hatte, damit ihm geglaubt würde. Als unser Held in dem Palast anlangte, saß der Kaiser in guter Laune bei Tisch. Das Zigeunerchen aber saß auf sieben Polstern an der Spitze des Tisches. Der Held trat an den Kaiser heran und sagte: "Mächtiger Kaiser, ich habe gehört, daß irgendwer sich vor deiner Majestät gerühmt hätte, daß er den Drachen ermordet habe. Es ist nicht wahr, Majestät, ich bin der, der ihn getötet hat."
"Du lügst, Flegel", schrie der Zigeuner aufgeblasen und befahl den Dienern, ihn hinauszuwerfen. Der Kaiser aber, dem es nicht sehr glaubhaft erschien, daß der Zigeuner diese Heldentat vollbracht haben sollte, sagte: "Womit kannst du deine Behauptungen beweisen, kühner Mann?" "Meine Behauptungen", antwortete der Jüngling, "kann ich sehr gut beweisen; befehlt nur, man solle zuerst einmal feststellen, ob die Häupter des Drachen, die dort zur Schau aufgestellt sind, auch ihre Zungen haben." — "Man soll nur suchen, man soll nur suchen", schrie das Zigeunerchen. Es ängstigte sich schon, aber es stellte sich, als ob es ihn nichts angehe. Daraufhin wurde gesucht, und in keinem der Köpfe fand man eine Zunge. Die Gäste staunten und fragten einander, was das wohl zu bedeuten habe. Der Zigeuner, der bestürzt dastand und es bereute, daß er die Zungen in den Drachenhäuptern nicht gesucht hatte, bevor er sie dem Kaiser brachte, schrie laut; "Werft ihn hinaus, denn er ist ein Narr, der nicht weiß, was er redet." Der Kaiser aber sagte: "Du,. Jüngling; gibst uns also zu verstehen, daß der den Drachen getötet hat, der uns die Zungen zeigen kann." — "Verschwind vom Erdboden", kreischte der Zigeuner, der zitterte wie Espenlaub und gelb war wie Wachs, "siehst du nicht, Kaiser, daß dieser Armselige verrückt ist und hierher gekommen ist, um uns hinters Licht zu rühren?" — "Wer betrügt", antwortete der Held ruhig, "wird seine Strafe finden." Er begann die Zungen aus seinem Gewand zu nehmen und zeigte sie dem ganzen Hof, und so oft er eine Zunge zeigte, so oft fiel ein Polster unter dem Zigeuner zur Erde, bis er, mit dem letzten, auch vom Stuhl fiel, so sehr hatte sich das Scheusal erschreckt.
Darauf erzählte unser Held alles, was er erlebt hatte, und wie er es gemacht hätte, daß die Nacht so lange gedauert hatte.
Der Kaiser mußte sich nicht lange bedenken, um einzusehen, daß der Held die Wahrheit erzählt hatte, und da er über den Zigeuner wegen seines Betrugs und seiner unverschämten Reden empört war, gab er einen Befehl. Gleich wurden zwei wilde Pferde und zwei Säcke mit Nüssen herbeigebracht. Der Zigeuner wurde an den Schwanz der Pferde und an die Säcke mit Nüssen gebunden, die Pferde aber wurden losgelassen. Sie liefen durch Sümpfe, und wo eine Nuß fiel, fiel auch ein Stück von ihm, bis es mit dem Zigeuner aus war.
Nach einigen Tagen aber, nachdem alles gehörig vorbereitet worden war, wurde die große Hochzeit gefeiert, bei der unser junger Rumäne die Tochter des Kaisers zur Frau nahm. Es war eine große noch nie erlebte Fröhlichkeit, und das Fest dauerte mehrere Wochen, an deren Ende der Held auch den Kaiserthron erhielt. Die schöne Prinzessin aber dankte Gott unter Tränen dafür, daß er sie von dem abscheulichen Zigeuner, dem unreinen Schwarzgesicht, befreit und ihr einen so heldenhaften Gatten gegeben hatte.
Auch ich war dabei und habe bei der Hochzeit mitgeholfen, indem ich mit dem Sieb Wasser herbeiholte. Am Schlusse der Hochzeit wurde ein Korb mit gedörrten Pflaumen gebracht, die in die geöffneten Mäuler geworfen wurden. Ich aber stieg in den Sattel und habe euch solches erzählt.
St Magnus zu Kempten und Roßhaupten
Magnus, der Apostel des Allgäus, kam auf seiner Wanderschaft mit Thosso nach Kempten. Dort hatten sich seit geraumer Zeit die Bewohner vor schrecklichen Drachen und Schlangen geflüchtet, die statt ihnen die Häuser bewohnten. Magnus erkannte darin einen Wink des Himmels, die Heiden durch wunderbare Hilfe für den wahren Gott zu gewinnen. So geschah es eines Tages, als Magnus und sein Gefährte betend für das Volk auf den Knien lagen, daß ein ungeheurer Drache aus dem Gemäuer hervorbrach. Der heilige Magnus befahl ihm im Namen Jesu Christi, des lebendigen Gottes, sich vor ihm zu beugen, und schlug ihm mit dem Stab des heiligen Gallus auf den Kopf. Augenblicklich stürzte das Untier tot vor ihm nieder, und auch alles übrige Gewürm und Ungeziefer verschwand.
So hauste auch in der Gegend, wo jetzt das Pfarrdorf Roßhaupten liegt, in tiefer Schlucht ein scheußlicher Lindwurm, der Menschen und Vieh erwürgte. Die Sage erzählt, er habe besonders Pferden nachgestellt und in seiner Höhle einen ganzen Berg von Roßhäuptern angelegt, woher denn nachmals das Dorf den Namen Roßhaupten erhielt. Der heilige Magnus kam dahin, ging, mit einem Kreuz auf der Brust, seinen Stab in der einen und einen Pechkranz in der anderen Hand, auf den Lindwurm los und schleuderte ihm unter Anrufung Gottes den Pechkranz in den Rachen. Das Untier zerbarst vor seinen Füßen, der Heilige aber dankte Gott auf den Knien für die wundervolle Tat.
Dragons of winter
Dragons of Winter
As the first fingers of frost touch the ground,
the chilled whistle of the wind is the only sound.
Snow and ice now blanket the land,
marred only by mysterious footprints like tracks in the sand.
Silent footfalls can be heard in the misty early morn,
a shadowy chamealeon ventures out from caves where it was born.
A creature of mystery with scales the color of ice and snow,
and who’s chilling breath is colder than the strongest wind may blow.
From northern lands of ancient yore,
they browse the snow drifts and ruins for books of magic and lore.
In caves of crystal and ice they rest,
like silent sentinels they guard many a crystal nest.
These mysterious dragons of ice and snow,
though rarely seen into the pages of history they flow.
And as quietly they rise from the mist and appear,
they fade from sight into the moonless night and disappear.
Moon dragon
Moon Dragon
Seen not by our eyes but they are true,
they watch over us whatever we do.Coming from times of anchent lore,
and then even long, long before.We see threw the dragons eyes,
telling between truth and lies.We listen when our mind is clear,
a dragons call we can hear.They are guardians of the moon and night,
they protect us when we perform our rights.We use their power with great care,
we have found the dragons lair.
Copyright Heather O’Connell (10/05/97), All rights reserved
http://www.dragonsight.net
Drachentränen (Karin Roth)
Ein Himmel wie von Gottes Hand erschaffen sah dieser neue Morgen..
Wundervoll anzusehen,
Winde die in Rot und Violett Tönen schimmerten, Wolken wie aus Watte die am Horizont schwebten wie eine Mauer rund um die Welt..
Die Sonne stand als glühender Ball am Firmament und begrüßte den neuen Tag mit ihren kraftvollen Strahlen und mit ihrer Wärme.
Die Berge erglühtem im Rot der Strahlen und ließen die Welt unwirklich erscheinen in ihrem sanften Licht.
Nebelschwaden hingen in den Tälern und ließen den Tau auf den Blätter glitzern wie Sternschnuppen.
Der Dunst der vom See aufstieg gab all dem einen verzauberten Hauch von Unwirklichkeit.
Es war ein ätherischer Ort voller Schönheit und Zartheit fern aller Realität und fern allen Leides..
Dachte man..
Was allerdings der neue Tag noch sah, war ein Wesen aus einer anderen Zeit..
Groß und Ehrfurchtgebietend flog es einst am Himmel entlang..
Der Schlag der Schwingen entwurzelte einst Bäume und entfachte Orkane über den Wäldern.
Das donnernde Brüllen aus ihrer Kehle ließ ganze Völker erstarren vor Furcht und ließ die Menschen erschaudern aus Angst.
Der heiße Strahl der ihrer Kehle entrann, konnte Legionen niedermähen in seinem Zorn und in seinem Toben.
Doch nun sah der neue Tag dieses Wesen auf einer Klippe sitzen..
Geschwächt..
Müde..
Ausgebrannt..
Und aus ihren großen .. dunklen Augen sprach die Traurigkeit und die Not eines ganzen Lebens..
Glitzernde Tropfen flossen über die Schuppen ihrer Schnauze entlang..
rannen über den matt gewordenen Panzer aus einst Stahlgrauen glänzenden Schuppen und bildetet am Fuße ihrer einst scharfen Krallen einen kleinen Teich aus Drachentränen.
Ihrer Kehle entrang sich kein Brüllen mehr..
Keine Schwingen mehr die sich kraftvoll bewegten..
Ein Gesang ertönte nur
eine Melodie die vom Schmerz der Welt kündete..
Eine Melodie,
die sang von Schönheit die einst war in ihrem Leben..
eine Melodie
die sang von der Liebe die einst beherrschte ihren Flug
eine Melodie
die sang von Sehnsucht die in ihrem Herzen herrschte
Still war die Welt um sie herum, die Geschöpfe des Waldes hielten ein in ihrem Tun und hörten auf die Stimme dieses Wesens..
Lange saß sie da auf dieser Klippe und lange war ihr Gesang an die Welt
In ihr ein Hoffen,
ein sehnen das ihr Gefährte ihren Gesang vernahm..
das er erkannte was ihr fehlte
das er erkannte warum sie nicht mehr den Spiel des Windes folgen konnte und sich nicht mehr erheben konnte in die Weiten des Firmamentes um mit langen Flügelschlägen ihre Welt wieder zu erobern.
Nach langer Zeit erkannt sie , das sie vergebens ihr Lied gesungen hatte..
Das ihr Mühen sinnlos war
und ihre Melodie im Nichts verklungen war..
das sie die einzige war aus ihrem Volke die noch am Leben war
So wob sie schweren Herzens einen Zauber um sich selber,
der ihren Leib in Stein verwandeln sollte..
ausharrend am Rande dieser Zeit..
bis sie einst geweckt werde
Geweckt von einem Zauberwesen wie sie eines ist..
So verklang leise ihre Melodie und ihr Körper verwandelte sich langsam zu Stein
Nur ganz oben.. einem Rinnsal gleich..
Entsprang diesem neuen Felsen hoch oben ein Bächlein..
Drachentränen,
Aus Stein geboren, auf das sie zum Wasser des Lebens werden das die Menschheit erinnern sollte an Zeiten die einst waren
So wartet sie heute noch ..
Doch immer noch fließt das Wasser den Berg hinab ,
als schillernde
Drachentränen
Drachenträne (Der Doktor)
Drachenträne
Sie kamen bei Nacht…
Sie stürmten ihr Haus…
Und sie nahmen sie mit…
Elyssa hatte gerade noch bei sich im Bett gelegen und friedlich geschlafen, als sich eine stinkende, dreckige Orkhand auf ihren Mund legte. Im nächsten Moment war sie geknebelt und ihr wurde ein Sack über den Kopf gestülpt. Dann wurde sie aus dem Bett gerissen und weggetragen. Sie zappelte mit den Beinen und versuchte den Knebel irgendwie los zu werden, doch alles war nutzlos. Sie konnte durch ihren Sack nur mehrere orkische Stimmen ausmachen, die sich in einer ihr unbekannten Sprache unterhielten, während sie durch die Nacht getragen wurde. Da es keinen Sinn hatte, weiter seine Kräfte damit zu vergeuden, sich zu wehren, dachte sie lieber über ihre Situation nach – denn sie wusste ziemlich genau, wer hinter ihrer Entführung steckte…
Es war nun ein halbes Jahr her, seitdem Saladrex gekommen war. Sie wusste noch genau, dass die Nacht vor seiner Ankunft eine bedrohliche Atmosphäre hatte. Die Hunde hatten verrückt gespielt und die ganze Nacht hindurch gebellt. Immer wenn sie zum Fenster ging, hatte sie ein Gefühl, als ob sie beobachtet werden würde. Und dann, am nächsten Morgen, stand er einfach so vor der Haustür: Ein schlanker, junger Mann, hoch gewachsen, mit kantigem Gesicht und braunem, kurzem Haar. Eigentlich war er ziemlich hübsch, doch in seinen Augen lag ein Funkeln und ständig umspielte ein angedeutetes Lächeln seine Lippen, was sie von Anfang an misstrauisch machte. Er hatte mit heller, aalglatter Stimme gesagt:
"Oh, äh, hier wohnt doch der Protektor dieses Landstrichs, Edmund Schneedolch, oder?"
"Euch auch einen guten Morgen! Ja, der wohnt hier."
Ihr Haus war das Einzige im Umkreis von 2 Meilen – der Mann konnte sich schlecht im Haus getäuscht haben.
"Wen soll ich melden?"
"Gut, mein Name ist Saladrex, ich möchte ihn sprechen!", war die relativ barsche Antwort.
Sie sah ihn erst einmal an und fragte sich, ob sie ihn ob seines rüden Verhaltens zurechtweisen sollte, ließ es aber dann und ging zu ihrem Vater in die Küche – der Mann war ihr irgendwie unheimlich…
"Vater? Da ist ein gewisser Saladrex vor unserem Haus. Er möchte dich sprechen."
Ihr Vater war nun schon in die Jahre gekommen, aber immer noch ein relativ kräftiger und stämmiger Kerl.
"Hm, Saladrex? Noch nie gehört, den Namen… Warte hier, ich werde mit ihm reden."
Edmund ging in Richtung Haustür. Danach konnte sie die beiden Männer miteinander reden hören – doch worüber sie genau sprachen, verstand sie nicht. Nach einer Weile kam ihr Vater mit einem Stirnrunzeln auf dem Gesicht zurück in die Küche.
"Und, was wollte er von dir?"
"Ein seltsamer Mensch… Er scheint hier neu zugezogen zu sein und wollte alles über die Ländereien und die Dörfer hier wissen. Besonders interessiert war er an meiner Position als Protektor. Er hat mich alles darüber gefragt: Was der Protektor zu tun hat, wann er gewählt wird, wie das mit den Steuern ist… Und dabei hat er mich dann die ganze Zeit ganz komisch angesehen. Irgendwie unheimlich, dieser Mann, findest du nicht?"
Sie nickte nur. Der Mann war ihr nicht unheimlich – sie hatte Angst vor ihm!
Ein paar Wochen später verschwanden dann die ersten Kinder aus Valyris, dem größten Dorf in der Umgebung. Besorgte Eltern kamen zu ihnen nach Hause und baten ihren Vater um Hilfe. Als Protektor war es schließlich seine Aufgabe, die Ländereien vor Räubern, Orks und sonstigen Übeln zu schützen. Trotz seines fortgeschrittenen Alters erledigte er seine Aufgabe immer noch auf eigene Faust und das nicht einmal schlecht. Er war nun schon seit 14 Jahren im Amt, da es noch nie ernsthafte Konkurrenten für diesen Posten gab. Das sollte sich in den nächsten Monaten jedoch ändern…
Ihr Vater zog also los, um die verschwundenen Kinder zu suchen, doch alles, was er herausfand, war, dass sie anscheinend von Orks verschleppt worden waren. Und obwohl er das gesamte Land zur Suche nach den Kindern mobilisierte, war das Versteck der Monster nicht auszumachen. Als man dann die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, kam Saladrex mit den verlorenen Kindern im Schlepptau nach Valyris. Und alle Kinder erzählten ungefähr dieselbe Geschichte: Dass sie von den Orks verschleppt und in ein geheimes Lager gebracht worden waren und dass sie in abgedunkelten Käfigen lange eingesperrt waren, bis sie schließlich eines Tages Kampfschreie im Lager der Orks hörten und sie dann von dem netten Saladrex gerettet wurden. Die Eltern der verlorenen Kinder waren natürlich allesamt überglücklich und bedankten sich viele Male bei Saladrex. Dies sollte sein erster Schlag gegen die Autorität ihres Vaters gewesen sein.
In den nächsten Wochen und Monaten gab es dann immer wieder Probleme mit Orks, Räubern, Monstern, Krankheiten und anderen Übeln, gegen die Elyssas Vater nichts, sondern anscheinend nur Saladrex etwas ausrichten konnte. So war es dann auch nicht verwunderlich, dass ihr Vater in der Gunst des Volkes immer mehr sank und Saladrex die folgenden Wahlen zum neuen Protektor haushoch gewann. Ihr Vater war besiegt. Doch, wie es so seine Art war, nahm er es auf die leichte Schulter und sagte: "Lass mal gut sein, Elyssa! Ich bin bereits alt und schwach – es wird Zeit, dass jemand anders diesen Job übernimmt." Sie dagegen nahm es überhaupt nicht auf die leichte Schulter. Saladrex hatte ihnen alles genommen: Geld, Arbeit, Freunde… Das einzige, was blieb war ihre Hoffnung, irgendwie neu anfangen zu können. Doch Saladrex schien noch nicht genug zu haben, wie ihre Entführung vermuten ließ – und sie war sich absolut sicher, dass Saladrex mit den Orks im Bunde stand.
"Wie lange wollt ihr mich denn noch hier im Nachthemd durch die Kälte tragen, ihr Drecksäcke? Und wäret ihr auch mal so freundlich, mir diese Kapuze ab zu nehmen?", fragte sie frierend. Die Orks gaben ihr keine Antwort. Entweder verstanden sie ihre Sprache nicht oder sie wollten ihr nicht antworten… Egal, es kam auf das Gleiche hinaus.
Nach einer kalten Ewigkeit, wie es ihr erschien, erzeugten die Schritte auf dem Boden plötzlich einen Hall. Sie hatten also irgendein großes Gebäude oder eine Höhle betreten. Es kam ihr auch vor, als wären sie durch eine unsichtbare Barriere geschritten und die kalte Luft der Nacht verwandelte sich in eine wohlige Wärme. Kurz darauf ging es eine Treppe hinunter, immer weiter abwärts. Elyssa fragte sich schon, ob dies die Treppe direkt in die Hölle sei, da ging es waagerecht weiter. Nach kurzer Zeit hielt der Ork, der sie trug, an. Die Kapuze wurde ihr abgenommen und sie wurde auf den Boden gestellt. Es war ein verdammt gutes Gefühl, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben und nicht die ganze Zeit auf einem schwankenden Orkrücken durch die Landschaft transportiert zu werden.
Sie stand nun in einer kleinen Zelle und die Orks machten sich gerade daran, den kleinen Raum zu verlassen und die vergitterte Tür, die ihn von dem Gang dahinter abtrennte, zu zu schließen. Bevor Elyssa etwas sagen konnte, waren sie außer Sicht. Na toll!, dachte sie sich und sah sich in ihrer Gefängniszelle um. Die einzige Einrichtung, die es hier gab, war eine kleine Pritsche und ein dreckiger, stinkender Nachttopf. Machen wir das Beste draus!
Sie legte sich hin – die Nacht war für sie schließlich sehr kurz gewesen – und schlief, trotz der mehr als ungemütlichen Pritsche, wieder ein. Sie wachte auf, als ein Ork ihre Zelle aufschloss. Sie kam schnell aus ihrem ungemütlichen Bett und stellte sich an die Wand. Der Ork betrachtete sie seltsam. Er hielt ein Tuch in der Hand – es war eine Augenbinde.
"Oh nein! Keine Augenbinden mehr! Hat Saladrex Angst, dass ich mich über seine lächerliche Gestalt lustig mache oder warum muss er mir unbedingt die Augen verbinden?", fragte sie trotzig.
"Saladrex hat befohlen und Befehl muss ausgeführt werden, ansonsten Saladrex böse. Nicht gut, wenn Saladrex böse sein, er dann schlimm Ding tun!", war die gebrochen gesprochene Antwort des Orks.
Sie hatte also Recht gehabt. Saladrex steckte hinter ihrer Entführung.
"Oh, was macht er denn Schlimmes? Läuft er rot an und schreit herum?", fragte sie schnippisch.
Der Ork lachte auf: "Haha! Guter Witz! Rot anlaufen! Haha!"
Elyssa verstand nicht, was daran so lustig war. Vielleicht laufen Orks nicht rot an?
Der Ork sprach weiter: "Nein, Meister hat befohlen! Du kriegen Augenbinde!"
Er kam auf sie zu und machte Anstalten, ihr die Augenbinde umzulegen, doch sie wehrte seinen Arm ab. Er schaute sie mit seinen Schweinsäuglein nur schief an – und schlug ihr dann ins Gesicht, so heftig, dass sie durch den Raum stolperte und auf ihre Pritsche fiel. Noch während sie benommen war, legte der Ork ihr schnell die Augenbinde um und zurrte sie fest. Dann zog er sie brutal hoch und zerrte sie aus ihrer Zelle hinaus und den Gang herunter. Nachdem sie um mehrere Kurven und durch mehrere Gänge oder Räume gegangen waren, sagte der Ork: "Achtung, Treppe!"
Dann nahm er sie dichter an seinen stinkenden Körper. Jeder Versuch, sich zu wehren, war vergeblich, der Griff des Orks war hart wie Stahl. Schritt für Schritt ging es also die Treppe hinunter. Die Stufen erschienen ihr unnatürlich groß und diese Treppe kam ihr fast genauso lang vor, wie die erste. Irgendwann müsste ich aber wirklich in der Hölle angekommen sein…
Aber auch diese Treppe hatte irgendwann ein Ende. Ihre Schritte erzeugten nun wieder einen Hall, sie befanden sich also in einer großen Halle. Eine Stimme ertönte: "Ah! Da ist die Kleine ja!"
Es war eindeutig Saladrex‘ Stimme. Sie klang jedoch irgendwie unwirklich und fern, wie in einem Traum. Dennoch hatte sie nichts von ihrer eigenen, ruhigen Schärfe eingebüßt.
"Sie ist verletzt!", sagte die Stimme.
Und der Ork neben ihr antwortete, noch während sie liefen: "Ich sie schlagen musste, Meister, sie nicht bereit, sich Augenbinde anlegen lassen und ihr befohlen hattet…"
"Ich weiß, welchen Befehl ich gegeben habe, und zwar, dass ihr unter keinen Umständen ein Leid zugefügt werden darf!", unterbrach ihn Saladrex wütend. Innerlich war sie schadenfroh. Jetzt hatte der rüde Ork ihn doch noch wütend gemacht! Ihr Peiniger ließ sie nun los.
"Aber nur wollten…", stammelte er.
Saladrex erwiderte nur: "Ich habe keinen Nutzen für Untergebene, die meine Befehle nicht befolgen!"
Irgend jemand holte tief und vor allem laut Luft. Dann gab es ein seltsames, rauschendes Geräusch, neben ihr ertönte der Schrei des Orks und ein Schwall extremer Hitze überkam sie. Elyssa schrie ebenfalls auf. So schnell, wie sie gekommen war, war die Hitze auch wieder weg.
"Entschuldige! Diese rohe und ungehobelte Behandlung ist nicht meine Absicht – jedenfalls noch nicht!", sagte die Stimme Saladrex‘ nun etwas freundlicher.
"Was…was soll das alles? Warum die Augenbinde? Warum überhaupt die ganze Folter für mich und meinen Vater, wir haben euch nichts getan!", sagte sie, langsam von Angst in Wut übergehend.
Saladrex lachte ein böses, kleines Lachen über ihre Eskapaden.
"Tut mir leid, Elyssa, aber das ist alles nötig! Jetzt gerade habe ich doch gefallen daran gefunden, deinen Vater ein wenig zu ärgern…", während er dies sagte, schien sich seine Stimme von einem Punkt rechts von ihr sich über ihren Kopf hinüber auf ihre linke Seite zu bewegen.
"Ihn ärgern? Ihr habt sein und damit auch mein ganzes Leben zerstört! Ihr findet das wohl witzig?", sie war völlig entrüstet.
"Irgendwie schon, ja! Aber er war natürlich auch mein Konkurrent – und nirgendwo steht geschrieben, dass man die Wahl zum Protektor nicht mit ein wenig…unkonventionellen Mitteln beeinflussen durfte…", seine Stimme wanderte nun um sie herum und schien immer woanders her zu kommen, was sie langsam zum Ausrasten brachte: "JETZT HÖRT AUF MIT DIESEN SPIELCHEN UND NEHMT MIR DIESE AUGENBINDE AB ODER ICH WERDE KEIN WORT MEHR MIT EUCH REDEN, KLAR?"
Ein seltsames Geräusch, eine Art Schnauben ertönte, dann wieder Saladrex‘ Stimme, diesmal wieder direkt vor ihr: "Nun gut, ich sehe schon, du meinst es ernst"
Die Augenbinde an ihrem Kopf knotete sich wie von selbst auf und fiel ab, so dass sie Saladrex erblickte.
Nun, Elyssa hatte in ihrem Leben noch nie zuvor einen Drachen gesehen, doch das gigantische Biest, dessen Schnauze sich nur wenige Zentimeter vor ihrem Gesicht befand und das sie mit großen, gelben Augen anstarrte, musste wohl einer sein.
Der Drache sagte: "Buh!", was seine Wirkung nicht verfehlte – Elyssa fiel in Ohnmacht.
Als sie wieder zu Bewusstsein kam, lag sie in einem Kreis aus roten Schuppen. Wie eine Mauer ragte der mit Stacheln besetzte Körper des Tieres um sie herum auf.
Oh Gott, der muss mindestens 30 Meter lang sein!, dachte sie. Auf seinem Kopf saßen zwei elegant nach hinten geschwungene Hörner und die beiden gelben Augen darunter schienen sie noch immer belustigt anzustarren. Als sie ihn so betrachtete, fiel ihr eine gewisse Ähnlichkeit mit seiner menschlichen Gestalt auf. Er war zwar in gewisser Weise schön, doch gleichzeitig auch gefährlich und zwielichtig.
Nach mehreren Minuten des Anstarrens unterbrach die schneidende Stimme des Drachen die Stille: "Ich finde das immer wieder faszinierend, wie mich die Menschen anstarren, wenn sie mich das erste Mal sehen… Meistens ist es jedoch auch das Letzte, was sie je sehen."
Er machte etwas, dass wohl ein Lächeln sein sollte.
Irgendwie schaffte sie es, sich zusammen zu raffen und zu sagen: "Was soll das alles hier? Ihr seid doch Saladrex oder?"
"Nein, ich bin sein Schoßtier!", erwiderte er sarkastisch, "Und was das alles hier soll, fragst du? Nun, ich will es dir erklären: Wenn ein Drache sich irgendwo niederlässt, nimmt er gleichzeitig Anspruch auf ein großes Gebiet rund um seinen Hort. Sicher wäre es in meiner wahren Gestalt sehr viel einfacher gewesen, dieses Gebiet für mich zu erobern, doch es hätte nur zu viel Aufmerksamkeit erregt, wenn auf einmal nicht mehr Edmund Schneedolch, sondern der Drache Saladrex die Ländereien hier beherrscht. Sofort hätte jeder gewusst: "Oh, im Schneedolch lauert ein garstiger Drachen!" Du weißt gar nicht, wie es nervt, ständig in Sorge zu sein, dass einem selbst nach kurzzeitigem Verlassen der Höhle die Hälfte des mühsam angesammelten Schatzes fehlt! Nun, die Methode, die ich angewandt habe, um Protektor zu werden, war viel unauffälliger – es bleibt nur der eklige Nachgeschmack, dass ich all diese Menschen "retten" musste… Aber ich habe ihnen ihr Leid ja auch zugefügt, das gleicht die ganze Sache auch wieder ein wenig aus. Nun, leider wird es sich nicht sehr lange vermeiden lassen, meine wahre Identität vor der Öffentlichkeit zu verbergen – aber dann können sie meinetwegen alle ankommen und sterben!", zum Schluss schien er bloß noch mit sich selbst zu sprechen. Seine Selbstliebe machte sie schon jetzt krank.
"Und wie wollt ihr das mit eurem Protektor-Job regeln?", fragte sie ihn, halb aus Neugier, halb, um ihn von sich abzulenken – wer so lange über sich selbst redet, kümmert sich nicht mehr um andere.
"Oh, natürlich werde ich hier nicht für alle Zeiten unbehelligt leben können, aber meine Höhle ist gut versteckt. Außerdem bekomme ich mit meiner "Arbeit" als Protektor, noch nebenbei ein wenig Gold für meinen Hort. Soweit habe ich da alles geklärt. Doch eine Sache ist noch zu erledigen… Dein Vater muss leider aus dem Weg geschafft werden! Es hat macht zwar Spaß, ihn zu quälen, doch er ärgert sich ja kaum, was mir den Spaß auch ein wenig lindert… Wie auch immer, er wird demnächst hier aufkreuzen, dafür habe ich gesorgt.", sagte er mit einem bedeutungsschwangeren Blick auf sie.
Entsetzen füllte sie. Er wollte mit ihrer Entführung Edmund hierher locken, um ihn dann umzubringen – und um wahrscheinlich hinterher mit ihr das Gleiche zu tun.
"Bitte… Bitte lasst meinen Vater leben! Er hat euch doch nie etwas getan und ich bin sicher, er würde euch auch nie etwas antun! Er hätte euch hier wahrscheinlich sogar in Frieden leben lassen, unbehelligt von der Außenwelt!", rief sie verzweifelt.
Saladrex lachte auf: "Ha, mir etwas antun! Weißt du, es ist mir egal, was dein Vater über mich denkt. Fakt ist: Er ist der Protektor dieses Landes und wir Drachen fügen uns niemals irgend einem menschlichen Herrscher, und wenn er noch so lieb und nett ist!"
"Dann…dann nehmt mich als eure Sklavin und verschont ihn, ich bitte euch…"
"Ich sagte nein und es bleibt dabei! Sobald er hier ankommt, weiß er über meine wahre Natur Bescheid und das kann ich nicht durchgehen lassen! Und wozu sollte ich eine Sklavin benötigen? Völlig nutzlos!", sagte er nun etwas ärgerlicher.
"Ich könnte…"
"HALT DIE KLAPPE!!!", brüllte er. Sie erkannte, dass es besser war, ihn nicht noch weiter zu provozieren. Das hätte wahrscheinlich ein böses Ende genommen.
Dann hörte sie Schritte. Als sie sich umdrehte, sah sie einen Ork die Treppe herunter kommen. Er blieb vor dem Drachen stehen, verbeugte sich und sagte: "Meister! Mensch in unsere Höhle eingedrungen, wie geplant ihr habt – einige von uns gegen ihn kämpfen."
"Sehr gut, doch werft ihm nicht zu viele entgegen, er soll doch bis hier durch kommen!"
"Ja, Meister!", der Ork verbeugte sich wieder, drehte sich um und ging fort.
Ihr Vater war also auf direktem Kurs ins Verderben… Mit den Orks wurde er spielend fertig, mit so einer Plage hatte er ja schon mehrmals zu tun. Ein Drache war da ein ganz anderes Problem.
"So, du wirst jetzt brav den Mund halten meine Süße, das ist eine Sache zwischen mir und deinem Vater!"
"Aber…"
"Ich sagte Mund halten!", er machte eine Bewegung mit seinen messerscharfen Klauen und sie verstummte.
Dann richtete er sich auf und deutete an eine Wand der riesigen Halle.
"Stell dich da hin!"
Wortlos folgte sie seiner Aufforderung. Erst jetzt fiel ihr auf, wie groß der Raum war: Von einem Ende zum anderen maß er mindestens 100 Meter und die Decke befand sich weit über ihrem Kopf. Wozu dieser Raum einmal gedient haben mochte? Es sah aber so aus, als wäre sämtliche Einrichtung schon vor Jahren entfernt worden. Im hinteren Teil des Raumes war ein riesiges Loch in der Wand. Vor dem Loch lag ein großer Berg aus Schätzen. Goldmünzen, Truhen, kostbar aussehende Schwerter, prunkvoll verzierte Bücher – sie wagte nicht, abzuschätzen, wie viel das alles wert sein mochte. Erst das erneute Geräusch von Schritten lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf die große Treppe.
Ihr Vater kam mit gezogenem, blutigem Schwert diese Treppe hinunter.
Als er den Drachen sah, erstarrte er in seiner Bewegung. Was er jetzt wohl denkt?, fragte sie sich. Dann fiel Edmunds Blick auf sie. Langsam und ohne den Blick von dem Drachen abzuwenden, bewegte er sich langsam in ihre Richtung und sagte: "Geht es dir gut Schatz?"
"Ich denke schon…", war ihre Antwort.
"Gut…", sagte er zu ihr, dann zu dem Drachen, "Saladrex, nehme ich an?"
"Versucht gar nicht erst, sie zu erreichen, das werde ich schon zu verhindern wissen.", antwortete Saladrex.
Ihr Vater blieb stehen.
Dann sagte er: "Hört mal, ich möchte keinen Ärger mit euch, ich möchte einfach nur meine Tochter zurück haben und in Frieden leben können, ist das denn zu viel verlangt?"
"In gewisser Weise schon, ja! Ich kann zwar verstehen, dass ihr euch nicht mit mir anlegen wollt, aber durch euer Eindringen hier habt ihr das leider zwangsläufig getan. Ihr versteht, dass ich euch nicht in der Weltgeschichte herumlaufen lassen kann, während ihr überall Drachentöter anheuert und fröhlich heraus posaunt, dass ich hier oben wohne?", war die Antwort des Drachen.
"Ich habe nicht vor, irgend jemandem zu erzählen, dass ihr hier haust, noch habe ich vor, eure Schätze zu stehlen, noch möchte ich euch töten, noch euch sonst irgendwie Schaden zufügen! Ich möchte nur Elyssa wieder haben!"
"Oh, ihr glaubt doch wohl selber nicht, dass ihr keine Hassgefühle für mich hegt! Ich habe euch alles genommen! Alles, außer eines: Euer kleines, erbärmliches Leben! Es liegt in Trümmern, es ist doch sowieso nicht mehr viel wert, oder?"
"Doch! Solange meine Tochter lebt, hat mein Leben noch einen Sinn! Sogar mein Tod hätte noch einen Sinn, wenn Elyssa dafür leben könnte. Also, stellt mit mir an, was ihr wollt, aber lasst sie frei, ich bitte euch!", die Stimme ihres Vaters blieb die ganze Zeit über erstaunlich ruhig – sie bewunderte ihn dafür.
Der Drache nahm eine Klaue hoch und rieb sich das Kinn.
"Hmm, nun gut, ich will euch noch eine Chance geben: Wir spielen ein kleines Spiel! Es geht um Alles oder Nichts. Wenn ihr gewinnt, dürft ihr gehen und eure Tochter darf euch begleiten – doch ich warne euch: Wenn ihr auch nur einem anderen Lebewesen von mir erzählt, seid ihr tote Menschen! Ich habe Wege und Mittel, dies heraus zu finden.
Solltet ihr verlieren, werdet ihr sterben – und eure Tochter hier wird euch folgen!"
"Was ist das für ein Spiel?", fragte Edmund misstrauisch.
"Kämpft gegen mich! Solltet ihr länger als 2 Minuten überleben, schenke ich euch eure Freiheit!", der Drache grinste.
Elyssa fuhr empört auf: "Das ist doch völlig unfair! Er hat überhaupt keine Chance gegen euch!"
"Elyssa, bitte! Misch dich da nicht ein!", sagte ihr Vater mit einem Seitenblick.
"Aber…"
"Ich sagte misch dich nicht ein!", unterbrach er sie mit Nachdruck und richtete sich wieder an Saladrex, "Ich gehe auf euer Angebot ein, aber nur unter einer Bedingung: Kein Feuer, keine Magie eurerseits! Eure körperlichen Waffen gegen mich und mein Schwert! Zwei Minuten! Keine Sekunde länger!"
Saladrex grinste. Dann öffnete er eine Klaue und schloss die Augen. Eine kleine Sanduhr erschien. Er stellte sie neben Elyssa ab.
"Du wirst unser Schiedsrichter sein, Süße! Wenn ich Los! sage, drehst du die Sanduhr um, wenn die Sanduhr abgelaufen ist, schreist du Stopp!, alles klar? Und wehe du schummelst!", richtete er sich an sie, wie an ein kleines Kind, dem man eine simple Aufgabe ganz langsam erklären musste.
"Vater…", setzte sie an, doch er unterbrach sie wieder: "Nein Elyssa, bitte, versuch nicht, mich davon abzubringen! Du weißt, dass es unsere einzige Chance ist! Und jetzt setz dich dort hinten hin, wo du sicher bist und spiele deine Rolle als Schiedsrichter! Es sind nur zwei Minuten…und vielleicht bin ich doch nicht so schwach, wie ich immer behaupte", sagte er mit einem Augenzwinkern. Dann wandte er sich dem Drachen zu, während sie aufstand und die Sanduhr mit sich nahm. Weiter hinten in der Höhle nahm sie Platz und stellte die Sanduhr vor sich auf den Boden.
Saladrex richtete sich auf und breitete seine Flügel aus – es schien, als würde er sich strecken. Dann faltete er sie wieder zusammen und sagte laut: "Los!"
Elyssa drehte die Sanduhr um und die winzigen Sandkörnchen begannen durch den Hals der Uhr zu rieseln.
Zuerst starrten sich die beiden konzentriert an, der gigantische Drache, der mit seiner Gestalt den Raum in der Breite fast ganz ausfüllte und der kleine Mann mit seinem treuen Schwert, dass wie eine Stecknadel im Vergleich zu seinem Gegner wirkte.
Plötzlich zuckte der lange Schwanz des Drachen vor, um Edmund von den Füßen zu fegen, doch Elyssas Vater sprang geschickt hoch, um sich danach gleich unter einem folgenden Klauenhieb zu ducken. Und schon folgte der nächste Hieb, dem er sich mit einer gewandten Drehung entzog. Dann kam der riesige Kopf des Ungeheuers herunter geschnellt, um ihn mit seinen riesigen Zähnen zu zerreißen. Edmund warf sich flach auf den Boden und kurz über ihm schnappte das riesige Gebiss zu. Bevor der Drache merkte, dass er ins Leere gebissen hatte, rollte sich ihr Vater unter dem gewaltigen Schädel hervor und richtete sich genau unter dem Drachen wieder auf. Einen weiteren Klauenhieb lenkte er mit seinem Schwert von sich ab, doch dessen Wucht riss ihn zu Boden. Den Sturz fing er mit einer Vorwärtsrolle ab und kam auf den Rücken zu liegen. Schnell richtete er sein Schwert auf und erdolchte damit den auf ihn herunter kommenden Fuß. Der Drache brüllte auf vor Schmerz und riss die Klaue wieder nach oben, was Edmund allerdings sein Schwert kostete. Der Drache zog sich abfällig das Schwert aus dem Fuß, während ihr Vater die Zeit nutzte, um Abstand zu gewinnen. Sie konnte ihn nun nicht mehr sehen, da die riesige Gestalt des Drachen die Sicht versperrte. In der Aufregung hatte sie ganz vergessen, auf die Sanduhr zu sehen. Der gesamte Sand war fast durchgerieselt.
"Vater, die Zeit ist gleich um!", rief sie.
Dass das ihren Vater das Leben kostete, sollte sie nie erfahren. Nach ihrem Ruf war Edmund kurz in seiner Konzentration unterbrochen und wollte zu Elyssa sehen, die durch den riesigen Drachen jedoch verdeckt war.
Er sollte sie nie wieder sehen.
Saladrex nutzte den winzigen Moment der Unachtsamkeit und hieb mit der verletzten Klaue nach Edmund. Er sprang zwar zurück, doch seine Reaktion kam einen Moment zu spät. Er wurde mitten im Sprung getroffen und zur Seite geschleudert. In der Luft drehte er eine bizarre Pirouette und blieb dann bäuchlings auf dem Boden liegen. Ein roter Teppich begann sich unter ihm auszubreiten.
Saladrex sagte lakonisch: "Ups!"
Elyssa rief: "Die Zeit ist um!"
Der Drache bewegte eine Klaue und drehte Edmunds Körper auf den Rücken. Er hatte ihm die gesamte Bauchdecke weggerissen. Doch der widerwärtige Anblick kümmerte ihn wenig. Viel mehr interessierte er sich für die immer noch offen Augen, die ihn ansahen. Blut lief Edmund aus dem Mund, doch irgendwie konnte er noch folgendes röchelnd hervorbringen: "ich…lebe…no…noch…"
Saladrex holte wütend Luft und spie einen weißglühenden Feuerstrahl, der Edmund zu Asche verbrannte.
Elyssa schrie auf und rannte auf den Drachen zu. Dieser sah seine verletzte Klaue an – es hingen noch immer ein paar von Edmunds Innereien daran. Er schüttelte sie achtlos ab und zog sich das Schwert heraus. Dann kam Elyssa an, sah die Überreste ihres Vaters und blieb fassungslos stehen. "Nein!", flüsterte sie. Tränen sammelten sich in ihren Augen.
Der Drache sah sie schief an und sagte: "Oh, tut mir leid für dich! Weißt du, er war gar kein so schlechter Kämpfer – der Kampf hat direkt Spaß gemacht!"
Die Trauer verwandelte sich in blinden Hass. Mit Tränen in den Augen begann sie auf den Fuß des Drachen einzuschlagen und einzutreten und schrie dabei: "Du verdammter Bastard! Scheißkerl! Mörder! MÖRDER!!!"
"Ach halt doch die Klappe, Winzling!", war seine wütende Antwort und er schlug mit der Rückhand nach ihr.
Der Schlag war so heftig, dass er sie mehrere Meter weit weg schleuderte, wo sie benommen vor Schmerzen liegen blieb. Der Drache erschien über ihr, mit einem Blick, in dem so viel Wut lag, dass er Eis hätte schmelzen können.
Gleich wird er mich töten, dachte sie und schloss die Augen.
Doch der tödliche Streich fiel nicht. Irgendwann öffnete sie ihre Augen wieder und sah einen sitzenden Drachen vor sich, der laut nachdachte.
"Hm…hm…ja…ja! Ja! Weißt du, ich habe dein Angebot noch einmal durchdacht – vielleicht brauche ich ja doch eine kleine Gehilfin… Du darfst meinetwegen als meine Sklavin weiterleben. Oder du kannst hier an Ort und Stelle sterben – die Todesart darfst du frei wählen. Deine Entscheidung: Leben? Oder Sterben?"
Sie richtete sich wieder auf. Der Schmerz war fast unerträglich, doch sie zwang sich zum Nachdenken.
Lieber würde ich sterben, als diesem Monster als Sklavin zu dienen! Doch andererseits… Vielleicht bietet sich mir irgendwann eine Möglichkeit zu entkommen? Ich würde es ihm heimzahlen! Ich würde die besten Drachentöter anheuern, die es gibt und dann würde ich ihn leiden lassen. 2 Minuten lang. Oh, es würden die längsten 2 Minuten seines Lebens sein!
Sie stellte sich vor, wie ihre Drachentöter Saladrex langsam folterten, wie sie ihm die ganze Zeit eine seiner bescheuerten Sanduhren vor die Nase hielt und wie sie ihm zum Schluss das Schwert ihres Vaters direkt in den Kopf rammen würde. Ein süßer Gedanke in dieser schrecklichen Situation.
"Wie lautet deine Entscheidung, Elyssa? Sklaverei oder Tod?", fragte er sie mit einem kalten, durchdringenden Blick.
Sie schaute auf den Boden.
"Ich stehe zu eurer Verfügung…Herr.", war ihre Antwort.
"Oh, eine weise Entscheidung, meine kleine Elyssa, wahrhaft weise! Nun gut! Erst einmal: Solltest du deine Arbeit schlecht machen, werde ich dich bestrafen. Solltest du versuchen zu fliehen, werde ich dich töten. Solltest du versuchen, mir Schaden zuzufügen, werde ich dich langsam töten – so langsam, dass es dir wie eine Ewigkeit vorkommen wird. Hast du das verstanden?"
"Ja, Herr!", antwortete sie demütig.
"Gut! Vielleicht werde ich dich ja irgendwann mal freilassen…vielleicht werde ich dich auch irgendwann töten…mal sehen. Noch Fragen?"
"Ja Herr! Was soll ich als eure Dienerin machen?"
"Hm…du könntest damit anfangen, den Dreck, den dein Vater hier verursacht hat, wegzuräumen.", sagte er mit bösem Unterton.
Die Worte trafen sie wie ein Peitschenschlag. Doch sie zwang sich dazu ein "Ja, Herr!", hervor zu pressen.
"Gut! Hol dir von den Orks irgendwas zum Saubermachen!"
Sie überlegte: Das ist meine Chance, ich könnte versuchen zu fliehen. Aber wie lange wird er benötigen, um herauszufinden, dass ich weg bin? Wie lange wird er brauchen, um mich zu finden? Nein, jetzt kann ich noch nicht fliehen. Also, spiele den braven Sklaven, Elyssa. Irgendwann kommst du hier raus und zahlst es ihm heim…irgendwann…
Kurze Zeit später stand sie wieder vor der Asche ihres Vaters. Unter der ständigen Aufsicht von Saladrex machte sie sich daran, mit einem Besen die Überreste Edmunds auf ein Tuch zu fegen und dachte dabei: Nicht nachdenken, Elyssa, nicht nachdenken! Er will dich nur quälen, wie er es mit deinem Vater getan hat… Und hat sich dein Vater davon beirren lassen? Nein, er hat gesagt: Solange es noch Hoffnung gibt, ist das Leben lebenswert. Sie wiederholte es immer wieder: Solange es noch Hoffnung gibt… Das gab ihr Kraft mit ihrer schrecklichen Arbeit fertig zu werden. Als sie fertig war, legte sie das Tuch zusammen und fragte den Drachen mit der ruhigsten Stimme, die sie sich aufzwingen konnte:
"Habt ihr noch weitere Aufgaben für mich, Herr?"
Ein Funkeln in seinen Augen verriet ihr, dass Saladrex leicht verärgert darüber zu sein schien, dass sie sich so ruhig gab. Doch er antwortete ihr mit der gleichen Ruhe: "Nein, das soll fürs erste einmal genug sein. Du bist ja sicherlich ganz fertig! Ich werde jetzt ausfliegen und dir ein wenig Kleidung und was zu essen besorgen – wir wollen ja nicht, dass du gleich eingehst, nicht wahr?"
Er wusste, wie hart er sie mit diesem väterlichen Gehabe traf. Doch sie hatte nicht vor, sich davon beeinflussen zu lassen, darum antwortete sie nur mit einem "Danke, Herr!"
Er warf ihr nochmals einen seltsamen Blick zu, drehte sich dann um, ging zu dem großen Loch in seiner Höhle, breitete die Flügel aus, stieß sich vom Rand ab und flog weg. Sie stand nun alleine in der großen Halle und nutzte die Zeit, um sich umzusehen. Zuerst ging sie zu dem großen Loch, aus dem eben noch Saladrex‘ mächtiger Körper verschwunden war. Die steinernen Ränder des Lochs waren glasiert, wie weggeschmolzen. Anscheinend hatte sich der Drache den Eingang zu seiner neuen Heimat in den Fels gebrannt. Vor ihr breiteten sich die Ländereien ihres Vaters aus. Ex-Ländereien, verbesserte sie sich in Gedanken. Saladrex‘ Höhle musste im Schneedolch liegen, dem einzigen und damit höchsten Berg in der Umgebung. Elyssa stammte aus dem Geschlecht der Schneedolche, welches nach dem Berg benannt war. Ob diese Familie mit mir ihr Ende finden wird?
Sie sah über den Rand der Klippe. Dahinter ging es relativ steil abwärts – für einen Menschen unmöglich, hier hoch zu kommen. Der Eingang zu dem Komplex über ihr musste weit oben liegen, so große Treppen, wie sie hierher überwunden hatte. Warum wusste niemand von dem Gewölbe in diesem Berg? So etwas ließ sich doch nicht so einfach übersehen… Vielleicht war der Eingang getarnt gewesen? Doch wie hatte dann ihr Vater her gefunden?
Sie ließ ihren Blick über die Landschaft schweifen und merkte, wie ihr die Tränen kamen. All dies stand einst unter dem Schutz ihres Vaters. Jetzt war es der Willkür eines roten Drachen ausgeliefert, der mit diesen Ländereien anstellen konnte, was er wollte… Und sie wollte sich nicht vorstellen, was Saladrex hier machen würde. Den Anwohnern in den zahlreichen Dörfern stand eine harte Zeit bevor. Und indem sie Saladrex gewählt hatten, brachten sie sich ihr eigenes Verderben…
Sie ließ alles raus. Sie schrie wütend auf und begann, an die Wand zu treten, immer und immer und immer wieder, bis sie ihren Fuß vor Schmerzen kaum mehr spüren konnte. Dann setzte sie sich auf den Boden, vergrub die Hände im Gesicht und weinte. Sie schluchzte und weinte all die Wut und die Trauer aus, die sich in den letzten Stunden angesammelt hatten. Sie weinte und schrie und wand sich auf dem Boden, bis sie keine Kraft mehr hatte und nur noch stumm auf der Seite lag und Tränen vergoss.
Sie wusste nicht, wie lange sie dort gelegen hatte, als sie die Flügelschläge ihres neuen Herren hörte. Schnell richtete sie sich auf, trocknete ihre Augen, so gut es ging und stellte sich neben den großen Eingang. Saladrex landete auf der Klippe und ging dann in seine Halle hinein.
Elyssa stand mit gesenktem Kopf da, um ihm nicht ihre geröteten Augen zu zeigen. Der Drache schien kurz zu schnuppern, sah sie abfällig an und warf ihr dann einen Beutel zu, den er in einer seiner Klauen getragen hatte.
"Hier, das dürfte alles sein, was du benötigst!"
Sie ging zu dem Beutel und sah hinein. Sein Inhalt war ein grünes, gar nicht mal so hässliches Kleid, ein Brot und ein paar Früchte. Doch damit waren noch nicht alle ihre Bedürfnisse gedeckt…
"Wo soll ich schlafen, Herr?"
Der Drache machte eine Geste, die bei einem Menschen wahrscheinlich ein Hochziehen der Augenbrauen hätte darstellen sollen.
"Du schläfst hier, bei mir!"
"Aber auf welchem Bett, Herr?"
"Auf welchem Bett? Was hast du denn für Ansprüche? Du wirst neben mir auf dem Boden schlafen! Oder ist dir das zu unangenehm?", fragte er mit Nachdruck.
Sie senkte den Kopf: "Nein, Herr."
"Gut! Du darfst dich dann hinlegen, ich habe für heute keine weiteren Aufgaben für dich."
Er legte sich vor seinen Schatzhaufen, rollte sich zusammen und legte seinen Kopf auf den Schwanz. Sie nahm sich die Nahrungsmittel, die er mitgebracht hatte und begann mit Heißhunger zu essen – schließlich hatte sie den ganzen Tag über nichts in den Magen bekommen. Die ganze Zeit über wurde sie dabei von dem Drachen beobachtet, für den es ein besonders faszinierender Anblick zu sein schien. Entweder hatte er noch nie einen Menschen essen sehen oder er dachte dabei seine eigene Ernährung, so wie er sie ansah. Schnell schüttelte sie den Gedanken ab und sah weg. Solange es keinen Grund gibt, wird er mich nicht töten. Und ich werde dafür sorgen, dass auch nie einen geben wird!
Nach einer Weile schloss der Drache seine Augen. Schon bald war er eingeschlafen. Elyssa überlegte, was sie jetzt tun sollte. Sollte sie vielleicht doch versuchen zu fliehen? Sie könnte bis ins nächste Dorf kommen und dort versuchen, sich zu verstecken… Nein, zu riskant! Sie konnte nicht riskieren, dass ihre Rache an Saladrex ausblieb. Ihre Seele würde keine Ruhe bekommen, sollte der Drache ihren Tod überleben.
Sie würde sich Zeit lassen.
Sie würde nicht überstürzt handeln.
Sie würde ihn töten.
Und sie würde sich von nichts und niemand davon abbringen lassen!
Doch das musste warten. Jetzt legte sie sich auf den harten Boden und versuchte zu schlafen. Sie wollte nicht zu nah an dem Drachen liegen und legte sich deswegen mitten in die Halle.
Es war kalt. Sie drehte sich auf dem Boden immer wieder hin und her, in verzweifelter Suche nach einer bequemeren Lage. Sie wusste nicht wie und sie wusste nicht wann, aber nach langer Zeit, wie es ihr schien, gelang es ihr dann, einzuschlafen.
Und die Zeit vergeht…
Die Arbeiten, die sie verrichten musste, waren unangenehm und eintönig. Sie musste die gesamte große Halle schrubben, Saladrex‘ wertvolle Schätze putzen, seine Schuppen reinigen oder ihn mit ihrer bloßen Anwesenheit unterhalten, was für sie am schlimmsten war, da sie meistens mehrere Stunden lang einfach nur dastehen musste, während der Drache sie einfach nur betrachtete. Elyssa war froh darüber, dass sie nicht wusste, was er dachte, während er sie ansah.
Meistens jedoch war er nicht in seiner Halle, sondern flog auf die Spitze des Berges, um seine Ländereien zu beobachten oder um zu jagen. Und immer, wenn sie alleine war oder von dem Drachen angestarrt wurde und keine Arbeit zu verrichten hatte, erging sie sich in ihren Plänen, den Drachen umzubringen. Sie ergötzte sich immer und immer wieder an dem Gedanken, ihm den Todesstoß zu geben.
Doch so ablehnend er sich ihr gegenüber auch verhielt, er kümmerte sich recht gut um sie. Er ließ sie regelmäßig an seiner Jagdausbeute teilhaben und versorgte sie mit allem, was sie benötigte, sei es Wasser, Kleidung oder gar ein wenig Heu, um ein provisorisches Bett zu erstellen. Das machte die Nächte zwar nicht sehr viel wärmer, aber zumindest ein wenig bequemer.
Sie hatte keine Ahnung, was er mit der Bevölkerung in den umliegenden Dörfern anstellte – sie wollte es auch nicht wissen. Es war sicherlich nicht sehr angenehm für die Menschen, die einst zufrieden unter der Aufsicht ihres Vaters leben konnten, bis Saladrex ankam.
Die Bestätigung für Saladrex‘ Schreckensherrschaft erhielt sie nach mehreren Monaten Sklavenschaft…
Es war wieder eine der Perioden, wo er sie nur anstarrte. Seine großen, gelben Augen schienen sie zu durchdringen, wenn sie ihn ansah. An diesen Blick hatte sie sich nun schon fast gewöhnt. Ich werde ihn vor seinem Tod auch nochmal eine Stunde lang nur anstarren, dann weiß er, wie ich mich die ganze Zeit gefühlt habe, sagte sie sich immer. Doch diesmal sah der Drache plötzlich auf. Ein paar Momente später kam einer der Orks, die ebenfalls in dem Bergkomplex wohnten, die große Treppe herunter.
"Ich hoffe, es gibt einen guten Grund, mich zu unterbrechen!", sagte Saladrex mit drohender Stimme.
"Es sind Menschen eingedrungen, Meister!"
Saladrex sah auf.
"Wirklich? Wie viele?", fragte er interessiert.
"So viele, wie Ork Finger an Hand hat.", antwortete der Ork. Es überraschte Elyssa, dass diese Kreaturen überhaupt zählen konnten, so dumm, wie sie sich sonst anstellten. Wahrscheinlich war der Ork ein Gelehrter in seinem Volk…
"Schick ihnen ein paar eurer Leute entgegen. Aber nicht zu viele, ich will, dass sie bis hierher durchkommen!", sagte Saladrex mit einem Grinsen. Das Gleiche hatte er vor Monaten – oder waren es Jahre gewesen? – gesagt, als ihr Vater in den Komplex kam. Elyssa schüttelte den Gedanken schnell ab.
Der Ork sagte nur "Ja, Meister!", drehte sich um und ging die Treppe wieder hoch.
Der Drache wandte sich wieder ihr zu: "Ha, das wird ein Spaß! Pass auf!"
Auf einmal begann er mit einem inneren Licht zu glühen und gleichzeitig zu schrumpfen. Wenige Sekunden später hatte er sich in seine menschliche Form verwandelt. Elyssa hatte schon fast vergessen, wie er als Mensch aussah, so lange war es schon her, dass sie ihn das letzte Mal so gesehen hatte.
Die Illusion war perfekt. Hätte sie nichts von seiner wahren Natur gewusst, hätte sie ihn für einen normalen Menschen gehalten. Einzig das Funkeln in seinen Augen verriet noch ein wenig über seine Absichten.
"Glotz nicht so! Du siehst mich schließlich nicht das erste Mal!", sagte er mit seiner alten, menschlichen Stimme, die immer noch eine gewisse Ähnlichkeit zu seiner Drachenstimme hatte. Dann drehte er sich um und hob die Hände. Eine Sekunde später erschien quasi aus dem Nichts ein solider Stahlkäfig mit eiserner Tür. Elyssa hatte das Gefühl, ihre Kinnlade würde auf den Boden fallen und ihre Augen aus dem Kopf springen.
"Wie…wie…", wollte sie ansetzten, wurde aber gleich unterbrochen: "Das ist eine Form der Magie, die ihr Menschen nie verstehen, geschweige denn beherrschen werdet, versuch also gar nicht erst, eine Erklärung zu bekommen!"
Er öffnete die Tür des Käfigs, die mit einem eisernen Schloss versehen war. Und lud sie mit einer Handbewegung ein, hinein zu steigen.
"Was…?"
"Frag nicht, sondern geh hinein!", sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Sie leistete auch keinen Widerstand und stieg in das eiserne Gefängnis.
Saladrex folgte ihr, schloss die Tür hinter sich und ließ das Schloss klickend einrasten.
"So, es wäre besser für dich, wenn du jetzt die Klappe halten würdest!", sagte er mit einem übertrieben freundlichen Lächeln. Und schon war die Abenteurergruppe zu hören, die, sich fröhlich unterhaltend und laut polternd die Treppe herunter kam. Am Fuße der Treppe jedoch stoppten sie und starrten.
Es waren fünf Menschen, drei Männer, zwei Frauen. Ihnen offenbarte sich folgendes Bild: Eine riesige, lange Halle mit einem großen Loch am anderen Ende, das direkt ans Tageslicht führte. Mitten in der Halle lag ein riesiger Haufen aus Gold, Schätzen und Kostbarkeiten – und davor stand ein Käfig mit zwei Menschen drin, einer jungen Frau und einem hoch gewachsenen Mann.
Die fünf Menschen sahen alle recht unterschiedlich aus. Die eine Frau war relativ spärlich bekleidet, hatte nur einen langen Stab in der Hand und lange, schwarze Haare. Die andere Frau war nahezu das Gegenstück zu ihrer Partnerin: Kräftig gebaut, kurze Haare, Lederpanzer, Schild und Streitkolben… Die beiden hätten unterschiedlicher nicht sein können.
Bei den Männern waren die Unterschiede nicht ganz so auffällig. Einer von ihnen hatte eine auf Hochglanz polierte Plattenrüstung, einen Helm mit einem kleinen roten Federbüschel auf dem Kopf und war mit Schwert und Schild bewaffnet. Der zweite war nicht ganz so vernarbt im Gesicht, aber von hünenhafter Statur und hatte einen gigantischen Zweihänder in der Hand. Mit seinem langen Bart, in den viele kleine Zöpfe geflochten waren, sah er aus wie einer der Barbaren aus dem Norden. Der Dritte schien nicht ganz so kräftig. Er war in ein unauffälliges Schwarz gekleidet, hatte eine Kapuze auf, so dass man sein Gesicht nicht sehen konnte und war mit Pfeil und Bogen bewaffnet.
Die wenigen Abenteurergruppen, die Elyssa schon gesehen hatte, sahen fast alle genauso aus, wie diese hier… Doch das war immer in den Dörfern gewesen und nie in dunklen Gewölben, in der Gefangenschaft eines Drachen. Die fünf kamen jetzt schnell auf sie zu. Der Mann in der glänzenden Rüstung rief: "Schnell, Freunde, wir müssen sie aus diesem schrecklichen Gefängnis befreien, bevor der Drache wiederkommt!"
Als sie am Käfig angekommen waren, sagte Saladrex mit einer ängstlich-weinerlichen Stimme, die er übrigens perfekt imitieren konnte: "Beeilt euch, ich glaube der Drache kommt gleich wieder!"
"Wisst ihr, wo der Schlüssel zu diesem Käfig ist?", fragte die leicht bekleidete Frau.
"Nein, einer der Untergebenen des Drachen besitzt den Schlüssel. Gibt es vielleicht einen anderen Weg?"
"Tretet zur Seite!", das hatte der Kapuzenmann gesagt. Die anderen gaben das Schloss frei, während der Mann einen Dolch zog, sich vor das Schloss kniete und darin herum stocherte. Nach ein paar Sekunden klickte es und das Schloss sprang auf. Saladrex stieß das Tor auf und ging hinaus, wobei er Elyssa mit sich zog.
Der Ritter fragte: "Geht es euch gut?"
"Ich denke schon, ja!", war Saladrex‘ Antwort.
"In Ordnung, versucht so schnell wie möglich an die Oberfläche zu kommen, wir werden uns solange den Drachen vorknöpfen!"
Dann sagte der Barbar etwas: "Jungs, schaut euch nur diese Schätze an!"
Die vier anderen Mensch drehten sich zusammen um und gingen ein paar Schritte auf den großen Schatzhaufen zu.
Sie standen jetzt alle mit dem Rücken zu Saladrex und Elyssa. Der Drache drehte sich zu ihr um, lächelte, legte den Finger auf die Lippen und zwinkerte ihr zu. Dann ging er auf die muskulöse Frau zu, die ihm am nächsten stand.
Als er direkt hinter ihr war, legte er ihr schnell den einen Arm um den Mund, mit dem anderen Arm umschlang er ihre Brust.
Danach breitete er mit einer schrecklichen, eleganten Bewegung seine beiden Arme aus und riss ihr dabei den Kopf von den Schultern, wozu ein hässliches Geräusch ertönte.
Bei diesem Geräusch fuhren die anderen vier Abenteurer herum und sahen Saladrex, wie er mit ausgebreiteten, blutigen Armen und schief gelegtem Kopf dastand und sie anlächelte, während rechts und links neben ihm die enthauptete Leiche der Frau lag.
Der Barbar reagierte zuerst. Er schrie: "DU BASTARD!" und rannte mit weit über den Kopf gehobenem Zweihänder auf den Drachen zu. Saladrex bewegte sich keinen Zentimeter. Erst, als der Hüne bei ihm angekommen war und gerade zuschlug, klatschte er blitzschnell seine beiden Hände seitlich versetzt zusammen und brach die Spitze des Schwertes einfach ab. Der Hüne starrte nur ungläubig auf sein Schwert, doch Saladrex versetzte ihm mit der geballten Faust einen Hieb auf die Wange, der ihn Blut spuckend zu Boden warf. Dann stellte der Drache schnell seinen Fuß auf die Kehle des Hünen, da die anderen Abenteurer nun auch reagierten und sich ihm mit gezogenen Waffen näherten.
"Noch ein Schritt und ich muss ihm leider seine kleine Kehle zerquetschen!", sagte er fröhlich, während der Barbar röchelnd auf dem Boden lag.
"Was wollt ihr von uns? Was zur Hölle seid ihr eigentlich?", fragte der Ritter.
"Was ich bin, möchtet ihr wissen?", sagte er und grinste noch breiter.
Dann begann er wieder zu glühen und seine Gestalt veränderte sich. Sie wuchs und wuchs, bis wieder die gigantische Statur des Drachen den Raum ausfüllte. Die drei Abenteurer legten die Köpfe in den Nacken und staunten.
Saladrex hob den Fuß an – die rote Masse darunter war anscheinend mal der Oberkörper des Hünen gewesen.
"Oh, Verzeihung! Den hab ich ja ganz vergessen!", sagte Saladrex sarkastisch.
Elyssa betrachtete dies alles mit Entsetzen, doch erneut zwang sie sich, ruhig zu bleiben. Das Einzige, was sie damit erreichte, war, dass ihr schlecht wurde.
Sie sah nun, wie die andere Frau etwas murmelte, während der Ritter angespannt und mit dem Schwert auf den Drachen gerichtet, langsam zurück wich.
"Ihr wurdet also aus einem der Dörfer geschickt! Was dachtet ihr? Das ihr hier einfach rein spazieren und mal eben einen Drachen umbringen könnt?", sagte Saladrex mit einem wütenden Grollen, "Ich verbrenne euch zu Asche. Ich zermalme euch unter meinen Füßen. Ich verschlinge euch bei lebendigem Leibe. Ich lösche euer Lebenslicht mit einer Handbewegung aus – und ihr denkt, ihr könntet mich töten? Ihr seid wahrlich die naivste und dümmste Rasse die diese Welt je hervor gebracht hat! Ich frage mich, wie ihr es so weit bringen konntet!", donnerte die Stimme des Drachen durch die Halle. Dann schüttelte den Kopf, wie ein Vater, der seinen Sohn tadelt und spie einen Feuerstrahl in Richtung der Schatten rechts von ihm. In dem Licht konnte sie noch den vermummten Mann ausmachen, der dort mit Pfeil und Bogen stand und wahrscheinlich gerade auf Saladrex‘ Kopf zielte. Danach war da kein Mann mehr.
Als er sich den beiden übrig gebliebenen Menschen zuwandte, rief der Ritter: "Jetzt reicht es mir! Ihr werdet nicht weiter unschuldige Menschen umbringen, Biest! Ihr werdet hier und jetzt sterben!"
Der Drache lachte laut auf, so laut, dass der Boden zu erzittern schien.
"Ich habe den Großteil eurer Gruppe vernichtet, als wären sie Fliegen! Was wollt ihr jetzt noch gegen mich unternehmen? Mich mit dieser Nadel dort kitzeln? Ah, ich hab es! Ihr wollt mich mit eurer naiv-heroischen Art zu Tode amüsieren! Gewieft, gewieft, doch eure Rechnung geht nicht ganz auf, Ritterchen!"
Das machte den Menschen so wütend, dass er unter seiner Rüstung puterrot anlief und mit einem Kampfschrei und mit vor sich gerichtetem Schwert nach vorne stürmte. Der Drache nahm fing ihn einfach mit einer seiner Klauen ab und hob ihn hoch, während der Ritter nur wütend schrie, strampelte und mit dem Schwert nach den gepanzerten Schuppen des Drachen schlug. Dieser nahm die andere Klaue und schnippte ihm das Schwert einfach aus der Hand. Die junge Frau, die die ganze Zeit nur vor sich hin gemurmelt hatte, schrie nun "NEIN!" und streckte die Hände ruckartig von sich, auf den Drachen zeigend. Aus ihren Fingerspitzen schossen rote Energiekugeln, die Saladrex am gesamten Körper trafen. Der Drache sah an sich herab – kein einziger der Energiebälle hatte auch nur einen Kratzer hinterlassen.
"Ist das alles, Magierin?", fragte er ungläubig. Dann bewegte er sich auf die junge Frau zu und hielt die Klaue mit dem immer noch zappelnden und schreienden Ritter direkt über sie. Dann presste er seine Krallen zusammen und ließ einen blutigen Regen auf die Zauberin hinunterprasseln. Der Ritter starb mit einem unmenschlichem Gurgeln.
Elyssa wandte ihren Blick ab.
Die vor Blut triefende Magierin begann jetzt unartikuliert zu schreien und lief los, in Richtung Ausgang. Der Drachenschwanz zuckte blitzschnell hervor, wand sich um ihre Füße und riss sie zu Boden, direkt vor Elyssa.
Die Frau, sie musste genauso alt sein wie Elyssa selbst, sah zu ihr auf und flüsterte: "Hilf mir…bitte! Bitte hilf mir!"
Doch Elyssa neigte nur den Kopf nach unten und schloss die Augen.
Saladrex zog die Zauberin nun zurück und hob sie in die Luft. Dann ließ er seinen Schwanz mit aller Wucht auf den Boden peitschen.
Das abartige Geräusch, das es beim Aufprall gab, verdrehte Elyssa den Magen, doch sie unterdrückte den Brechreiz und hielt ihre Augen geschlossen.
Als sie ihren Körper wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte, machte sie die Augen wieder auf. Ein Bild des Grauens offenbarte sich ihr: Überall war Blut, Blut und nochmals Blut – die Leichen der Abenteurer waren bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet. Elyssa verlor die Kontrolle über sich selbst. Sie fiel auf die Knie, beugte sich vornüber und übergab sich auf den blutigen Boden der Halle.
"Dir ist klar, dass du das alles nachher wegräumen darfst?", sagte der Drache Nase rümpfend.
Elyssa sah sich nochmals um und sagte leise, mehr zu sich selbst: "Diese Boshaftigkeit… Diese sinnlose Boshaftigkeit…"
Saladrex hatte es trotzdem gehört.
"Boshaftigkeit? Du bist also der Meinung ich handele so, weil ich von Grund auf böse bin!? Weißt du was? Ich bin gar nicht der "Böse"! Diese fünf Menschen hier waren es, schließlich wollten sie mich umbringen!"
Wut kochte in ihr hoch. Wut über den Drachen. Wut über seine grausamen Taten. Wut über sich selbst. Sie schrie ihn an: "Aber sie hatten nie eine Chance gegen euch, ihr habt sie abgeschlachtet wie Tiere!"
Zuerst sah er sie nur ungläubig an. Dieser kleine Mensch wagte es doch, ihn anzuschreien! Dann lachte er und sagte mit schief gelegtem Kopf: "Sie waren ja auch die Bösen. Und die Bösen verdienen deiner Meinung nach doch auch immer einen schrecklichen Tod oder?"
Elyssas Wut war noch immer nicht abgebaut und sie schrie weiter: "Ihr terrorisiert die Bevölkerung hier, ihr schlachtet wehrlose Bürger ab, ihr bringt meinen Vater um und sagt dann noch, dass diese Taten gut sind? Seid ihr wahnsinnig?"
Jetzt legte Saladrex den Kopf in den Nacken und lachte so laut, dass die gesamte Höhle wirklich erbebte: "Ha! Du hast Mut, Winzling! Das gefällt mir! Noch nie zuvor hat jemand gewagt, mich so anzuschreien und überlebt."
Da wurde Elyssa bewusst, was sie gerade getan hatte. Sie neigte den Kopf und murmelte: "Vezeiht, Herr!"
"Oh, nein, jetzt fang nicht wieder mit diesem Rumgeschleime an! Das ist so langweilig! Wenn du so offen bist, wie du eben warst, gefällst du mir gleich viel besser. Das heißt jetzt aber bitte nicht, dass du mir ins Gesicht sagen kannst, was du willst!"
Sie konnte es kaum fassen. Indem sie ihre eigenen Gesetze gebrochen hatte, erlangte sie ein wenig Vertrauen von ihm. Er fuhr fort: "Was ich dir gerade versucht habe klar zu machen, war, dass die Handlungen, die ich ausführe, für mich natürlich "gut" sind, während alle, die mir etwas anhaben wollen, "böse" sind. Verstanden?"
"Ja, Herr."
"Und was will ich dir damit sagen? Überlege gut!"
Elyssa dachte nach.
Was sollte das sein? Eine Prüfung? Was würde er machen, wenn sie falsch antwortete?
Schließlich entschied sie sich zu einer Antwort: "Ihr wollt mir damit sagen, dass es kein Gut und kein Böse gibt. Es gibt nur verschiedene Ansichten einer Sache."
Der Drache sah ihr direkt in die Augen. Doch diesmal war es nicht das endlose Mustern der letzten Wochen, dieses Mal ging es tiefer. Es war, als suchte er etwas in ihrer Seele, einen Fleck, von dem nicht mal mehr sie etwas wusste. Sie war auch nicht in der Lage, wegzusehen. Sie klebte an seinem Blick, als ob ein magischer Bann diesen Kontakt aufrecht erhalten würde. Irgendwann sagte er dann: "Das war genau die richtige Antwort. Du bist gar nicht mal so dumm, Elyssa. Aus dir lässt sich noch etwas machen! Lassen wir diese Sklavenarbeit für dich. Du wirst zwar weiter hier bei mir bleiben, aber ich habe etwas anderes mit dir vor…"
Elyssa schluckte. Was sollte das? Was hatte er vor? Sie fragte ihn.
"Das wirst du schon sehen. Es wird auf jeden Fall besser werden, als dass, was du in der letzten Zeit für mich getan hast.", war seine Antwort, "Die Putzarbeiten können auch die Orks übernehmen."
Elyssa sah sich in dem blutigen Raum noch einmal um.
"War das alles nötig? Warum mussten sie alle so sinnlos sterben?"
"Sinnlos? Wieso sinnlos? Und wenn ihr Tod sinnlos war, was für einen Sinn hatte dann ihr Leben?"
"Auf keinen Fall war der Sinn ihres Lebens von einem vergnügungssüchtigen roten Drachen abgeschlachtet zu werden!", antwortete sie scharf.
"Woher willst du das wissen, Elyssa? Vielleicht war ja gerade das der Sinn?! Du kannst es nicht sagen, ich kann es nicht sagen, es ist so geschehen und dabei wird es auch bleiben. Und frage nicht mehr nach dem Sinn, du wirst ihn nämlich nie finden! Wir Drachen haben schon vor Jahrtausenden damit aufgehört. Auch wir sind damals immer wieder gegen die Mauer namens Philosophie gerannt, um den Sinn des Ganzen dahinter zu finden. Glaube mir, diese Mauer steht fest und unzerstörbar."
Saladrex hatte Recht. Es war geschehen und damit hatte es sich. Es würde keinen Sinn machen, nach dem Sinn zu fragen. Wenn sich intelligente Wesen schon seit Jahrtausenden mit dem Problem befassten und noch immer keine Antwort gefunden hatten, wie sollte sie da eine finden?
"Auf jeden Fall zieht diese Aktion nun Konsequenzen für die Bewohner einiger Dörfer hier mit sich. So etwas darf ich natürlich nicht ungestraft lassen!", fuhr er fort.
"Lasst die Dorfbewohner aus dem Spiel! Woher wollt ihr wissen, dass sie die Abenteurer angeheuert haben? Ich bitte euch, tötet nicht noch mehr unschuldige Menschen!"
"Unschuldig! Diese 5 hier waren es wohl kaum! Und nenne mir einen Dorfbewohner, der keinen Hass gegen mich empfindet!", antwortete er ihr.
"Wartet bitte ab! Sollten es wirklich die Dörfler hier gewesen sein, werden in ein paar Wochen oder Monaten noch weitere Abenteurer kommen. Sollte dies geschehen, habt ihr die Gewissheit, dass die Dorfbewohner es waren – wenn nicht, hat euch diese Gruppe hier zufällig gefunden!"
Elyssa sah Saladrex an und hoffte. Saladrex sah zurück und wog prüfend seinen Kopf hin und her. Dann sagte er mit väterlich tadelnder Stimme: "Die Antwort ist nicht ganz logisch, meine kleine Elyssa! Die fünf Menschen wussten von mir. Und sie wussten, dass ich hier im Berg wohne. Niemand besteigt einfach so ohne Grund einen Berg – obwohl, euch Menschen kann man ja alles zutrauen… Dennoch werde ich die Dorfbewohner nicht bestrafen. Das kostet nur Zeit und Energie! Und außerdem hast du Recht, sie werden bald weitere Abenteurer schicken…"
Den letzten Satz sagte er mit einem Unterton, der ihr sagte, dass das hier nicht das letzte Gemetzel gewesen war, was sie mit ansehen musste.
Er rieb sich mit seiner riesigen Hand das Kinn und sah sie weiterhin an. Es kam ihr vor, als wäre er in letzter Zeit nur am Nachdenken – am Nachdenken über sie!
Jetzt schien er Selbstgespräche zu führen: "Nein, das geht nicht hier, das muss ich woanders überdenken! Elyssa, mach das hier sauber, solange ich weg bin! Ja, ich weiß, dass ich gesagt habe, du müsstest das nicht mehr machen. Es wird auch das letzte Mal sein – glaube ich…"
So ganz in Gedanken versunken drehte er sich um, flog weg und ließ sie in der blutigen Halle alleine zurück.
Sein Verhalten war undurchsichtiger als ein dicker Nebelschleier. Vor ein paar Wochen sah es noch so aus, als würde er sie hassen und jetzt… Hegte er nun etwa Sympathien für sie? Oder hatte er etwas anderes mit ihr vor? Egal, was es war, es würde sie nicht von ihren Plänen abhalten…
Sie seufzte und machte sich an die Arbeit.
Und die Zeit vergeht…
Elyssa hatte sich nicht getäuscht. Saladrex verhielt sich besser zu ihr. Sie musste viel seltener anstrengende Arbeiten erledigen und wurde von ihm auch sonst besser behandelt. Er unterhielt sich auch öfters mit ihr – meist ging es um die Menschen, ihre Verhaltens- und Lebensweisen. Obwohl er Menschen anscheinend immer noch verabscheute, zeigte er sich doch sehr interessiert darüber, was diese in seinen Augen minderwertige Spezies antrieb, Städte zu bauen, Handel zu führen und mit einer derartig kurzen Lebensspanne glücklich leben zu können.
Elyssa wusste nicht, ob sie nur eine Informationsquelle für ihn und ebenso "minderwertig" war, wie der Rest der Menschheit oder ob sie für den Drachen etwas Besonderes darstellte.
Der Antwort auf diese Frage kam sie ein wenig näher, als Saladrex sie ein paar Tage später auf den Gipfel des Schneedolches flog. Sie hatte sich das Fliegen immer als wunderschön vorgestellt und als ein Gefühl absoluter Freiheit – es war kalt und unangenehm. Wäre Saladrex‘ Körper nicht so warm gewesen, wäre sie wahrscheinlich erfroren. Dass er einen normalen Menschen niemals auf sich hätte fliegen lassen, da war sie sich sicher. Irgend etwas unterschied sie also von den anderen…
Das wurde in den nächsten Tagen nur noch deutlicher. Nachts durfte sie jetzt sogar an ihn angelehnt schlafen. Für seine Körperwärme war sie angesichts der aufkommenden winterlichen Kälte nur dankbar.
Und dann begann er eine Art Unterricht mit ihr. Er nahm sie mit auf den Gipfel des Berges und in die umliegenden Wälder und schulte sie anhand von Konzentrationsübungen, ihre Sinne besser zu nutzen und ihre Umgebung deutlicher wahrzunehmen. Es war unglaublich: Sie sah, hörte und roch viel besser, als es vorher der Fall gewesen war.
Ebenso lehrte er sie den Umgang mit Pfeil und Bogen. Mit ihren neuen Sinnen brauchte sie nur wenige Monate, um so gut zu werden, wie ein Meisterschütze, der sein ganzes Leben lang trainiert hatte. Saladrex ließ sie sogar alleine in die Wälder auf Jagd gehen. Es wäre für sie die perfekte Gelegenheit gewesen, zu fliehen – doch sie tat es nicht.
Denn ihr Hassgefühl gegen den Drachen wurde mit der Zeit von wachsender Zuneigung zu ihm abgelöst, was in ihr einen Konflikt schaffte, der sie völlig verzweifeln ließ: Sollte sie Saladrex ob der Ermordung ihres Vaters hassen oder ihn wegen den phantastischen Fähigkeiten, die er sie lehrte, lieben?
Elyssa hatte noch in einem weiteren Punkt Recht gehabt: Es kamen immer wieder Abenteurer in Saladrex‘ Höhle. Und er tötete sie alle. Doch…Elyssa gewöhnte sich an die blutigen Gemetzel, die der Drache immer wieder unter den Abenteurern anstellte, was in ihr die Frage aufwarf: Verändert mich Saladrex so sehr, dass auch ich bald zu einem blutrünstigen Monster wie er werde?
Und diese Frage brachte sie auf eine Idee: Wenn er sie verändern konnte, warum sollte es nicht auch anders herum funktionieren? Sie beschloss, ihre Pläne für Saladrex zu ändern…
Eines Tages kam ein weiterer Drachentöter – einer von den Idioten, die sich an die berühmten Sagen hielten und versuchten, den Drachen alleine in einem heldenhaften Kampf umzubringen. Er hatte eine gold schimmernde Rüstung an und eine lange Lanze dabei. Er wäre wahrscheinlich schon an Saladrex‘ Orksippe gescheitert, hätte der Drache nicht den Befehl erteilt, sämtliche Abenteurer unverletzt zu ihm durchkommen zu lassen.
Er wird ihn in seiner eigenen Rüstung braten, war ihr Gedanke, als sie den Mann sah.
Sie hatte richtig gedacht. Saladrex holte wie immer vor dem Feuerspeien tief Luft und spuckte dem armen Mann dann die weiß glühende Flamme entgegen. Als das helle Licht verschwand, erwartete sie, nur noch ein Häufchen Asche zu sehen, doch der Mann stand immer noch da, als ob nur ein warmes Lüftchen ihn gestreift hätte. Er rief: "Ha, Wurm! So einfach werdet ihr mich nicht besiegen! Eure miesen Drachentricks werden eure schuppige Haut nicht beschützen können!"
Elyssa kam es vor, als hätte sie so etwas schon einmal gehört…richtig, alle Abenteurer ließen solche Sprüche ab – bevor sie starben.
Saladrex antwortete: "Oh, ihr seid einer von denen, die so magischen Krimskrams mit sich rumschleppen?", er seufzte, "Das verdient natürlich eine Sonderbehandlung!"
Sein Schwanz zuckte vor, um sich um die Füße des Mannes zu wickeln, doch dieser sprang schneller, als man es von ihm in dieser schweren Rüstung vermutet hätte, nach hinten, um dann sofort mit nach vorne gerichteter Lanze auf den Drachen zu zu stürmen. Kurz vor dem Aufprall warf er sich jedoch zur Seite – da, wo er in einer Sekunde gewesen wäre, prallten Saladrex‘ Kiefer aufeinander -, zog die Lanze über den Körper des Drachen und verursachte eine klaffende Wunde, aus der heißes, rotes Drachenblut quoll. Saladrex schrie auf – so etwas hatte ihm noch keiner der Abenteurer zugefügt. In seiner Wut hieb er nun nach dem Menschen und schleuderte seine Lanze beiseite, so dass dieser nun hilflos vor einem vor Zorn kochenden Drachen stand. Saladrex nahm den Mann in eine Klaue und hob ihn an.
Jetzt war der Zeitpunkt gekommen.
"Saladrex, wartet!", rief sie.
Der Kopf des Drachen fuhr herum und seine Augen funkelten sie wütend an. "Was?", sagte er knapp.
Die folgenden Worte hatte sie sich gut überlegt und lange vorbereitet: "Wisst ihr, was wahre Macht ist, Saladrex?"
Er schien verwirrt: "Was soll das? Worauf willst du hinaus?"
"Ich möchte, dass ihr diesen Menschen am Leben lasst!"
"WAS? Willst du, dass er das Werk, was er hier begonnen hat vollendet?", er deutete auf seine Wunde, "Und was hat das mit deiner Frage zu tun?"
"Ich will nicht, dass er euch tötet. Doch beantwortet mir meine Frage doch bitte!"
Saladrex sah sie zuerst mit zusammengekniffenen Augen an. Dann sagte er: "Macht ist, töten zu können. Macht ist, Leben nach Belieben nehmen zu können."
Es war genau die Antwort, die sie erwartet hatte.
"Gut, das mag Macht sein. Doch ist diese Macht nicht viel besser eingesetzt, wenn man keinen Gebrauch von ihr macht?"
"Wie meinst du das?"
"Wenn ihr diesen Menschen am Leben lasst, beweist ihr viel mehr Größe, als wenn ihr ihn töten würdet. Und nebenbei, ist es nicht viel lustiger, diesen Narren in aller Öffentlichkeit zu demütigen? Schließlich sollen die Leute sehen, was ihr machen könntet, dann haben sie viel mehr Angst vor euch!"
Saladrex sah sie schief an. Dann lachte er laut auf, stellte den Mann, der die Unterhaltung mit leichenblassem Gesicht verfolgt hatte, auf die Füße und sagte zu ihm: "Zieh dir die Rüstung aus oder ich vergesse den Ratschlag dieser jungen Lady hier ganz schnell!"
Der Mann tat, wie der Drache ihm gesagt hatte und stand dann in normalen Ledersachen zitternd vor Saladrex, zahlreiche Rüstungsteile um sich herum liegend.
Dann spie der Drache Feuer. Der Mann hatte nicht einmal mehr Zeit zum Schreien gehabt.
Elyssa senkte den Blick – es hatte also keinen Sinn…
Als die Flamme aus Saladrex‘ Maul vergangen war stand der Mann aber immer noch da – splitternackt, zitternd und noch bleicher als zuvor! Und Saladrex lachte sich halb tot.
"Ha! Das wird lustig, Elyssa!", mit diesen Worten schnappte er sich den nackten Mann und flog aus seiner Höhle hinaus.
Nach einer Weile kam er wieder, lachend und kichernd wie ein kleines Mädchen.
"Eine großartige Idee, Elyssa! Ich hab den Typen auf dem Marktplatz von Valyris ausgesetzt, so nackt wie er war. Wie die Leute geglotzt haben!"
Sie lächelte ihn an. Und er lächelte zurück.
Ein paar Tage später durfte sie das erste Mal alleine nach Valyris gehen. Es musste jetzt zwei Jahre her sein, seit sie das letzte Mal in einer größeren Menschenansammlung gestanden hatte. Doch das war ein anderes Leben gewesen… Jetzt stand sie mitten auf dem großen Marktplatz und ließ die Gerüche, die Geräusche und die regen Wortwechsel zwischen Händlern und Kunden auf sich einströmen. Doch wie sie sich die Waren auf den Ständen der Händler ansah, so bemerkte sie auch Gespräche hinter ihrem Rücken: "Dieses Mädchen hier hab ich noch nie gesehen!", "Wer ist sie?", "Wo kommt sie her?", "Du, dieses Mädchen ist mir irgendwie unheimlich…"
So, wie sie einst Saladrex‘ Menschengestalt als unheimlich empfunden hatte?
Auf einmal ertönte neben ihr ein Schrei. Als sie den Kopf drehte, entdeckte sie den Mann, den Saladrex verschont hatte. Auf dem gesamten Marktplatz kehrte Ruhe ein. Alle sahen auf den Mann.
"Sie da! Dieses Mädchen da ist die, von der ich euch erzählt habe! Sie steht mit dem Drachen im Bunde, diese Hexe!", schrie er und deutete mit dem Finger auf sie.
Nun waren alle Blicke auf Elyssa gerichtet – und nur wenige von ihnen ließen Gutes ahnen.
Ein Gemurmel setzte in der Menge ein, welches hauptsächlich aus Worten wie "Hexe!" und "Verräterin!" bestand. Diese Leute hatten sie noch nie vorher gesehen, was stachelte sie an, so über sie zu denken?
Der Mann schrie weiter: "Ich sage: Lasst uns sie umbringen! Lasst uns Rache üben an dem Drachen, der uns schon so lange terrorisiert!"
Das Gemurmel wurde lauter. Einige Leute schrien "Verbrennt sie!" und "Tötet sie!".
Kalte Angst kroch Elyssas Nacken hoch. Diese Leute würden sie umbringen, wenn sie nur wütend genug waren, daran bestand kein Zweifel – und die Wut der Menge kochte langsam über.
Verzweifelt sah sie den Mann an und rief: "Aber ich habe euch das Leben gerettet!"
Der Mann kam näher und blickte ihr mit hasserfüllten Augen ins Gesicht. Dann sagte er: "Vor allem habt ihr mir eine Schande fürs Leben bereitet!"
Und er packte sie, stieß sie zu Boden und zog ein Messer. Doch auf einmal kehrte Ruhe auf dem Platz ein. Ein großer Schatten legte sich über den Mann. Eine Stimme ertönte: "So gehst du also mit meiner Gnade um, Menschlein?"
Die Hand des Mannes begann zu zittern. Er ließ das Messer fallen und drehte sich langsam um. Hinter ihm stand Saladrex hoch aufgerichtet wie ein Turm und mit einer Wut in den Augen, wie sie es wirklich noch nie gesehen hatte. Sein Zorn schien beinahe Substanz zu gewinnen und die Luft wurde so dick, dass es schwer fiel, sie zu atmen.
Saladrex‘ Zorn brauchte ein Ventil.
Und er fand es in dem Drachentöter.
Saladrex brüllte auf, packte ihn mit beiden Klauen und zerriss ihn. Er zerfetzte ihn regelrecht und zerstreute seine Einzelteile über die nun in Panik ausbrechende Menge. Als es nichts mehr von dem Mann gab, was groß genug zum Zerfetzen war, fiel sein Blick auf Elyssa. Er senkte seinen Hals.
"Steig auf!"
"Saladrex…"
"STEIG AUF HABE ICH GESAGT!"
Sie setzte sich auf seinen Nacken und hielt sich an seinen beiden Hörnern fest. Mit einem kräftigen Stoß hob der Drache von der Erde ab und flog weg. Elyssa drehte sich um und sah, wie einige der Bürger auf dem Marktplatz standen und ihnen nachsahen.
Als das Dorf außer Sichtweite war und sich nur noch grüner Wald unter ihnen erstreckte, wollte sie "Danke!" sagen, doch der Drache drehte auf einmal um und glitt dicht über die Baumkronen hinweg in die Richtung aus der sie kamen. Elyssa erkannte, was er vor hatte.
"Saladrex, bitte nicht!"
"Halt die Klappe!", war seine barsche Antwort.
Die Dörfler sahen ihn erst, als er schon auf dem Marktplatz landete und einen Teil der Menge unter sich begrub. Und dann verfiel Saladrex in eine blutige Raserei, gegen die seine Gewalttaten von vorher verblassten wie eine Kerze angesichts einer Supernova.
Er hieb mit den Klauen nach rechts und links, sein Schwanz zuckte hin und her und sein Flammenodem fegte durch die Straßen. Menschen wurden zerrissen, zertrümmert, verbrannt, zertrampelt, zerquetscht. Und Elyssa saß auf dem Drachen, wie eine Reiterin auf einem gigantischen Ross und sah alles mit an.
Dabei gelangte sie zu folgender Erkenntnis: Du kannst einen Drachen nicht verändern, Elyssa!
Zum Schluss war das Dorf nur noch eine Ruine aus Blut, Eingeweiden und Asche gewesen – das größte Dorf im Umkreis, binnen weniger Minuten dem Erdboden gleich gemacht.
Sie waren zu seiner Höhle zurück gekehrt. Saladrex Raserei hatte sich gelegt. Sie sahen sich lange und traurig in die Augen. Saladrex sprach als erster: "Da war ein Fehler in deiner Aussage letztens: Die Menschen sind zu dumm, um zu sehen, was ich machen könnte! Sie sehen nur das, was ich tue!"
Sie schwieg – denn er hatte Recht.
Er fuhr fort: "Du hast mir in den letzten zwei Jahren gut gedient. Ich schenke dir hiermit deine Freiheit. Verlasse mein Reich und lebe wo und wie es dir gefällt. Solltest du danach je die Grenzen meines Reiches wieder überschreiten, werde ich dich töten!"
Elyssa stand da und sah ihn weiterhin an.
"Warum?", fragte sie ihn wispernd. Ein Warum, dass für alles galt, was er in den letzten zwei Jahren mit ihr getan hatte, nicht nur für das, was er gerade gesagt hatte. Die ultimative Frage, auf die es keine Antwort gab…
"Geh!"
Sie ging.
Und die Zeit vergeht…
Nachdem sie gegangen war, merkte sie, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. 2 Jahre lang war sie die Sklavin des Drachen gewesen, der ihren Vater getötet hatte. Jetzt hatte er sie frei gelassen und sie weinte! Warum hatte er sie so plötzlich entlassen?
Nachdem sie die Ländereien, die um den Schneedolch lagen, verlassen hatte, streifte sie immer noch lange durch die Wälder und hielt sich mit dem Jagen über Wasser. Saladrex hatte ihr noch ein wenig Gold und ihren Bogen zukommen lassen. Ansonsten wäre sie in der Wildnis wahrscheinlich gestorben. Von Menschensiedlungen hielt sie sich fern. Die Kunde, dass ein junges Mädchen das Drachen beherrschte, auf ihnen ritt und die Länder terrorisierte, hatte sich bereits weit verbreitet und fremde Mädchen, die alleine durch die umliegenden Wälder streiften wurden sehr misstrauisch beobachtet.
In ihr war eine schwarze, unendlich große Leere. Sie war von Menschen und Drachen verstoßen worden und wusste nicht, an wen sie sich wenden sollte. Um ihrem Leben wenigstens einen kleinen Sinn zu geben, beschloss sie, einen Plan zu Ende zu führen, den sie schon vor langer Zeit geschmiedet hatte…
An ein Schwert zu kommen, war kein großes Problem. Die Schmiede verhielt sich zwar ebenso abweisend wie alle anderen, doch wenn man mit klingender Münze zahlte, machten sie keine großen Aufstände.
Mit Schwert und Bogen machte sie sich auf den Weg…
"Du bist zurück gekommen.", sagte Saladrex, als sie mit gezücktem Schwert seine Halle betrat. "Warum? Um mich zu töten? Oder um meine Entscheidung, mich von dir zu trennen, rückgängig zu machen? Weißt du, kurz vor unserer Trennung hattest du eine sehr richtige Erkenntnis: Man kann Drachen nicht verändern! Denkst du, du kannst meine Entscheidung jetzt noch verändern?", sagte er.
Sie blieb stehen. Sie hatte diesen Gedanken damals nicht laut ausgesprochen… Woher wusste er davon?
"Woher ich davon weiß, fragst du dich? Oh, ich weiß noch viel mehr, Elyssa…"
Es traf sie wie der Schlag. Eine weitere Erkenntnis bildete sich in ihrem Kopf wie eine dunkle Gewitterwolke, die langsam heranzieht. Sie dachte: Ihr könnt meine Gedanken lesen?
Saladrex nickte.
"Dann wisst ihr also auch…", begann sie, wurde aber von Saladrex unterbrochen: "Ja, seitdem du das erste Mal den Gedanken gefasst hast, mich zu töten, weiß ich davon, Elyssa. Und ich habe alle deine lüsternen Visionen, die meinen Tod betrafen, mit angesehen… Warum ich dich nicht gleich getötet habe? Du stelltest keine Bedrohung für mich dar! Außerdem verzehrtest du dich so sehr in deinem Hass auf mich, dass ich ein Experiment wagen wollte: Ich wollte versuchen, dir diesen Hass auszutreiben. Zunächst habe ich dich noch mehr provoziert, den Hass gegen mich geschürt. Doch dann wollte ich versuchen, dich umzustimmen, dir deinen Hass auf mich zu nehmen. Nun, es ist mir gelungen… Doch ich konnte nicht wissen, dass es so weit kommen würde…"
Das war es? DAS war der Grund seiner Nettigkeit gewesen? Tränen stiegen ihr in die Augen.
Die ganze Zeit über hatte sich etwas in ihr geregt, etwas, was sie zunächst nicht wahr haben wollte, etwas, was sie nicht glauben konnte. Etwas, was unmöglich war. Sie sprach es aus: "Ich…ich liebe euch, Saladrex!"
Stille. Er sah sie mit seinen gelben Drachenaugen lange an. Dann sagte er: "Mir ging es genauso, Elyssa! Mit der Zeit habe auch ich gelernt, dich zu lieben. Ich konnte es nicht fassen, auch ich hielt es nicht für möglich. Doch es ist geschehen. Und es ist nicht gut für uns beide! Wir können nicht zusammen leben, Elyssa!"
Wie Bäche rannen die Tränen nun über ihr Gesicht.
"Warum?", wieder stellte sie die Frage.
"Ich habe ein ganzes Dorf aus Liebe zu dir vernichtet Elyssa! Ich will deine Liebe nicht mehr! Und ich will dich nicht mehr lieben! Denn ich bin ein Drache und du bist ein Mensch. Wir passen nicht zusammen. Deshalb bitte ich dich: Geh! Geh, lebe dein eigenes Leben und mach es nicht nur noch schlimmer, Elyssa!"
Diese Worte trafen sie härter als alles, was er ihr je angetan hatte. Härter als der Tod ihres Vaters. Härter als ihr erster Abschied von ihm. Denn dieses Mal war sie sich ihrer Liebe zu ihm voll bewusst. Und er ebenfalls…
"Aber…ich kann so nicht leben!", schluchzte sie.
"Bitte…geh! Zwing mich nicht, dich zu zwingen!", sagte er traurig.
Sie schüttelte den Kopf, weinend und schluchzend.
"Nein!"
Dann nahm sie ihr Schwert, richtete seine Spitze auf ihre Brust und ließ sich vornüber fallen.
Das Letzte was sie sah, war der Schmerz in Saladrex‘ gelben Augen, als sie starb.
Saladrex stand fassungslos über der Leiche seiner Geliebten. Das Menschen zu so etwas fähig waren hatte er nicht gewusst – sich für die Liebe umzubringen… Er stand einfach nur da.
Minuten.
Stunden.
Eine große, glänzende Träne rann sein schuppiges Gesicht herab.
Er tat etwas, was schon seit Tausenden von Jahren kein roter Drache getan hatte: Er weinte.
Alchimisten, Magier, Könige, Fürsten, Händler und viele andere Menschen hätten sich für ein derartig seltenes magisches Utensil gegenseitig umgebracht.
Kriege und Schlimmeres wären um einen solchen Schatz geführt worden.
Die Träne fiel auf den Boden und zerplatzte.
Der alte, rote Drache weinte.
Denn er suchte nach dem Sinn.
Es gab keinen Sinn!
Written by Der Doktor
Dragonslayer (Bent Lorent)
Dragonslayer
By Bent Lorentzen
She stole into the dark forest, crying as she went, and did not heed the gathering gloom of dusk. Soon, she had gone so deep into the woods that thorns reached out to her like the claws of that legendary dragon her father was said to have slain shortly after her birth. Ragged, weary, and bloodied, she settled upon a rocky outcropping from which nothing grew and the emerging stars began to twinkle through a rosy sunset.
She sat upon a still-warm stone and pulled her knees to her breasts, and began to cry again. From out of a dark cave unseen to her, the two eyes of a creature gazed upon the long, dark, leaf-tangled mess of hair that draped over the beautiful girl. Awful memories just out of thought’s grasp licked at his mind as he silently watched her sob far into the night. He never once blinked, daring not to lose a single moment of her beauty, phantomlike though it was in the deepening cold of starlight.
A pool of tears grew by her feet until she finally sobbed her final hiccup and gently whisked away the mist in her large, brown eyes. The stark outline of piny treetops encircled her dome of stars. She slowly let herself lie back, unheeding of the cold and wetness of her pool of tears, and cradled her head on the round stone by the hidden cave, and let herself be enchanted by the stillness all around and the twinkling stars above.
It was not long before the baying of three hound dogs in the far distance cut through the stillness. The creature within the cave witnessed her face grow dark with fear. But she did not rise.
„Dear God,“ she finally whispered in a voice that reminded the creature of a gentle spring breeze through young leaves, „I would give You anything to be free of him.“
The creature was at first frightened by her voice, and then became even more frightened when words came into his mind that demanded expression. „Little girl,“ said the creature with a reedy voice, „who gives you such great fear that you would give anything to be free of him?“ The voice, having echoed out of the cave, sounded much deeper than was real. The girl closed her eyes, thinking the stars had spoken to her, and hearing as well the approach of her father’s dogs.
„My father, who rules all these lands, has kept me locked in his castle since my birth eighteen years ago. In all these years I have never set foot in the green forest, save in my imagination as I gazed down from a high window.“
The creature within the cave was again startled when human thoughts that needed to be spoken entered his mind. „Has your father perhaps not protected you from the dangers in these deep and dark woods whose only view you have had is that which has been reflected off the green canopy, which in fact perhaps keeps hidden old and deadly secrets?“
The girl had never thought of that before and opened her eyes. For the first time, the stars above seemed too far away for comfort, the ringlet of dark trees dangerously threatening, and the baying of the three hounds symbolic of her eighteen years of sheltered life. Her breathing came and went in uncontrollable gasps, like a doe felled by an archer’s arrow lying bleeding on the white snow. She had seen this happen once from her high window view of the world.
The creature within the cave now found words in his mind that didn’t seem so alien as he said, „Please, I did not mean to hurt you with such thoughts as my words have provoked.“
Her breathing quieted even as the dogs drew nearer. She asked to the stars above, „Are you, who are frightening and comforting all at once, the ones who, in concert, are speaking to me?“
„I wish perhaps I were. But, alas, I am but a small voice within–“
A large dog chose that moment to burst into the rocky clearing. The hound sensed her proximity but could not see where she lay still as the rocks around her. He opened his large mouth to bay to his master, when the voice from the cave barked a command the girl could not quite understand. The dog obeyed and lay down, silent except for his heavy breathing. In the distance approached two more dogs, each apparently larger than the first from the sound of their excited voices.
All the while, the girl pondered the creature’s last words. She remembered an old sermon from the gnarly-faced minister. He spoke of a huge God in Heaven who punished the wicked with eternal damnation in the bowels of Hell and rewarded the good with an everlasting life free of earthly gravity in Heaven. He had once told her, in answer to a question she had posed, that God’s voice spoke from deep within her heart of hearts. It seemed, at that moment as she reflected in the woods, that everything the frail, foul-smelling minister had ever said–and indeed, he had loved to speak for hours, quoting this and that verse–could be forgotten, except that one phrase.
„Are you God?“ asked the girl timidly, and once more allowing the tranquility of the jagged night to enter her.
The creature, again startled by thoughts that seemed to well from out of nowhere, said, „But you have not answered me. Why do you run from your father so?“
Suddenly it was as though her memory had been dashed. She could not remember why her father frightened her. Nor could she accurately remember how it was that she had first set foot into the forest. Her memory of things seemed to have begun in this rocky clearing and all else a vague sort of dream. She grew aware of the cold salty pool of her tears, her thickly tangled hair, and the blood-crusted scrapes upon her body.
Just then, the second dog crashed into the clearing and stumbled over her. He did not see her, but felt her beneath him, and was about to loudly bay to his master when the creature within the cave strangely barked an order for the dog to go lie next to his smaller brother. As if scolded, the larger dog whimpered as it crawled and lay next to the smaller dog–who actually was quite large by any standard.
The girl, having deeply pondered the last words spoken to her, said, „Is not the pain, blood, and tears on or about me come from my father?“
„It’s not polite to answer a question with a question,“ said the voice. „I ask again, why do you fear your father?“
A burst of anger erupted from her. „I demand to know who you are?“
„Ha!“ retorted the voice. „You demand!“
Again, the dome of stars grew chillingly distant, the gap between their flickerings and her filled with endless peril. The cold rocks, pool of tears, and now the air itself sapped what little warmth she had in her. It seemed that perhaps now she could die, as that doe she had seen from her window, and be forever rid of her shadowy fears.
„You wish to die?“ asked the creature, once more startled by words coming not from his mind. „You may, if that is your honest wish. But there is another way. But you must tell me why you fear your father, whom you say rules all that you know.“
With frustration, the girl said, „I don’t know why! In the castle I had food and warmth, I think. In the castle, perhaps, I had all that a girl could possibly have want for. But something in that castle larger than life itself, perhaps even larger than God, stifles me. Keeps me locked away from my deeper wants, and works to make me into the image of his wants.“
„Your father?“
„I don’t know. He is but a faceless shadow that rises taller than the castle, and clouds even the morning sun so bright. But whether he is my father or not does not matter if things are as my father says: That he rules all by a special right given to him by God.“
At that very moment, the third dog–the largest of all–exploded through the thicket into the clearing. The roar of his approach sounded like a tornado, his mad sniffling like a wet wind through a leafless tree. The girl let out a yelp before she could restrain herself. She had never been so close to her father’s largest dog, Dragonslayer. Huge as a horse, his face was a map of scars from a lifetime of battles with the fabled creatures of the forest. All white except for a triad of black marks on his muscular forehead, he was the very face of death. Yet the voice in the cave erupted with a bark that evoked from the mastiff a single whimper and he lumbered to his two smaller brothers and lay still.
„Are they,“ asked the voice in the cave, „the ones who frighten you?“
Her answer flowed from her mouth without thought. „No.“
„Do you truly wish to die?“
Her answer took longer. „Where would I go?
The creature seemed to laugh. „Another question to a question. But I will answer. You and I would then become the same, a voice without form.“
„I thought God was large.“
„God? Who is this God?“
The girl was puzzled beyond anything. „Why do I have to think of that? I ran from the castle to here. Now I can hear my father’s horsemen approaching yonder. I think I even see their torches glowing against the treetops. Please, take me away from all this to where You are.“
She waited for an answer. In the distance, the crashing of horses through the forest grew louder, as did the movement of much flickering reflected off the tops of distant trees. She tried moving an arm but found no strength to do so. The creature in the unseen cave saw her attempts to rise, and was startled again by thoughts that turned into a voice. „You already are where I am. But again, I ask, why do you run from a father who seems so devoted as to be seeking you like this?“
Her answer flowed unexpectedly again: „Because it must be his shadow that has no face at night and which blocks the morning sun when I awaken. –Why cannot I move my limbs? Why am I frozen into the earth like stone? Have I arrived at Hell?“
The smallest dog, himself as large as a deer but more muscular, began to growl. Then the middle dog, the size of a pony, growled. Finally, the one larger than any of her father’s steeds, growled deeply. The first of her father’s knights rushed into the clearing, setting it aglow with their many torches. The voice in the cave growled also, just once, and the three dogs rose and circled the girl, facing outward to the horsemen. They bared their teeth, saliva drooling, and growled threateningly. The girl again tried to rise but could not.
The voice said, „No, this is not Hell, though Hell is quite close by. And you cannot rise because you have sunk into the earth, filtered into the cold air, and have sought to join the distant stars.“
She tried to pay attention to the confusion of frightened horses bucking and heaving and the falling of the men, but she was more concerned with herself. As though from a great distance, she felt the barest ability to move a thumb. Oddest of all was that she could see herself, as from an altitude, and see as well the entry into the rocky knoll of her father. She heard him scream a command to his three dogs who stood guard by her prone body. It was seeing herself that evoked the greatest fear. „Where am I?“ she cried.
„Where your father would be most afraid to find you.“
„I demand to see you?“
There was a brief lull, even from the melee of horses and knights and their King, when the voice said, „Look by your head.“
She stared very hard, and in the light of the torches, saw a tiny cricket hop out from under a stone and walk over her wildly strewn hair. „That is you? An insect?“
„No! I am speaking from within you, as I already have said. Your spirit moved from your body as you lay, and slipped into the cricket giving him the voice of your conscience, and has slipped also into most of what you now behold, including the stars above.“
„We are one?“
„Perhaps. But only if you wish. But we must now take care of those who have gathered here. We cannot hold back many arrows should your father order his knights to kill his dogs.“
Something inside her clicked, actually made a snapping noise that seemed to have been felt where her neck ought to be, and she barked an order to the dogs. They rose. At the same moment she screamed in her loudest voice, a voice that boomed from every direction all at once: „Men, I am your worst nightmare! If you leave at once and never turn back even to peek I will spare your lives. Your King will not be so fortunate, nor will those lackeys who do not now depart!“
There was a scuffling of men mounting their steeds and rushing out even as their King shouted, „I will slay every cursed one of you who listens to this witch’s voice. Stay! I command it! Archers, I command that you pierce these cursed hounds of mine with arrows such that they tremble like dying porcupines. –You,“ he said to his sergeant-at-arms, „I believe I see my daughter between the dogs. Gather her up as soon as the dogs begin to bleed.“
But it was as though he had been talking to himself. The King found himself alone in the clearing. From everywhere, his daughter said, „Father, the days of you ordering everyone has drawn to a close as this dawn approaches. I give you but one choice. Be grateful; you never entertained me with any choice. Look up to these stars that are beginning to fade as the sun rises in the east, and beg for their mercy so as to save your soul. I haven’t much faith your body will survive. But you are quite used to ending the lives of innocent creatures so it should not come as a shock to see your own demise.“
Her father, now but the shadow of the great man he had led everyone to believe he was, cowered with her words. He looked all around but could not see who was speaking, though he did recognize his daughter’s voice. Yet, his daughter’s body lay as prone as it ever had lain in all the years he had crept into her locked room after she had swooned from the potion he gave her each evening.
„I…I have no son,“ stuttered the King. „And your mother died after childbirth. Let us end this complicity you have entered into with a witch, and return to our castle. When I die many years henceforth, you will inherit all these lands as Queen.“
„I am already that which you suggest I shall be in future years. But your end will come, in one way or another, before the sun sheds its first warming rays on your contemptible body. Do you not recognize this place which you have sought with such speed through the night?“
She watched as her father looked around. Fear exploded across his face. „It…it….“ He struggled to speak. „–Cannot be.“
„Yes,“ said she. „Here is where you murdered my mother in a fit of rage and lust after she had fled you. She, like me, found this place in the dead of night. But unlike her, I rose above it. No, there is no witch here. Nor was there ever a dragon such as you say you slew after it devoured my mother. Except that you are that dragon by having forced your largest dog to consume her remains. Now there is just you and me. You say your rights as King come from God. My rights come from an even higher authority. The God of your God, if you like. That God, like a stream forever flowing toward the ocean, always seeks to balance height with might, make right old wrongs, bring peace to tribulation, and destroys all that is unnatural along the way. Father, you are unnatural, and as such, I give you one chance to save your soul before eternal damnation. Look high to the stars and beg for forgiveness. Beg from the depth of your heart or I cannot save you from a worse death than the rotting of mortal flesh. I must hear you plead, not as reprisal to your deeds against my body and soul, but for you to connect again with the purity you once possessed as an infant. Surely all children enter the world with equal grace.“
Sadly, though not terribly so, she watched her father’s face turn angry. He picked up his fallen bow and made a motion to notch an arrow. But before he had anchored the drawn line to his cheek, she barked a command to the smallest dog there. Without a second thought, he lunged on her father and ravaged at his feet until they were mere bleeding stumps. She then barked an order to the dog. He quietly retreated, licking the blood from his chops.
Her father, now forever several inches shorter than his former stature, looked around in pain and bewilderment. He mumbled angry, then forlorn, words to his dog. „I am your master,“ she heard him say. „I am the one who has fed and sheltered and trained you. How dare you turn on me?“
„They,“ said his daughter, „are not yours to command. They are independent of you, now. Perhaps they sense that freedom for the first time ever.“ She grew pensively silent as she rose and drew near like the wind, and caressed the trees and saw the approach of dawn from the pink haze to the east. „You haven’t much time. You will never again see the sun, so I ask once more that you reach up to the stars with contrite heart and beg for forgiveness. By your deeds, you have violated the very stars that created the earth, and the star nearest to earth will not be made to suffer again by warming your disgusting body.“
Her father screamed an obscenity, saying, „How dare you speak to me as such! I am your father! I am King! God has placed me here to rule over all this.“ He reached for his sword at his side and raised it high. She barked another command.
Instantly, the middle sized dog simply reached down with his head and bit off the King’s offending arm and swallowed it whole, first spitting out the sword. Her father howled in pain. Above, the sun’s rose hues struck the pines‘ crowns.
„You have only a few moments, father,“ she said from everywhere. With the sun’s warmth on the air wherein she danced, she yearned for the beat of her own heart and to feel the sun’s glow on her skin.
Her father, weakened by massive blood loss, had fallen to his side. He looked to Dragonslayer and whispered an old command. The mastiff’s ears perked up at hearing the long forgotten command. But before he could carry out the King’s demand, he tuned his hairy white face skyward. The daughter gulped as only a spirit can, and with a voice as quiet as a breeze that doesn’t even move a blade of grass, made her wish known to the mastiff. Without hesitating, the dog opened his massive maw and inhaled her father, swallowing only once and then wincing as though having ingested something bitter.
„Don’t worry,“ she said to him. „In a day or so he will come out of you and will make some flies and worms in the soil quite happy. Your bowels shall be his Hell, though you will never suffer for it. And when he departs your bowels, your former master will enjoy the bowels of earth’s tiniest creatures until one day a tree pulls him up from the soil and he can again have his choice of begging the stars for forgiveness. Though, somehow I doubt he will do that until the very sun shall consume the earth and all creatures have departed for their place in God’s Heaven.“
With that, the sun crested over the trees and she felt herself gently flow into her body and sink into a comforting sleep. When she awakened, three large dogs sat waiting before her, and a cricket beneath the stone upon which she rested her head chirped. She smiled, and with her heart thanked the diminutive creature, and said to the dogs, „I think it’s time to return to my castle and put things in order.“
And you can well believe that she lived happily thereafter.
Authors note: This story is copyrighted ã1999-2003 and was first published by FABLES MAGAZINE at http://www.fables.org/ For further information, please contact author at dane@kabelnettet.dk or go to his website at www.denmark.gq.nu
Drachenflug/Seelenflug (Karin Roth)
Hoch hinauf in den Himmel stieg sie mit starkem schlagen ihrer Blauen Schwingen.
Sie wollte den Wind fangen unter ihrem Körper und die Freiheit im Fluge erreichen.
Doch diesmal war es nicht so wie immer.
Irgendwie erschien ihr der Flug nicht so federleicht wie sonst.. ihre Schwingen taten sich schwer auf den Luftschichten zu tragen und sie mußte sich sehr mühen um in große Höhen zu gelangen.
Warum nur so dachte sie sich.. warum nur ist es so schwer..
Ich lasse doch nur diese Erde hinter mir und versuche den Himmel zu erlangen um meine Freiheit zu finden.
Erschöpft gab sie nach Stunden ihren beschwerlichen Flug auf und kehrte erschöpft vom Kampf mit den Winden zurück in ihre Höhle.
Stille erwartete sie .. Nebel stieg auf aus den Bergen in denen ihr Reich lag und sie lag sinnend auf ihrem Schlafplatz.
Warum nur.. so dachte sie immer wieder.. warum nur kann ich nicht mehr so leicht und schwerelos gleiten..
Warum ist es als ob eine Zentnerlast an meinen Flügeln kleben würde..
Warum nur ist mir die Freiheit des Himmels heute verwehrt geblieben..
So lag sie Stunde um Stunde und dachte nach..
In ihr Nachdenken mischte sich noch ein anderes Gefühl..
Ihr Drachenherz schmerzte sie..
es schmerzte aus Sehnsucht nach ihrem Gefährten der viele Flugstunden von ihr in seinem eigenen Reich lebte, und sie erinnerte sich an ihre Begegnung mit ihm.
Er.. dessen Gestalt in ihr Herz gebrannt war und dessen Wesen sie nicht zur Ruhe kommen ließ.
Lange Jahre war sie alleine auf den Winden geritten.. hatte alleine für sich und ihren Nachwuchs gesorgt .. hatte alleine den Schwierigkeiten des Überlebens getrotzt.
Doch nun… hatte sich ihr Drachenleben geändert.. vor einiger Zeit war sie wieder einmal auf den Winden geritten und erblickte in weiter Ferne ein Wesen wie sie selber eines war.
Einen Drachen im Fluge erblickte sie damals..
Kraftvoll schlug er seine dunklen Schwingen und kämpfte mit den Stürmen die über den Bergen tobten.
Sein Flug bezauberte ihren Freigeist und sie konnte den Blick nicht von ihm wenden.
Dunkle Schuppen glänzten Malachitähnlich in der Sonne und ließen seinen Drachenleib schimmern wie Tausende von Edelsteinen.
Der Kampf den er den Wind darbot erfreute ihren eigenen Willen und bestärkte sie in ihrem wollen diesen Drachen entgegen zu fliegen um ihn näher zu betrachten.
All ihren Mut nahm sie zusammen und erhob sich in den Horizont um dieses Exemplar ihrer eigenen Gattung kennenzulernen.
Sie stieg in kreisenden Bewegungen hinauf und lenkte ihren Flug langsam in seine Richtung..
DA..
er hatte sie bemerkt..
sein Flug wurde stockender..
seine Bewegungen langsamer
und er veränderte seine Flugrichtung und bog ab in ihre Nähe.
Da bemerkte sie ein seltsames Gefühl in ihrem Körper..
Ihr Herz.. ein Drachenherz wohlgemerkt.. es fing an mit einer Macht zu pochen wie sie es niemals vorher bemerkte.
Ihre Schuppen schabten vor Nervosität gegeneinander und aus lauter Angst vor der Begegnung wollte sie schon abdrehen.
Doch nein..
Sie war ein Drache..
Drachen fürchten sich vor nichts versuchte sie sich einzureden und begann so zögerlich in seine Richtung zu fliegen.
Wenige Flügelschläge weiter trafen sich die beiden Wesen inmitten eines Sturmes der über den Bergen tobte.
Ein Blick in seine Drachenaugen.. dunkel.. geheimnisvoll und intelligent..
Und wieder begann ihr dummes Drachenherz laut gegen den starken Rippenbogen zu schlagen…
In diesem Moment wußte sie..
Erkannte sie was ihr hier geschah..
Erinnerte sie sich an ihre vorher gewesenen Leben
Die Legende hatte sie eingeholt..
Verlorene Drachenseelen hieß es da..
Zwei Drachen die verbunden waren durch einen Eid..
getrennt durch Menschenhand bis sie sich durch das Schicksal wieder vereinen ..
Seelen die alleine nicht komplett waren..
Sie hatte ihren Seelengefährten gefunden..
Und in seinen Augen erkannte sie..
Das auch er in diesem Momente sie wiedererkannte..
Er erkannte in ihr die Gefährtin die er einst verlor und glaubte es wäre für immer..
Es gab keine Worte… keine Berührung… kein äußerliches Zeichen..
Nur die Intensität der Blicke die ineinander tauchten..
Drachenauge in Drachenauge
Seele berührte Seele
Herz sah in Herz
und zusammen schwangen sie sich federleicht hinauf in die Lüfte,
tanzten auf den Winden und ließen die pure Lebensfreude des Fluges auf sich wirken.
Lange flogen sie gemeinsam dahin.. schwerelos wie Federn tauchten sie auf den Abwinden hinab.. um schnell wie ein Pfeil wieder auf den warmen Luftströmen hinauf zu steigen, der Sonne entgegen.
Windspielen gleich mit einer Leichtigkeit die aus dem Herzen kam berührten sie sich im Fluge..
Schuppen rieben sich am Horizont aneinander und erneuerten ohne Worte was dereinst zerbrochen wurde.
Stunde um Stunde ging der Tanz..
Stunde um Stunde erneuerten sie durch diesen Flug ihr Versprechen das sie sich einst gaben.
Zu Leben.. zu lieben.. füreinander da zu sein… für immer
Durch alle Leben hindurch und den Zeiten zu trotzen.
Irgendwann .. nach langer Zeit dann.. bog der Drache wieder ab..
Ein letzes Schlagen seiner Flügel.. ein Blick zurück.. und er flog wieder in seine Heimat die in weit entfernten Bergen lag.
Doch er hinterließ ihr ein Versprechen in ihrem Herzen.. das Versprechen auf ein baldiges Wiedersehen und eine erneute Vereinigung ihrer Seelen und Körper.
An all das dachte sie nun als sie einsam in ihrer Höhle lag und dieses seltsame Gefühl in ihrem Herzen verspürte.
Nun wußte sie auch warum sie heute so schwer gekämpft hatte auf den Winden..
Es fehlte ihr der Gefährte um so schwerelos zu gleiten ..
Mit ihm alleine konnte sie die Freiheit erlangen ..
Mit ihm alleine konnte sie der Kraft des Sturmes trotzen
Mit ihm alleine nur war sie fähig so leicht wie ein Blatt im Winde auf den Lüften zu schweben.
Doch was war das?
In weiter Ferne sah sie einen kleinen Punkt am Abendhimmel erscheinen der stetig größer wurde..
Je deutlicher dieser Fleck am Himmel wurde.. desto lauter schlug ihr Herz..
Jubelnd stieß sie sich vom Rande ihrer Höhle ab und sprang regelrecht den Sturm entgegen..
Und ihm entgegen..
Leicht.. schwerelos… ohne Mühe erklomm sie die stürmischen Höhen ihrer Berge
Sie tanzte wieder… nutze die Gewalt des Sturmes zu einem wilden Ritt der sie ihm schneller näher brachte.
Im Fluge noch berührten sie sich zärtlich.. umflogen sich mit einer Leidenschaft die nur Drachen eigen war
Und als sie Stunden später wieder landeten..
genügte ein Blick in seine tiefen Augen um Gewißheit zu haben.
Nur durch seine Nähe war ihr alles möglich
Nur durch seine Kraft war sie imstande unmögliches möglich zu machen
Nur durch seinen Willen war sie stark.
Und sie erkannte
Das auch er
Ihr Stärke brauchte
Ihre Kraft zu schätzen wußte
Ihre Liebe brauchte um zu leben
Nun schweben beide in Freiheit über den Winden..
Tanzen den Tanz den Drachen seit Urzeiten auf den Lüften veranstalten
Und teilen der Welt damit mit
Zwei Herzen und Seelen haben sich nicht trennen lassen
Und keiner der beiden.. muß jemals wieder gegen die Winde kämpfen,
denn gemeinsam sind zwei Drachen unschlagbar und trotzen allen Widrigkeiten die die Welt für sie bereithält.
Drachenherzen schlagen heiß und kraftvoll..
für immer
Der Lindwurm von Syrau
Es mag wohl schon sehr lange her sein, da hauste im Walde von Syrau ein schrecklicher Lindwurm. Der Drache überfiel meuchlings Mensch und Vieh, wie es ihm gerade in den Weg kam. Da sich die Syrauer in ihrer Not nicht anders zu helfen wußten, schlossen sie mit dem Lindwurm einen Pakt, daß er alle Wanderer, die die Straße durch den Wald zögen, fressen dürfe, die Syrauer aber müsse er verschonen.
Die Straße war nach kurzer Zeit in der ganzen Gegend verrufen, kein Mensch betrat sie mehr, und der Lindwurm mußte bald Hunger leiden. Da wollte der Drache vom Vertrag nichts mehr wissen und zerriß die Menschen wie zuvor. In Syrau wurde die Kirche nicht leer. Tag und Nacht flehten die Bewohner des Dorfes den Himmel um Hilfe an und hofften, der heilige Ritter Georg werde den Lindwurm töten. Doch der Helfer zeigte sich nicht. Es kam so weit, daß die Syrauer sich verpflichten mußten, dem Lindwurm täglich einen Menschen auszuliefern. Ein alter, kranker Mann gab freiwillig sein Leben dahin. Weil aber sonst niemand dazu bereit war, wurde gelost, wer das nächste Opfer sein sollte.
Einige Leute hatten schon an den schrecklichen Tod glauben müssen, da fiel das Los auf des reichsten Bauern einzige Tochter. Sie war sehr beliebt im Dorf, und überall herrschte großer Jammer über ihr trauriges Schicksal. Das Mädchen hatte aber einen Bräutigam, der den Kopf nicht hängen ließ.
Am nächsten Morgen führten die Syrauer das Mädchen auf die Straße hinaus. Aber wie staunten sie! Vom Walde her näherte sich ein Mann, der eine Heugabel trug und den schuppigen Leib des Lindwurms hinter sich her schleifte. Es war des Mädchens Liebster, der in der Nacht das Untier beschlichen und im Schlaf getötet hatte. Wie freute sich da ganz Syrau!
Zum Gedächtnis an die wackere Tat des Burschen bauten die Syrauer eine Kapelle "Unserer Lieben Frau". Die Glocke, die damals in dieser Kapelle erklang, hängt noch heute im Glockenturm zu Syrau.