Kadmos
Kadmos war ein Sohn des phönizischen Königes Agenor, ein Bruder der Europa. Als Zeus, in einen Stier verwandelt, diese entführt hatte, sandte ihr Vater den Kadmos und dessen Brüder aus, sie zu suchen, und ohne sie erlaubte er ihnen nicht wieder zurückzukommen. Lange hatte Kadmos vergebens die Welt durchirrt, ohne des Zeus Schliche entdecken zu können. Als er die Hoffnung verloren hatte, seine Schwester wieder aufzufinden, scheute er seines Vaters Zorn, wandte sich an das Orakel des Phöbos Apollo und forschte, welches Land er inskünftige bewohnen sollte. Apollo gab ihm die Weisung: »Du wirst ein Rind auf einsamen Auen treffen, das noch kein Joch geduldet hat. Von diesem sollst du dich leiten lassen, und an dem Platze, wo es im Grase ruhen wird, erbaue Mauern und nenne die Stadt Theben.« Kaum hatte Kadmos die Kastalische Höhle verlassen, wo Apolls Orakel war, als er schon auf der grünen Weide eine Kuh sich bedächtig ergehen sah, die noch kein Zeichen der Dienstbarkeit um den Nacken trug. Lautlos zu Phöbos betend, folgte er mit langsamen Schritten den Spuren des Tieres. Schon hatte er die Furt des Kephissos durchwatet und war über eine gute Strecke Landes gekommen, als auf einmal das Rind stillestand, sein Gehörn gen Himmel streckte und die Luft mit Brüllen erfüllte; dann schaute es rückwärts nach der Schar der Männer, die ihm folgte, und kauerte sich endlich im schwellenden Grase nieder.
Voll Dankes warf sich Kadmos auf der fremden Erde nieder und küßte sie. Hierauf wollte er dem Zeus opfern und hieß die Diener sich aufmachen, um ihm Wasser aus lebendigem Quell zum Trankopfer zu holen. Dort war ein altes Gehölz, das noch von keinem Beile jemals ausgehauen worden war; mitten darin bildete durch zusammengefügtes Felsgestein, mit Gestrüppe und Strauchwerk verwachsen, eine Kluft, reich an Quellwasser, ein niedriges Gewölbe. In dieser Höhle versteckt ruhte ein grausamer Drache. Weithin sah man seinen roten Kamm schimmern, aus den Augen sprühte Feuer, sein Leib schwoll von Gift, mit drei Zungen zischte er und mit drei Reihen Zähne war sein Rachen bewaffnet. Wie nun die Phönizier den Hain betreten hatten und der Krug, niedergelassen, in den Wellen plätscherte, streckte der bläuliche Drache plötzlich sein Haupt weit aus der Höhle und erhub ein entsetzliches Zischen. Die Schöpfurnen entglitten der Hand der Diener, und vor Schrecken stockte ihnen das Blut im Leibe. Der Drache aber verwickelte seine schuppigen Ringe zum schlüpfrigen Knäuel, dann krümmte er sich im Bogensprunge, und über die Hälfte aufgerichtet schaute er auf den Wald herab. Darauf reckte er sich gegen die Phönizier aus, tötete die einen durch seinen Biß, die andern erdrückte er mit seiner Umschlingung, noch andere erstickte sein bloßer Anhauch, und wieder andere brachte sein giftiger Geifer um.
Kadmos wußte nicht, warum seine Diener solange zauderten. Zuletzt machte er sich auf, selbst nach ihnen zu schauen. Er deckte sich mit dem Felle, das er einem Löwen abgezogen hatte, nahm Lanze und Wurfspieß mit sich, dazu ein Herz, das besser war als jede Waffe. Das erste, was ihm beim Eintritt in den Hain aufstieß, waren die Leichen seiner getöteten Diener, und über ihnen sah er den Feind mit geschwollenem Leibe triumphieren und mit der blutigen Zunge die Leichname belecken. »Ihr armen Genossen«, rief Kadmos voll Jammer aus, »entweder bin ich euer Rächer oder der Gefährte eures Todes!« Mit diesen Worten ergriff er ein Felsstück und sandte es gegen den Drachen. Mauern und Türme hätte wohl der Stein erschüttert, so groß war er. Aber der Drache blieb unverwundet, sein harter schwarzer Balg und die Schuppenhaut schirmten ihn wie ein eherner Panzer. Nun versuchte es der Held mit dem Wurfspieß. Diesem hielt der Leib des Ungeheuers nicht stand, die stählerne Spitze stieg tief in sein Eingeweide nieder. Wütend vor Schmerz drehte der Drache den Kopf gegen seinen Rücken und zermalmte dadurch die Stange des Wurfspießes, aber das Eisen blieb im Leibe stecken. Ein Streich vom Schwerte steigerte noch seine Wut, der Schlund schwoll ihm auf, und weißer Schaum floß aus dem giftigen Rachen. Aufrechter als ein Baumstamm schoß der Drache hinaus, dann rannte er mit der Brust wieder gegen die Waldbäume. Agenors Sohn wich dem Anfalle aus, deckte sich mit der Löwenhaut und ließ die Drachenzähne an der Lanzenspitze sich abmüden. Endlich fing das Blut an, denn Untier aus dem Halse zu fließen, und rötete die grünen Kräuter umher; aber die Wunde war nur leicht, denn der Drache wich jedem Stoß und Stiche aus und verstattete den Streichen nicht, fest zu sitzen. Zuletzt jedoch stieß ihm Kadmos das Schwert in die Gurgel, so tief, daß es hinterwärts in einen Eichbaum fuhr und mit dem Nacken des Ungeheuers zugleich der Stamm durchbohrt wurde. Der Baum wurde von dem Gewichte des Drachen krummgebogen und seufzte, weil er seinen Stamm von der Spitze des Schweifes gepeitscht fühlte. Nun war der Feind überwältigt.
Kadmos betrachtete den erlegten Drachen lange; als er sich wieder umsah, stand Pallas Athene, die vom Himmel herniedergefahren war, zu seiner Seite und befahl ihm, sofort die Zähne des Drachens als Nachwuchs künftigen Volkes in aufgelockertes Erdreich zu säen. Er gehorchte der Göttin, öffnete mit dem Pflug eine breite Furche auf dem Boden und fing an, die Drachenzähne, wie ihm befohlen war, die Öffnung entlang auszustreuen. Auf einmal begann die Scholle sich zu rühren, und aus den Furchen hervor blickte zuerst nur die Spitze einer Lanze, dann kam ein Helm hervor, auf welchem ein farbiger Busch sich schwenkte, bald ragten Schulter und Brust und bewaffnete Arme aus dem Boden, und endlich stand ein gerüsteter Krieger da, vom Kopf bis zum Fuße der Erde entwachsen. Dies geschah an vielen Orten zugleich, und eine ganze Saat bewaffneter Männer wuchs vor den Augen des Phöniziers empor.
Agenors Sohn erschrak und war gefaßt darauf, einen neuen Feind bekämpfen zu müssen. Aber einer von dem erdentsprossenen Volke rief ihm zu: »Nimm die Waffen nicht, menge dich nicht in innere Kriege!« Sofort holte dieser auf einen der ihm zunächst aus der Furche hervorgekommenen Brüder mit einem Schwertstreich aus; ihn selbst streckte zu gleicher Zeit ein Wurfspieß nieder, der aus der Ferne geflogen kam. Auch der, welcher ihm den Tod gegeben, verhauchte unter einer Wunde den kaum empfangenen Lebensatem bald wieder. Der ganze Männerschwarm tobte in fürchterlichem Wechselkampfe; fast alle lagen mit zuckender Brust auf dem Boden, und die Mutter Erde trank das Blut ihrer eben erst geborenen Söhne. Nur fünf waren übriggeblieben. Einer davon – er ward später Echion genannt – warf zuerst auf Athenes Geheiß die Waffen zur Erde und erbot sich zum Frieden; ihm folgten die anderen.
Mit dieser fünf erdentsprossenen Krieger Hilfe baute der phönizische Fremdling Kadmos die neue Stadt, dem Orakel des Phöbos gehorsam, und nannte sie, wie ihm befohlen war, Theben.
Der Kampf mit dem Drachen zu Laufen im Oberland
Im Oberland oberhalb von Laufen hielt sich vor langer Zeit in einer düsteren Höhle ein mächtiger Lindwurm auf, der die ganze Umgebung mit Furcht und Grauen erfüllte. Wochen- und monatelang schlief das Untier in seiner vom Volk ängstlich gemiedenen Behausung und rührte sich nicht, nur das rasselnde Schnarchen des Ungeheuers drang nach außen. Wenn aber der Hunger den scheußlichen Lindwurm aus dem Schlafe weckte, kam er aus dem finsteren Loch gekrochen, und alle Lebewesen, ob Mensch oder Tier, die in den Bereich seines giftigen Pesthauches gerieten, waren verloren. Betäubt fielen sie zu Boden und wurden eine Beute des schrecklichen Drachen.
Um zu verhindern, daß das gefräßige Untier aus seiner Höhle herauskomme, in der Gegend herumstreife und so noch größeres Unheil anrichte, beschlossen die Bewohner, ihm sein Futter, Ochsen und Kühe, vor das Drachenloch zu bringen. Aber der Futterverbrauch des Drachen war so gewaltig, daß sich die Viehbestände auf den Almen bedenklich lichteten. Da entschloß man sich, den Versuch zu wagen, den Lindwurm zu töten.
Ein ausgehungerter Ochse, dem man einen Futtersack vor dem Maule anbrachte, sollte mit verbundenen Augen zum Drachenloch getrieben werden. Um den Leib des Ochsen wurden mehrere Säcklein mit ungelöschtem Kalk gebunden in der Hoffnung, der Drache werde sie beim Fressen mit hinabschlingen und daran zugrunde gehen. Es erhob sich nun die Frage, wer den Ochsen in die Höhle des Lindwurms treiben sollte. Das war ein gefährlicher Gang; den wenn der verderbliche Hauch des Untieres den Treiber erreichte, war er verloren; daher sollte das Los entscheiden. Es traf den Schulzen des Ortes, der sich unter dem Jammer seiner Familie anschickte, den gefährlichen Weg anzutreten. Da sprang ein junger Bursche vor, der die Tochter des Schulzen liebte, und erklärte sich bereit, an seiner Stelle den Gang zum Drachenloch zu unternehmen. Er hoffte, im Falle des glücklichen Gelingens die Hand der Geliebten zu erringen.
Nachdem er eine lange Leine um einen Baum geschlungen und das andere Ende an seinem Gürtel befestigt hatte, trieb er, mit einem langen Spieß bewaffnet, den Ochsen vor sich her zur Höhle. Mit Bangen blickten ihm die Dorfbewohner nach und harrten auf den Ausgang des gefährlichen Wagnisses. Als der Ochse in die Nähe des Drachenloches gekommen war, witterte der hungrige Lindwurm seine Beute und kam aus der Höhle heraus.
Noch ehe der Ochse sich umwenden konnte, hatte er ihn mit seinen Krallen gepackt und zog ihn in seine Behausung hinein. Der Jüngling hatte zwar seinen Speer gegen das Ungetüm abgeschleudert, aber wirkungslos prallte das Geschoß von dem dichten Schuppenpanzer des Tieres ab.
Während aus der Höhle das Krachen der Knochen und das würgende Schlingen des Lindwurms zu hören war, verspürte der Jüngling, wie ihm allmählich die Besinnung schwand. Ein Hauch des verpesteten Atems war von dem Tier zu ihm gedrungen und drohte ihn zu betäuben. Rasch suchte er sich an der Leine nach rückwärts zu ziehen, jedoch schon nach wenigen Schritten brach er bewußtlos zusammen. Aber die Dorfbewohner, die am Ende der Leine standen, hatten den Vorfall bemerkt und zogen ihn, allen voran die Tochter des Schulzen, an der Leine aus dem vergifteten Bereich auf sicheren Boden zurück.
Von der Höhle herab vernahm man das Schlürfen und Schmatzen des Drachen, der aus einer Lache seinen Durst stillte. Dann erscholl ein Heulen und Brüllen, ein Schlagen und Toben; der Kalk tat seine Dienste. Als nach einiger Zeit Ruhe eintrat, wußte man, daß der Lindwurm verendet war. Aber die Gefahr war damit noch nicht vorüber. Das Wasser, das aus der Höhle floß, führte Unrat von dem verwesenden Drachen mit und brachte die Pest unter die Leute.
Erst als die Seuche erloschen war, kehrte Ruhe und Frieden wieder ins Land. Der junge Bursche der den Weg zur Drachenhöhle getan, erholte sich bald wieder; er war noch rechtzeitig dem tödlichen Wirken des Pesthauches entgangen. Er erhielt die Tochter des Schulzen zum Lohn für seine mutige Tat.
Der Drache von Murnau
Die Stadt Murnau soll vormals Wurmau geheißen haben. Nach alter Sage wurde in grauer Vorzeit bei Murnau ein ungeheurer Drache oder Wurm erlegt, der Menschen und Vieh großen Schaden zugefügt hatte. Noch vor wenigen Jahren stand eine gemauerte Säule bei dem Ort, mit einer unleserlichen Schrift in den Stein gehauen, auf dem der schädliche Wurm erlegt worden sein soll. Ein Schnapphahn rettete den Ort. Er füllte die Haut eines Kalbes mit ungelöschtem Kalk und warf diesen Fraß dem Drachen vor.
Noch heute führt der Markt in seinen Wappen einen Drachen mit vorwärts greifenden Klauen, aufgesperrtem Rachen und ausgestreckter roter Zunge.
Der Drache am Schönberg
In uralter Zeit, als das Christentum noch nicht überall verbreitet war, flog ein feuriger Drachen über Ebringen hinweg und verschwand am südlichen Schönberg in einer Höhle. Daraufhin mußte dem Drachen von Zeit zu Zeit ein Menschenopfer dargebracht werden. Schließlich fiel das Los auch einmal auf die junge Tochter des Grafen auf der Schneeburg. Um diese Zeit aber wohnte am Fuß des Schönberges ein junger Ritter, der sich heimlich zum Christentum bekannte. Als er von dem schrecklichen Schicksal der Grafentochter hörte, beschloß er, den Drachen zu töten. Gut bewaffnet und furchtlos ritt er dem Untier entgegen. Und obwohl das Pferde vor dem feuerspeienden Drachen scheute, so gelang es ihm doch, seinen Speer mit starker Hand dem Ungetüm in den Rachen zu stoßen und es zu töten.
Zur Erinnerung an diese Tat wurden auf den Häusern zu Ebringen, über die der Drachen hinweggeflogen war, steinerne Kreuze errichtet. Einige davon sind noch vorhanden. Da der kühne junge Ritter, der von den Leuten von nun an als Heiliger verehrt wurde, Georg hieß, so nannte sich späterhin der Ort, wo er wohnte, St. Georgen.
Der Drache zu Malchin
In Malchin erzählte man sonst noch viel vom Drachen, und viele hatten ihn gesehen, wie er durch die Luft gezogen, so groß wie ein Wesbaum, vorn mit einem ordentlichen dicken Kopf und einem langen Schwanz hinten, und bezeichneten auch genau die Häuser, wo er den Leuten etwas zugetragen. Nun war auch einmal einer, der hatte gehört, wie man den Drachen zwingen könne, das was er trage, fallen zu lassen; da ging er hinaus, als der Drache gezogen kam, und zieht sich, mit Respekt zu melden, die Hosen ab. Da hat der Drache seine Last in einen Brunnen fallen lassen, und als er nun hinging, um zu sehen, was es sei, war der Brunnen bis zum Rande mit Erbsen gefüllt. Die hat man dem Vieh als Futter vorgeworfen, es hat sie aber nicht fressen mögen. – Nicht so gut ist es einem andern ergangen; der tat auch so, hatte sich aber dabei nicht gehörig vorgesehen und war nicht, wie man das tun muß, dabei unter Dach geblieben, da hat ihn der Drache so beschmutzt, daß er den Gestank sein‘ Lebtag‘ nicht hat wieder loswerden können.
Riese und Drache
Zwischen Ziegenrück und Gössitz umspült die Saale in weitem Bogen einen Felsen, der das Flußbett hoch überragt und vom Volke Riesenstein genannt wird. Dort wohnte ein Riese mit seinem Weib, und ihnen gegenüber auf dem Drachenstein hauste ein furchtbarer Drache, der sich Menschen und Vieh zum Fraß holte. Der Riese zog mehr als einmal zum Kampfe gegen ihn aus, vermochte aber nichts auszurichten; denn so oft er daran war, das Untier zu überwältigen, erhob es sich auf seinen breiten Flügeln in die Luft. Wenn Riese und Drache miteinander kämpften, so dampften die Felsenhöhen, und der Grund erbebte. Nun hatte der Riese von seinem Weibe einen einzigen Sohn; den raubte der Drache, als er ihn unbehütet fand, führte ihn dahin, und die Eltern hörten mit Schrecken das Wehegeschrei ihres Kindes über sich in den Lüften. Da packte der Riese ergrimmt einen Stein und schleuderte ihn mit gewaltiger Kraft nach dem Drachen, traf ihn auch und sah ihn mit samt dem Kind in die Saale stürzen. Ein Fels, den er im Sturze berührte, zerbarst und begrub ihn und das Riesenkind. Der Wurfstein blieb an der Stromkrümme am Ufer liegen; darauf trat der Riese so heftig vor Schmerz und Zorn, daß sein Fuß sich einprägte. Der Saalefischer aber hat von je die verrufene Stelle gemieden.
Der Drache fährt aus
Das Alpenvolk in der Schweiz hat noch viele Sagen bewahrt von Drachen und Würmern, die vor alter Zeit auf dem Gebirge hausten und oftmals verheerend in die Täler herabkamen. Noch jetzt, wenn ein ungestümer Waldstrom über die Berge stürzt, Bäume und Felsen mit sich reißt, pflegt es in einem tiefsinnigen Sprichwort zu sagen: »Es ist ein Drach ausgefahren.« Folgende Geschichte ist eine der merkwürdigsten:
Ein Blinder aus Lucern ging aus, Daubenholz für seine Fässer zu suchen. Er verirrte sich in eine wüste, einsame Gegend, die Nacht brach ein und er fiel plötzlich in eine tiefe Grube, die jedoch unten schlammig war, wie in einen Brunnen hinab. Zu beiden Seiten auf dem Boden waren Eingänge in große Höhlen; als er diese genauer untersuchen wollte, stießen ihm zu seinem großen Schrecken zwei scheußliche Drachen auf. Der Mann betete eifrig, die Drachen umschlangen seinen Leib verschiedenemal, aber sie taten ihm kein Leid. Ein Tag verstrich und mehrere, er mußte vom 6. November bis zum 10. April in Gesellschaft der Drachen harren. Er nährte sich gleich ihnen von einer salzigen Feuchtigkeit, die aus den Felsenwänden schwitzte. Als nun die Drachen witterten, daß die Winterzeit vorüber war, beschlossen sie auszufliegen. Der eine tat es mit großem Rauschen und während der andere sich gleichfalls dazu bereitete, ergriff der unglückselige Faßbinder des Drachen Schwanz, hielt fest daran und kam aus dem Brunnen mit heraus. Oben ließ er los, wurde frei und begab sich wieder in die Stadt. Zum Andenken ließ er die ganze Begebenheit auf einen Priesterschmuck sticken, der noch jetzt in des hl. Leodagars Kirche zu Lucern zu sehen ist. Nach den Kirchenbüchern hat sich die Geschichte im Jahr 1420 zugetragen.
Tristan und Isolde
Auf seiner Burg zu Tintajol herrschte König Marke über Kurnewale und England. Er war geliebt und geachtet von allen Bewohnern seines Landes, und viele hochgesinnte Ritter und schöne Damen scharten sich um seinen Thron. Unter ihnen war Tristan, des Königs Neffe. Seinen Vater Riwalin von Parmenie hatte König Morgan von Bretagne erschlagen, und seine Mutter Blancheflur, König Markes Schwester, war nach der Geburt des Knaben vor Gram gestorben. Weil es in Trauer geboren worden war, hatte das Kind den Namen Tristan erhalten. Riwalins Lehnsmann, der treue Marschall Rual, hatte sich seiner angenommen und ihm eine sorgfältige Erziehung gegeben. Später war Tristan nach mancherlei Irrfahrt zu seinem Oheim nach Tintajol gelangt und hatte an Markes Hof alle Herzen für sich gewonnen. Unübertrefflich war er in allen ritterlichen und höfischen Künsten, und als er, kaum den Knabenschuhen entwachsen, den Ritterschlag erhielt, wußte jeder im Lande, daß niemand solcher Ehre mehr wert sei als der jugendliche Tristan.
Bald darauf trat der junge Ritter vor König Marke und bat um Urlaub, um nach Bretagne zu ziehen und den Tod seines Vaters zu rächen.
Das geschah, und Tristan erwarb sich hohen Ruhm. Er erschlug Herrn Morgan, den Mörder seines Vaters, und gewann sein Land zurück, das er dem treuen Rual zu Lehen gab.
Als Tristan an Markes Hof zurückkehrte, fand er das ganze Land in Trauer. Morolt, der Schwager des Königs von Irland, war gekommen und hatte einen Tribut eingefordert, den König Marke von früher her schuldete. Dreißig schöne Knaben sollten als Geiseln gestellt werden. Da beschwor Tristan König Marke und seine Ratgeber, den Tribut zu verweigern und die endgültige Entscheidung einem Zweikampf zwischen ihm und Morolt anheimzugeben. Nach einigem Zögern stimmte Marke zu, und in dem Kampfe, der nun stattfand, siegte Tristan über den starken Morolt und tötete ihn. Indessen hatte auch Morolt seinem Gegner eine schwere Wunde an der Hüfte geschlagen, und bevor er starb, sagte er Tristan, daß sein Schwert vergiftet sei und die Wunde nur durch seine Schwester Isolde, die Königin von Irland, geheilt werden könne. Morolts Leiche wurde nach Irland gebracht, wo der Held tief betrauert wurde, besonders von seiner Schwester Isolde und ihrer jungen Tochter, die den Namen der Mutter trug.
In Morolts Wunde fand man einen Splitter aus Tristans Schwert. Den nahm die junge Isolde an sich und bewahrte ihn in einem Schrein. Der König aber erließ ein Gebot, nach dem jeder, der aus Kurnewale nach Irland komme, es mit dem Leben büßen müsse.
Auf Burg Tintajol aber lag der junge Tristan und siechte an seiner Wunde dahin. Kein Arzt vermochte ihm zu helfen. Darum faßte der todwunde Mann den Entschluß, die Königin Isolde aufzusuchen. Er ließ sich von seinen Getreuen nach Irland bringen und heimlich an Land setzen. Und da er sich als Spielmann ausgab, wurde er bei Hofe gut empfangen. Auch die Königin Isolde nahm ihn freundlich auf, und gern versprach sie, ihn zu heilen, da sie sein Saitenspiel liebte.
"Armer Spielmann", sagte sie, "von Gift bist du so wund. Doch du darfst gewiß sein, daß meine Hand dich heilen wird."
Da wurde Tristan so froh, daß er trotz aller Schmerzen das Saitenspiel ergriff. Die Königin lauschte ihm und rief ihre Tochter, die blonde Isolde, herbei. Da spielte und sang Tristan vor den schönen Frauen so wundersam, wie sie es noch nie in ihrem Leben gehört hatten.
Königin Isolde gab sich große Mühe, die Wunde des fremden Spielmanns, der sich Tantris nannte, zu heilen, und bald war Tristan durch ihre Kunst von seinem Siechtum genesen und gesund und stark wie je zuvor.
Die junge Isolde hatte diese Zeit gut genutzt; denn Tristan war ihr ein gar trefflicher Lehrmeister im Gesang und Saitenspiel gewesen.
Doch nun zog es den Genesenen in die Heimat zurück, zumal da er fürchten mußte, von einem der Mannen Morolts, die in Tintajol gewesen waren, erkannt zu werden. Er gab vor, er müsse wieder zu seiner geliebten Gattin, und nahm Urlaub von der Königin und der schönen Isolde.
Zu Tintajol in Kurnewale herrschte große Freude über Tristans Heilung, und der junge Held war von Herzen froh, daß er wieder am Hofe des Oheims weilen durfte.
König Marke liebte den Neffen und überhäufte ihn mit ritterlichen Ehren. Das erregte Neid bei manchen Großen seines Landes, und als das Gerücht umlief, König Marke werde den Neffen zu seinem Erben einsetzen, wurden Stimmen gegen ihn laut, die von Haß und Mißgunst zeugten.
Um dem drohenden Sturme zu entgehen, riet Tristan selbst dem König Marke, sich doch noch zu vermählen. Er empfahl dem Oheim die schöne junge Königstochter Isolde und erbot sich, die gefährliche Brautwerbung zu wagen.
König Marke zögerte recht lange, da er den Neffen nicht solcher schweren Gefahr aussetzen wollte; aber schließlich willigte er doch ein.
So schiffte sich Tristan nach Irland ein und ließ sich wieder heimlich an Land setzen. Diesmal gab er sich als Kaufmann aus und fand auch Aufnahme am Hofe.
Damals hauste in Irland ein Drache, der das Land so bedrohte, daß der König demjenigen die Hand seiner Tochter zu geben versprach, der das Untier erschlagen würde. Deshalb wagte Tristan heimlich den Kampf mit dem Drachen, besiegte das Untier nach schweren Gefahren und schnitt ihm die Zunge heraus, die er unter seinem Wams an seiner Brust verbarg. Dann suchte er sich ein Versteck, um von der Mühsal des Kampfes auszuruhen.
Das Gift der Drachenzunge begann jedoch zu wirken, und er versank in eine tiefe Ohnmacht.
Bald darauf kam ein anderer Ritter, der Truchseß des Königs, an die Stelle, wo Tristan den Drachen erschlagen hatte. Der wollte auch die schöne Isolde gewinnen und hieb und stach auf den Drachen ein, obgleich das Untier schon tot war. Dann suchte er lange nach dem Sieger, um den Entkräfteten zu töten, doch Tristan fand er nicht.
Trotzdem ritt der Truchseß stolz an seines Königs Hof und begehrte als Drachentöter den Siegespreis, die Hand der Königstochter.
Da war die schöne Isolde tief bekümmert, daß sie den anmaßenden Mann heiraten sollte. Die Mutter aber tröstete sie, da ihr ein Traum offenbart hatte, daß ein anderer den Drachen besiegt habe.
So ritt am nächsten Morgen die Königin mit ihrer Tochter und ihrer Nichte Brangäne und einem Knappen in den Wald, um den Drachentöter zu suchen. Sie fanden ihn bewußtlos in seinem Versteck. Die Mädchen hielten ihn für tot; doch die Königin erkannte, daß der unbekannte Ritter unter der Wirkung eines Zaubers stand, und sie fand und entfernte die Drachenzunge an seinem Leibe, so daß Tristan alsbald wieder zu sich kam.
Mit freudigem Erstaunen erkannten die Frauen in ihm ihren Spielmann wieder, und obwohl Tristan diesmal zugab, daß er aus Kurnewale stammte, sicherte ihm die edle Königin Schutz für Leben und Leib zu.
Die Frauen nahmen nun Tristan mit auf die Burg. Als der Truchseß wiederum die Hand der Königstochter zu fordern wagte, wurde sie ihm verweigert, und die Königin verkündete, daß der Drachentöter sich am dritten Tage dem Truchseß zum Kampfe stellen werde.
Indessen waren die Frauen treulich besorgt, den vom Kampf ermatteten Helden zu stärken.
Da fügte es der Zufall, daß die junge Isolde, während Tristan schlief, sein Schwert in die Hand nahm, und sie erschrak, weil sie eine Scharte entdeckte. Sie holte eilends den Splitter, den man in Morolts Wunde gefunden hatte, herbei, und siehe, er paßte genau.
Nun war der Besieger ihres geliebten Oheims in ihrer Hand, und sie empfand glühenden Haß gegen Tristan.
"Dieser ist Tristan, der Mörder deines Bruders“, rief sie der Mutter, die hereintrat, in wilder Erregung zu und hob den Arm, um den Schlafenden mit dem Schwerte zu durchbohren. Die Königin aber ermahnte sie, daß man Tristan Schutz für Leib und Leben zugesichert habe. Da ließ die schöne Isolde das Schwert fallen und brach in bittere Tränen aus.
Gütig redete ihr die Mutter zu und gab zu bedenken, daß Isolde, wenn Tristan tot wäre, dem Truchseß als Siegespreis verfallen sei.
Da verbarg die schöne Isolde ihren Haß, und als Tristan erwachte, ließen sich die beiden Frauen nichts anmerken und redeten freundlich mit ihm.
Nun berichtete der Held von der Botschaft, um deretwillen er nach Irland gekommen war.
"Seit meiner Rückkehr aus Irland habe ich zu Tintajol das Lob der blonden Isolde gesungen, und ich bin hierher gesandt, um für meinen Herrn, König Marke, um die Hand der Königstochter zu freien.“
Und auf den Rat der Mutter nahm Isolde die Werbung an.
Der Zweikampf fand nicht mehr statt, weil der Truchseß sich aus Feigheit zurückzog. Da gab auch der König seine Einwilligung zur Vermählung seiner Tochter mit König Marke, und die blonde Isolde zog zu Schiff, von Tristan und ihrer Freundin Brangäne begleitet, in König Markes Land.
Die Königin aber, die das Glück ihrer Tochter für alle Zeiten sichern wollte, hatte ihrer Nichte Brangäne einen Liebestrank anvertraut, den diese Marke und Isolde nach vollzogener Vermählung zu trinken geben sollte.
"Niemand darf zugleich mit ihnen beiden von dem Minnetrank genießen", hatte sie das Mädchen ermahnt.
Eines Tages, während der Überfahrt, saß Tristan in Isoldes Schiffsgemach und erzählte ihr von König Marke und dem Hof zu Tintajol. Da geschah es, daß Tristan nach einem Trunk begehrte, und da Brangäne nicht im Gemache anwesend war, bot eine Dienerin ihm das Gefäß mit dem Liebestrank, den sie für Wein hielt. Tristan reichte den Becher in ritterlicher Weise zuerst der Königstochter, die zaudernd trank, dann genoß auch Tristan davon.
Als Brangäne dazukam und den Becher geleert fand, brach sie in bittere Klagen aus. Was half es, daß sie das Gefäß ergriff und ins Meer schleuderte! Schon spürten Tristan und Isolde die Wirkung des Zaubers, und beide fühlten, daß sie zusammen nur ein Herz besäßen, und wagten doch aus Scham und Zweifel nicht, sich die seltsame Wandlung einzugestehen.
Wohl versuchte Tristan, den schweren Kampf zu bestehen, um der Treue, der Pflicht und der Ehre zu genügen, aber die Liebe zu Isolde brannte heiß in seinem Herzen. Blickte er ihr in die Augen, so waren alle festen Vorsätze dahin.
Nicht anders erging es Isolde. Auch sie lag in Liebesbanden. Bald vermochte sie an nichts anderes mehr zu denken als an Tristan.
In dem quälenden Widerstreit zwischen Verlangen und Pflichtgefühl siegte die Liebe, und noch ehe Isolde in Markes Land kam, hatte sie dem zukünftigen Gatten die Treue gebrochen.
Brangäne erzählte den beiden von dem Zaubertrank und versprach ihnen ihre Hilfe und Verschwiegenheit.
Als das Schiff sich der Küste näherte, sandte Tristan Boten nach Tintajol, und mit großem Gepränge ließ König Marke seine junge Braut in die Stadt geleiten. Gar bald vermählte er sich mit ihr.
Doch der Zauber, dem Tristan und Isolde auf dem Schiffe verfallen waren, erlosch nicht. Nie wieder konnten die Liebenden voneinander lassen, und immer wieder mußte Isolde König Marke die Treue brechen.
Keinen andern Gedanken hegten die Liebenden als den, wie sie hämischem Argwohn entgehen und Isoldes Gatten täuschen konnten.
Zunächst gelang es ihnen mit Brangänes Hilfe, doch dann schöpfte Marke Verdacht. Marjodo, der Truchseß, hatte das Liebespaar einmal überrascht. Der ging zu König Marke und verdächtigte die beiden Liebenden.
"Es geht um deine Ehre", sagte der Truchseß, den die Eifersucht um Isolde, die Blonde, verzehrte, und Marke ließ sich, von Argwohn gequält, überreden, seinem Weibe eine Falle zu stellen.
Die wachsame Brangäne war jedoch Marjodos Treiben auf die Spur gekommen und warnte ihre Herrin. Deshalb zeigte sich Isolde, als König Marke ihr pIötzlich ankündigte, daß er sie einer Pilgerfahrt wegen für lange Zeit verlassen müsse, tief bekümmert. Der König, der ihr Tristans Gesellschaft während seiner Abwesenheit empfahl, fühlte sich von Argwohn und Eifersucht befreit, als sein Weib Abscheu gegen Tristan heuchelte, und in seinem Herzen bat Marke der blonden Isolde das Unrecht ab, das er ihr mit seinem Verdacht angetan zu haben meinte.
Marjodo, dem Truchseß, hielt er triumphierend die Treue seines Weibes vor. Der aber ließ sich nicht täuschen und erbot sich mit spöttischem Lächeln, die Liebenden zu überlisten. Marke sollte Tristan von der Königin trennen und über Land schicken; dann werde er sehen, was geschähe. Blutenden Herzens befolgte Marke den Rat des Truchseß.
Da litten Tristan und Isolde die brennenden Qualen der Trennung und Sehnsucht. Brangäne aber ersann eine kluge List, wie sie ihrer Herrin und Tristan helfen könnte.
Durch den Garten von Tintajol floß ein klarer Bach, darüber hatte man einen Turm gebaut, in dem jetzt Isolde zu ihrer Erholung auf Brangänes Rat Wohnung nahm. Da ließ Tristan Rindenstücke den Bach hinabtreiben, an denen Isolde erkennen konnte, bei welchen Bäumen des Gartens sie der Geliebte zur Nacht erwartete, bei den Pinien, im Ulmenhain oder bei den Eichen.
So trafen sich die Liebenden jede Nacht im Garten der Burg. Der böse Zwerg Melot, den Marjodo beauftragt hatte,Tristans Weg zu verfolgen, konnte sich jedoch wie ein Eichhörnchen von Ast zu Ast schwingen und entdeckte das Geheimnis der Rindenstücke und offenbarte es König Marke.
Da sahen sich die Liebenden im Ulmenhain zu mitternächtiger Stunde plötzlich von den Mannen König Markes umstellt, und das Geheimnis ihrer Liebe wurde enthüllt.
Das erbitterte Volk und alle Barone des Landes forderten ein Gottesgericht, wie es auf einer Insel im Meer stattzufinden pflegte. Dort sollte Isolde ihre Unschuld erweisen.
Heimlich gab Isolde durch die treue Brangäne ihrem Geliebten Nachricht.
Als die Königin in ihrem Schifflein nahe der Insel landete und von Rittern ans Ufer getragen werden sollte, lehnte sie es ab, sich von ihnen, die sie so hart beschuldigten, berühren zu lassen.
Am Ufer stand, in seine Kutte gehüllt, ein fremder Pilger. Der wurde herbeigerufen, und man befahl ihm, die Königin durch das seichte Wasser an den Strand zu tragen. Der Fremde folgte willig der Aufforderung, nahm die schöne Isolde in seine Arme und trug sie durch das Wasser an Land. Isolde, die in dem Pilgersmann längst den Geliebten erkannt hatte, raunte ihm ins Ohr, er solle am Ufer straucheln, so daß sie beide zu Fall kämen. Das geschah, und so lag die schöne Königin für einen Augenblick an der Seite des Pilgers in seinen Armen. Die Ritter wollten den Pilgrim für seine Unachtsamkeit mit Ruten züchtigen; doch die Königin bat für ihn um Gnade. Da ließen sie von ihm ab.
Als man Isolde auf dem Gerichtstag zwang, ihre Unschuld zu beschwören, bekräftigte sie mit einem Eid, daß sie nie in eines anderen Mannes Armen gelegen habe als in denen ihres Gemahls und des Pilgers, der sie an Land getragen habe.
Darauf wurde ihr befohlen, die Hand auf das glühende Eisen zu legen, und siehe, ihre Haut blieb unverbrannt.
So war die Wahrheit von Isoldes Worten vor aller Augen bewiesen, und König Marke nahm sein Weib wieder in Gnaden auf.
Auf der Burg sah Tristan auch Kaedins schöne Schwester, Isolde mit den weißen Händen. Da trat das Bild der fernen Geliebten ihm so lebendig vor die Seele, daß er sich um des gleichen Namens willen mit Isolde Weißhand vermählte, aber seine Sehnsucht nach der blonden Isolde wurde nicht gestillt.
Tristan begleitete von nun an seinen Schwager Kaedin auf dessen Kriegszügen. Eines Tages weilten sie auf einer Burg und mißbrauchten in der Abwesenheit des Ritters das Gastrecht, weil Kaedin sich um die Liebe der Burgherrin bewarb. Der Ritter, der sich betrogen fühlte, verfolgte sie nach seiner Rückkehr, stellte sie zum Kampfe und rannte Kaedin den Speer in den Leib, daß er tot vom Pferde sank. Dafür erschlug ihn Tristan. Aber die Übermacht der Feinde war zu groß, und Tristan erhielt eine schwere Wunde, so daß er nur mit Mühe den Verfolgern entkam.
Isolde Weißhand pflegte den sehr Wunden, der mit dem Tode rang. Kein Arzt und keine Arzenei vermochten ihm zu helfen. Da sandte Tristan einen getreuen Boten an König Markes Hof und ließ die blonde Isolde bitten, seine Todesnot zu lindern. Der Bote brachte die traurige Kunde nach Tintajol; Isolde zögerte keinen Augenblick und bestieg sofort das Schiff.
Indessen wurde der todwunde Tristan von Isolde Weißhand gepflegt. Sie grämte sich, daß Tristan die blonde Isolde rufen ließ, und oft mußte sie auf Tristans Bitte ans Fenster treten, um nach dem weißen Segel, das Isoldes Ankunft künden sollte, Ausschau zu halten.
Als sie das Schiff endlich kommen sah und das weiße Segel in der Sonne glänzte, verkündete sie es Tristan; aber von dem Segel sagte sie nichts. "Liebe Isolde, sage an, wie ist das Segel?" fragte Tristan.
Isolde Weißhand sprach in dieser Not nicht die Wahrheit und antwortete: "Ein schwarzes Segel sah ich."
Da brach der Tod Tristan das Herz. Vergebens beteuerte Isolde Weißhand in ihrem Schmerz, daß sie nicht wahr gesprochen habe.
Tristan lag tot und hörte sie nicht mehr.
Als Isolde, die Blonde, und ihre Begleiter ans Ufer gelangt waren, vernahmen sie große Klage in der Stadt und erfuhren den Grund.
Da stand die schöne Isolde stumm vor Schmerz und sank ohnmächtig nieder. Tristans Tod hatte auch ihr die Lebenskraft genommen.
Als sie wieder zu sich kam, hatte sie nur den Wunsch, den Toten zu sehen. So gingen sie alle ins Münster, wo Tristan auf der Bahre lag. Sie nahm das Tuch von seinem Antlitz, warf sich an der Bahre nieder und küßte es.
So lag sie Mund an Mund mit dem toten Tristan; da brach auch ihr das Herz, und sie starb den Minnetod.
Die Körper der Liebenden wurden einbalsamiert und in Särge gelegt, und Isolde Weißhands Vater, Herzog Jovelin, dachte den zweien ein würdiges Begräbnis zu geben.
Inzwischen aber hatte König Marke den Tod der Liebenden erfahren und war zu Schiff nach Burg Karke gekommen.
Als er von der treuen Brangäne vernommen hatte, wie alles geschehen war, von dem Trank der Minne, der die Herzen bezaubert hatte, daß sie nicht mehr voneinander lassen konnten, da brach er in laute Klage aus und rief: "O weh, Tristan, hättest du von Anfang an alles bekannt, ich hätte dir Isolde zur Frau gegeben. So wäre ich rein von Sündenschuld geblieben, und ihr wäret gerettet."
Marke führte die Leichen auf seinem Schiff mit sich nach Tintajol. Dort lag das ganze Land in Trauer. Der König ließ zwei marmorne Särge anfertigen und die Toten darein legen. Im Burggarten von Tintajol wurden sie begraben.
König Marke gab sein Reich einem seiner Barone und ging ins Kloster.
Er hatte aber auf Tristans Grab einen Rosenstock pflanzen lassen und auf Isoldes eine Weinrebe. Als Rebe und Rose wuchsen, neigte sich über den Gräbern jeder Zweig dem andern zu, und dicht ineinander verflochten und verwachsen waren Rose und Rebe.
Der Lindwurm von Syrau
Es mag wohl schon sehr lange her sein, da hauste im Walde von Syrau ein schrecklicher Lindwurm. Der Drache überfiel meuchlings Mensch und Vieh, wie es ihm gerade in den Weg kam. Da sich die Syrauer in ihrer Not nicht anders zu helfen wußten, schlossen sie mit dem Lindwurm einen Pakt, daß er alle Wanderer, die die Straße durch den Wald zögen, fressen dürfe, die Syrauer aber müsse er verschonen.
Die Straße war nach kurzer Zeit in der ganzen Gegend verrufen, kein Mensch betrat sie mehr, und der Lindwurm mußte bald Hunger leiden. Da wollte der Drache vom Vertrag nichts mehr wissen und zerriß die Menschen wie zuvor. In Syrau wurde die Kirche nicht leer. Tag und Nacht flehten die Bewohner des Dorfes den Himmel um Hilfe an und hofften, der heilige Ritter Georg werde den Lindwurm töten. Doch der Helfer zeigte sich nicht. Es kam so weit, daß die Syrauer sich verpflichten mußten, dem Lindwurm täglich einen Menschen auszuliefern. Ein alter, kranker Mann gab freiwillig sein Leben dahin. Weil aber sonst niemand dazu bereit war, wurde gelost, wer das nächste Opfer sein sollte.
Einige Leute hatten schon an den schrecklichen Tod glauben müssen, da fiel das Los auf des reichsten Bauern einzige Tochter. Sie war sehr beliebt im Dorf, und überall herrschte großer Jammer über ihr trauriges Schicksal. Das Mädchen hatte aber einen Bräutigam, der den Kopf nicht hängen ließ.
Am nächsten Morgen führten die Syrauer das Mädchen auf die Straße hinaus. Aber wie staunten sie! Vom Walde her näherte sich ein Mann, der eine Heugabel trug und den schuppigen Leib des Lindwurms hinter sich her schleifte. Es war des Mädchens Liebster, der in der Nacht das Untier beschlichen und im Schlaf getötet hatte. Wie freute sich da ganz Syrau!
Zum Gedächtnis an die wackere Tat des Burschen bauten die Syrauer eine Kapelle "Unserer Lieben Frau". Die Glocke, die damals in dieser Kapelle erklang, hängt noch heute im Glockenturm zu Syrau.
Der Drache mit den sieben Köpfen
Es war einmal, wie noch nie — wenn es nicht gewesen wäre, würde man es nicht erzählen, — in einem Reich ein ungeheuerer Drache. Der hatte sieben Köpfe, lebte in einer Grube und nährte sich nur von Menschenfleisch. Wenn er zum Fressen auszog, floh alle Welt, sperrte sich in die Häuser ein und hielt sich verborgen, bis er seinen Hunger an irgend einem Wanderer gestillt hatte, den sein Schicksal in den Tod getrieben hatte. Alle Menschen der Gegend zitterten vor der Bosheit und Grausamkeit des Drachens. Tag und Nacht beteten sie. Mit Gebeten und allem, was es gibt, versuchten sie es zu erreichen, daß Gott die arme Menschheit von diesem unersättlichen Untier befreie, aber vergeblich. Alle möglichen Zauberer wurden herbeigeholt, aber sie trugen mit ihren Künsten nur Schande davon.
Endlich, als der Kaiser sah, daß alles vergeblich war, beschloß er, dem Helden, der das Reich von diesem Schrecken befreien würde, seine Tochter zur Frau und das halbe Kaiserreich dazu zu geben und gab diesen Beschluß der ganzen Welt bekannt.
Schau, nachdem diese Nachricht in das Land gegangen war, beschlossen mehrere tapfere Männer, miteinander sich auf die Lauer zu legen und besprachen sich darüber, wie sie das Land von einem so schrecklichen Drachen befreien könnten. Sie einigten sich untereinander und beschlossen, ein Feuer am Rande der Stadt zu machen, die dem Ort, an dem der Drache hauste, am nächsten gelegen war, und wo sich auch der Sitz des Kaisers befand. Sie wollten dort der Reihe nach Wache halten, immer je einer, während die anderen schlafen sollten. Und damit nicht etwa der, der Wache halten sollte, einschliefe und vielleicht der Drache käme und sie alle fräße, taten sie ein Gelöbnis, daß derjenige, der das Feuer ausgehen lasse, getötet werde, zur Strafe dafür, daß er geschlafen habe, während er hätte wachen müssen.
Mit diesen Helden verbrüderte sich auch ein Jüngling aus rumänischem Stamme, der von dem Versprechen des Kaisers gehört hatte und gekommen war, auch sein Glück zu versuchen. Sie brachen alle auf, wählten einen Platz in der Nähe der Drachengrube und begannen Wache zu halten.
Sie lauerten einen Tag, zwei Tage, mehrere Tage, und es geschah nichts. Aber eines Tages, nach Sonnenuntergang, als unser kühner Jüngling an der Reihe war zu wachen, brach der Drache aus seiner Grube auf und näherte sich den Männern, die neben dem Feuer schliefen. Unserem Helden, der wachte, wurde das Herz wie ein Floh *1), aber er ermannte sich rasch, und siehe, er warf sich mit dem nackten Säbel in der Hand auf den Drachen und kämpfte mit ihm, bis er ihn sicher hatte und: hrrstl, schlug er ihm einen Kopf ab, hrrst!, schlug er ihm noch einen ab, und so, einen nach dem anderen, schlug er ihm sechs Köpfe ab. Der Drache krümmte sich vor Schmerz, schlug mit dem Schweif, daß man schaudern konnte vor Entsetzen. Unser Tapferer aber kämpfte auf Leben und Tod, während seine Genossen tief schliefen.
Als er sah,daß sie nicht erwachten, nahm er alle Kraft zusammen, warf sich noch einmal auf den furchtbaren Drachen und schlug ihm auch das Haupt, das ihm noch geblieben war, ab. Da floß schwarzes Blut aus dem unreinen Tier, siedete schrecklich auf und floß und floß, bis es das ganze Feuer ausgelöscht hatte.
Was sollte unser Held nun tun, damit seine Genossen das Feuer nicht ausgelöscht fänden, wenn sie erwachten? Denn es war ja ihre Abmachung, den zu töten, der das Feuer ausgehen lassen würde. Er machte sich also zuerst daran und schnitt die Zungen aus den Köpfen des Drachen, steckte sie zu sich, dann stieg er, so schnell er konnte, auf einen hohen Baum und blickte nach allen Richtungen, um zu sehen, ob er irgendwo Licht entdeckte. Er wollte dann dorthin gehen und ein wenig Feuer verlangen, um ihr ausgelöschtes Wachfeuer wieder anzuzünden.
Er suchte hier und dort und sah nirgends Licht. Noch einmal blickte er mit großer Aufmerksamkeit nach allen Seiten, und da entdeckte er in einer unglaublichen Entfernung einen Funken, der kaum noch leuchtete. Da kroch er von dem Baum herunter und brach dorthin auf.
Er ging und ging, bis er in einen Wald gelangte, in dem er die Abendröte antraf, die er aufhielt, damit die Nacht später aufhöre. Er ging dann weiter und weiter und fand die Mitternacht und mußte sie binden, damit sie die Abendröte nicht einhole. Was sollte er tun, wie sollte er es anstellen, um zum Ziel zu gelangen? Er bat sie, ihm zu helfen, einen Baum auf den Rücken zu nehmen, den er, wie er sagte, von der Wurzel abgeschnitten habe. Er forderte sie auf, sich mit dem Rücken gegen den Baum zu stellen, um zu stoßen, während er ihn von der anderen Seite mit den Händen herausziehen wolle, damit er ihm dann auf den Rücken falle und er ihn zu seinem Arbeitsplatz bringen könne.
Die Mitternacht stellte sich aus Mitleid auf seine Bitte hin, mit dem Rücken gegen den Baum, den er ihr gezeigt hatte, und während sie sich bemühte, band er sie an den Baum fest und ging weiter, denn er hatte keine Zeit zu verlieren.
Er hatte nicht mehr weit zu gehen, da traf er auf die Morgenröte. Aber die Morgenröte nahm sich nicht viel Zeit, mit ihm zu sprechen; sie sagte, daß sie der Mitternacht nachgehen müsse, die sie verjagt habe. Er tat, was er tun konnte, und brachte auch sie gut unter, wie die beiden anderen, aber erst nach größerem Kopfzerbrechen. Dann ging er weiter und gelangte endlich zu einer großen Höhle, in der er das Feuer gesehen hatte.
Hier traf ihn neues Ungemach. In dieser Höhle lebten Riesen, die nur ein Auge mitten in der Stirne hatten. Er verlangte von ihnen Feuer, aber sie legten, statt ihm Feuer zu geben, Hand an ihn und banden ihn. Drauf stellten sie einen Kessel mit Wasser auf das Feuer und bereiteten sich vor, ihn darin zu kochen und dann aufzufressen.
Aber gerade, als sie ihn in den Kessel werfen wollten, hörte man Lärm nicht weit von der Höhle. Alle liefen hinaus und ließen nur einen Alten zurück, der das Essen fertig machen sollte. Als sich unser Held allein mit dem alten Riesen sah, sann er auf Rache. Der Riese band ihn los, um ihn in den Kessel zu werfen. Unser Held aber nahm ein Holzscheit und stieß es geradezu in das Auge des Alten, blendete ihn, und ohne ihm Zeit zu lassen, auch nur noch: krk! zu sagen, brachte er ihn zu Fall und stieß ihn in den Kessel.
Er nahm das Feuer, dessentwegen er gekommen war, brach glücklich auf und kam mit heiler Haut davon.
Als er zu der Morgenröte gelangt war, gab er ihr freien Weg. Dann machte er sich auf die Beine und lief, bis er zur Mitternacht gekommen war, band auch sie frei und ging dann auch zur Abendröte, die er wegschickte, ihre Aufgabe zu erfüllen.
Als er bei seinen Genossen anlangte, schliefen die alle noch. Noch immer hatte das Licht des Tages nicht begonnen, sich zu zeigen, so lang war diese Nacht, da unser Held ihren Lauf aufgehalten hatte. So hatte er genügend Zeit gehabt, nach dem Feuer herumzulaufen, das er brauchte.
Er hatte noch nicht angefangen, das Feuer gut anzuzünden, als seine Genossen aufzuwachen begannen. Da sagten sie: "Diese Nacht war aber lang, Vetter!" — "Lang ja, Vetterchen", antwortete unser Held und blies aus voller Brust, um das Feuer anzufachen. Sie standen auf, streckten und reckten sich. Aber wie erzitterten sie, als sie das riesige Ungeheuer tot neben, sich sahen und dazu den riesigen Blutsee. Sie rissen die Augen auf und mit großem Staunen bemerkten sie, daß die Häupter des Drachen fehlten. Unser Held aber erzählte nichts von dem, was er erlebt hatte, aus Furcht, es könnte bei ihnen Neid entstehen, und sie gingen alle zusammen in die Stadt.
Als sie in der Stadt angelangt waren, sahen sie, wie sich die ganze Welt, groß und klein, über die Tötung des Drachen freute, Gott lobte, daß die lange Nacht vorüber gegangen sei, sei, daß man noch einmal den Tag erleben könne und wie man den Retter bis in den Himmel hob.
Unser Held, der freilich auch das Fehlen der Drachenköpfe bemerkt hatte, zerbrach sich nicht viel den Kopf, denn er wußte sich reinen Herzens, und ging zum Kaiserhof, um zu sehen, was mit den Häuptern ohne Zungen geschehen würde, denn er hatte gleich bemerkt, daß hier irgendeine Teufelei im Spiele sei.
Siehe, da war der Koch des Kaisers, ein schwarzer, dicklippiger Zigeuner, aus Neugierde, um zu sehen, was es dort Neues gäbe, zu den Männern, die Wache standen, hinausgegangen, und als er sie schlafend fand und dabei das schreckliche Ungeheuer ohne Atem, stürzte er sich mit dem Hackbeil auf dieses und schnitt ihm die Köpfe völlig ab. Dann ging er mit den Köpfen zum Kaiser, zeigte sie ihm und rühmte sich, er habe die Heldentat vollbracht. Als der Kaiser sah, daß der Koch die Siegesbeute vorwies, hielt er eine große Tafel, um ihn mit seiner Tochter zu verloben, und nahm sich vor, eine große Hochzeit zu veranstalten, zu der er alle Kaiser einladen wollte.
Der Zigeuner zeigte aller Welt seine Kleider, die er voll Blut beschmiert hatte, damit ihm geglaubt würde. Als unser Held in dem Palast anlangte, saß der Kaiser in guter Laune bei Tisch. Das Zigeunerchen aber saß auf sieben Polstern an der Spitze des Tisches. Der Held trat an den Kaiser heran und sagte: "Mächtiger Kaiser, ich habe gehört, daß irgendwer sich vor deiner Majestät gerühmt hätte, daß er den Drachen ermordet habe. Es ist nicht wahr, Majestät, ich bin der, der ihn getötet hat."
"Du lügst, Flegel", schrie der Zigeuner aufgeblasen und befahl den Dienern, ihn hinauszuwerfen. Der Kaiser aber, dem es nicht sehr glaubhaft erschien, daß der Zigeuner diese Heldentat vollbracht haben sollte, sagte: "Womit kannst du deine Behauptungen beweisen, kühner Mann?" "Meine Behauptungen", antwortete der Jüngling, "kann ich sehr gut beweisen; befehlt nur, man solle zuerst einmal feststellen, ob die Häupter des Drachen, die dort zur Schau aufgestellt sind, auch ihre Zungen haben." — "Man soll nur suchen, man soll nur suchen", schrie das Zigeunerchen. Es ängstigte sich schon, aber es stellte sich, als ob es ihn nichts angehe. Daraufhin wurde gesucht, und in keinem der Köpfe fand man eine Zunge. Die Gäste staunten und fragten einander, was das wohl zu bedeuten habe. Der Zigeuner, der bestürzt dastand und es bereute, daß er die Zungen in den Drachenhäuptern nicht gesucht hatte, bevor er sie dem Kaiser brachte, schrie laut; "Werft ihn hinaus, denn er ist ein Narr, der nicht weiß, was er redet." Der Kaiser aber sagte: "Du,. Jüngling; gibst uns also zu verstehen, daß der den Drachen getötet hat, der uns die Zungen zeigen kann." — "Verschwind vom Erdboden", kreischte der Zigeuner, der zitterte wie Espenlaub und gelb war wie Wachs, "siehst du nicht, Kaiser, daß dieser Armselige verrückt ist und hierher gekommen ist, um uns hinters Licht zu rühren?" — "Wer betrügt", antwortete der Held ruhig, "wird seine Strafe finden." Er begann die Zungen aus seinem Gewand zu nehmen und zeigte sie dem ganzen Hof, und so oft er eine Zunge zeigte, so oft fiel ein Polster unter dem Zigeuner zur Erde, bis er, mit dem letzten, auch vom Stuhl fiel, so sehr hatte sich das Scheusal erschreckt.
Darauf erzählte unser Held alles, was er erlebt hatte, und wie er es gemacht hätte, daß die Nacht so lange gedauert hatte.
Der Kaiser mußte sich nicht lange bedenken, um einzusehen, daß der Held die Wahrheit erzählt hatte, und da er über den Zigeuner wegen seines Betrugs und seiner unverschämten Reden empört war, gab er einen Befehl. Gleich wurden zwei wilde Pferde und zwei Säcke mit Nüssen herbeigebracht. Der Zigeuner wurde an den Schwanz der Pferde und an die Säcke mit Nüssen gebunden, die Pferde aber wurden losgelassen. Sie liefen durch Sümpfe, und wo eine Nuß fiel, fiel auch ein Stück von ihm, bis es mit dem Zigeuner aus war.
Nach einigen Tagen aber, nachdem alles gehörig vorbereitet worden war, wurde die große Hochzeit gefeiert, bei der unser junger Rumäne die Tochter des Kaisers zur Frau nahm. Es war eine große noch nie erlebte Fröhlichkeit, und das Fest dauerte mehrere Wochen, an deren Ende der Held auch den Kaiserthron erhielt. Die schöne Prinzessin aber dankte Gott unter Tränen dafür, daß er sie von dem abscheulichen Zigeuner, dem unreinen Schwarzgesicht, befreit und ihr einen so heldenhaften Gatten gegeben hatte.
Auch ich war dabei und habe bei der Hochzeit mitgeholfen, indem ich mit dem Sieb Wasser herbeiholte. Am Schlusse der Hochzeit wurde ein Korb mit gedörrten Pflaumen gebracht, die in die geöffneten Mäuler geworfen wurden. Ich aber stieg in den Sattel und habe euch solches erzählt.
Die siebenköpfige Schlange (Sigrid Früh)
Die siebenköpfige Schlange
Es war einmal und zu einer gewissen Zeit ein König. Der versammelte einst seine Flotte mit der ganzen Mannschaft um sich und trat eine weite Reise an. Er fuhr Tag und Nacht immer vorwärts, bis er an einen Ort kam, der dicht mit Bäumen bewachsen war, und an jedem Baume lag ein Löwe. Als er sich mit seinen Leuten ausschiffte, da stürzten sich mit einemmal die Löwen auf sie und wollten sie verschlingen. Nach langem Kampfe gelang es ihnen endlich, die wilden Tiere zu erlegen, aber auch von ihnen waren die meisten getötet worden. Die Übriggebliebenen zogen nun durch den Wald hindurch und fanden auf der anderen Seite einen wunderschönen Garten, darin standen alle Gewächse, die es in der Welt gibt. Es waren auch drei Quellen hier, und die eine von ihnen rieselte Silber, die andere Gold und die dritte Perlen. Da nahmen sie ihre Reisesäcke und füllten sie mit diesen köstlichen Dingen. Es war auch ein großer See in der Mitte des Gartens. Als sie auf diesen zugingen, fing er an zu reden und sagte zu ihnen: „Was macht ihr hier, Kinder, und wen sucht ihr? Verlangt ihr nach unserem König?“
Sie aber erschraken sehr und antworteten nichts.
Da sprach der See abermals zu ihnen: „Ich sehe, daß ihr euch fürchtet, aber ihr seid auch zu eurem Unheil hier hereingekommen. Unser König, der sieben Köpfe hat, schläft jetzt. In wenigen Minuten wird er aufwachen und hierher kommen, sein Bad zu nehmen. Wehe dem, der hier im Garten von ihm angetroffen wird! Es ist unmöglich, ihm zu entrinnen. Macht’s indessen, um euch zu retten, also: legt alle eure Kleider ab und breitet sie. auf den Weg aus von dem Schlosse an bis hierher. Der König wird dann weich gehen, was er sehr liebt, und so wird er euch nicht fressen. Er wird euch nur eine Strafe auferlegen und dann euch ziehen lassen.“
So taten sie denn und warteten den Ausgang ab. Um Mittag dröhnte die Erde und barst an vielen Stellen, es erschienen Löwen, Tiger und andere wilde Tiere und umringten das Schloß, und tausend und aber tausend Tiere kamen aus seinem Inneren heraus mit ihrem König, der siebenköpfigen Schlange. Dieser schritt über die Kleider hinweg, kam zum Sec und fragte ihn, wer die weichen Sachen auf den Weg gebreitet habe. Der See antwortete, das hätten Leute getan, die gekommen wären, ihm ihre Ehrerbietung zu bezeigen. Alsbald befahl der König, daß die Leute vor ihn kommen sollten. Sie nahten sich ihm auf den Knien und erzählten ihm mit wenigen Worten ihre Geschichte.
Er aber sprach zu ihnen mit gewaltiger furchtbarer Stimme: „Weil ihr hier hereingekommen seid, lege ich euch zur Strafe die Verpflichtung auf, mir jedes Jahr aus eurem Volke zwölf Mädchen und zwölf Jünglinge zum Fraße zu bringen. Und wenn ihr das nicht tut, werde ich euer ganzes Volk vertilgen.“
Hierauf teilte er ihnen eines seiner Tiere zu, um ihnen den Weg aus dem Garten zu zeigen, und verabschiedete sie. So zogen sie von dannen. In ihr Land zurückgekehrt, erzählten sie das Geschehene. Und schon rückte die Zeit heran, da sie die Mädchen und Jünglinge dem König der Tiere bringen mußten. Es erging also der Befehl im Lande, daß zwölf Mädchen und ebensoviel Jünglinge sich opfern sollten, um das Vaterland zu retten. Sogleich eilten Jünglinge und Jungfrauen in großer Zahl herbei, viel mehr als nötig waren. Man baute ein neues Schiff und versah es mit schwarzen Segeln. Auf dem schifften sie die für den König der Tiere bestimmten Jünglinge und Mädchen ein und fuhren nach seinem Lande ab. Dort angekommen, gingen sie wieder auf den See zu, aber weder die Löwen regten sich diesmal, noch rieselten die Quellen, und auch der See redete nicht. Sie warteten also, und es dauerte nicht lange, da dröhnte die Erde noch gewaltiger als das erste Mal, das Ungeheuer kam ohne Begleitung heran, schaute den Fraß und verschlang ihn mit einem Male. Die Überbringer kehrten darauf in ihre Heimat zurück, und so geschah es noch viele Jahre hindurch.
Verlassen wir jetzt das Ungeheuer und nehmen wir den König des unglücklichen Landes dran! Der wurde alt, und auch die Königin alterte, und Kinder hatten sie nicht. Eines Tages nun saß die Königin am Fenster und weinte, weil sie kinderlos war und sah, daß der Thron in fremde Hände übergehen werde.
Da auf einmal erschien vor ihr ein altes Mütterchen, das hatte einen Apfel in der Hand und fragte: „Was ist dir, meine Königin, daß du weinst und dich härmst?“ „Ach, liebe Alte“, erwiderte jene, „es betrübt mich sehr, daß ich keine Kinder habe.“
„Ei“, sprach die Alte, „darüber härmst du dich? Hör mich an. Ich bin eine Nonne aus dem Kloster Gnothi, und meine selige Mutter hat mir als Erbschaft den Apfel hier hinterlassen: Wer den ißt, der bekommt ein Kind.“ Die Königin gab der Alten viele Taler und kaufte dafür den Apfel. Dann schälte sie ihn, aß ihn und warf die Schalen zum Fenster hinaus. Eine Stute aber, die im Hofe umherlief, fraß die Schalen. Die Königin ward darauf schwanger, und zur selben Zeit ward auch die Stute trächtig. Als die Zeit kam, gebar die Königin ein Knäblein, die Stute aber warf ein männliches Füllen. Der Knabe und das Füllen wuchsen zusammen auf und wurden groß und liebten einander wie Brüder. Da starb der König, sein Weib folgte
ihm nach, und so blieb der Sohn allein, der damals neunzehn Jahre zählte.
Eine Tages nun, da er sich mit seinem Pferde abgab, sprach dieses zu ihm: „Wisse, daß ich dich lieb habe und daß ich dein Wohl und das deines Landes will. So höre mich. Wenn du fortfährst, jedes Jahr zwölf Mädchen und zwölf Jünglinge dem König der Tiere auszuliefern, so wird dein Volk in wenigen Jahren zugrunde gegangen sein. Auf, setz dich auf meinen Rücken, ich werde dich zu einer Frau bringen, die dir angibt, wie du das Ungeheuer töten kannst.“ Da bestieg der Jüngling sein Roß, das trug ihn weit fort zu einem Berg, in dem eine Höhle war, sie dehnte sich unter der Erde aus gleich einer großen Ebene. Darin saß eine Alte und spann. Es war das ein Nonnenkloster, und die Alte war die Äbtissin. Und weil sie in einem fort spann, davon hatte das Kloster den Namen Gnothi (Spinnheim) erhalten. An den Wänden der Höhle befanden sich ringsum steinerne, aus dem Fels ausgehauene Betten, auf denen schliefen die Nonnen. In der Mitte aber brannte ein Licht. Das mußten die Nonnen abwechselnd hüten, damit es nie verlösche, und wenn eine von ihnen es ausgehen ließ, so wurde sie von den übrigen getötet. Sobald nun der Königssohn der spinnenden Alten gewahr wurde, fiel er ihr zu Füßen und bat sie, ihm doch zu sagen, wie er das Ungeheuer töten könne. Sie aber hob den Jüngling auf, umarmte ihn und sprach „Wisse, mein Sohn, daß ich es gewesen bin, die die Nonne zu deiner Mutter sandte und so bewirkte, daß du geboren wurdest, und mit dir auch das Roß, auf daß du mit seiner Hilfe die Welt von dem Ungeheuer befreien könntest. Laß dir also jetzt sagen, was du zu tun hast. Belade dein Roß mit Baumwolle, und schlage mit ihm den und den Weg eine“ – hierbei bezeichnete sie ihm einen heimlichen Weg, der nach dem Palast der Schlange führte und auf dem man den reißenden Tieren verborgen blieb -, „du wirst den König schlafend antreffen auf einem Bett, an dem ringsum Glocken angebracht sind; und über ihm in der Mitte seines Lagers wirst du ein Schwert hängen sehen. Nur mit diesem Schwerte ist es möglich, die Schlange zu erlegen, denn seine Klinge, wenn sie auch bricht, ersetzt sich immer wieder bei jedem neuen Kopfe, der dein Ungeheuer wächst, also, daß du damit alle sieben Häupter ihn abschlagen kannst. Um das nun aber dem Könige zu entwenden, mußt du’s also machen. Schleiche dich ganz leise hinauf in sein Schlafgemach, und verstopfe alle Glocken, die sein Lager umgeben, mit Baumwolle, hierauf nimm ganz sacht das Schwert herab und versetze damit dem Ungeheuer rasch einen Schlag auf seinen Schweif. Da wird es erwachen und, sobald es dich erblickt, sofort dich angreifen. Du aber hau ihm nun den einen Kopf ab, und warte dann, bis der zweite hervorwächst. Dann schlag ihm auch den ab, und so fahre fort, bis du alle sieben Köpfe abgeschlagen.“
Hierauf gab die Alte dem Königssohne ihren Segen. Der machte sich nun auf den Weg, gelangte in dem Schlosse des Ungeheuers an und war so glücklich, es zu erlegen. Als die Tiere des Gartens den Tod ihres Königs erfuhren, da eilten sie alle nach dem Schlosse, aber der Jüngling saß schon längst wieder auf seinem Pferd und war bereits weit von ihrem Reiche entfernt. Sie verfolgten ihn zwar hitzig, konnten ihn aber nicht mehr einholen. Er gelangte glücklich heim, und so hatte er sein Land von großer Gefahr befreit.
[Märchen aus Griechenland]
Die Prinzessin in der Drachenburg (Sigrid Früh)
Es war einmal ein König, der war groß und mächtig. Über viele Reiche und Länder herrschte er. Er hatte einen ein zigen Sohn. Als dieser herangewachsen war, zog er hinaus in die Welt, um sich eine Braut zu suchen. Aber wohin er auch reiste, nirgendwo fand der Königssohn das Mädchen, dessen Bild er in seinem Herzen trug. Endlich gelangte er auf den Gipfel eines hohen Berges. Dort stand ein Turm, und in diesem Turm wohnte ein ururalter Mann, dessen Bart bis zum Erdboden reichte. Der Alte aber war ein Sternseher, und als der Königssohn ihm gesagt hatte, daß er nach einer Braut suche, da nahm er sein Fernrohr und schaute hindurch und sprach: „Deine Braut ist eine Prinzessin, die in einer Burg von drei Drachen gefangengehalten wird. Die Burg aber steht auf einem hohen Berg inmitten einer einsamen Insel, die von Stürmen umtobt ist. Es ist schwer, dorthin zu gelangen, und es ist noch schwerer, die Drachen zu besiegen.“
Der Prinz dankte dem Weisen, schwang sich auf sein Roß, nahm sein scharfes Schwert in die Hand und vertraute auf Gott.
Als er so lange, lange Zeit in der Welt umhergeritten war, begegnete ihm eines Tages eine alte Frau, die fragte ihn, wohin er gehe. Als sie vernahm, daß er zu der Burg der drei Drachen wollte, sprach sie: „Oh, es ist schwer, mit den Drachen zu streiten. Aber wenn du mir einen Dienst erweisen willst, so will ich dir gerne helfen. Wisse, ich hatte eine Tochter, die war die schönste weit und breit. Als sie herangewachsen war, da kam ein Drache geflogen und raubte sie mir. Seitdem bin ich um die ganze Welt gewandert und habe sie gesucht. Ich habe sie bis zum heutigen Tage nicht gefunden. Suche sie mir auf deinem Wege, und ich will dir ein Döschen wunderkräftiger Salbe geben. Wenn du damit deinen Leib bestreichst, wird Kraft in dich zurückkehren, die dich verlassen hat.“
Der Jüngling dankte der Alten, versprach, nach ihrer Tochter zu suchen, und ritt weiter in die Welt hinaus. Als er so viele, viele Tage und Nächte in der Welt herumgeritten war, begegnete ihm eines Tages ein alter, gebrechlicher Mann, und der Königssohn sah, daß ihn großer Kummer plagte, und fragte ihn nach der Ursache seiner Betrübnis: „Ach“, antwortete der Alte, „siebenmal bin ich um die Welt gereist und über die Meere gezogen und habe nach dem Schatz gesucht, den mir ein Drache geraubt hatte. Doch all meine Mühe war vergebens.“ „Ich bin auf dem Wege zur Burg der drei Drachen, denn dort ist ja meine geliebte Braut. Wenn ich deinen Schatz finde, so will ich ihn dir gerne bringen.“ „Der Himmel segne dich, mein Sohn. Hier, nimm diesen Beutel mit Samen. Wenn du diese Samenkörner gegen harten Felsen wirfst, so wird er zerspringen.“ Der Königssohn dankte dem Alten, gab seinem Roß die Sporen und ritt weiter in die Welt hinaus. Er ritt und ritt, viele Tage und viele Nächte ritt er so dahin. Endlich gelangte er zum Meeresufer. Weit draußen in der Ferne sah er die felsige Dracheninsel. Traurig setzte er sich am Ufer nieder, denn wie sollte er jemals hinüberkommen? Auf einmal kam ein riesengroßer schwarzer Rabe geflogen und sprach mit menschlicher Stimme: „Wer bist du? Was willst du hier an diesem öden Strand ?“ „Ich möchte auf diese Insel dort hinübergelangen und meine Braut von dem Drachen befreien, denn sie wird ja in der Drachenburg gefangengehalten.“
„So bist du der Königssohn, auf den ich schon einundzwanzig Jahre warte. Steig auf meinen Rücken, und ich werde dich hinüberbringen.“
Der Jüngling stieg auf den Rücken des Raben, und dieser flog mit ihm schneller als der Wind durch die Lüfte. Der Weg aber war weit, und dem Vogel erlahmten die Kräfte. Der Königssohn aber nahm von seiner Salbe und bestrich den Leib des Raben damit, und siehe, dessen Kräfte kehrten wieder zurück, und er brachte ihn heil auf die Felseninsel. Der Königssohn dankte dem Vogel und kletterte an den steilen Felsen empor. Auf einreal kam ein dreiköpfiger Drache herbeigeflogen, und er spie Rauch und Feuer und Schwefel. Rasch bestrich der Prinz seinen Leib mit der wunderkräftigen Salbe, und er kämpfte mit dem Untier. Nach langem Gefecht gelang es ihm, die drei Köpfe des Drachen abzuschlagen. Voller Freude betrat er nun die Burg, und da saß in einer Kammer die Prinzessin. Sie war so wunderschön, wie der Jüngling noch nie eine gesehen hatte, und sie war schöner als ihr Bild, das er in seinem Herzen getragen hatte. Sie war voller Freude, als sie den dreiköpfigen Drachen tot am Boden liegen sah. Dann aber sprach sie: „Wir müssen auf der Hut sein, denn bald kommen die beiden andern Drachen zurück, und wenn sie dich sehen, verschlingen sie dich mit Haut und Haar!“
Kaum aber hatte sie diese Worte gesprochen, da hörte man ein Sausen und Brausen in der Luft. Ein Drache mit sechs Köpfen kam geflogen und spie Feuer, Rauch und Schwefel. Schnell bestrich der Jüngling seinen Leib mit der wunderkräftigen Salbe, und nach langem, langem Kampf gelang es ihm, dein Drachen alle sechs Köpfe abzuschlagen. Glücklich umarmte und küßte ihn die Prinzessin. Dann aber sprach sie: „Eile, verstecke dich in der Truhe. Gleich wird der dritte Drache kommen, und der ist schrecklicher als die beiden ersten.“
Kaum hatte der Königssohn den Truhendeckel über seinem Haupt geschlossen, da hörte man auch schon ein Sausen und Brausen gleich einem Erdbeben. Herein kam der dritte Drache geflogen, und er hatte neun Köpfe und spie Feuer und Flammen, Rauch und Schwefel und schrie mit gewaltiger Stimme: „Es riecht nach Menschenfleisch!“ „Nein, nur ein Rabe hat einen Menschenknochen fallen lassen“, sprach die Prinzessin.
Da setzte sich der Drache an den Tisch und fraß neun Stiere, die er vorher gefangen hatte. „Diese Nacht träumte mir, es käme ein alte Frau und fragte mich, wo ihre Tochter geblieben sei“, sagte die Prinzessin. „Das war dein Glück. Hättest du gesagt, daß du es selber bist, ich hätte dich gefressen bei lebendigem Leib.“ „Und dann träumte mir von einem Mann, der war sieben Jahre um die Welt gereist und hat doch nie mehr seinen Schatz gefunden.“
„Das war dein Glück. Hättest du ihm gesagt, daß ich es selber bin, der seinen Schatz besitzt, so hätte ich dich gefressen, ungesotten und ungebraten.“
Unterdessen hatte der Königssohn alles wohl vernommen und sich den Leib mit dem Rest der wunderkräftigen Salbe bestrichen. Er sprang mit einem Male aus der Truhe und kämpfte mit dem Drachen. Lange, lange tobte der Kampf.
Endlich aber gelang es ihm, dem Drachen alle neun Köpfe abzuschlagen. Zu Tode ermattet sank der Königssohn nieder. Da bestrich ihm die Prinzessin die Stirn mit ein wenig Drachenblut, und sogleich kehrte wieder alle Kraft in ihn zurück, und sie gingen miteinander in die Schatzhöhle. Dort aber war das Tor mit einem riesigen Felsbrocken verschlossen. Da gedachte der Jüngling seiner Samenkörner und warf sie gegen den Felsen. I)a zerbarst dieser mit gewaltigem Krachen und gab die Schatzkammern des Drachen frei, die unermeßliche Mengen Gold, Silber und kostbarer Geschmeide bargen. Sie fanden auch den Schatz des alten Mannes. Da rief der Prinz nach dem Raben und gab ihm von dem Drachenblut zu trinken, denn von der Salbe war nichts mehr übrig geblieben. Der Rabe wurde davon so stark, daß er den Prinzen und die Prinzessin samt all ihrer Schätze ans andere Ufer tragen konnte. Noch ehe die beiden ihn danken konnten, hatte er sich in die Lüfte erhoben und ward nicht mehr gesehen.
Bald aber begegneten sie dem alten Mann, und der war froh und glücklich, seine Schätze wieder zu haben. Es dauerte nicht lange, so begegnete ihnen auch die alte Frau, die Königin, die ihre lichter in die Arme schloß. Alle zogen sie dann zusammen an den Königshof, in dem der Vater des Jünglings regierte. Am selben Tage noch wurde dort die Hochzeit gefeiert. Viele Tage und viele Nächte lang feierte und jubelte das Volk, und wenn sie nicht gestorben sind, so feiern sie noch heute.
[Märchen aus Norddeutschland]
Das Ungeheuer Tarasque (Sigrid Früh)
Vor langer, langer Zeit, als die Rhone noch ungestüm dahin floß und gewaltige Wälder ihre Ufer säumten, geschah es, daß eines Tages ein riesiges Ungeheuer dem Meere entstieg und die Rhone zu seinem neuen Reich machte. Es war eine Drächin, halb Landtier, halb Fisch, größer und stärker als zwölf Elefanten, mit Zähnen wie Schwerter und mit einer Haut wie von Eisen. Sie war die Brut des Leviathan, des grausamen Meeresdrachen, und der schrecklichen Riesenschlange Onachus, und sie hieß Tarasque. Wohin das Untier kam, verbreitete sich Angst und Schrecken. Es flohen vor ihm die Fische und die Vögel und alle Tiere und Menschen. Wenn das Ungeheuer Wasser trank und wieder ausspie, so zerbarsten die Schiffe, und es ertranken die Fährleute. Mit einem einzigen Hieb ihrer riesigen Pranken konnte die Tarasque Häuser zusammenstürzen lassen und mit ihrem Atem alles ringsum in ein Flammenmeer verwandeln.
Kühn und tapfer waren die Söhne der Provence, und so mancher wagte den Kampf gegen das Ungeheuer. Doch keinem gelang es, die Tarasque zu besiegen, und sie verloren alle ihr junges Leben.
Sieben Jahre schon wütete das Untier, verheerte das Land und bracht Not, Tod und Unglück über die Menschen. Da sah eines Tages ein Schäfer die Drachenhaut im Sonnenlicht glänzen, und er glaubte nicht anders, als daß die Tarasque tot sei. Es war aber nur ihre abgestreifte Haut, die am Boden lag, denn die Drächin mußte sich alle sieben Jahre gleich einer Schlange häuten.
Weitere sieben Jahre zogen ins Land, und die Menschen litten mehr denn je unter der Grausamkeit der Tarasque, denn sie riß alle Brücken ein und tötete jeden, der von einem Ufer der Rhone zum andern wollte. So mußten die Menschen voneinander getrennt leben, und es war des Jammerns und des Klagens kein Ende. Endlich beschlossen sie, das Ungeheuer mit Hilfe einer List zu besiegen: Unweit der Stadt Avignon nämlich war
ein tiefer, tiefer Sumpf, und wer da hineingeriet, der war für immer verloren. Dorthin wollten sie die Drächin locken. Also banden sie auf dem Wege zu jenem Sumpf Pferde, Schafe, Ochsen und Ziegen an Bäumen fest. In der Tat folgte das Ungeheuer dieser Fährte mit den leichten
Beutetieren. Aber als die Tarasque den Sumpf erreichte, geschah etwas Seltsames: Die Tarasque achtete nicht auf ihr letztes dargebotenes Opfer, einen jungen Stier, sondern brüllte dreimal donnernd, daß die Erde erzitterte, drehte sich uni und ging geradewegs zur Rhone zurück. Den enttäuschten und verwunderten Menschen blieb nur noch die Flucht übrig. Der tiefe Sumpf nämlich war ein Ort des Teufels, und auch die Tarasque war ein Satansgeschöpf, und so konnte er ihr nichts anhaben.
Noch weitere peinvolle sieben Jahre folgten diesem Ereignis.
Da gelangte eines Tages die heilige Martha in jene Gegend, in der das Ungeheuer hauste. Sie kam vor die Tore von Jarnegues, und weil die Bewohner jener herrlichen Stadt schon viel von ihren Wundertaten gehört hatten, fielen sie vor ihr auf die Knie und baten, sie von dem Ungeheuer zu befreien.
Da machte sich Martha auf und ging in die Wälder am Ufer der Rhone. Sie ging ganz allein, barfuß und weißgewandet, und sie hatte keine Waffe zu ihrem Schutze bei sich als ein Krüglein mit Weihwasser.
Endlich fand sie das Ungeheuer. Als dieses die Jungfrau
gewahrte, brüllte es vor Freude über das neue Opfer und bewegte sich auf Martha zu. Sie aber erhob ihre Hände und formte das Zeichen des Kreuzes. Da brach die Gewalt der Tarasque, so wie die wilde Brandung sich an felsigen Gestaden bricht. Noch einmal erhob Martha ihre Hände und besprengte das Haupt der Drächin mit Weihwasser. Da wurde diese sanft wie ein Lamm. Martha band ihr ihren blauen Gürtel um den Hals und führte sie mit sich, gleich wie plan ein Pferd am Halfter führt. So ging die schöne Jungfrau mit dem Untier auf die Stadt Jarnegues zu. Die Tore waren weit geöffnet, und groß war der Jubel des Volkes. Groß war aber auch der Zorn der Menschen über die Tarasque, die so viel Unglück und Leid über sie gebracht hatte. So töteten sie die Drächin mit Lanzen und Steinen. Wenngleich Martha darüber bittere Tränen vergoß, so verzieh sie doch den Bewohnern von Jarnegues, die ihr zu Ehren eine Kirche errichteten und ihre Stadt von nun an Tarascon nannten.
[Märchen aus Südfrankreich]
Der dreizehnte Sohn des Königs von Erinn (Sigrid Früh)
Der dreizehnte Sohn
des Königs von Erinn
Vor langer Zeit lebte einmal ein König in Erinn, und der hatte dreizehn Söhne. Als sie herangewachsen waren, ließ er sie in allen Künsten unterweisen, die ihrem Rang angenmessen waren. Nun geschah es, daß der König eines Tages auf der Jagd zu einem See kam, darauf sah er eine Schwanenmutter mit dreizehn Jungen. Diese aber hielt nur zwölf davon bei sich. Das dreizehnte aber trieb sie immerzu weg und ließ es den andern nicht nahe kommen. Darüber wunderte sich der König sehr. Als er nun nach Hause kam, rief er seinen Ratgeber, den alten blinden Weisen, zu sich, und sprach: „Etwas Seltsames sah ich heute bei der Jagd. Da war eine Schwanenmutter mit dreizehn Jungen. Doch sie behielt nur zwölf bei sich und trieb das dreizehnte immerzu weg. Sage mir doch du, der du weise bist, was hat das zu bedeuten? Warum sollte eine Mutter ihr dreizehntes Kind hassen und die zwölf andern beschützen ?“ „Wisse“, sprach der alte blinde Weise, „alle Geschöpfe der Erde, ob Tier oder Mensch, welche dreizehn .Junge haben, sollten das dreizehnte wegstoßen, damit es allein durch die Welt wandere und sein Schicksal suche, damit der Wille des Himmels sein Werk an ihm tun kann und die andern verschonen möge. Auch du, mein König, der du dreizehn Söhne hast, mußt den dreizehnten der Diachbha, der Schicksalsgottheit, ausliefern.“ „War es das, was die Schwanenmutter mir zeigen wollte, daß auch ich meinen dreizehnten Sohn der Diachbha geben muß?“
„Ja, so ist es“, sprach der Weise, „du mußt einen von deinen dreizehn Söhnen hergeben.“
„Ach“, klagte der König, „wie kann ich einen fortgeben, wenn ich sie alle liebe, und welcher sollte es denn sein?“ „Ich will dir sagen, was du tun mußt“, antwortete der Weise. „Wenn heute abend deine dreizehn Söhne heimkommen, so schließe die Tür vor dem letzten.“ Nun war aber einer der Königssöhne sehr langsam. Er war nicht so flink und gewandt wie seine Brüder. Es war der Älteste, und man nannte ihn Sean Ruadh (der rote Johann), und doch war er der beste und größte Held von allen. An diesem Abend nun kam er als letzter heim, und als er vor der Türe stand, schloß sie sein Vater vor ihm zu. Sean Ruadh hob die Hände auf und sprach: „Was willst du von mir, was hast du mit mir vor, Vater?“ „Die Pflicht fordert von mir“, sprach der König, „daß ich einen meiner Söhne der Diachbha zu geben habe, und weil du heute abend der letzte warst, mußt du gehen.“ „Dann will ich gehen“, sprach der Sohn. „Gib mir eine Ausrüstung für die Wanderung in die weite Welt.“ Die Ausrüstung wurde gebracht, und Sean Ruadh legte alles an. Zuletzt gab ihm der Vater noch ein schwarzes Roß, das so schnell war, daß es den Wind vor sich überholen und den Wind hinter sich weit zurücklassen konnte. Sean Ruadh bestieg das Roß und ritt davon, ohne zu rasten und zu ruhen.
Eines Morgens nahm er ein paar alte Kleider, die er in seinem Bündel am Sattel hatte, heraus, zog sie an, ließ sein
Pferd im Wald zurück und ging auf eine Lichtung.
Er mußte nicht lange warten, bis ein fremder König heranritt und zu ihm sprach: „Wer bist du, und wohin gehst du?“ „Oh“, sagte Sean Ruadh, „ich streife nur so umher, ich weiß nicht, was ich tun soll, und habe kein Ziel.“
„Wenn es so mit dir steht“, meinte der König, „dann komm mit mir.“
„Wozu soll ich mit dir gehen?“ fragte Sean Ruadh.
„Ich habe eine große Herde Kühe“, sagte der König, „und ich habe keinen Hirten für sie. Doch habe ich noch eine andere Sorge und einen großen Kummer. Meine Tochter wird nämlich bald eines schrecklichen Todes sterben, denn tief ins Meer lebt eine riesige Seeschlange, und dieses Ungeheuermußallesieben Jahreeine Königstochterbekonmmen, die es verschlingt. Alle sieben Jahre taucht das Untier aus dem Meere auf, um seinen Tribut zu fordern, und dieses Mal ist die Reihe an meiner Tochter. An welchem Tag genau das Ungeheuer auftauchen wird, wissen wir nicht. Das ganze Land trauert mit mir um mein unglückliches Kind.“ „Vielleicht wird einer kommen, der sie retten wird“, sprach Sean Ruadh.
„Ach“, sprach der König, „es ist schon ein ganzes Heer von Königssöhnen da. Alle haben versprochen, sie zu retten, aber ich fürchte, keiner von ihnen wird den Kampf mit der Seeschlange bestehen.“ Sean Ruadh kam mit dem König überein, daß er ihm sieben Jahre dienen wolle, und ging mit ihm heim. Ani nächsten Morgen trieb Sean Ruadh des Königs Kühe auf die Weide. Nun aber lebten nicht weit von der Burg des Königs drei Riesen. Sie hausten in drei Schlössern. Sean Ruadh trieb die Herde bis zum Weideland der Riesen, stieß ein Stück der Umfassungsmauer um und ließ die Kühe hinein. Das Gras war sehr hoch und dreimal so gut wie auf den besten Weiden des Königs. Als Scan Ruadh nun dasaß und die Kühe hütete, kam ein Riese auf ihn zu und schrie laut: „Ich weiß nicht, soll ich dich in die Lüfte blasen, daß du in tausend Stücke zerfällst, oder soll ich dich mit einem Bissen verschlingen!“ „Pralle nicht“, sprach Sean Ruadh, „du sollst wissen, daß ich hergekommen bin, dir das Lebenslicht auszublasen.“ „Welche Art des Kampfes willst du?“ fragte der Riese. „Auf den grauen Steinen oder mit scharfen Schwertern?“
„Kämpfen will ich mit dir auf den grauen Steinen!“ rief Sean Ruadh, „wo deine ungeschlachten Beine immer tiefer einsinken, meine aber oben bleiben werden.“ Sie fingen an zu kämpfen. Beim ersten Mal drückte Sean Ruadh den Riesen bis zu den Knien zwischen die harten grauen Steine, beim zweiten bis zum Gürtel und beim dritten bis zu den Schultern.
„Halt ein! Zieh mich raus!“ schrie der Riese. „Ich will dir auch mein Schloß und alles, was ich besitze, geben. Mein Lichtschwert will ich dir geben, das jeden Gegner mit einem einzigen Streich tötet. Mein schwarzes Pferd will ich dir geben, das schneller ist als der Wind. All dies findest du in meinem Schloß.“
Sean Ruadh tötete den Riesen und ging hinauf zum Schloß. Dort sprach die Magd zu ihm: „Sei von Herzen willkommen, du hast mich aus der Gewalt des schrecklichen Riesen befreit. Komm mit mir, ich will dir all seine Schätze zeigen.“
Sie öffnete die Tür zur Kammer des Riesen und sagte: „Hier sind die Schlüssel des Schlosses. Alles ist dein.“ „Behalte sie, bis ich wiederkomme. Ich lege mich jetzt zurrt Schlafe nieder. Wecke mich bei Sonnenuntergang“, sprach Sean Ruadh und legte sich in des Riesen Bett. Er
schlief, bis die Sonne sich dem Untergang neigte. Dann weckte ihn die Magd, und er trieb des Königs Herde nach Hause. Noch nie hatten die Kühe soviel Milch gegeben wie an diesem Abend. Sie gaben soviel Milch wie sonst in einer Woche.
Sean Ruadh aber ging zum König und fragte: „Ist die schreckliche Seeschlange wieder aus dem Meere aufgetaucht?“
„Nein, noch ist meine Tochter am Leben“, antwortete der König. „Aber wer weiß, vielleicht kommt das Ungeheuer schon morgen.“
„Vielleicht kommt es auch morgen nicht, sondern erst an
einem anderen Tag“ , sprach Sean Ruadh und ging wieder in den Stall. Und der König hatte keine Ahnung, wie stark Sean Ruadh war, denn er ging barfuß, zerlumpt und abgerissen.
Am zweiten Morgen trieb Sean Ruadh des Königs Kühe auf des zweiten Riesen Land. Auch dieser kam herausgerannt mit denselben Fragen und Drohungen wie der erste, und der Kuhhirte gab die gleichen Antworten wie am Tage zuvor. Wieder fingen sie an zu kämpfen, und als der Riese bis zu den Schultern in dem harten grauen Felsen steckte, sprach er: „Wenn du mir das Leben schenkst, will ich dir mein Lichtschwert und mein rotes Pferd
eben.“
„Wo ist dein Lichtschwert?“ fagte Sean Ruadh.
„Es hängt über meinem Lager“, antwortete der Riese.
Da lief Sean Ruadh zum Schloß des Riesen, nahm das Schwert von der Wand, und laut schrillte das Schwert, als er es packte, doch er ließ es nicht los, eilte zum Riesen zurück und fragte: „Wie kann ich des Schwertes Schneide prüfen?“
„An einem Stock“, war die Antwort.
„Keinen besseren Stock seh ich als deinen Hals“, sagte Sean Ruadh und schlug dem Riesen den Kopf ab. Darauf ging er wieder in das Schloß und hing das Schwert auf. „Segen über dich, daß du den Riesen getötet.“ rief die Magd. „Komm, und ich will dir all seine Schätze zeigen.“ In diesem Schloß fand Sean Ruadh noch größere Schätze als im ersten. Wieder gab er der Magd, nachdem er alles gesehen hatte, die Schlüssel, damit sie diese für ihn aufbewahre, bis er- sie brauche. Wieder schlief er wie ans Tag zuvor. Am Abend trieb er wieder die Herde nach Hause. Der König aber sprach: „Seit du hier bist, lacht mir das Glück. Meine Kühe haben heute dreimal soviel Milch gegeben wie gestern.“
„Kam das Ungeheuer heute?“ fragte Sean Ruadh.
„Auch heute ist es nicht aus dem Meer aufgetaucht“, antwortete der König, „aber es kann sein, daß es morgen kommt.“
Ani dritten Morgen trieb Sean Ruadh des Königs Kühe aus, und er trieb sie auf das Land des dritten Riesen. Auch dieser kam sogleich herbei und kämpfte mit dem Hirten einen noch wilderen Kampf als die beiden anderen. Aber Sean Ruadh stieß den Riesen bis zu den Schultern in die grauen Steine.
Da rief der Riese: „Laß mich am Leben, und ich schenke dir mein Lichtschwert und mein weißes Pferd mit der silbernen Mähne, das schneller ist als der Gedanke des Menschen.“
Sean Ruadh aber tötete den Riesen. Auch in dessen Schloß wurde er von der Magd mit Freude und Segenswünschen empfangen. Sie zeigte ihm alle Schätze und übergab ihm die Schlüssel. Doch auch diese ließ er ihr zur Bewahrung, his er sie brauchen würde.
Am Abend gaben des Königs Kühe noch mehr Milch als zuvor.
Als der vierte Tag gekommen war, zog Sean Ruadh wieder mit der Herde aus. Er machte halt vor dem Schloß des ersten Riesen, und die Magd mußte ihm das Gewand des Riesen bringen. Dieses war tiefschwarz. Er legte es an und
war schwarz wie die Nacht, und er gürtete sich das Lichtschwert um. Dann bestieg er das schwarze Roß, das schneller war als der Wind, und zwischen Himmel und Erde dahinsausend machte er nicht eher halt, als bis er zum Meeresstrand kam. Dort sah er Hunderte und aber Hunderte von Königssöhnen, die alle den sehnlichen Wunsch hatten, des Königs Tochter zu retten. Zugleich aber hatten sie solche Angst vor dem schrecklichen Ungeheuer, daß sie sich nicht in seine Nähe trauten.
Als Sean Ruadh die Königstochter und die zitternden Ritter gesehen hatte, ritt er auf seinem schwarzen Roß zum
Schloß, und der König erblickte einen schönen Fremdling, der zwischen Himmel und Erde heranritt und vor ihm halt machte.
„Ist am Meeresufer ein Markt oder ein großes Kampfspiel ?“ fragte der Fremde.
„Hast du nicht gehört“, antwortete der König, „daß heute ein Ungeheuer, die große Seeschlange aus dem Meer auftauchen wird, um meine Tochter zu verschlingen ?“ „Nein, ich habe nichts vernommen“, sprach der Fremde, wandte sein Roß und verschwand. In kurzer Zeit war der schwarze Reiter bei der Königstochter, die allein auf einem Felsen über dem Meere saß. Wie sie den Fremden erblickte, dachte sie, er sei der schönste Mann auf Erden, und ihr Herz frohlockte.
„Hast du denn keinen, der dich retten kann fragte der Reiter.
„Nein, niemanden“, antwortete die Königstochter.
„So erlaube, daß ich mein Haupt in deinen Schoß lege, bis das Ungeheuer kommt, dann wecke mich auf.“ Er legte sein Haupt in ihren Schoß und fiel in tiefen Schlaf. Doch während er schlief, nahm die Königstochter drei Haare von seinem Haupt und barg sie an ihrem Busen. Kaum hatte sie das getan, da tauchte das Ungeheuer aus dem Meere auf. Es war groß wie eine Insel, und während es herankam, blies es das Wasser gen Himmel. Sie weckte den Fremden, und dieser sprang in die Höhe. Die große Seeschlange näherte sich der Königstochter und riß den Rachen auf, so weit wie ein Brückenbogen.
Aber schon stand der schwarze Ritter da und rief: „Diese Jungfrau gehört inir, rühre sie nicht an!“
Dann zog er sein Lichtschwert und hieb dem Ungeheuer mit einem einzigen Streich das Haupt ab. Aber siehe, das Haupt fuhr zurück an seinen Platz und wuchs wieder an. In einem Augenblick hatte der Seedrache sich umgewendet und eilte ins Meer zurück. Und im Forteilen schrie er
noch: „Morgen werde ich wiederkommen und die ganze Welt verschlingen !“
„Vielleicht“, sprach der schwarze Ritter, „wird ein anderer als ich dir hier entgegentreten.“
Sean Ruadh aber bestieg sein schwarzes Pferd und war auf und davon, ehe die Königstochter ihn hindern konnte. Und ihr Herz war traurig, als sie ihn schneller als der Wind zwischen Himmel und Erde davoneilen sah. Sean Ruadh ritt zum Schloß des ersten Riesen, brachte das Pferd in den Stall, legte Kleider und Schwert ab. Dann schlief er auf des Riesen Bett, bis die Magd ihn am Abend weckte. Und er trieb die Kühe heim wie jeden Tag. Er begegnete dem König und fragte: „Wie ist es deiner Tochter heute ergangen ?“
„Oh, das Ungeheuer stieg aus dem Meer, um sie zu holen, aber ein wunderschöner schwarzer Held kam zwischen Himmel und Erde angeritten und rettete sie.“ „Wer ist denn dieser Held gewesen?“ „Unter den Rittern sind viele, die behaupten, sie hätten sie
gerettet. Aber noch ist meine Tochter nicht in Sicherheit,
denn morgen wird der Meeresdrache wiederkommen.“ „Fürchte dich nicht, sicher kommt morgen ein anderer Ritter.“
Früh am nächsten Tag trieb Sean Ruadh des Königs Herde auf das Land des zweiten Riesen. Er machte halt vor dem Schloß, und die Magd mußte ihm das Gewand des zweiten Riesen bringen. Dieses war rot. Er legte es an und war rot wie die aufgehende Sonne. Und er gürtete sich das Lichtschwert um. Dann bestieg er das rote Roß, das schneller war als der Blitz, und zwischen Himmel und Erde dahinsausend machte er nicht eher halt, als bis er zum Meeresstrand kam, wo er wieder die Königssöhne und Ritter zittern sah. Die Königstochter aber saß allein auf dem Felsen.
Wieder ritt Sean Ruadh zum König und fragte: „Ist am Meeresufer ein Markt oder ein großes Kampfspiel?“ Und wieder erhielt er die gleiche Antwort wie am Tag zuvor. „Ist denn kein Held da, sie zu retten?“ „Ritter und Königssöhne sind genug da“, antwortete der König. „Alle versprechen, sie zu retten, und alle behaupten, sie wären sehr tapfer, doch keiner wird zu seinem Wort stehen und dem Ungeheuer entgegentreten, wenn es sich aus dem Meer erhebt.“ Ehe der König sich versah, war der Fremde verschwunden. In kurzer Zeit war der rote Reiter bei der Königstochter, die allein auf dem Felsen über dem Meer saß.
„Hast du denn keinen, der dich retten kann?“ fragte der Reiter. „Nein, niemanden.“ „So erlaube, daß ich mein Haupt in deinen Schoß lege, bis das Ungeheuer kommt, dann wecke mich auf.“ Er legte sein Haupt in ihren Schoß und fiel in tiefen Schlaf. Doch während er schlief, nahm die Königstochter die drei Haare aus ihrem Busen, verglich sie mit seinem Haar und sprach zu sich selbst: „Es ist derselbe Ritter, der gestern hier war.“
Als der Seedrache über das Wasser heranbrauste, weckte die Königstochter den Fremden. Der sprang auf und eilte zum Ufer. Noch schneller als am Tag vorher raste das Ungeheuer heran. Noch mehr Wasser warf es in die Höhe, und mit aufgerissenem Rachen kam es an Land. Wieder stellte sich Sean Ruadh in den Weg und schlug mit einem Schwertstreich das Ungeheuer in zwei Hälften. Doch die beidem Hälften schlossen sich wieder und waren eins wie zuvor.
Das Untier wandte sich zum Meer und schrie: „Alle Helden auf Erden werden die Jungfrau morgen nicht vor mir retten.“
Sean Ruadh schwang sich auf sein Pferd und ritt zurück. Fort war er und ließ die Königstochter in Verzweiflung zurück. Sie raufte sich ihr Haar und vergoß Ströme von Tränen über den Verlust des roten Ritters, des einzigen Mannes, der Mut genug besessen hatte, für sie zu kämpfen. Sean Ruadh aber zog im Schloß seine alten Kleider an und trieb die Kühe heim wie jeden Abend. Der König erzählte ihm: „Ein fremder Ritter, ganz in Rot gekleidet, hat heute meine Tochter gerettet. Doch sie weint sich die Seele aus dem Leib, weil er fort ist. Aber noch ist meine Tochter nicht in Sicherheit, denn morgen wird der Meeresdrache wiederkommen.“ „Fürchte dich nicht, denn morgen kommt sicher wieder ein anderer Ritter“, antwortete Sean Ruadh. Früh am nächsten Tag trieb Sean Ruadh die Herde auf das Land des dritten Riesen. Er machte halt vor dem Schloß, und die Magd mußte ihm das Gewand des dritten Riesen bringen. Dies war weiß mit Gold und Silber. Er legte es an und war strahlend schön wie der lichte Tag. Er gürtete sich das Lichtschwert um und bestieg das weißsilberne Pferd, das schneller ist als der Gedanke des Menschen. Als er fort reiten wollte, sprach die Magd zu ihm: „Heute wird das Ungeheuer so voller Wut sein, daß niemand es aufhalten kann. Wenn es sich aus dem Wasser heben wird, werden drei große Schwerter aus seinem Rachen kommen, und diese vermögen die ganze Welt in Stücke zu hauen und zu vernichten, wenn sie ihm zur Schlacht entgegenträte. Nur einen Weg gibt es, den Seedrachen zu überwinden. Nimm diesen roten Apfel, steck ihn an deinen Busen, und wenn das Untier vom Meer gegen dich anstürmt, dann wirf ihm den Apfel in den offenen Rachen, und du wirst sehen, der große Drache wird sich auflösen und auseinander fließen und auf dem Strand sterben.“ Sean Ruadh flog auf seinem weißsilbernen Roß zwischen Himmel und Erde dahin, dreimal so schnell wie am Tage zuvor. Wieder sah er die Jungfrau allein auf dein Felsen sitzen. Wieder sah er die zitternden Königssöhne und Ritter in der Ferne warten, um alles mit anzuschauen, was geschehen würde. Sean Ruadh ritt wieder zum König und fragte: „Ist am Meeresufer ein Markt oder ein großes Kampfspiel?“ Und wieder erhielt er die gleiche Antwort wie am Tage zuvor. Ehe der König sich versah, war der Freinde verschwunden.
In kurzer Zeit war der weiße Ritter bei der Königstochter. „Hast du denn keinen, der dich retten kann?“ „Nein, niemanden.“
„So erlaube, daß ich mein Haupt in deinen Schoß lege, bis das Ungeheuer kommt, dann wecke mich auf.“ Er legte sein Haupt wieder in ihren Schoß und fiel in tiefen Schlaf. Doch während er schlief, verglich die Königstochter die drei Haare mit seinem Haar und sprach wieder „Es ist derselbe Ritter, der mich schon zweimal gerettet hat.“
Als der Seedrache kam, weckte die Königstochter den Fremden. Der sprang auf die Füße und lief zum Meeresufer. Furchtbar war das Untier anzuschauen. Es war von ungeheurer Größe und hatte ein Maul so riesig, daß es die ganze Welt hätte verschlingen können, und aus dem Maul kamen drei scharfe Schwerter hervor. Mit wildem Brüllen
stürzte sich das Untier Sean Ruadh entgegen. Aber dieser schleuderte ihm den roten Apfel in den Rachen. Da fiel das Untier am Strande nieder, löste sich auf und floß auseinander.
Sean Ruadh sprach zur Königstochter: „Dieser Drache wird niemals mehr Unheil anrichten.“ Die Königstochter lief zu ihm hin und wollte ihn festhalten. Aber er saß schon auf dein weißsilbernen Roß und war auf und davon, zwischen Himmel und Erde dahinreitend, ehe sie ihn hindern konnte. Sie hatte jedoch einen seiner Stiefel aus purem Silber so fest umklammert, daß Sean Ruadh ihn in ihrer Hand zurücklassen mußte.
Als er an diesem Abend die Kühe heim trieb, kam der König aus dem Schloß, und Sean Ruadh fragte: „Was gibt es Neues von dem Seedrachen?“
„Oh“, sprach der König, „ich habe nichts wie Glück, seit du gekommen bist. Ein Ritter, schön wie der lichte Tag auf einem weißsilbernen Roß, zwischen Himmel und Erde dahinreitend, hat heute das Ungeheuer vernichtet. Meine Tochter ist für alle Zeiten vor ihm sicher. Doch sie ist in großer Trauer und weint bittere Tränen, weil ihr Retter verschwunden ist.“
Am Abend dieses Tages gab es ein Fest in dem Königsschloß, wie es noch nie eins gegeben hatte. In den Hallen ergingen sich die vielen Königssöhne und Rittet‘, und Jeder von ihnen prahlte: „Ich bin der, der die Königstochter errettet hat.“
Der König aber sandte nach dem alten blinden Weisen und fragte, was er tun sollte, uni den Mann zu finden, der seine Tochter wirklich errettet habe.
Da sprach der alte Weise: „Laß Botschaft ergehen an alle Welt, daß der Mann, an dessen Fuß der silberne Stiefel paßt, der Held sei, der den Drachen vernichtet habe, und daß du ihm deine Tochter zur Frau geben wolltest.“ Da ließ der König Botschaft und Kunde ausgehen durch alle Lande, jeder Mann solle kommen und den Stiefel zur Probe anlegen. Aber er war zu groß für die einen und zu klein für die andern.
Da sich nun keiner gefunden hatte, dem der Stiefel gepaßt hätte, sprach der alte blinde Weise: „Nun haben alle versucht, den Stiefel anzuziehen, nur der Kuhhirte nicht.“ „Ach, der ist ja immer mit den Kühen unterwegs“, sagte der König, „den brauchen wir nicht zu fragen.“
„Schicke trotzdem zwanzig Mann aus“, sprach der alte Weise, „und laß den Kuhhirten holen.“ Da sandte der König zwanzig Mann aus, und die fanden
den Hirten im Schatten einer Mauer schlafend. Da machten sie sich daran, ein Heuseil zu drehen, um ihn zu binden. Aber er erwachte und hatte zwanzig Seile gedreht, bevor sie eines fertig hatten. Dann band er die zwanzig zu einem Bündel zusammen und hing das Bündel an der Mauer auf. Im Schloß warteten sie lange Zeit. Als die zwanzig mit dem Kuhhirten noch immer nicht kamen, da sandte der König schließlich zwanzig weitere aus, um zu sehen, warum es so lange dauere. Als sie den Kuhhirten gefunden hatten, begannen auch diese ein Heuseil zu drehen. Doch es erging ihnen wie den andern. Auch sie wurden in ein Bündel zusammengebunden und zu den andern zwanzig gehängt.
Als nun weder die einen noch die andern heimkamen, sprach der alte blinde Weise zum König: „Geh jetzt nur selbst. Wirf dich vor dem Kuhhirten auf die Knie, denn er hat je zwanzig Mann in zwei Bündel aneinandergebunden.“
Da ging der König auf die Weide und warf sich vor dem Kuhhirten nieder.
Der hob ihn sogleich auf und fragte: „Was soll das bedeuten ?“
„Komm mit und lege den silbernen Stiefel an!“
„Wie kann ich mitgehen, wenn ich hier meine Arbeit zu tun habe?“
„Oh, das soll dich nicht hindern, du kommst bald genug zurück, um deine Arbeit fertig zu machen.“ Sean Ruadh band die vierzig Mann los und ging mit dem König. Als er zum Schloß kam, sah er des Königs Tochter in ihrer Kammer im Turm am Fenster sitzen, und der silberne Stiefel stand auf der Fensterbank vor ihr. Im selben Augenblick sprang der Stiefel durch die Luft und legte sich von selbst an seinen Fuß. Die Königstochter aber lief die Treppen hinunter und umarmte und küßte ihn. Der ganze Platz aber stand voller Königssöhne und Ritter. „Was wollen diese Männer hier?“ fragte Sean Ruadh.
„Sie haben versucht, den Stiefel anzuziehen, und hofften, daß er passe.“
„Macht euch hinweg, ihr Feiglinge, ihr Prahler“, rief Sean Ruadh, „damit mein Zorn nicht über euch komme.“
Da stoben sie in alle Winde davon. Der König aber sandte Boten an alle Könige und Königinnen, auch an Diarmuid, den Sohn des obersten Herrschers des Lichts. Sie sollten zur Hochzeit seiner Tochter mit Sean Ruadh kommen. Nach der Hochzeit ging Sean Ruadh mit seiner Frau in das Königreich der Riesen und lebte da und ließ seinen Schwiegervater König in seinem eigenen Land bleiben.
[Märchen aus Irland]
Die Königstochter in der Flammenburg
Es war einmal ein armer Mann, der hatte so viele Kinder, als Löcher sind in einem Sieb, und hatte alle Leute in seinem Dorfe schon zu Gevatter gehabt; als ihm nun wieder ein Söhnlein geboren wurde, setzte er sich an die Landstraße, um den ersten besten zu Gevatter zu bitten. Da kam ein alter Mann in einem grauen Mantel die Straße, den bat er, und dieser nahm den Antrag willig an, ging mit und half den Knaben taufen. Der alte Mann aber schenkte dem Armen eine Kuh mit einem Kalb; das war an demselben Tage, an welchem der Knabe geboren, zur Welt gekommen und hatte vorn an der Stirne einen goldnen Stern und sollte dem Kleinen gehören. Als der Knabe größer war, ging er mit seinem Rind, das war nun ein großer Stier geworden, jeden Tag auf die Weide. Der Stier aber konnte sprechen, und wenn sie auf dem Berg angekommen waren, sagte er zum Knaben: „Bleibe du hier und schlafe, indes will ich mir schon meine Weide suchen!“ Sowie der Knabe schlief, rannte der Stier wie der Blitz fort und kam auf die große Himmelswiese und fraß hier goldne Sternblumen. Als die Sonne unterging, eilte er zurück und weckte den Knaben, und dann gingen sie nach Hause. Also geschah es jeden Tag, bis der Knabe zwanzig Jahre alt war. Da sprach der Stier eines Tages zu ihm:
„Jetzt sitze mir zwischen die Hörner, und ich trage dich zum König; dann verlange von ihm ein sieben Ellen langes eisernes Schwert und sage, du wollest seine Tochter erlösen.“
Bald waren sie an der Königsburg; der Knabe stieg ab und ging vor den König und sagte, warum er gekommen sei. Der gab gern das verlangte Schwert dem Hirtenknaben; aber er hatte keine große Hoffnung, seine Tochter wiederzusehen, denn schon viele kühne Jünglinge hatten es vergeblich gewagt, sie zu befreien. Es hatte sie nämlich ein zwölfhäuptiger Drache entführt, und dieser wohnte weit weg, wohin niemand gelangen konnte; denn erstens war auf dem Wege dahin ein hohes unübersteigliches Gebirge, zweitens ein weites und stürmisches Meer und drittens wohnte der Drache in einer Flammenburg. Wenn es nun auch jemandem gelungen wäre, über das Gebirg und das Meer zu kommen, so hätte er doch durch die mächtigen Flammen nicht hindurchdringen können, und wäre er glücklich durchgedrungen, so hätte ihn der Drache umgebracht.
Als der Knabe das Schwert hatte, setzte er sich dem Stier zwischen die Homer, und im Nu waren sie vor dem großen Gebirgswall. „Da können wir wieder umkehren“, sagte er zum Stier, denn er hielt es für unmöglich, hinüber zu kommen. Der Stier aber sprach: „Warte nur einen Augenblick!“ und setzte den Knaben zu Boden. Kaum war das geschehen, so nahm er einen Anlauf und schob mit seinen gewaltigen Hörnern das ganze Gebirge auf die Seite, also, daß sie weiterziehen konnten.
Nun setzte der Stier den Knaben sich wieder zwischen die Hörner, und bald waren sie am Meere angelangt. „Jetzt können wir umkehren!“ sprach der Knabe, „denn da kann niemand hinüber!“ – „Warte nur einen Augenblick!“ sprach der Stier, „und halte dich an meinen Hörnern.“ Da neigte er den Kopf zum Wasser und soff und soff das ganze Meer auf, also daß sie trocknen Fußes wie auf einer Wiese weiterzogen. Nun waren sie bald an der Flammenburg. Aber da kam ihnen schon von weitem solche Glut entgegen, daß der Knabe es nicht mehr aushalten konnte. „Halte ein!“ rief er dem Stiere zu, „nicht weiter, sonst müssen wir verbrennen.“ Der Stier aber lief ganz nahe und goß auf einmal das Meer, das er getrunken hatte, in die Flammen, also daß sie gleich verlöschten und einen mächtigen Qualm erregten, von dem der ganze Himmel mit Wolken bedeckt wurde. Aber nun stürzte aus dem fürchterlichen Dampfe der zwölfhäuptige Drache voll Wut hervor. „Nun ist es an dir!“ sprach der Stier zum Knaben, „siehe zu, daß du auf einmal dem Ungeheuer alle Häupter abschlägst!“ Der nahm alle seine Kraft zusammen, faßte in beide Hände das gewaltige Schwert und versetzte dem Ungeheuer einen so geschwinden Schlag, daß alle Häupter herunterflogen. Aber nun schlug und ringelte sich das Tier auf der Erde, daß sie erzitterte. Der Stier aber nahm den Drachenrumpf auf seine Homer und schleuderte ihn nach den Wolken, also, daß keine Spur mehr von ihm zu sehen war. Dann sprach er zum Knaben: „Mein Dienst ist nun zu Ende. Gehe jetzt ins Schloß, da findest du die Königstochter und führe sie heim zu ihrem Vater!“ Damit rannte er fort auf die Himmelswiese, und der Knabe sah ihn nicht wieder. Der Junge aber fand die Königstochter drinnen, und sie freute sich sehr, daß sie von dem garstigen Drachen erlöst war. Sie fuhren nun zu ihrem Vater, hielten Hochzeit, und es war große Freude im ganzen Königreiche.
Die beiden Geschwister und die drei Hunde
Ein Müller und seine Frau starben nacheinander; sie hinterließen aber zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen, und diesen zum Erbe nichts andres als eine Ziege und einen Hahn. Da wollten die Kinder beide Tiere verkaufen, damit sie zu leben hätten, und es band der Knabe der Ziege den Hahn zwischen die Hörner und trieb sie zum Jahrmarkt. Auf der Straße traf er zu einem Fleischhauer, der wollte gerade Vieh kaufen und führte drei Hunde mit sich, einen schwarzen, einen weißen und einen gefleckten. „Willst du nicht mit mir tauschen?“ sprach er zum Knaben. Der sah sich die Hunde an, und weil sie ihm sehr gut gefielen, schlug er ein. Der Fleischhauer gab ihm noch ein Pfeifchen und sagte: „Wenn du dieses blasest, so kommen die Hunde, wo sie auch immer sind, dir zu Hilfe!“ Damit kehrte er nach Hause. Aber seine Schwester fing an zu weinen, als sie sah, daß ihr Bruder kein Brot brachte. „So müssen wir jetzt doch verhungern!“ rief sie einmal über das andere.
Die Hunde aber hatten alles verstanden, und sie sprangen nur einmal auf und liefen fort. In der Nähe war gerade das königliche Lustschloß. Da lief der schwarze in die Küche und brachte einen Braten; der weiße lief in die Speisekammer und brachte ein Brot, der gefleckte sprang in den Keller und holte eine Flasche Wein. Nun freuten sich die beiden Kinder, aßen und tranken und hatten von da an keine Not; denn wenn sie hungrig waren, so brachten ihnen die Hunde immer Speise. Aber der König hatte gehört, daß drei Hunde so und so in seine Küche, seine Speisekammer und seine Keller einbrächen und das Beste fortschleppten und daß man sie nicht fangen könne. Da befahl er, man solle überall nachsuchen, und wenn man die Hunde fange, sie und ihre Herren umbringen. Das erfuhren auch die Kinder; sie machten sich schnell auf und zogen mit den Hunden tief in einen Wald. Hier kamen sie an eine Hütte, drinnen brannte eine Kerze; sie gingen hinein, und da war eine alte Frau. „Gottlob!“ rief sie, „heute Nacht gibt es wieder etwas zum Umbringen! Denn wisset, hier hausen zwölf Räuber, die bald nach Hause kommen.“ Die Kinder fürchteten sich sehr; allein dem Knaben kam es bald ein, was zu machen sei. Er ließ den schwarzen Hund vor der Gassentüre, den weißen hinterm Tor, den gefleckten vor der Haustüre Wache halten.
Bald kamen sechs Räuber und fluchten und tobten. Die alte Räubergroßmutter wollte hinaus und ihre Leute warnen; allein der gefleckte Hund knurrte, sprang gegen sie und ließ sie nicht heraus. Als aber die sechs an das Haus kamen, sprang der schwarze Hund auf, riß sie nieder und brachte alle um. Dann legte er sich zwischen die Toten und lauerte wieder. Nach kurzer Zeit kamen auch die sechs anderen; der schwarze riß sie ebenfalls nieder und würgte sie; nur einer von den Räubern, ein junger Kaufmann, war nicht ganz tot. Der schleppte sich noch zum Tor hinein. Da riß ihn der weiße Hund zu Boden. Die alte Räubergroßmutter mußte jetzt alles zeigen, was zu sehen war. In einer Kammer lagen große Haufen gestohlener Schätze, und an einer Wand hing ein großes Schwert, das hüpfte in der Scheide. Der Knabe nahm es und band es sich an die Seite. Der Keller war voll von Toten; dahin mußte die Alte auch die Erschlagenen schleppen; allein den halbtoten jungen Kaufmann verschloß sie unbemerkt in die Kammer.
Am andern Morgen nahm der Knabe seinen schwarzen Hund und ging fort, um die Gegend zu beschauen. Die Schwester blieb mit den beiden anderen Hunden in der Räuberhütte. Da nahm die Alte einen Topf, ging hinaus in die Kammer, schmierte den Kaufmann, und alsbald war er frisch und gesund; beide kamen nun zur Schwester und überredeten sie, sie solle den Kaufmann heiraten und hier wohnen und alle Schätze besitzen. Ihren Bruder sollten sie umbringen, doch müßten sie erst die Hunde fortschaffen. Das sei aber leicht; sie solle nur einzeln dieselben in die Kammer nach Mehl schicken, da werde sie die Alte einsperren. Dem Mädchen gefiel der junge Kaufmann, und es willigte ein, und dieser versteckte sich. Als ihr Bruder nach Hause kam, erschien ihm seine Schwester verändert, sie sprach auch ganz anders; nur einmal schickte sie die Hunde hinaus in die Kammer nach Mehl. Da merkte sich der Knabe etwas; er ging hinaus und wollte in die Kammer; diese aber war fest verschlossen. Da erinnerte er sich an das Pfeifchen, das ihm der Fleischhauer gegeben; er nahm es hervor und blies. Auf einmal sprang die Tür entzwei, und die drei Hunde waren um ihn. Nun ging er wieder in die Hütte. Da stand seine Schwester und der junge Kaufmann und wollten den Knaben eben angreifen und umbringen. Aber er zog sein Schwert und hieb dem Kaufmann den Kopf ab, ging dann in die Kammer und tat an der Alten ein Gleiches; darauf befahl er seiner Schwester, die Toten in den Keller zu schleppen, warf sie dann selbst hinein und sprach, indem er sie einschloß: „Bis du den jungen Räuber nicht aufgegessen hast, sollst du immer hier bleiben!“
Dann nahm der Knabe seine drei Hunde und zog fort. Er kam aber in eine Stadt, wo die Häuser alle mit schwarzem Flor überzogen waren. Er fragte gleich, was das zu bedeuten hätte. Da erzählte ihm der Wirt: In der Nähe sei ein siebenhäuptiger Drache; dem müßte jedes Jahr eine Jungfrau dargebracht werden, und jetzt sei es an der Tochter des Königs, und darum sei die Stadt in Trauer. Da geschah es, daß die Königstochter hinausfuhr ohne Begleitung; nur der Kutscher war auf dem. Wagen. Der Knabe nahm seine Hunde und zog auch dahin; er kam auf einem Umwege noch eher zur Stätte. Der Kutscher aber getraute sich nicht, nahe zu fahren; er hielt schon von weitem still, und die Königstochter mußte zu Fuße die übrige Strecke zurücklegen. Als sie anlangte, kam ihr der Knabe entgegen und sprach: „Fürchte dich nicht, ich will den Drachen bestehen!“ Sein Schwert hüpfte schon in der Scheide und sehnte sich nach dem Drachenblut. Bald kam der fürchterliche Wurm schnaubend herangefahren. Der Knabe erhob sein Schwert, und auf einen Hieb waren alle Häupter unten. Er blieb aber unbedacht auf der Stelle stehen, und nun traf ihn der zappelnde Schweif des Drachen, so daß er wie tot hinfiel. Die Hunde sprangen nun auf den Drachen und machten ihn in kurzem vollends tot; nur zuckten die Glieder, bis die Sonne unterging. Die Königstochter aber sank hin zur Leiche und weinte sehr. Da kamen auch die Hunde und weinten und wußten keinen Rat. Endlich erinnerten sich der weiße und gefleckte Hund an den Topf, aus dem die Alte im Wald den Kaufmann lebendig gemacht. Wie sie es erzählten, gab ihnen der schwarze einen derben Schlag, warum sie nicht eher daran gedacht hätten, und sie mußten gleich hinlaufen und den Topf bringen.
Als die Königstochter den Toten geschmiert hatte, schlug er die Augen auf, war frisch und gesund, und es schien ihm, als erwache er aus einem tiefen Schlafe. „Du hast mich gerettet und sollst nun auch meine Hand haben, wie es mein Vater versprochen hat!“ rief die Königstochter. Der Knabe freute sich des, aber er wollte sie prüfen, ob sie ihm auch treu sein würde, und sprach daher: „Ich muß noch in der Welt herumziehen und Drachen bekämpfen; aber unter Jahr und Tag komme ich, dann wollen wir Hochzeit halten!“
Die Königstochter schnitt darauf ihren Namen aus dem Taschentuch und gab ihn dem Knaben, und jedem der Hunde legte sie ein seidenes Band um den Hals, dem schwarzen ein weißes, dem weißen ein schwarzes und dem gefleckten ein gestreiftes; dann schnitt der Junge noch die Zungen aus den Drachenhäuptern, steckte sie ein und ging weiter; die Königstochter aber weinte. Als der Kutscher sah, daß der Drache erlegt und der Junge fort war, lief er auch hin und fragte die Königstochter, warum sie weine, da sie jetzt befreit sei. Wie sollte sie nicht weinen, sprach sie, da ihr Retter sie verlassen habe. Der Kutscher aber baute hierauf gleich einen bösen Plan. Er drohte der Königstochter, wenn sie nicht verspreche zu sagen, daß er den Drachen erlegt habe, so wolle er sie auf der Stelle umbringen. In der Not versprach es die Königstochter. Da nahm er die Häupter vom Drachen, lud sie auf den Wagen und fuhr mit der Königstochter heim. Alles Volk jubelte, als man sie wieder sah, und pries ihren Retter, und für den gab sich der Kutscher aus. Der König wollte auch gleich Wort halten und ordnete an, daß die Hochzeit gefeiert werde. Aber seine Tochter bat ihn sehr, er solle ihr noch ein Jahr freie Zeit gönnen, und so ließ er’s geschehen.
Eben war das Jahr zu Ende und der Hochzeitstag da; die ganze Stadt war festlich geschmückt, und in der königlichen Küche und im Keller war alles beschäftigt. Der Knabe war ebenfalls auf die verabredete Zeit in die Stadt gekommen. Der Gastwirt erzählte ihm nun, warum die ganze Stadt heute so fröhlich sei:
Der Kutscher des Königs habe vor einem Jahr den Drachen erlegt, und heute erst, weil es die Königstochter so gewünscht, solle die Hochzeit gefeiert werden. Da sah der Knabe, wie treu ihm die Königstochter gewesen und daß ein schändlicher Betrug im Spiele sei. Er sagte aber nichts von sich und von dem, was er vorhabe; nur behauptete er, er werde heute das Beste von der Königstafel essen und trinken und am Ende werde ihn der alte König selbst mit vier weißen Hengsten zum Hochzeitsmahle führen. Der Wirt glaubte nicht, daß dieses möglich sei, und wettete auf sein ganzes Vermögen.
Als es Mittag war und es hieß, daß alle schon an der königlichen Tafel säßen, schickte der Knabe seinen schwarzen Hund hin, er solle von dem Teller der Königstochter den Braten bringen. Der Hund lief in einem fort, riß alle Wachen, die ihm wehren wollten, nieder, und eben hatte man der Königstochter das beste Stück vorgelegt, als der Hund es packte und damit fortlief und es seinem Herrn brachte. Die Königstochter aber hatte den Hund an dem weißen Bande gleich erkannt und freute sich im Herzen, daß ihr Retter nahe sei. Nun wollte der Knabe auch Brot haben; das mußte der weiße Hund holen; der machte es ebenso wie der schwarze, nahm es der Königstochter neben dem Teller her fort und lief hinaus; der alte König, der Bräutigam und die Gäste erstaunten und waren zornig; nur die Königstochter freute sich. „Jetzt will ich aber auch trinken!“ sprach der Knabe, als er gegessen hatte. Der gefleckte Hund mußte den Wein holen, der vor der Königstochter auf dem Tische stand. Er machte es ebenso wie der schwarze und weiße Hund; die Königstochter freute sich, als sie auch ihn sah; aber der alte König konnte seinen Zorn nicht mehr zurückbehalten; er gab Befehl, man solle den Herrn der Hunde erforschen und gleich gebunden vor ihn bringen. Sogleich gingen eine Menge Soldaten hin und her und suchten ihn und kamen so auch ins Wirtshaus.
As sie die Hunde hier sahen und ihren Herrn daneben, wollten sie ihn packen und fortführen; allein die Hunde fielen gleich über sie her und warfen sie zu Boden. Als man dem König das meldete, stieg sein Zorn aufs höchste; er schickte alle seine Soldaten hin, um den Frevler herbeizuholen; allein auch diese konnten nichts machen; die Hunde rissen alle nieder. Da ließ der Knabe sagen, der König solle gleich mit vier weißen Hengsten nach ihm kommen und ihn zur königlichen Tafel führen. Der König hatte seinen Zorn zwar aufgegeben; denn er sah ein, daß er es mit einem mächtigen Herrn zu tun habe; allein sein Stolz ließ es ihm nicht zu, selbst hinzufahren. Er schickte nur einen Minister und einen Hofwagen mit zwei Pferden; aber der Knabe wies diesen zurück und ließ dem König sagen, er solle gleich selbst kommen und mit einem Viergespann, so wie es verlangt worden, sonst würde es ihm nicht gut gehen. Die Königstochter redete ihrem Vater zu, er solle nicht sein Leben aufs Spiel setzen, und so bemeisterte er seinen Zorn und fuhr hin. Als der königliche Wagen von vier weißen Hengsten gezogen vor dem Wirtshause hielt, lief der Wirt wie wahnsinnig zum Knaben und sprach: „Du hast die Wette gewonnen; ich aber bin ein ruinierter Mann!“ Allein der Knabe tröstete ihn gleich: „Also du glaubst mir jetzt? Nun, ich schenke dir wieder alles, was du verspielt hast!“ Damit ging er hinaus und setzte sich neben den König, und seine drei Hunde sprangen auch in den Wagen; sobald er fortrollte, rief der Wirt: „So einen Gast habe ich in meinem Leben nie beherbergt!“
Als sie im Königssaale anlangten, setzte sich der Knabe sogleich der Braut gegenüber, und neben dieser saß der Bräutigam. Nun aß man und war lustig. Zuletzt kam man nach mancherlei Gesprächen auf die Beantwortung von Fragen. Als die Reihe zu fragen an den Knaben kam, sprach er: „Was verdient der, welcher den König auf das schändlichste betrügt?“ Der Bräutigam rief sogleich: „Der verdient, daß man ihn an den Schweif eines wilden Pferdes binde und durch die Stadt schleife.“ Da erhob sich der Knabe: „Du hast dir selbst dein Urteil gesprochen, denn wisse, ich bin der Drachentöter, nicht du!“ Der Kutscher aber behauptete noch fort, daß er ihn getötet habe, und ließ zum Beweise die sieben Drachenhäupter hereinbringen. Noch waren die Gäste auf seiner Seite. Da sprach aber der Knabe, man solle dem Drachen in den Mund sehen. Da fanden sie keine Zungen darin. „Wo sind denn die Zungen“, fragte der Knabe, „wenn du den Drachen getötet hast?“ Darauf war der Kutscher nicht gefaßt und behauptete dreist, Drachen hätten keine Zungen. Den Gästen kam das nun doch sonderbar vor; allein sie wußten nicht, wie die Sache wäre. Da ließ man den Koch hereinrufen, und der König fragte diesen, ob er ein Tier kenne, das keine Zunge hätte. Der Koch sprach, er kenne keines; alle Tiere müßten auch eine Zunge haben, denn womit sollten sie sonst schmecken. „Nun!“ sprach aber der Knabe, „will ich es noch mehr beweisen, daß die Drachen Zungen haben“, nahm damit sein Tuch heraus, wickelte es auf und legte sieben Drachenzungen vor, und als man sie in den Mund hielt, paßten alle genau.
Der Kutscher fing nun an zu zittern und wollte hinaus: allein man hielt ihn fest. „Jetzt aber wird auch die Königstochter es bezeugen, daß ich den Drachen getötet habe.“ Damit nahm er den Namen aus ihrem Taschentuch und sprach: „Ist das deine Arbeit? Siehe die Halsbänder der Hunde, kennst du sie? Erzähle!“ Jetzt, da die Sache ohne ihr Zutun schon heraus war, hielt sie sich ihres Eides für los und ledig und erzählte alles vom Drachenkampf und wie sie ihrem Befreier den Namen aus ihrem Schnupftuch gegeben und den Hunden die Halsbänder umgelegt habe; wie dann der Kutscher hingekommen und gedroht habe, sie umzubringen, wenn sie ihm nicht eidlich verspreche, ihn für den Drachentöter auszugeben. Da wurde der Kutscher ergriffen und die Strafe, die er sich selbst bestimmt hatte, an ihm vollzogen.
Der Knabe aber hielt nun Hochzeit mit der Königstochter; und diese war über alle Maßen froh und glücklich. Als der alte König starb, folgte ihm der Knabe im Reiche nach, und er herrschte weise und gerecht.
Aber ein Kummer nagte doch an seinem Herzen; er dachte an seine Schwester, und obgleich diese so böse an ihm gehandelt, so hatte er ihr jetzt doch verziehen, und er wollte sie, wenn möglich, auch noch glücklich machen. Er zog daher mit seinen Hunden nach dem Waldhäuschen. Da fand er sie im Keller; sie hatte alle Toten verzehrt, nur den Kaufmann nicht, und das wollte sie auch nicht, lieber sterben. Der Bruder nahm sie jetzt mit an seinen Königshof und machte sie zum ersten Hoffräulein. Allein sie hatte ihre Falschheit noch nicht aufgegeben; ihr Bruder sollte es büßen, daß er sie so gestraft habe. Sie ließ bei einem Schmied ein scharfes Messer machen und stellte dieses in das Bett des Königs. Als dieser abends müde sich auf das Bett warf, ging es ihm durch und durch, und er war alsbald tot. Am Morgen aber, wie man hörte, daß der König ermordet wäre, wurde das ganze Land von der höchsten Trauer erfüllt; die Schwester aber hatte ihr böses Gewissen vom Hofe fortgetrieben, und so war man überzeugt, daß sie es getan habe. Die Königin aber warf sich auf die Leiche, rang die Hände und konnte nicht weinen vor Schmerz; die Hunde lagen um sie, winselten in der Trauer um ihren Herrn und ächzten. Da erinnerten sie sich an den Topf mit der lebendig machenden Salbe. Schnell liefen sie nach der Stelle, wo der Drache gelegen, fanden hier noch die Scherben und brachten sie, und es war noch so viel Salbe drinnen, daß man den König bestreichen konnte. Da schlug er wieder die Augen auf und war gesund. Alles war voller Jubel, allein niemand freute sich mehr als die Königin. Als man dem König sagte, was mit ihm vorgefallen und daß seine Schwester entwichen sei, rief er:
„Ja, die böse Schlange, das hat sie getan!“ Er ließ sie wieder aufsuchen und ins Waldhaus einsperren bei ihrem toten Kaufmann; da mußte sie nun fort an der Leiche sitzen; bis sie verhungerte.
Es geschah aber, daß die Hunde jetzt vor den König traten und sprachen: „Von nun an können wir dir nichts weiter nützen, haue uns die Häupter ab.“ — „Nein, nie und nimmermehr, das wäre ein schöner Dank für so treue Dienste!“ Wenn sie ihm auch weiter keinen Dienst mehr erweisen könnten, so wolle er sie doch getreu pflegen bis an ihren Tod. Da baten sie ihn aber so sehr und so lange, daß er gerade den größten Dank ihnen damit erweise, wenn er ihren Wunsch erfülle, und so faßte er endlich betrübten Herzens sein Schwert und hieb jedem das Haupt ab. Siehe, da standen nur einmal drei Königssöhne: „Dank dir, du hast uns erlöst; wir waren so lange verzaubert, bis zum Dank für geleistete Dienste ein junger Held uns das Haupt abschlagen würde, und das hast du getan!“ Damit zog jeder fort in seine Heimat, und so waren jetzt alle froh und zufrieden.
Der Dachentöter (Sigrid Früh)
Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne. Als sie erwachsen waren, ließ er ihnen kostbare Gewänder anfertigen, gab jedem einen schön verzierten Gürteldolch und ein gutes Schwert in die Hand und sprach: „Nun reist hinaus in die Welt, seht euch überall wohl um und versucht euer Glück!“ Dazu waren die drei Brüder gleich bereit, nahmen Abschied von ihrem alten Vater und zogen zum Tor hinaus. Als sie ein gutes Stück gewandert waren, kamen sie zu einer großen Tanne; da beschlossen sie, sich zu trennen. „Wir wollen unsere Dolche in diese Tanne stecken“, sagte der älteste. „Kommt einer von uns zu irgendeiner Zeit wieder einmal hier vorbei, so mag er an ihnen erkennen, ob wir noch am Leben oder ob wir gestorben sind, und dies wird das Zeichen sein: wessen Dolch einen Rostfleck zeigt, der ist tot und wird die Heimat seiner Väter nie mehr wiedersehen.“ – Sie stießen also die blanken Klingen tief in den Baum; dann ging der eine zur Rechten, der andere zur Linken, der jüngste aber zog geradeaus und kam bald in einen großen, finsteren Wald.
Wie er nun so allein zwischen den dunklen Tannen dahinging, kam ihm mit einem Mal ein Bär entgegen. Ohne langes Besinnen griff er nach seinem Schwert und wollte ihm auf den Pelz rücken. Der Bär aber rief: „Töte mich nicht, es wird dein Glück sein!“ trottete freundlich und zutraulich heran und begleitete den Königssohn durch den Wald. Als er wieder eine Strecke gewandert war, kam plötzlich ein großer, wilder Wolf dahergesprungen. „Im nächsten Augenblick schon schwang der Prinz sein Schwert, stellte sich ihm in den Weg und wollte ihn erschlagen. Der Wolf aber rief: „Töte mich nicht, es wird dein Glück sein!“ – Da ließ er auch ihn am Leben, und nun zog der Wolf mit dem Bären hinter ihm her. Es dauerte nicht lange, da stand, wie aus der Erde gewachsen, ein mächtiger Löwe vor ihm und fletschte die Zähne. Dem Königssohn fuhr geschwind der Schreck in die Glieder; dann aber zog er blitzschnell sein Schwert, um es ihm in den Rachen zu stoßen. Weil aber der Löwe sagte: „Töte mich nicht, es wird dein Glück sein!“, schenkte er auch ihm das Leben. Nun zog auch der Löwe mit dem Wolf und dem Bären hinter ihm her, und alle drei Tiere wichen nicht mehr von ihm.
Lange Zeit wanderte der Prinz mit seinen Begleitern durch den Wald, ohne einem Menschen zu begegnen. Endlich sah er in der Ferne eine Stadt. Da schritt er munter voran und zog bald darauf mit seinen Tieren durch das Tor ein. Doch seltsam: Alle Häuser waren mit schwarzem Flor behangen, und die Menschen gingen stumm und traurig durch die Straßen. Da fragte der Prinz, was denn der Stadt widerfahren sei. „Ach !“ erzählten ihm da die Leute, „auf dem Berg dort, wo die Kapelle steht, haust ein siebenköpfiger Drache. Dem muß man jeden Tag ein unschuldiges Mädchen zum Fressen bringen sonst ist vor ihm niemand seines Lebens sicher. Nun aber soll ihm morgen die einzige Tochter des Königs ausgeliefert werden, und darum ist die Stadt in so tiefer Trauer.“ – „Das verstehe ich wohl“, meinte der Prinz, „aber – ist denn gar keine Rettung möglich?“ -„Ja, das fragen wir auch, lieber Herr“, sagten sie. „Der König hat wohl schon lange im ganzen Lande bekanntmachen lassen, daß er dem Drachentöter die schöne Prinzessin zur Frau geben wolle; doch bis heute hat sich keiner gefunden, der den Kampf mit dem Ungeheuer wagen will.“ – Der Prinz hörte sich alles genau an und dachte: „Wenn d u den Drachen erlegen und die schöne Königstochter gewinnen könntest! Vielleicht würden die drei Tiere dir helfen?“ Und er nahm sich vor, den Kampf gegen den Drachen zu versuchen.
Am anderen Morgen, als die Sonne aufging, gürtete er sich sein Schwert um und stieg auf den Drachenberg, von seinen treuen Tieren begleitet. Als er zu der Kapelle kam, ging die Prinzessin gerade hinein, um zu beten. Sie war so jung und schön, daß er wie gebannt stehenblieb und ihr nachschaute. Da wurde er plötzlich durch ein fürchterliches Brüllen und Fauchen aufgeschreckt, und aus der Felsschlucht hervor stürzte der siebenköpfige Drache ungestüm auf ihn ein. Der Bär, der Wolf und der Löwe warfen sich wütend auf das Untier und jeder riß und biß ihm zwei Köpfe ab. Der siebente Kopf aber, der schrecklichste und gefährlichste von allen, fiel unter dem scharfen, Schwert des Prinzen in den Sand. Lang ausgestreckt lag der tote Drache in seinem Blute. Da trat die Prinzessin aus der Kapelle, ihrem Retter zu danken. Sie nahm die goldene Kette, die sie bisher selber, getragen, zerteilte sie und legte jedem der Tiere ein Stück davon um den Hals. Zu dem Prinzen aber sagte sie: „Ich danke dir von Herzen, du tapferer Mann! Du hast mich vom Tode errettet, und dafür will ich dir für mein ganzes Leben als deine liebe und treue Frau gehören! Nun aber komm mit zu meinem Vater. „Es kann noch nicht sein, liebe Prinzessin“, sagte er; „ich muß mich zuerst noch eine Weile in der Welt umsehen. Heute übers Jahr aber komme ich wieder und dann wollen wir Hochzeit halten!“ Darauf schnitt er aus den sieben Drachenköpfen die Zungen heraus, wickelte sie in ein seidenes Tuch und steckte sie in die Tasche. Dann nahm er Abschied von seiner Braut und zog mit seinen getreuen Tieren auf gut Glück in die weite Welt hinaus.
Als der Prinz ihren Blicken in der Ferne entschwunden war, stieg die Prinzessin in die Kutsche, die am Fuße des Berges wartete, um sich nach Hause fahren zu lassen. Der Kutscher fuhr aber erst ab, nachdem er die sieben Drachenköpfe zu sich auf den Wagen geladen hatte. Und wie sie unterwegs durch einen dunkeln Wald kamen, hielt er plötzlich die Pferde an und sagte zu der Prinzessin: „So, nun sind wir allein und keiner ist da, der dir helfen könnte! Sage zum König, i c h hätte den Drachen getötet! Versprich es mir, oder du mußt auf der Stelle sterben!“ Was konnte da die Prinzessin anderes tun, als zustimmen, wenn ihr das Leben lieb war? Als sie im Schloß ankamen, wies der Kutscher dem König die sieben Drachenköpfe vor, verlangte die Prinzessin zur Frau und wollte, daß die Hochzeit gleich am anderen Tage stattfinden sollte. Der König, der sein Wort halten wollte, war damit einig; die Prinzessin aber brachte es unter allerlei Vorwänden fertig, daß die Hochzeit immer wieder aufgeschoben wurde. Ein ganzes Jahr lang trieb sie es so; dann aber mußte sie dem Drängen des Kutschers doch nachgeben. Sie tat es auch scheinbar willig, weil sie hoffte, daß der rechte Bräutigam sich nun bald einfinden werde, so wie er es ihr versprochen hatte.
Und richtig, als das Jahr bald um war, hatte der Prinz sich genug in der Welt umgesehen und die Heimreise angetreten. Als gerade noch ein einziger Tag an dem Jahr fehlte, kam er in der Stadt an und war erstaunt darüber, wie lustig und lebendig es überall zuging. Er kehrte in einem Wirtshaus ein, fragte den Wirt, ob er hier übernachten könne und fügte so beiläufig hinzu: „Was geht denn hier vor? Vor einem Jahr war die Stadt mit Trauerflor behangen und die Leute gingen stumm und traurig umher; heute dagegen sehe ich überall fröhliche Gesichter und die Stadt ist wie zu einem Fest geschmückt!“ -„lhr habt’s erraten“, antwortete der Wirt und erzählte ihm, daß morgen die Königstochter Hochzeit halte mit dem Kutscher, der sie vor einem Jahr aus den Klauen des Drachen errettet habe. „Soso“, sagte der Prinz, trank sein Glas leer und begab sich in seine Schlafkammer hinauf.
Am anderen Tag, während droben im Schloß das Hochzeitsmahl im Gange war, saß der Prinz, als Jäger gekleidet, mit dem Wirt in der Schankstube. Sie sprachen von der schönen Prinzessin und dem Drachentöter und dem prachtvollen Fest, und dabei sagte der Prinz: „Herr Wirt, holt mir doch auch einen Krug von, dem Wein, den die Braut im Schlosse trinkt!“ – „Das kann ich nicht, Herr!“ antwortete der Wirt. „Dann muß ich halt meinen Wolf hinschicken!“ meinte der Prinz; rief den Wolf zu sich und sagte: „Geh zu der Prinzessin ins Schloß und sage, dein Herr lasse um einen Krug von dem Wein bitten den sie selbst trinke!“ Es dauerte nicht lange, und der Wolf kam mit dem Krug angesprungen. Da konnte der Wirt sich nicht genug wundern“, saß nur da und sah den Fremden an und schüttelte den Kopf. „So, jetzt will ich auch von dem Braten haben, den die Braut ißt!“ sprach der Prinz und schickte den Bären aufs Schloß, und der brachte wahrhaftig nach einer Weile ein Stück vom allerbesten Braten. „Nun fehlt bloß noch ein Stück von dem Brot, das die Prinzessin ißt!“ sagte der Prinz, und schickte den Löwen hin. Der kam nach kurzer Zeit mit einem großen Stück Brot im Maul angetrottet.
Die Prinzessin aber, die an der Hochzeitstafel saß, hatte die Tiere erkannt und wußte wohl, wer ihr Herr war. Darum gab sie ihnen auch alles, was sie forderten, von Herzen gerne. Der König hatte die sonderbaren Besucher mit Staunen beobachtet, nahm endlich seine Tochter beiseite und sprach: „Nun sage mir doch einmal, meine liebe Tochter: Was hast du eigentlich mit diesen wilden Tieren im Sinn?“ Da erzählte die Prinzessin ihrem Vater alles, so wie es sich zugetragen hatte, und gestand ihm zuletzt, daß der wahre Drachentöter nun da sei und daß sie den und keinen anderen heiraten werde. Der König schickte sogleich einen Boten in das Wirtshaus und ließ den Herrn, dem die drei wilden Tiere gehörten, zur Tafel laden. Als die Hochzeitsgäste nun alle genug gegessen und getrunken hatten und noch eine Weile so recht vergnügt beisammen saßen, sagte der König: „Wir wollen uns zur Unterhaltung ein wenig erzählen. Und wer wird mehr erzählen können als der Drachentöter und unser lieber Gast, der Jäger, der heute erst von einer weiten Reise zurückkehrte? Beginne also, Freund Drachentöter!“ Da ließ der falsche Drachentöter die sieben Drachenköpfe auf den Tisch legen und berichtete mit vielen aufgeblähten Worten, wie er sie damals im Kampf dem Untier abgeschlagen habe. Und alle, die von dem bösen Betrug nichts wußten und den Kutscher für den Drachentöter hielten, bewunderten ihn und spendeten ihm Lob über Lob. Der König aber verzog keine Miene und sagte nur: „Nun denn, Herr Jäger, erzählt Ihr einmal von Euren Abenteuern!“
Der erhob sich, verbeugte sich höflich und gestand zum ersten, daß er kein Jäger, sondern ein Prinz sei. Dann schilderte er getreulich, auf welch eigentümliche Weise er zu den treuen Tieren gekommen sei und wie sie geholfen hätten, einen siebenköpfigen Drachen zu überwinden und eine Königstochter vom sicheren Tode zu erretten. „Und welch ein Zufall“, sagte er, „gerade heute vor einem Jahr und nahe bei dieser Stadt hat sich all das zugetragen. Auch die Drachenköpfe hier kommen mir so bekannt vor, als ob ich sie schon einmal gesehen hätte. Nur, will mir scheinen, haben sie keine Zunge im Maul, was doch sonst gewiß bei allen Tieren der Fall ist.“ Da erhob sich der König und rief: „Diener! Öffnet die Drachenmäuler!“ Und richtig, – in keinem von allen sieben war eine Zunge zu entdecken. „Wo sind die Zungen, Kutscher?!“ stellte der König den falschen Mann zur Rede. „Da müßt Ihr nicht den da, sondern, mich fragen, Herr König“, entgegnete der Prinz. „Hier sind sie!“ – und dabei wickelte er die sieben Zungen aus dem seidenen Tuch. Und siehe, sie paßten genau auf die abgeschnittenen Enden in den Rachen der Drachenköpfe. „Und nun, edle Prinzessin“, wandte sich der Prinz an die Königstochter, „kennt Ihr vielleicht die goldene Kette am Hals meiner Tiere?“ – „O gewiß!“ sagte sie, „die kenne ich gut! Ich selbst habe sie ja deinen Tieren umgehängt, weil sie dir so treu und tapfer im Kampf gegen den Drachen beigestanden haben.“
Nun wußte der König gewiß, daß der Prinz der wahre Drachentöter, der Kutscher aber ein arglistiger Betrüger war. In der gleichen Stunde noch wurde der Falsche dem Henker übergeben. Der Prinz und die Prinzessin aber hielten Hochzeit und lebten nach des alten Königs Tod noch lange Jahre in Glück und Freude als König und Königin.
Was aus den beiden Brüdern des Königs geworden ist? Niemand weiß, ob sie heimgekehrt sind oder heute noch in der Welt umherwandern. Wenn ich aber an die große Tanne komme, will ich doch nachsehen, ob sie noch am Leben sind oder ob die blanken Klingen Rostflecke bekommen haben.
Die geraubte Königstochter
Es war einmal ein reicher und mächtiger König. Der hatte eine einzige Tochter und die war so schön, daß selbst die zarteste Rose, der weiße Schnee und der blaue Himmel vor ihrer Schönheit verblaßten. Wenn sie aus dem Schlosse in den Garten heraustrat, dufteten alle Blumen lieblicher, und die Vögel sangen ihr zu Ehren wie aus goldenen Kehlen. Eines Tages aber, als die Prinzessin bei der Quelle im Park saß und mit ihrem goldenen Balle spielte, brach plötzlich ein Drache aus dem Walde hervor, faßte die Jungfrau mit seinen Krallen und entführte sie weit übers Meer in seine Höhle.
Nun hielt er sie schon fünf Jahre dort gefangen, und hundertmal schon hatte er sie gefragt, ob sie seine Frau werden wolle. Doch ihr graute davor, wie sehr er sie auch bat und sich um sie bemühte. Neben vielen andern Kostbarkeiten, mit denen er ihr Herz zu gewinnen suchte, schenkte er ihr auch drei prachtvolle Kleider – die herrlichsten, die es auf der Welt gab: auf dem einen war die Sonne abgebildet, auf dem andern der Mond, auf dem dritten die Sterne. Aber auch damit ließ sie sich nicht verlocken, das Weib des Drachen zu werden.
Eines Tages, es waren gerade sieben Jahre um, verirrte sich ein wandernder Schneidergeselle in diese Gegend und war sehr erstaunt, als er die schöne Frau ganz allein in der Drachenhöhle antraf. Er fragte, ob sie sich auch verirrt habe wie er. Da schüttelte sie traurig den Kopf und erzählte ihm, wer sie sei und wie sie hierher in diese einsame, düstere Felsenwildnis gekommen. – „O wär‘ ich doch aus den Klauen des bösen Drachen und wieder daheim auf dem väterlichen Schlosse!“ klagte die Prinzessin. – „Wir wollen miteinander fliehen und deine Heimat suchen, und ich will dich beschützen bei Tag und bei Nacht gegen alle Not und Gefahr, die dich bedrohen könnte“, sagte der Schneidergeselle. Darüber war die Königstochter voller Freude und versprach ihm, seine Frau zu werden wenn er sie glücklich wieder in ihres Vaters Schloß zurückbringe. Nun paßten sie auf, zu welcher Zeit der Drache am längsten ausblieb, und als sie das herausgefunden hatten, flohen sie eines Abends miteinander in aller Heimlichkeit.
Der Schneider hatte die drei schönen Kleider der Prinzessin in seinen Ranzen gesteckt, und so wanderten sie nun eilig dahin, bis sie sicher waren, daß der Drache sie nicht mehr einholen werde. Jetzt endlich gönnten sie sich Ruhe, legten sich im Walde nieder und schlie- fen ein. Ihre Müdigkeit war so groß, daß sie erst am Morgen des übernächsten Tages wieder erwachten; nun aber schritten sie rüstig aus und gelangten bald darauf an den Strand des Meeres. Dort lag gerade ein kleines Schiff vor Anker; das hatte allerhand Waren geladen, die es nach jenem Lande bringen wollte, in dem der Vater der Prinzessin König war. Aber als das Schiff eine Tagereise weit draußen auf dem Meere schwamm, erhob sich ein so gewaltiger Sturm, daß es gegen eine Felseninsel getrieben wurde und zerschellte. Nur wenige Menschen, darunter auch die Prinzessin, konnten in einem Boot gerettet werden, und als am andern Morgen ein fremdes Schiff vorüberfuhr, nahm es die Verunglückten auf und brachte sie wohlbehalten in den sicheren Hafen. Die Königstochter konnte sich aber über ihre Rettung doch nicht freuen, war vielmehr betrübt und traurig in ihrem Herzen; denn sie dachte nicht anders, als daß der gute Geselle im Meer ertrunken sei. Doch auch er war mit knapper Not mit dem Leben davongekommen. Er hatte sich an den Balkentrümmern des gekenterten Schiffes festgehalten, war tagelang von den wilden Wogen umhergetrieben und endlich völlig ermattet an ein fremdes Ufer gespült worden. Ein alter Fischer nahm ihn in seiner Hütte auf, gab ihm zu essen und beherbergte ihn eine Woche lang. Dann wies er ihm den Weg in die große Stadt, die eine Tagereise entfernt am Strome lag.
Wie er nun dort so durch die Straßen ging, sah er vor einem Hause das Zunftschild eines Schneiders hangen. Da bekam er plötzlich wieder Lust zu seinem Handwerk, fragte bei dem Meister um Arbeit nach und wurde gleich als Geselle eingestellt. Kaum war er eiin paar Wochen hier, da hörte er eines Feierabends einen Herold in den Straßen ausrufen, daß der König demjenigen zehntausend Gulden bezahlen werde, der seiner Tochter binnen drei Monaten drei Kleider zu liefern vermöge, auf denen Sonne, Mond und Sterne sich spiegelten. Da fiel dem Schneidergesellen ein, daß er ja noch die drei Kleider der Prinzessin in seinem Ranzen habe und mit ihnen den Beutel voll Gold werde verdienen können. – „Doch ach“, dachte er im stillen bei sich, „nun wird eine andere die drei kostbaren Kleider tragen. Mag sie gleich auch eine Königstochter sein, so ist sie doch nicht die allerschönste und liebste, die nun schon lange auf dem kühlen Meeresgrunde ruht.“ Ging aber doch zu seinem Meister und sagte, er könne die drei Kleider für die Tochter des Königs machen. Darüber war der Meister sehr erfreut, meldete dem königlichen Kanzler, daß er mit seinem Gesellen die Kleider anfertigen wolle und erhielt gleich tausend Gulden im voraus. Die gab er dem Gesellen, damit er sich alles kaufen könne, was er nötig habe. „Ja“, sagte der, „Geld ist dazu schon nötig und nicht wenig!“ und nahm die tausend Gulden mit Dank an. Weil ja aber die Kleider schon fertig waren, konnte er die Goldvögel fliegen lassen, wie und wohin es ihn beliebte, ging also ins Wirtshaus, aß und trank mit seinen Freunden nach Herzenslust und fuhr zu jeder Tages- und Nachtzeit in einer vornehmen Kutsche in der Gegend umher. Als der erste Monat beinahe vergangen und weit und breit noch nichts von einem Kleide zu sehen war, wurde dem Meister angst und bange. Er stellte darum den Gesellen zur Rede und sagte: „Übermorgen soll das erste Kleid fertig sein, und du hast noch keine Nadel eingefädelt! Weißt du, daß es uns den Kopf kostet, wenn das Kleid nicht rechtzeitig abgeliefert wird?“ – Der aber gab zur Antwort: „Ich kann nur bei Nacht, wenn ich Wein getrunken habe, an dem Kleid arbeiten, und darum muß ich den Tag über ins Wirtshaus gehen. Und in der Kutsche fahre ich nicht zum Vergnügen, sondern um Sonne, Mond und Sterne zu betrachten, damit ich sie schön und natur- getreu widergeben kann. So ist das, Meister! – und dreinreden lasse ich mir nicht! Basta !“ Am andern Morgen aber übergab er dem Meister das erste Kleid, auf dem die Sonne dargestellt war. Der bewunderte und lobte die schöne Arbeit und trug sie eigenhändig ins Schloß hinauf. Als die Prinzessin das Gewand sah, erkannte sie im Augenblick das Kleid, das der Drache ihr einst geschenkt hatte, und bat den Meister, ihr auch das zweite bald abzuliefern. – Darauf erhielt er vom Schatzkanzler wieder tausend Gulden ausbezahlt, als Vorschuß für das zweite Kleid. Der Meister gab das Geld dem Gesellen und der machte es kein Haar anders als das erstemal, – er verjubelte es bis auf den letzten Groschen. Der Monat war wieder gerade zu Ende, als er endlich dem Meister das zweite Kleid übergab, das wie der Mond schimmerte. Diesmal freute sich die Prinzessin noch mehr, nahm den Meister beiseite und fragte ihn: „Habt Ihr selber dieses Kleid gearbeitet?“ Da wurde er unsicher, wich ihrem Blick aus, setzte zum Sprechen an und konnte doch die richtigen Worte nicht finden. – „Redet die Wahrheit, Meister! Denn sie wird mir, der Tochter des Königs, doch nicht verborgen bleiben!“ fuhr sie fort. Und da gestand er ihr, daß er vor einem Vierteljahr einen wandernden Gesellen bei sich aufgenommen habe; der habe die beiden Kleider angefertigt, ganz allein und ohne daß er ihm dabei hätte zusehen können. Da ließ die Prinzessin ihm zweitausend Gulden ausbezahlen, tausend für ihn und tausend für den Gesellen, und verlangte, daß das letzte Kleid der Geselle selber aufs Schloß bringen solle. Der Monat ging wieder dahin mit Trinkgelagen, Festen und Spazierfahrten, und am letzten Tag machte sich der Schneidergeselle auf den Weg zum Schloß und überbrachte der Königstochter das Sternenkleid. Kaum hatte er einen Schritt über die Schwelle ihres Gemachs getan, so hatte die Prinzessin ihn auch schon erkannt, fiel ihm um den Hals und küßte ihn und weinte vor Glück und Wiedersehensfreude. Sie führte ihn zu ihrem greisen Vater, erzählte ihm, wie er sie einst aus der Höhle des Drachen befreit und wie sie einander auf dem wilden Meere verloren und längst für tot gehalten hätten. Nun aber hatten sie sich wiedergefunden, hielten Hochzeit und wurden nach dem Tode des alten Vaters König und Königin über das ganze, große Reich.
(Grimm) Der Teufel und seine Großmutter
Es war ein großer Krieg, und der König hatte viel Soldaten, gab ihnen aber wenig Sold, so daß sie nicht davon leben konnten. Da taten sich drei zusammen und wollten ausreißen. Einer sprach zum andern: »Wenn wir erwischt werden, so hängt man uns an den Galgenbaum: wie wollen wir’s machen?« Sprach der andere: »Seht dort das große Kornfeld, wenn wir uns da verstecken, so findet uns kein Mensch: das Heer darf nicht hinein und muß morgen weiterziehen. « Sie krochen in das Korn, aber das Heer zog nicht weiter, sondern blieb rundherum liegen. Sie saßen zwei Tage und zwei Nächte im Korn und hatten so großen Hunger, daß sie beinah gestorben wären; gingen sie aber heraus, so war ihnen der Tod gewiß. Da sprachen sie: »Was hilft uns unser Ausreißen, wir müssen hier elendig sterben. « Indem kam ein feuriger Drache durch die Luft geflogen, der senkte sich zu ihnen herab und fragte sie, warum sie sich da versteckt hätten. Sie antworteten: »Wir sind drei Soldaten und sind ausgerissen, weil unser Sold gering war; nun müssen wir hier Hungers sterben, wenn wir liegenbleiben, oder wir müssen am Galgen baumeln, wenn wir herausgehen. « »Wollt ihr mir sieben Jahre dienen«, sagte der Drache, »so will ich euch mitten durchs Heer führen, daß euch niemand erwischen soll. « »Wir haben keine Wahl und müssen’s annehmen«, antworteten sie. Da packte sie der Drache in seine Klauen, führte sie durch die Luft über das Heer hinweg und setzte sie weit davon wieder auf die Erde; der Drache war aber niemand als der Teufel. Er gab ihnen ein kleines Peitschchen und sprach: »Peitscht und knallt ihr damit, so wird so viel Geld vor euch herumspringen, als ihr verlangt: ihr könnt dann wie große Herrn leben, Pferde halten und in Wagen fahren; nach Verlauf der sieben Jahre aber seid ihr mein eigen. Dann hielt er ihnen ein Buch vor, in das mußten sie sich alle drei unterschreiben. »Doch will ich euch«, sprach er, »erst noch ein Rätsel aufgeben, könnt ihr das raten, sollt ihr frei sein und aus meiner Gewalt entlassen. Da flog der Drache von ihnen weg, und sie reisten fort mit ihren Peitschchen, hatten Geld die Fülle, ließen sich Herrenkleider machen und zogen in der Welt herum. Wo sie waren, lebten sie in Freuden und Herrlichkeit, fuhren mit Pferden und Wagen, aßen und tranken, taten aber nichts Böses. Die Zeit verstrich ihnen schnell, und als es mit den sieben Jahren zu Ende ging, ward zweien gewaltig angst und bang, der dritte aber nahm’s auf die leichte Schulter und sprach: »Brüder, fürchtet nichts, ich bin nicht auf den Kopf gefallen, ich errate das Rätsel.« Sie gingen hinaus aufs Feld, saßen da, und die zwei machten betrübte Gesichter. Da kam eine alte Frau daher, die fragte, warum sie so traurig wären. »Ach, was liegt Euch daran, Ihr könnt uns doch nicht helfen. « »Wer weiß«, antwortete sie, »vertraut mir nur euern Kummer.« Da erzählten sie ihr, sie wären des Teufels Diener gewesen, fast sieben Jahre lang, der hätte ihnen Geld wie Heu geschafft, sie hätten sich ihm aber verschrieben und wären ihm verfallen, wenn sie nach den sieben Jahren nicht ein Rätsel auflösen könnten. Die Alte sprach: »Soll euch geholfen werden, so muß einer von euch in den Wald gehen, da wird er an eine eingestürzte Felsenwand kommen, die aussieht wie ein Häuschen, in das muß er eintreten, dann wird er Hilfe finden.« Die zwei traurigen dachten: »Das wird uns doch nicht retten«, und blieben sitzen, der dritte aber, der lustige, machte sich auf und ging so weit in den Wald, bis er die Felsenhütte fand. In dem Häuschen aber saß eine steinalte Frau, die war des Teufels Großmutter und fragte ihn, woher er käme und was er hier wollte. Er erzählte ihr alles, was geschehen war, und weil er ihr wohl gefiel, hatte sie Erbarmen und sagte, sie wollte ihm helfen. Sie hob einen großen Stein auf, der über einem Keller lag, und sagte: »Da verstecke dich, du kannst alles hören, was hier gesprochen wird, sitz nur still und rege dich nicht; wann der Drache kommt, will ich ihn wegen der Rätsel befragen: mir sagt er alles; und dann achte auf das, was er antwortet.« Um zwölf Uhr nachts kam der Drache angeflogen und verlangte sein Essen. Die Großmutter deckte den Tisch und trug Trank und Speise auf, daß er vergnügt war, und sie aßen und tranken zusammen. Da fragte sie ihn im Gespräch, wie’s den Tag ergangen wäre und wieviel Seelen er kriegt hätte. »Es wollte mir heute nicht recht glücken«, antwortete er, »aber ich habe drei Soldaten gepackt, die sind mir sicher.« »Ja, drei Soldaten«, sagte sie, »die haben etwas an sich, die können dir noch entkommen.« Sprach der Teufel höhnisch: »Die sind mein, denen gebe ich noch ein Rätsel auf, das sie nimmermehr raten können. « »Was ist das für ein Rätsel?« fragte sie. »Das will ich dir sagen: In der großen Nordsee liegt eine tote Meerkatze, das soll ihr Braten sein; und von einem Walfisch die Rippe, das soll ihr silberner Löffel sein; und ein alter hohler Pferdefuß, das soll ihr Weinglas sein. « Als der Teufel zu Bett gegangen war, hob die alte Großmutter den Stein auf und ließ den Soldaten heraus. »Hast du auch alles wohl in acht genommen?« »Ja«, sprach er, »ich weiß genug und will mir schon helfen.« Darauf mußte er auf einem andern Weg durchs Fenster heimlich und in aller Eile zu seinen Gesellen zurückgehen. Er erzählte ihnen, wie der Teufel von der alten Großmutter wäre überlistet worden und wie er die Auflösung des Rätsels von ihm vernommen hätte. Da waren sie alle fröhlich und guter Dinge, nahmen die Peitsche und schlugen sich so viel Geld, daß es auf der Erde herumsprang. Als die sieben Jahre völlig herum waren, kam der Teufel mit dem Buche, zeigte die Unterschriften und sprach: »Ich will euch mit in die Hölle nehmen, da sollt ihr eine Mahlzeit haben; könnt ihr mir raten, was ihr für einen Braten werdet zu essen kriegen, so sollt ihr frei und los sein und dürft auch das Peitschchen behalten. « Da fing der erste Soldat an: »In der großen Nordsee liegt eine tote Meerkatze, das wird wohl der Braten sein.« Der Teufel ärgerte sich, machte »hm! hm! hm!« und fragte den zweiten: » Was soll aber euer Löffel sein?« »Von einem Walfisch die Rippe, das soll unser silberner Löffel sein.« Der Teufel schnitt ein Gesicht, knurrte wieder dreimal »hm! hm! hm!« und sprach zum dritten: »Wißt ihr auch, was euer Weinglas sein soll?« »Ein alter Pferdefuß, das soll unser Weinglas sein.« Da flog der Teufel mit einem lauten Schrei fort und hatte keine Gewalt mehr über sie; aber die drei behielten das Peitschchen, schlugen Geld hervor, soviel sie wollten, und lebten vergnügt bis an ihr Ende.
(Grimm) Die zwei Brüder
Es waren einmal zwei Brüder, ein reicher und ein armer. Der reiche war ein Goldschmied und bös von Herzen; der arme nährte sich davon, daß er Besen band, und war gut und redlich. Der arme hatte zwei Kinder, das waren Zwillingsbrüder und sich so ähnlich wie ein Tropfen Wasser dem andern. Die zwei Knaben gingen in des Reichen Haus ab und zu und erhielten von dem Abfall manchmal etwas zu essen. Es trug sich zu, daß der arme Mann, als er in den Wald ging, Reisig zu holen, einen Vogel sah, der ganz golden war und so schön, wie ihm noch niemals einer vor Augen gekommen war. Da hob er ein Steinchen auf, warf nach ihm und traf ihn auch glücklich; es fiel aber nur eine goldene Feder herab, und der Vogel flog fort. Der Mann nahm die Feder und brachte sie seinem Bruder, der sah sie an und sprach „Es ist eitel Gold“, und gab ihm viel Geld dafür. Am andern Tag stieg der Mann auf einen Birkenbaum und wollte ein paar Äste abhauen. Da flog derselbe Vogel heraus, und als der Mann nachsuchte, fand er ein Nest, und ein Ei lag darin das war von Gold. Er nahm das Ei mit heim und brachte es seinem Bruder, der sprach wiederum: „Es ist eitel Gold“ und gab ihm, was es wert war. Zuletzt sagte der Goldschmied: „Den Vogel selber möcht‘ ich wohl haben.“ Der Arme ging zum drittenmal in den Wald und sah den Goldvogel wieder auf dem Baum sitzen. Da nahm er einen Stein und warf ihn herunter und brachte ihn seinem Bruder, der gab ihm einen großen Haufen Gold dafür. Nun kann ich mir forthelfen, dachte er und ging zufrieden nach Haus.
Der Goldschmied war klug und listig und wußte wohl, was das für ein Vogel war. Er rief seine Frau und sprach: „Brat mir den Goldvogel und sorge, daß nichts davon wegkommt, ich habe Lust, ihn ganz allein zu essen.“ Der Vogel war aber kein gewöhnlicher, sondern so wunderbarer Art, daß wer Herz und Leber von ihm aß, jeden Morgen ein Goldstück unter seinem Kopfkissen fand. Die Frau machte den Vogel zurecht, steckte ihn an einen Spieß und ließ ihn braten. Nun geschah es, daß während er am Feuer stand und die Frau anderer Arbeit wegen notwendig aus der Küche gehen mußte, die zwei Kinder des armen Besenbinders hereinliefen, sich vor den Spieß stellten und ihn ein paarmal herumdrehten. Und als da gerade zwei Stücklein aus dem Vogel in die Pfanne herabfielen, sprach der eine: „Die paar Bißchen wollen wir essen, ich bin so hungrig, es wird’s ja niemand daran merken.“ Da aßen sie beide die Stückchen auf; die Frau kam aber dazu, sah, daß sie etwas aßen, und sprach: „Was habt ihr gegessen ?“ „Ein paar Stückchen, die aus dem Vogel herausgefallen sind“, antworteten sie. „Das ist Herz und Leber gewesen, sprach die Frau ganz erschrocken, und damit ihr Mann nichts vermißte und nicht böse ward, schlachtete sie geschwind ein Hähnchen, nahm Herz und Leber heraus und legte es zu dem Goldvogel. Als er gar war, trug sie ihn dem Goldschmied auf, der ihn ganz allein verzehrte und nichts übrigließ Am andern Morgen aber, als er unter sein Kopfkissen griff und dachte das Goldstück hervorzuholen, war so wenig wie sonst eins zu finden.
Die beiden Kinder aber wußten nicht, was ihnen für ein Glück zuteil geworden war. Am andern Morgen, wie sie aufgestanden, fiel etwas auf die Erde und klingelte, und als sie es aufhoben, da waren’s zwei Goldstücke. Sie brachten sie ihrem Vater, der wunderte sich und sprach: „Wie sollte das zugegangen sein ? Als sie aber am andern Morgen wieder zwei fanden, und so jeden Tag, da ging er zu seinem Bruder und erzählte ihm die seltsame Geschichte. Der Goldschmied merkte gleich, wie es gekommen war und daß die Kinder Herz und Leber von dem Goldvogel gegessen hatten, und um sich zu rächen und weil er neidisch und hartherzig war, sprach er zu dem Vater: „Deine Kinder sind mit dem Bösen im Spiel, nimm das Gold nicht und dulde sie nicht länger in deinem Haus, denn er hat Macht über sie und kann dich selbst noch ins Verderben bringen !“ Der Vater fürchtete den Bösen, und so schwer es ihm ankam, führte er doch die Zwillinge hinaus in den Wald und verließ sie da mit traurigem Herzen.
Nun liefen die zwei Kinder im Wald umher und suchten den Weg nach Haus, konnten ihn aber nicht finden, sondern verirrten sich immer weiter. Endlich begegneten sie einem Jäger, der fragte: „Wem gehört ihr, Kinder ?“ „Wir sind des armen Besenbinders Jungen“, antworteten sie und erzählten ihm, daß ihr Vater sie nicht länger im Hause hätte behalten wollen, weil alle Morgen ein Goldstück unter ihrem Kopfkissen läge. „Nun“, sagte der Jäger, „das ist gerade nichts Schlimmes, wenn ihr nur rechtschaffen dabei bleibt und euch nicht auf die faule Haut legt.“ Der gute Mann, weil ihm die Kinder gefielen und er selbst keine hatte, so nahm er sie mit nach Haus und sprach: „Ich will euer Vater sein und euch großziehen.“ Sie lernten da bei ihm die Jägerei, und das Goldstück, das ein jeder beim Aufstehen fand, das hob er ihnen auf, wenn sie’s in Zukunft nötig hätten.
Als sie herangewachsen waren, nahm sie ihr Pflegevater eines Tages mit in den Wald und sprach: „Heute sollt ihr euren Probeschuß tun, damit ich euch freisprechen und zu Jägern machen kann.“ Sie gingen mit ihm auf den Anstand und warteten lange, aber es kam kein Wild. Der Jäger sah über sich und sah eine Kette von Schneegänsen in der Gestalt eines Dreiecks fliegen, da sagte er zu dem einen: „Nun schieß von jeder Ecke eine herab.“ Der tat’s und vollbrachte damit seinen Probeschuß. Bald darauf kam noch eine Kette angeflogen und hatte die Gestalt der Ziffer Zwei; da hieß der Jäger den andern gleichfalls von jeder Ecke eine herunterholen, und dem gelang sein Probeschuß auch. Nun sagte der Pflegevater: „Ich spreche euch frei, ihr seid ausgelernte Jäger !“ Darauf gingen die zwei Brüder zusammen in den Wald, ratschlagten miteinander und verabredeten etwas. Und als sie abends sich zum Essen niedergesetzt hatten, sagten sie zu ihrem Pflegevater: „Wir rühren die Speise nicht an und nehmen keinen Bissen, bevor Ihr uns eine Bitte gewährt habt.“ Sprach er: „Was ist denn eure Bitte ?“ Sie antworteten: „Wir haben nun ausgelernt, wir müssen uns auch in der Welt versuchen, so erlaubt, daß wir fortziehen und wandern.“ Da sprach der Alte mit Freuden: „Ihr redet wie brave Jäger, was ihr begehrt, ist mein eigener Wunsch gewesen; zieht aus, es wird euch wohl ergehen.“ Darauf aßen und tranken sie fröhlich zusammen.
Als der bestimmte Tag kam, schenkte der Pflegevater jedem eine gute Büchse und einen Hund und ließ jeden von seinen gesparten Goldstücken nehmen, soviel er wollte. Darauf begleitete er sie ein Stück Wegs, und beim Abschied gab er ihnen noch ein blankes Messer und sprach: „Wann ihr euch einmal trennt, so stoßt dies Messer am Scheideweg in einen Baum, daran kann einer, wenn er zurückkommt, sehen, wie es seinem abwesenden Bruder ergangen ist, denn die Seite, nach welcher dieser ausgezogen ist, rostet, wann er stirbt solange er aber lebt, bleibt sie blank.“ Die zwei Brüder gingen immer weiter fort und kamen in einen Wald, so groß, daß sie unmöglich in einem Tag herauskonnten. Also blieben sie die Nacht darin und aßen, was sie in die Jägertaschen gesteckt hatten; sie gingen aber auch noch den zweiten Tag und kamen nicht heraus. Da sie nichts zu essen hatten, so sprach der eine: „Wir müssen uns etwas schießen, sonst leiden wir Hunger“, lud sein Büchse und sah sich um. Und als ein alter Hase dahergelaufen kam, legte er an, aber der Hase rief:
„Lieber Jäger, laß mich leben,
Ich will dir auch zwei Junge geben.“
Sprang auch gleich ins Gebüsch und brachte zwei Junge; die Tierlein spielten aber so munter und waren so artig, daß die Jäger es nicht übers Herz bringen konnten, sie zu töten Sie behielten sie also bei sich, und die kleinen Hasen folgten ihnen auf dem Fuße nach. Bald darauf schlich ein Fuchs vorbei, den wollten sie niederschießen, aber der Fuchs rief:
„Lieber Jäger, laß mich leben,
Ich will dir auch zwei Junge geben.“
Er brachte auch zwei Füchslein, und die Jäger mochten sie auch nicht töten, gaben sie den Hasen zur Gesellschaft, und sie folgten ihnen nach. Nicht lange, so schritt ein Wolf aus dem Dickicht, die Jäger legten auf ihn an, aber der Wolf rief:
„Lieber Jäger, laß mich leben,
Ich will dir auch zwei Junge geben.“
Die zwei jungen Wölfe taten die Jäger zu den anderen Tieren, und sie folgten ihnen nach. Darauf kam ein Bär, der wollte gern noch länger herumtraben und rief:
„Lieber Jäger, laß mich leben,
Ich will dir auch zwei Junge geben.“
Die zwei jungen Bären wurden zu den andern gesellt, und waren ihrer schon acht. Endlich, wer kam ? Ein Löwe kam und schüttelte seine Mähne. Aber die Jäger ließen sich nicht schrecken und zielten auf ihn; aber der Löwe sprach gleichfalls:
„Lieber Jäger, laß mich leben,
Ich will dir auch zwei Junge geben.“
Er holte auch seine Jungen herbei, und nun hatten die Jäger zwei Löwen, zwei Bären, zwei Wölfe, zwei Füchse und zwei Hasen, die ihnen nachzogen und dienten. Indessen war ihr Hunger damit nicht gestillt worden, da sprachen sie zu den Füchsen: „Hört, ihr Schleicher, schafft uns etwas zu essen, ihr seid ]a listig und verschlagen.“ Sie antworteten: „Nicht weit von hier liegt ein Dorf, wo wir schon manches Huhn geholt haben; den Weg dahin wollen wir euch zeigen.“ Da gingen sie ins Dorf, kauften sich etwas zu essen und ließen ihren Tieren Futter geben und zogen dann weiter. Die Füchse aber wußten guten Bescheid in der Gegend, wo die Hühnerhöfe waren, und konnten die Jäger überall zurechtweisen. Nun zogen sie eine Weile herum, konnten aber keinen Dienst finden, wo sie zusammen geblieben wären, da sprachen sie: „Es geht nicht anders, wir müssen uns trennen.“ Sie teilten die Tiere, so daß jeder einen Löwen, einen Bären, einen Wolf, einen Fuchs und einen Hasen bekam. Dann nahmen sie Abschied, versprachen sich brüderliche Liebe bis in den Tod und stießen das Messer, das ihnen ihr Pflegevater mitgegeben, in einen Baum; worauf der eine nach Osten, der andere nach Westen zog.
Der Jüngste aber kam mit seinen Tieren in eine Stadt, die war ganz mit schwarzem Flor überzogen. Er ging in ein Wirtshaus und fragte den Wirt, ob er nicht seine Tiere herbergen könnte. Der Wirt gab ihnen einen Stall, wo in der Wand ein Loch war; da kroch der Hase hinaus und holte sich ein Kohlhaupt, und der Fuchs holte sich ein Huhn und, als er das gefressen hatte, auch den Hahn dazu. Der Wolf aber, der Bär und Löwe, weil sie zu groß waren, konnten nicht hinaus. Da ließ sie der Wirt hinbringen, wo eben eine Kuh auf dem Rasen lag, daß sie sich sattfraßen. Und als der Jäger für seine Tiere gesorgt hatte, fragte er erst den Wirt, warum die Stadt so mit Trauerflor ausgehängt wäre. Sprach der Wirt: „Weil morgen unseres Königs einzige Tochter sterben wird.“ Fragte der Jäger: „Ist sie sterbenskrank?“ „Nein“, antwortete der Wirt, „sie ist frisch und gesund, aber sie muß d o c h sterben.“ „Wie geht das zu ?“ fragte der Jäger. „Draußen vor der Stadt ist ein hoher Berg, darauf wohnt ein Drache, der muß alle Jahre eine reine Jungfrau haben, sonst verwüstet er das ganze Land. Nun sind schon alle Jungfrauen hingegeben, und ist niemand mehr übrig als die Königstochter, dennoch ist keine Gnade, sie muß ihm überliefert werden; und das soll morgen geschehen.“ Sprach der Jäger: „Warum wird der Drache nicht getötet ?“ „Ach“, antwortete der Wirt, „so viele Ritter haben’s versucht, aber allesamt ihr Leben eingebüßt; der König hat dem, der den Drachen besiegt, seine Tochter zur Frau versprochen, und er soll auch nach seinem Tode das Reich erben.“
Der Jäger sagte dazu weiter nichts, aber am andern Morgen nahm er seine Tiere und stieg mit ihnen auf den Drachenberg. Da stand oben eine kleine Kirche, und auf dem Altar standen drei gefüllte Becher, und dabei war die Schrift: Wer die Becher austrinkt, wird der stärkste Mann auf Erden und wird das Schwert führen, das vor der Türschwelle vergraben liegt. Der Jäger trank da nicht, ging hinaus und suchte das Schwert in der Erde, vermochte es aber nicht von der Stelle zu bewegen. Da ging er hin und trank die Becher aus und war nun stark genug, das Schwert aufzunehmen, und seine Hand konnte es ganz leicht führen. Als die Stunde kam, wo die Jungfrau dem Drachen sollte ausgeliefert werden, begleiteten sie der König, der Marschall und die Hofleute hinaus. Sie sah von weitem den Jäger oben auf dem Drachenberg und meinte, der Drache stände da und erwartete sie, und wollte nicht hinaufgehen, endlich aber, weil die ganze Stadt sonst wäre verloren gewesen, mußte sie den schweren Gang tun. Der König und die Hofleute kehrten voll großer Trauer heim, des Königs Marschall aber sollte stehen bleiben und aus der Ferne alles mitansehen.
Als die Königstochter oben auf den Berg kam, stand da nicht der Drache, sondern der junge Jäger, der sprach ihr Trost ein und sagte, er wollte sie retten, führte sie in die Kirche und verschloß sie darin. Gar nicht lange, so kam mit großem Gebraus der siebenköpfige Drache dahergefahren. Als er den Jäger erblickte, verwunderte er sich und sprach: „Was hast du hier auf dem Berge zu schaffen ?“ Der Jäger antwortete: „Ich will mit dir kämpfen !“ Sprach der Drache: „So mancher Rittersmann hat hier sein Leben gelassen, mit dir will ich auch fertig werden“, und atmete Feuer aus sieben Rachen. Das Feuer sollte das trockene Gras anzünden, und der Jäger sollte in der Glut und dem Dampf ersticken, aber die Tiere kamen herbeigelaufen und traten das Feuer aus. Da fuhr der Drache gegen den Jäger, aber er schwang sein Schwert, daß es in der Luft sang, und schlug ihm drei Köpfe ab. Da ward der Drache erst recht wütend, erhob sich in die Luft, spie die Feuerflammen über den Jäger aus und wollte sich auf ihn stürzen, aber der Jäger zückte nochmals sein Schwert und hieb ihm wieder drei Köpfe ab. Das Untier ward matt und sank nieder und wollte doch wieder auf den Jäger los, aber er schlug ihm mit der letzten Kraft den Schweif ab, und weil er nicht mehr kämpfen konnte, rief er seine Tiere herbei, die zerrissen es in Stücke. Als der Kampf zu Ende war, schloß der Jäger die Kirche auf und fand die Königstochter auf der Erde liegen, weil ihr die Sinne von Angst und Schrecken während des Streites vergangen waren. Er trug sie heraus, und als sie wieder zu sich kam und die Augen aufschlug, zeigte er ihr den zerrissenen Drachen und sagte ihr, daß sie nun erlöst wäre. Sie freute sich und sprach: „Nun wirst du mein liebster Gemahl werden, denn mein Vater hat mich demjenigen versprochen, der den Drachen tötet.“ Darauf hing sie ihr Halsband von Korallen ab und verteilte es unter die Tiere, um sie zu belohnen, und der Löwe erhielt das goldene Schlößchen davon. Ihr Taschentuch aber, in dem ihr Name stand, schenkte sie dem Jäger, der ging hin und schnitt aus den sieben Drachenköpfen die Zungen aus, wickelte sie in das Tuch und verwahrte sie wohl Als das geschehen war, weil er von dem Feuer und dem Kampf so matt und müde war, sprach er zur Jungfrau: „wir sind beide so matt und müde, wir vollen ein wenig schlafen.“ Da sagte sie „ja“, und sie ließen sich auf die Erde nieder, und der Jäger sprach zu dem Löwen: „Du sollst wachen, damit uns niemand im Schlaf überfällt !“ Und beide schliefen ein. Der Löwe legte sich neben sie, um zu wachen; aber er war vom Kampf auch müde, daß er den Bären rief und sprach „Lege dich neben mich, ich muß ein wenig schlafen, und wenn was kommt, so wecke mich auf !“ Da legte sich der Bär neben ihn, aber er war auch müde und rief den Wolf und sprach: „Lege dich neben mich, ich muß ein wenig schlafen, und wenn was kommt, so wecke mich auf !“ Da legte sich der Wolf neben ihn, aber auch er war müde und rief den Fuchs und sprach: „Lege dich neben mich, ich muß ein wenig schlafen, und wenn was kommt, so wecke mich auf!“ Da legte sich der Fuchs neben ihn, aber auch er war müde und rief den Hasen und sprach: „Lege dich neben mich, ich muß ein wenig schlafen, und wenn was kommt, so wecke mich auf !“ Da setzte sich der Hase neben ihn, aber der arme Has war auch müde und hatte niemand, den er zur Wache herbeirufen konnte, und schlief ein. Da schlief nun die Königstochter, der Jäger, der Löwe, der Bär, der Wolf, der Fuchs und der Has, und schliefen alle einen festen Schlaf.
Der Marschall aber, der von weitem hatte zuschauen sollen, als er den Drachen nicht mit der Jungfrau fortfliegen sah und alles auf dem Berg ruhig ward, nahm sich ein Herz und stieg hinauf. Da lag der Drache zerstückt und zerrissen auf der Erde und nicht weit davon die Königstochter und ein Jäger mit seinen Tieren, die waren alle in tiefen Schlaf versunken. Und weil er bös und gottlos war, so nahm er sein Schwert und hieb dem Jäger das Haupt ab und faßte die Jungfrau auf den Arm und trug sie den Berg hinab. Da erwachte sie und erschrak, aber der Marschall sprach: „Du bist in meinen Händen, du sollst sagen, daß ich es gewesen bin, der den Drachen getötet hat.!“ „Das kann ich nicht“, antwortete sie, „denn ein Jäger mit seinen Tieren hat es getan.“ Da zog er sein Schwert und drohte, sie zu töten, wenn sie ihm nicht gehorchte, und zwang sie damit, daß sie es versprach. Darauf brachte er sie vor den König, der sich vor Freuden nicht zu fassen wußte, als er sein liebes Kind wieder lebend erblickte, das er von dem Untier zerrissen glaubte. Der Marschall sprach zu ihm: „Ich habe den Drachen getötet und die Jungfrau und das ganze Reich befreit, darum fordere ich sie zur Gemahlin, so wie es zugesagt ist.“ Der König fragte die Jungfrau: „Ist das wahr, was er spricht ?“ „Ach ja „, antwortete sie, „es muß wohl wahr sein, aber ich halte mir aus, daß erst über Jahr und Tag die Hochzeit gefeiert wird“, denn se dachte, in der Zeit etwas von ihrem lieben Jäger zu hören. Auf dem Drachenberg aber lagen noch die Tiere neben ihrem toten Herrn und schliefen. Da kam eine große Hummel und setzte sich dem Hasen auf die Nase, aber der Hase wischte sie mit der Pfote ab und schlief weiter. Die Hummel kam zum zweiten Male, aber der Hase wischte sie wieder ab und schlief fort. Da kam sie zum drittenmal und stach ihm in die Nase, daß er aufwachte. Sobald der Hase wach war, weckte er den Fuchs, und der Fuchs den Wolf, und der Wolf den Bär und der Bär den Löwen. Und als der Löwe aufwachte und sah, daß die Jungfrau fort war und sein Herr tot, fing er an fürchterlich zu brüllen und rief: „Wer hat das vollbracht ? Bär, warum hast du mich nicht geweckt ?“ Der Bär fragte den Wolf: „Warum hast du mich nicht geweckt ?“ Und der Wolf den Fuchs: „Warum hast du mich nicht geweckt ?“ Und der Fuchs den Hasen: „Warum hast du mich nicht geweckt?“ Der arme Has wußte allein nichts zu antworten, und die Schuld blieb auf ihm hängen. Da wollten sie über ihn herfallen, aber er bat und sprach: „Bringt mich nicht um, ich will unsern Herrn wieder lebendig machen. Ich weiß einen Berg, da wächst eine Wurzel, wer die im Mund hat, der wird von aller Krankheit und allen Wunden geheilt. Aber der Berg liegt zweihundert Stunden von hier.“ Sprach der Löwe „In vierundzwanzig Stunden mußt du hin- und hergelaufen sein und die Wurzel mitbringen.“ Da sprang der Hase fort, und in vierundzwanzig Stunden war er zurück und brachte die Wurzel mit. Der Löwe setzte dem Jäger den Kopf wieder an, und der Hase steckte ihm die Wurzel in den Mund, alsbald fugte sich alles wieder zusammen, und das Herz schlug und das Leben kehrte zurück. Da erwachte der Jäger und erschrak, als er die Jungfrau nicht mehr sah, und dachte: Sie ist wohl fortgegangen, während ich schlief, um mich loszuwerden. Der Löwe hatte in der großen Eile seinem Herrn den Kopf verkehrt aufgesetzt, der aber merkte es nicht bei seinen traurigen Gedanken an die Königstochter. Erst zu Mittag, als er etwas essen wollte, da sah er, daß ihm der Kopf nach dem Rücken zu stand, konnte es nicht begreifen und fragte die Tiere, was ihm im Schlaf widerfahren wäre ? Da erzählte ihm der Löwe, daß sie auch aus Müdigkeit eingeschlafen wären, und beim Erwachen hätten sie ihn tot gefunden mit abgeschlagenem Haupte, der Hase hätte die Lebenswurzel geholt, er aber in der Eil‘ den Kopf verkehrt gehalten; doch wollte er seinen Fehler wiedergutmachen. Dann riß er dem Jäger den Kopf wieder ab, drehte ihn herum, und der Hase heilte ihn mit der Wurzel fest.
Der Jäger aber war traurig, zog in der Welt herum und ließ seine Tiere vor den Leuten tanzen. Es trug sich zu, daß er gerade nach Verlauf eines Jahres wieder in dieselbe Stadt kam, wo er die Königstochter vom Drachen erlöst hatte, und die Stadt war diesmal ganz mit rotem Scharlach ausgehängt. Da sprach er zum Wirt: „Was will das sagen ? Vor’m Jahr war die Stadt mit schwarzem Flor überzogen, was soll heute der rote Scharlach ?“ Der Wirt antwortete: „Vor’m Jahr sollte unseres Königs Tochter dem Drachen ausgeliefert werden, aber der Marschall hat mit ihm gekämpft und ihn getötet, und da soll morgen ihre Vermählung gefeiert werden; darum war die Stadt damals mit schwarzem Flor zur Trauer und ist heute mit rotem Scharlach zur Freude ausgehängt.“
Am andern Tag, wo die Hochzeit sein sollte, sprach der Jäger um die Mittagszeit zum Wirt: „Glaubt Er wohl, Herr Wirt, daß ich heut Brot von des Königs Tisch hier bei Ihm essen will ?“ „Ja, sprach der Wirt, „da wollt ich doch noch hundert Goldstücke daransetzen, daß das nicht wahr ist !“ Der Jäger nahm die Wette an und setzte einen Beutel mit ebensoviel Goldstücken dagegen. Dann rief er den Hasen und sprach: „Geh hin, lieber Springer, und hol mir von dem Brot, das der König ißt !“ Nun war das Häslein das Geringste und konnte es keinem andern wieder auftragen, sondern mußte sich selbst auf die Beine machen. Ei, dachte es, wann ich so allein durch die Straßen springe, da werden die Metzgerhunde hinter mir drein sein. Wie es dachte, so geschah es auch, und die Hunde kamen hinter ihm drein und wollten ihm sein gutes Fell flicken. Es sprang aber, hast du nicht gesehen ! und flüchtete sich in ein Schilderhaus, ohne daß es der Soldat gewahr wurde. Da kamen die Hunde und wollten es heraushaben, aber der Soldat verstand keinen Spaß und schlug mit dem Kolben drein, daß sie schreiend und heulend fortliefen. Als der Hase merkte, daß die Luft rein war, sprang er zum Schloß hinein und gerade zur Königstochter, setzte sich unter ihren Stuhl und kratzte sie am Fuß. Da sagte sie: „Willst du fort !“ und meinte, es wäre ihr Hund. Der Hase kratzte zum zweitenmal am Fuß, da sagte sie wieder: „Willst du fort !“ und meinte, es wäre ihr Hund. Aber der Hase ließ sich nicht irre machen und kratzte zum drittenmal. Da guckte sie herab und erkannte den Hasen an seinem Halsband. Nun nahm sie ihn auf ihren Schoß, trug ihn in ihre Kammer und sprach: „Lieber Hase, was willst du ?“ Antwortete er: „Mein Herr, der den Drachen getötet hat, ist hier und schickt mich, ich soll um ein Brot bitten, wie es der König ißt.“ Da war sie voll Freude und ließ den Bäcker kommen und befahl ihm, ein Brot zu bringen, wie es der König aß. Sprach das Häslein: „Aber der Bäcker muß mir’s auch hintragen, damit mir die Metzgerhunde nichts tun.“ Der Bäcker trug es ihm bis an die Türe der Wirtsstube. Da stellte sich der Hase auf die Hinterbeine, nahm alsbald das Brot in die Vorderpfoten und brachte es seinem Herrn. Da sprach der Jäger: „Sieht Er, Herr Wirt, die hundert Goldstücke sind mein.“ Der Wirt wunderte sich. Aber der Jäger sagte weiter: „Ja, Herr Wirt, das Brot hätt‘ ich, nun will ich aber auch von des Königs Braten essen.“ Der Wirt sagte: „Das möcht ich sehen“, aber wetten wollte er nicht mehr. Rief der Jäger den Fuchs und sprach: „Mein Füchslein, geh hin und hol mir Braten, wie ihn der König ißt !“ Der Rotfuchs wußte die Schliche besser, ging an den Ecken und durch die Winkel, ohne daß ihn ein Hund sah, setzte sich unter der Königstochter Stuhl und kratzte an ihrem Fuß. Da sah sie herab und erkannte den Fuchs am Halsband, nahm ihn mit in ihre Kammer und sprach: „Lieber Fuchs, was willst du ? Antwortete er: „Mein Herr, der den Drachen getötet hat, ist hier und schickt mich, ich soll bitten um einen Braten, wie ihn der König ißt.“ Da ließ sie den Koch kommen, der mußte einen Braten, wie ihn der König aß, anrichten und dem Fuchs bis an die Türe tragen. Da nahm ihm der Fuchs die Schüssel ab, wedelte mit seinem Schwanz erst die Fliegen weg, die sich auf den Braten gesetzt hatten, und brachte ihn dann seinem Herrn. „Sieht Er, Herr Wirt“, sprach der Jäger, „Brot und Fleisch ist da, nun will ich auch Zugemüs‘ essen, wie es der König ißt.“ Da rief er den Wolf und sprach: „Lieber Wolf, geh hin und hol mir Zugemüs‘, wie’s der König ißt !“ Da ging der Wolf geradezu ins Schloß, weil er sich vor niemand fürchtete. Und als er in der Königstochter Zimmer kam, da zupfte er sie hinten am Kleid, daß sie sich umschauen mußte. Sie erkannte ihn am Halsband und nahm ihn mit in ihre Kammer und sprach: „Lieber Wolf, was willst du ?“ Antwortete er: „Mein Herr, der den Drachen getötet hat, ist hier, ich soll bitten um ein Zugemüs‘, wie es der König ißt.“ Da ließ sie den Koch kommen, der mußte ein Zugemüs‘ bereiten, wie es der König aß, und mußte es dem Wolf bis vor die Türe tragen, da nahm ihm der Wolf die Schüssel ab und brachte sie seinem Herrn. „Sieht Er, Herr Wirt“, sprach der Jäger, „nun hab ich Brot, Fleisch und Zugemüs‘, aber ich will auch Zuckerwerk essen, wie es der König ißt.“ Rief er den Bären und sprach: „Lieber Bär, du leckst doch gern etwas Süßes, geh hin und hol mir Zuckerwerk, wie’s der König ißt !“ Da trabte der Bär nach dem Schlosse und ging ihm jedermann aus dem Wege. Als er aber zu der Wache kam, hielt sie die Flinten vor und wollte ihn nicht ins königliche Schloß lassen. Aber er hob sich in die Höhe und gab mit seinen Tatzen links und rechts ein paar Ohrfeigen, daß die ganze Wache zusammenfiel, und darauf ging er geraden Weges zu der Königstochter, stellte sich hinter sie und brummte ein wenig. Da schaute sie rückwärts und erkannte den Bären und hieß ihn mitgehn in ihre Kammer und sprach: „Lieber Bär, was willst du ?“ Antwortete er: „Mein Herr, der den Drachen getötet hat, ist hier, ich soll bitten um Zuckerwerk, wie’s der König ißt.“ Da ließ sie den Zuckerbäcker kommen, der mußte Zuckerwerk backen, wie’s der König aß, und dem Bären vor die Türe tragen. Da leckte der Bär erst die Zuckererbsen auf, die heruntergerollt waren, dann stellte er sich aufrecht, nahm die Schüssel und brachte sie seinem Herrn. „Sieht Er, Herr Wirt“, sprach der Jäger, „nun habe ich Brot, Fleisch, Zugemüs‘ und Zuckerwerk, aber ich will auch Wein trinken, wie ihn der König trinkt !“ Er rief seinen Löwen herbei und sprach: „Lieber Löwe, du trinkst dir doch gerne einen Rausch, geh und hol mir Wein, wie ihn der König trinkt !“ Da schritt der Löwe über die Straße, und die Leute liefen vor ihm, und als er an die Wache kam, wollte sie den Weg sperren, aber er brüllte nur einmal, so sprang alles fort. Nun ging der Löwe vor das königliche Zimmer und klopfte mit seinem Schweif an die Türe. Da kam die Königstochter heraus und wäre fast über den Löwen erschrocken; aber sie erkannte ihn an dem goldenen Schloß von ihrem Halsbande und hieß ihn in ihre Kammer gehen und sprach: „Lieber Löwe. was willst du ?“ Antwortete er: „Min Herr, der den Drachen getötet hat, ist hier, ich soll bitten um Wein, wie ihn der König trinkt.“ Da ließ sie den Mundschenk kommen, der sollte dem Löwen Wein geben, wie ihn der König tränke. Sprach der Löwe: „Ich will mitgehen und sehen, daß ich den rechten kriege.“ Da ging er mit dem Mundschenk hinab, und als sie unten hinkamen, wollte ihm dieser von dem gewöhnlichen Wein zapfen, wie ihn des Königs Diener tranken; aber der Löwe sprach: „Halt ! Ich will den Wein erst versuchen“, zapfte sich ein halbes Maß und schluckte es auf einmal hinab. „Nein“, sagte er, „das ist nicht der rechte.“ Der Mundschenk sah ihn schief an, ging aber und wollte ihm aus einem andern Faß geben, das für des Königs Marschall war. Sprach der Löwe: „Halt ! Erst will ich den Wein versuchen“, zapfte sich ein halbes Maß und trank es, „der ist besser, aber noch nicht der rechte.“ Da ward der Mundschenk bös und sprach: „Was so ein dummes Vieh vom Wein verstehen will !“ Aber der Löwe gab ihm einen Schlag hinter die Ohren, daß er unsanft zur Erde fiel. Und als er sich wieder aufgemacht hatte, führte er den Löwen ganz stillschweigend in einen kleinen besonderen Keller, wo des Königs Wein lag, von dem sonst kein Mensch zu trinken bekam. Der Löwe zapfte sich erst ein halbes Maß und versuchte den Wein, dann sprach er: „Das kann von dem rechten sein“, und hieß den Mundschenk sechs Flaschen füllen. Nun stiegen sie herauf, wie der Löwe aber aus dem Keller ins Freie kam, schwankte er hin und her und war ein wenig trunken, und der Mundschenk mußte ihm den Wein bis vor die Tür tragen. Da nahm der Löwe den Henkelkorb in das Maul und brachte ihn seinem Herrn. Sprach der Jäger: „Sieht Er, Herr Wirt, da hab ich Brot, Fleisch, Zugemüs, Zuckerwerk und Wein, wie es der König hat, nun will ich mit meinen Tieren Mahlzeit halten“, und setzte sich hin, aß und trank und gab dem Hasen, dem Fuchs, dem Wolf, dem Bär und dem Löwen auch davon zu essen und zu trinken und war guter Dinge, denn er sah, daß ihn die Königstochter noch lieb hatte.
Und als er Mahlzeit gehalten hatte, sprach er: „Herr Wirt, nun hab ich gegessen und getrunken, wie der König ißt und trinkt, Jetzt will ich an des Königs Hof gehen und die Königstochter heiraten. Fragte der Wirt: „Wie soll das zugehen, da sie schon einen Bräutigam hat und heute die Vermählung gefeiert wird ?“ Da zog der Jäger das Taschentuch heraus, das ihm die Königstochter auf dem Drachenberg gegeben hatte und worin die sieben Zungen des Untiers eingewickelt waren, und sprach: „Dazu soll mir helfen, was ich da in der Hand halte.“ Da sah der Wirt das Tuch an und sprach: „Wenn ich alles glaube, so glaube ich das nicht und will wohl Haus und Hof dransetzen.“ Der Jäger aber nahm einen Beutel mit tausend Goldstücken, stellte ihn auf den Tisch und sagte: „Das setze ich dagegen !“
Nun sprach der König an der königlichen Tafel zu seiner Tochter: „Was haben die wilden Tiere alle gewollt, die zu dir gekommen und in mein Schloß ein- und ausgegangen sind ?“ Da antwortete sie: „Ich darf’s nicht sagen, aber schickt hin und laßt den Herrn dieser Tiere holen, so werdet Ihr wohltun.“ Der König schickte einen Diener ins Wirtshaus und ließ den fremden Mann einladen, und der Diener kam gerade, wie der Jäger mit dem Wirt gewettet hatte. Da sprach er: „Sieht Er Herr Wirt, da schickt der König einen Diener und läßt mich einladen, aber ich gehe so noch nicht.“ Und zu dem Diener sagte er: „Ich lasse den Herrn König bitten, daß er mir königliche Kleider schickt, einen Wagen mit sechs Pferden und Diener, die mir aufwarten.- Als der König die Antwort hörte, sprach er zu seiner Tochter: „Was soll ich tun ?“ Sagte sie: „Laßt ihn holen, wie er’s verlangt, so werdet Ihr wohltun.“ Da schickte der König königliche Kleider, einen Wagen mit sechs Pferden und Diener, die ihm aufwarten sollten. Als der Jäger sie kommen sah, sprach er: „Sieht Er, Herr Wirt, nun werde ich abgeholt, wie ich es verlangt habe“, und zog die königlichen Kleider an, nahm das Tuch mit den Drachenzungen und fuhr zum König. Als ihn der König kommen sah, sprach er zu seiner Tochter: „Wie soll ich ihn empfangen ?“ Antwortete sie: „Geht ihm entgegen, so werdet Ihr wohltun.- Da ging der König ihm entgegen und führte ihn herauf, und seine Tiere folgten ihm nach. Der König wies ihm einen Platz an neben sich und seiner Tochter, der Marschall saß auf der andern Seite als Bräutigam; aber der kannte ihn nicht mehr. Nun wurden gerade die sieben Häupter des Drachen zur Schau aufgetragen, und der König sprach: „Die sieben Häupter hat der Marschall dem Drachen abgeschlagen, darum geb ich ihm heute meine Tochter zur Gemahlin.“ Da stand der Jäger auf, öffnete die sieben Rachen und sprach: „Wo sind die sieben Zungen des Drachen ?“ Da erschrak der Marschall, ward bleich und wußte nicht, was er antworten sollte, endlich sagte er in der Angst: „Drachen haben keine Zungen.“ Sprach der Jäger: „Die Lügner sollen keine haben, aber die Drachenzungen sind das Wahrzeichen des Sieges“, und wickelte das Tuch auf, da lagen sie alle sieben darin, und dann steckte er jede Zunge in den Rachen, in den sie gehörte, und sie paßte genau. Darauf nahm er das Tuch. in welches der Name der Köngstochter gestickt war, und zeigte es der Jungfrau und fragte sie, wem sie es gegeben hätte. Da antwortete sie: „Dem, der den Drachen getötet hat.“ Und dann rief er sein Getier, nahm jedem das Halsband und dem Löwen das goldene Schloß ab und zeigte es der Jungfrau und fragte, wem es angehörte. Antwortete sie: „Das Halsband und das goldene Schloß waren mein, ich habe es unter die Tiere verteilt, die den Drachen besiegen halfen.“ Da sprach der Jäger: „Als ich müde von dem Kampf geruht und geschlafen habe, da ist der Marschall gekommen und hat mir den Kopf abgehauen. Dann hat er die Königstochter fortgetragen und vorgegeben, er sei es gewesen, der den Drachen getötet habe; und daß er gelogen hat, beweise ich mit den Zungen, dem Tuch und dem Halsband.“ Und dann erzählte er, wie ihn seine Tiere durch eine wunderbare Wurzel geheilt hätten und daß er ein Jahr lang mit ihnen herumgezogen und endlich wieder hierhergekommen wäre, wo er den Betrug des Marschalls durch die Erzählung des Wirts erfahren hätte. Da fragte der König seine Tochter: „Ist es wahr, daß dieser den Drachen getötet hat ?“ Da antwortete sie : „Ja, es ist wahr jetzt darf ich die Schandtat des Marschalls offenbaren, weil sie ohne mein Zutun an den Tag gekommen ist, denn er hat mir das Versprechen zu schweigen abgezwungen. Darum aber habe ich mir ausgehalten, daß erst in Jahr und Tag die Hochzeit sollte gefeiert werden.“
Da ließ der König zwölf Ratsherren rufen, die sollten über den Marschall Urteil sprechen, und die urteilten, daß er müßte von vier Ochsen zerrissen werden. Also ward der Marschall gerichtet, der König aber übergab seine Tochter dem Jäger und ernannte ihn zu seinem Statthalter im ganzen Reich. Die Hochzeit ward mit großen Freuden gefeiert, und der junge König ließ seinen Vater und Pflegevater holen und überhäufte sie mit Schätzen. Den Wirt vergaß er auch nicht und ließ ihn kommen und sprach zu ihm: „Sieht Er, Herr Wirt, die Königstochter habe ich geheiratet, und sein Haus und Hof sind mein.“ Sprach der Wirt: „Ja, das wäre nach dem Rechten.“ Der junge König aber sagte: „Es soll nach Gnaden gehen: Haus und Hof soll Er behalten, und die tausend Goldstücke schenke ich ihm noch dazu.
Nun waren der junge König und die junge Königin guter Dinge und lebten vergnügt zusammen. Er zog oft hinaus auf die Jagd, weil das seine Freude war, und die treuen Tiere mußten ihn begleiten. Es lag aber in der Nähe ein Wald, von dem hieß es, er wäre nicht geheuer, und wäre einer erst darin, so käme er nicht leicht wieder heraus. Der junge König hatte aber große Lust. darin zu jagen, und ließ dem alten König keine Ruhe, bis er es ihm erlaubte. Nun ritt er mit einer großen Begleitung aus, und als er zu dem Wald kam, sah er eine schneeweiße Hirschkuh darin und sprach zu seinen Leuten: „Haltet hier, bis ich zurückkomme, ich will das schöne Wild jagen“, und ritt ihm nach in den Wald hinein, und nur seine Tiere folgten ihm. Die Leute hielten und warteten bis Abend, aber er kam nicht wieder. Da ritten sie heim und erzählten der jungen Königin: „Der junge König ist im Zauberwald einer weißen Hirschkuh nachgejagt und ist nicht wieder gekommen.“ Da war sie in großer Besorgnis um ihn.
Er war aber dem schönen Wild immer nachgeritten und konnte es niemals einholen; wenn er meinte, es wäre schußrecht, so sah er es gleich wieder in weiter Ferne dahinspringen, und endlich verschwand es ganz. Nun merkte er, daß er tief in den Wald hineingeraten war, nahm sein Horn und blies, aber er bekam keine Antwort, denn seine Leute konnten’s nicht hören. Und da auch die Nacht einbrach, sah er, daß er diesen Tag nicht heimkommen könnte, stieg ab, machte sich bei einem Baum ein Feuer an und wollte dabei übernachten. Als er bei dem Feuer saß und seine Tiere sich auch neben ihn gelegt hatten, deuchte ihm, als höre er eine menschliche Stimme; er schaute umher, konnte aber nichts bemerken. Bald darauf hörte er wieder ein Ächzen wie von oben her, da blickte er in die Höhe und sah ein altes Weib auf dem Baume sitzen, das jammerte in einem fort: „Hu, hu, hu, was mich friert !“ Sprach er: „Steig herab und wärme dich, wenn dich friert.‘ Sie aber sagte: „Nein, deine Tiere beißen mich.“ Antwortete er: „Sie tun dir nichts, Altes Mütterchen, komm nur herunter.“ Sie war aber eine Hexe und sprach: „Ich will eine Rute von dem Baum herabwerfen, wenn du sie damit auf den Rücken schlägst tun sie mir nichts.“ Da warf sie ihm ein Rütlein herab, und er schlug sie damit alsbald lagen sie still und waren in Stein verwandelt. Und als die Hexe vor den Tieren sicher war, sprang sie herunter und rührte auch ihn mit einer Rute an und verwandelte ihn in Stein. Darauf lachte sie und schleppte ihn und seine Tiere in einen Graben, wo schon mehr solcher Steine lagen.
Als aber der junge König gar nicht wiederkam, ward die Angst und Sorge der Königin immer größer. Nun trug sich zu, daß gerade in dieser Zelt der andere Bruder, der bei der Trennung gen Osten gewandert war, in das Königreich kam. Er hatte einen Dienst gesucht und keinen gefunden, war dann herum gezogen hin und her und hatte seine Tiere tanzen lassen. Da fiel ihm ein, er wollte einmal nach dem Messer sehen, das sie bei ihrer Trennung in einen Baumstamm gestoßen hatten, um zu erfahren, wie es seinem Bruder ginge. Wie er dahin kam, war seines Bruders Seite halb verrostet und halb war sie noch blank. Da erschrak er und dachte: Meinen Bruder muß ein großes Unglück zugestoßen sein, doch kann ich ihn vielleicht noch retten, denn die Hälfte des Messers ist noch blank. Er zog mit seinen Tieren gen Westen, und als er an das Stadttor kam, trat ihm die Wache entgegen und fragte, ob sie ihn seiner Gemahlin melden sollte, die junge Königin wäre seit ein paar Tagen in großer Angst über sein Ausbleiben und fürchtete, er wäre im Zauberwald umgekommen. Die Wache nämlich glaubte nichts anders, als er wäre der junge König selbst so ähnlich sah er ihm, und hatte auch die wilden Tiere hinter sich laufen. Da merkte er, daß von seinem Bruder die Rede war, und dachte: Es ist das Bete, ich gebe mich für ihn aus, so kann ich ihn wohl leichter erretten. Also ließ er sich von der Wache ins Schloß begleiten und ward mit Großer Freude empfangen. Die junge Königin meinte nichts anders als es wäre ihr Gemahl, und fragte ihn, warum er so lange ausgeblieben wäre. Er antwortete: „Ich hatte mich in einem Walde verirrt und konnte mich nicht eher wieder herausfinden.
Abends ward er in das königliche Bett gebracht, aber er legte ein zweischneidiges Schwert zwischen sich und die junge Königin. Sie wußte nicht, was das heißen sollte, getraute sich aber nicht zu fragen.
Da blieb er ein paar Tage und erforschte derweil alles, wie es mit dem Zauberwald beschaffen war, endlich sprach er: „Ich muß noch einmal dort jagen.“ Der König und die junge Königin wollten es ihm ausreden, aber er bestand darauf und zog mit großer Begleitung hinaus. Als er in den Wald gekommen war, erging es ihm wie seinem Bruder, er sah eine weiße Hirschkuh und sprach zu seinen Leuten: „Bleibt hier und wartet bis ich wiederkomme, ich will das schöne Wild jagen“, ritt in den Wald hinein, und seine Tiere liefen ihm nach. Aber er konnte die Hirschkuh nicht einholen und geriet so tief in den Wald, daß er darin übernachten mußte. Und als er ein Feuer angemacht hatte, hörte er über sich ächzen: „Hu, hu, hu, wie mich friert !“ Da schaute er hinauf, und es saß dieselbe Hexe oben im Baum. Sprach er: „Wenn dich friert, so komm herab, altes Mütterchen, und wärme dich.“ Antwortete sie: „Nein, deine Tiere beißen mich“ Er aber sprach: „Sie tun dir nichts“ Da rief sie: „Ich will dir eine Rute hinabwerfen, wenn du sie damit schlägst, so tun sie mir nichts.“ Wie der Jäger das hörte, traute er der Alten nicht und sprach: „Meine Tiere Schlag ich nicht, komm du herunter, oder ich hol dich.“ Da rief sie: „Was willst du wohl ? Du tust mir doch nichts“ Er aber antwortete: „Kommst du nicht, so schieß ich dich herunter.“ Sprach sie: „Schieß nur zu, vor deinen Kugeln fürchte ich mich nicht.“ Da legte er an und schoß nach ihr, aber die Hexe war fest gegen alle Bleikugeln, lachte, daß es gellte, und rief: „Du sollst mich noch nicht treffen.“ Der Jäger wußte Bescheid, riß sich drei silberne Knöpfe vom Rock und lud sie in die Büchse, denn dagegen war ihre Kunst umsonst, und als er losdrückte, stürzte sie gleich mit Geschrei herab. Da stellte er den Fuß auf sie und sprach: „Alte Hexe, wenn du nicht gleich gestehst, wo mein Bruder ist, so pack ich dich mit beiden Händen und werfe dich ins Feuer !“ Sie wer in großer Angst bat um Gnade und sagte: „Er liegt mit seinen Tieren versteinert in einem Graben.“ Da zwang er sie mit hinzugehen, drohte ihr und sprach: „Alte Meerkatze, Jetzt machst du meinen Bruder und alle Geschöpfe, die hier liegen lebendig, oder du kommst ins Feuer !“ Sie nahm eine Rute und rührte die Steine an, da wurde sein Bruder mit den Tieren wieder lebendig, und viele andere, Kaufleute, Handwerker, Hirten, standen auf, dankten für ihre Befreiung und zogen heim. Die Zwillingsbrüder aber, als sie sich wiedersahen, küßten sich und freuten sich von Herzen. Dann griffen sie die Hexe, banden sie und legten sie ins Feuer, und als sie verbrannt war, da tat sich der Wald von selbst auf und ward licht und hell, und man konnte das königliche Schloß auf drei Stunden Wegs sehen.
Nun gingen die zwei Brüder zusammen nach Haus und erzählten einander auf dem Weg ihre Schicksale. Und als der jüngste sagte, er wäre an des Königs statt Herr im ganzen Lande, sprach der andere: „Das hab ich wohl gemerkt, denn als ich in die Stadt kam und für dich angesehen ward, da geschah mir alle königliche Ehre. Die junge Königin hielt mich für ihren Gemahl, und ich mußte an ihrer Seite essen und in deinem Bett schlafen.“ Wie das der andere hörte, ward er so eifersüchtig und zornig, daß er sein Schwert zog und seinem Bruder den Kopf abschlug. Als dieser aber tot dalag und er das rote Blut fließen sah, reute es ihn gewaltig. „Mein Bruder hat mich erlöst“, rief er aus, „und ich habe ihn dafür getötet !“ und jammerte laut. Da kam sein Hase und erbot sich, von der Lebenswurzel zu holen, sprang fort und brachte sie noch zu rechter Zeit, und der Tote ward wieder ins Leben gebracht und merkte gar nichts von der Wunde.
Darauf zogen sie weiter, und der jüngste sprach: „Du siehst aus wie ich, hast königliche Kleider an wie ich, und die Tiere folgen dir nach wie mir. Wir wollen zu den entgegengesetzten Toren eingehen und von zwei Seiten zugleich beim alten König anlangen.“ Also trennten sie sich, und bei dem alten König kam zu gleicher Zeit die Wache von dem einen und dem andern Tore und meldete, der junge König mit den Tieren wäre von der Jagd angelangt. Sprach der König: „Es ist nicht möglich, die Tore liegen eine Stunde weit auseinander.“ Indem aber kamen von zwei Seiten die beiden Brüder in den Schloßhof hinein und stiegen beide herauf. Da sprach der König zu seiner Tochter: „Sag an, welcher ist dein Gemahl ? Es sieht einer aus wie der andere, ich kann’s nicht wissen.“ Sie war da in großer Angst und konnte es nicht sagen, endlich fiel ihr das Halsband ein, das sie den Tieren gegeben hatte, suchte und fand an dem einen Löwen ihr goldenes Schlößchen. Da rief sie vergnügt: „Der, dem dieser Löwe nachfolgt, der ist mein rechter Gemahl !“ Da lachte der junge König und sagte: „Ja, das ist der rechte“, und sie setzten sich zusammen zu Tisch, aßen und tranken und waren fröhlich. Abends, als der junge König zu Bett ging, sprach seine Frau: „Warum hast du die vorigen Nächte immer ein zweischneidiges Schwert in unser Bett gelegt ? Ich habe geglaubt, du wolltest mich totschlagen.“ Da erkannte er, wie treu sein Bruder gewesen war.